Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 2 BL 7/00
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 BL 5/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21. Januar 2003 sowie der Bescheid des Beklagten vom 12. Oktober 1999 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 4. Mai 2000 und des Wider-spruchsbescheides vom 29. Juni 2000 aufgehoben. II. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits für beide Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rückforderung von Blindengeld in Höhe von 14.600,00 DM.
Die am ...1940 geborene Klägerin beantragte am 16.06.1997 (Eingang) bei dem Be-klagten Leistungen nach dem Gesetz über die Gewährung eines Landesblindengeldes und anderer Nachteilsausgleiche. Den Antrag hatte sie schon am 29.03.1997 – zwischen zwei Augenoperationen – ausgefüllt. In der Rubrik: "Angaben über ärztliche Behandlungen" gab sie an, dies sei telefonisch mit Frau Dr. H1 ... und der Familienkasse geklärt worden. Sie teilte mit, dass weitere Unterlagen von der Augenklinik L ... beigezogen werden könnten. Außerdem verwies sie in ihrem Antrag auf den beim Beklagten bereits anhängi-gen Vorgang nach dem Schwerbehindertengesetz. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war sie im Besitz eines Änderungsbescheides, mit welchem eine hochgradige Sehminderung bei einem daraus resultierenden GdB von 100 festgestellt worden war. Zwei Monate später, nämlich mit Bescheid vom 18.08.1997 wurde als Behinderung "Blindheit" festgestellt und das Merkzeichen "BL" zuerkannt.Unter Auswertung der Befunde aus der Schwerbehinderten-Akte wurde versorgungsärzt-licherseits Blindheit im Sinne des Landesblindengesetzes "seit Antragstellung" bejaht. Mit Bescheid vom 06.08.1997 wurde der Klägerin daraufhin Blindengeld in Höhe von 650,00 DM monatlich ab dem 01.11.1996 bewilligt. Als Zeitpunkt der Antragstellung war der Eingang des Antrages nach dem Schwerbehindertengesetz (28.11.1996) angenommen worden.In dem Bescheid wurde mitgeteilt, dass die Klägerin verpflichtet sei, jede Änderung der persönlichen Verhältnisse, insbesondere auch die Besserung der bestehenden Behinde-rung anzuzeigen. Zur Prüfung sei auch hier die diesbezügliche Operation mitzuteilen. Zwischen fingierter Antragstellung und Bescheiderhalt war die Klägerin operiert worden. Es hatte am 26.02.1997 eine pars plana Vitrektomie stattgefunden mit Membrane peeling, Endolaserkoagulation, hinterer Kapsulotomie mit nachfolgender Cerclage und Silikonö-linstillation. Vor der Operation hatte die Sehschärfe nach Einschätzung der Augenklinik 1/35 bzw. nach gutachterlicher Einschätzung aus dem Schwerbehindertenverfahren 1/50 betragen. Unmittelbar nach der Operation kam es zu einer Sehverbesserung. Die erste dokumentierte Sehschärfe nach der zweiten Operation vom 06.03.1997 betrug 1/20. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Sehverbesserung, so dass am 14.04.1997 die Sehschärfe 1/15 betrug, bis dann die maximale postoperative Sehschärfe am 19.01.1998 mit 0,1 do-kumentiert wurde.Diese Informationen wurden dem Beklagten durch die Augenärztin der Klägerin Frau Dr. H1 ... bekannt gemacht, nachdem mit Schreiben vom 02.12.1998 hierum gebeten worden war. Anlass hierfür war ein Befundbericht von Frau Dr. H1 ..., in welchem schon im Juni 1998 eine Sehschärfe von 1/10 bescheinigt worden war.In Auswertung weiterer Befundberichte kam der Beklagte zu folgender Auffassung: - vom 01.11.1996 bis 28.02.1997 lag Blindheit vor- vom 01.03.1997 bis 31.07.1997 lag hochgradige Sehschwäche vor- vom 01.08.1997 bis 30.09.1998 bestand kein Anspruch nach dem Landesblinden-geldgesetz. - vom 01.10.1998 bis 31.01.1999 lag hochgradige Sehschwäche vor. - ab dem 01.02.1999 besteht kein Anspruch mehr nach dem Landesblindengeld- gesetz. Der Beklagte berechnete daraufhin, dass für die Monate März bis Juli 1997 jeweils 550,00 DM zuviel gezahlt worden seien, da nur hochgradige Sehschwäche vorgelegen habe, für diesen Zeitraum seien also 2.750,00 DM zu erstatten. Von August 1997 bis Sep-tember 1998 seien für 14 Monate Leistungen nach dem Landesblindengeldgesetz in Höhe von 650,00 DM monatlich ohne Rechtsgrund, insgesamt also 9.100,00 DM zuviel gezahlt worden. Für Oktober 1998 bis Januar 1999 seien viermal 550,00 DM (Differenz Blinden-geld/Nachteilsausgleich für hochgradige Sehschwäche) mithin 2.200,00 DM zurückzu-fordern. Ab Februar 1999 stehe überhaupt keine Leistung mehr zu. Die bis August ge-zahlten Leistungen von monatlich 56,00 DM, insgesamt 4.550,00 DM seien daher zu er-statten.Mit Schreiben vom 03.08.1999 hörte der Beklagte die Klägerin daraufhin zu der beab-sichtigten Rückforderung von Leistungen in Höhe von insgesamt 18.600,00 DM an.Die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 06.08.1987 zu vertreten, denn sie habe die bereits im Monat März 1997 erfolgte Besserung des Sehvermögens nach der Augenoperation mitteilen müssen.Die Klägerin äußerte sich darauf dahingehend, dass sie mit den Einschätzungen und Schlussfolgerungen des Beklagten keineswegs einverstanden sei und um ein Obergutach-ten bitte.Mit Bescheid vom 12.10.1999 hob der Beklagte daraufhin den Bescheid vom 06.08.1997 mit Wirkung ab 01.03.1997 auf. Für den Zeitraum 01.03.1997 bis 31.07.1997 und vom 01.10.1998 bis 31.01.1999 stehe der Nachteilsausgleich für hochgradige Sehschwäche in Höhe von 100,00 DM monatlich zu. Der überzahlte Betrag von 18.600,00 DM sei zu er-statten. Die Aufhebung erfolge gemäß § 45 SGB X, Vertrauensschutz könne gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X nicht geltend gemacht werden, da die Klägerin pflicht-widrig die Augenoperation im Februar 1997 nicht mitgeteilt habe. Auch im Ermessens-wege könne von der Rücknahme des Bescheides nicht abgesehen werden, schließlich ha-be sie ihre Sorgfaltspflichten in besonders schwerem Maße vernachlässigt.Der Widerspruch wurde damit begründet, dass sich für die Klägerin auch nach der Opera-tion nichts geändert habe. Aus ihrer Sicht habe sich keine Besserung des Sehvermögens feststellen lassen. Deswegen habe sie keine Veranlassung gehabt, diese Operation mitzu-teilen. Nach Beiziehung weiterer Befundberichte kam der Beklagte zu dem Ergebnis, dass ab dem 01.03.1999 wieder Blindheit im Sinne des Landesblindengeldgesetzes vorliege und setzte dies mit Teil-Abhilfe-Bescheid vom 04.05.2000 um, so dass sich die Rückfor-derung auf 14.600,00 DM reduzierte. Da der Facharzt für Augenheilkunde Dr. W1 ... in einem Aktenvermerk die Auffassung vertreten hatte, es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Klägerin eine Besserung ihrer Sehschärfe nach der Operation bemerkt habe, wies der Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 29.06.2000 als unbegründet zurück. Ab dem 25.02.1997 habe die Sehschärfe 1/35, ab dem 26.02.1997 ein 1/20 und ab dem 14.07.1997 ein 1/15 betragen. Damit sei der Grenzwert für Blindheit von 1/50 bereits am 25.02.1997 überschritten gewesen, am 14.07.1997 sei auch der Grenzwert für hochgradi-ge Sehschwäche (1/20) überschritten gewesen.Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 21.01.2003 abgewie-sen.Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht bei Prof. P1 ... ein medizini-sches Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, ob die Klägerin in irgendeinem Zeitraum zwischen dem 01.03.1997 und dem 28.02.1999 blind im Sinne der Richtlinien der DOG gewesen sei und ob die Klägerin – verglichen mit ihrer Sehleistung vor der O-peration Ende Februar 1997 – nach ihrer Operation möglicherweise, wahrscheinlich oder mit Sicherheit eine subjektive erlebbare, nicht bloß völlig unerhebliche Verbesserung ihrer Sehleistung feststellen konnte. Prof. P1 ... verneinte in seinem Gutachten vom 11.01.2004 die erste Frage: Der im Zeit-raum 01.03.1997 bis 28.02.1999 dokumentierte schlechteste Visus betrage 1/25, so dass auch unter Berücksichtigung der Gesichtsfelder und eventueller Skotome davon ausge-gangen sein müsse, dass in diesem Zeitraum nie Blindheit im Sinne der DOG vorgelegen habe.Zu der zweiten Frage führt Prof. P1 ... auf, dass die Verbesserung subjektiv in erster Linie dazu geführt habe, dass die Klägerin, die vor der Operation nur grobe Umrisse in 1 Meter Entfernung habe wahrnehmen können, dies nach der Operation auch bei Gegen-ständen in einer Entfernung bis zu 4 Metern habe können. Ein Lesen – auch von Über-schriften in einer Zeitung – sei allerdings nicht möglich. Allenfalls könne das mühsame Erkennen von einzelnen sehr großen Buchstaben möglich gewesen sein. Es sei also nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin eine geringgradige Verbesserung ihrer Sehleistung festgestellt habe. Dies sei aber eher unwahrscheinlich, da die messbare Verbesserung der Sehleistung ihre persönlichen Lebensumstände, Orientierung im Raum, grobes Erkennen von Umrissen etc. nur unwesentlich verbessert habe. Ihre Äußerung, das Sehen sei etwas besser geworden bei einer Sehschärfe von 0,08, sei in diesem Zusammenhang nicht über-zubewerten. Es sei nämlich nicht selten, dass Patienten subjektiv eine Sehverbesserung angäben, ohne dass es tatsächlich objektiv zu einer Verbesserung gekommen sei. Man könne also aus dieser Äußerung sicherlich nicht schlussfolgern, dass der Klägerin eine erhebliche Verbesserung der Sehleistung bewusst gewesen sei. Insbesondere deswegen, weil es über den Zeitraum von 1 Jahr nur allmählich zu einer Sehverbesserung gekommen sei, könne man nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Klägerin die Verbesserung selbst wahrgenommen habe.Hierauf gestützt beantragt die Klägerin,das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21.01.2003 sowie den Bescheid des Be-klagten vom 12.10.1999 in Gestalt des Teil-Abhilfe-Bescheides vom 04.05.2000 und des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2000 aufzuheben.Der Beklagte beantragt,die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21.01.2003 zurückzuweisen.Die Aussagen des Sachverständigen bestätigten die angefochtenen Entscheidungen. Auch wenn sich die Orientierung von 1 Meter auf 4 Meter erweitere, sei darin eine beträchtli-che Verbesserung des Sehvermögens zu sehen. Im Übrigen habe die Klägerin bereits die Operation – unabhängig von einer Verbesserung des Sehvermögens – und die Verbesse-rung des Sehvermögens – unabhängig von der Frage, ob sich hieraus Auswirkungen auf den Anspruch nach dem Landesblindengeldgesetz ergeben – mitteilen müssen.Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die Lan-desblindengeldakten des Beklagten, die Schwerbehindertenakten und die beigezogenen Krankenakten der Universität L ... Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist auch begründet.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht Leipzig den angefochtenen Aufhebungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.06.2000 bestätigt.
Auch rechtswidrige Verwaltungsakte dürfen nicht ohne Rücksicht auf Vertrauensschutz mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden. Gem. § 45 Abs. 4 S. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 S. 2 kann auch ein rechtswidriger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nur zurückgenommen werden, wenn - der Begünstigte den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Be-stechung erwirkt hat - der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder - er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrläs-sigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erfor-derliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. - Eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit kommt auch in Betracht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der ZPO vorliegen, wenn also der Verwaltungsakt auf einen Meineid, eine Urkundenfälschung, die Straftat eines Sachverständigen, Amtsträgers oder des Begünstigten selbst zurückgeht oder wenn ein Verwaltungsakt gegenteiligen Inhalts und früheren Datums vorliegt. Von all diesen Tatbeständen könnte sich der Beklagte allenfalls auf § 45 Abs. 2 S. 3 Ziffer 2 und 3 SGB X berufen, also den Fall der grob fahrlässig unrichtigen oder unvollständigen Angaben durch den Betroffenen oder der grob fahrlässigen Entgegennahme einer Sozialleistung, von der der Begünstigte ohne weiteres einsehen kann, dass sie ihm nicht zusteht. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 liegen nicht vor, da die Klägerin in ih-rem Antrag vom 16.06.1997, den sie also nach der Augenoperation stellte, ausdrücklich (Ziffer 12) die "Augenklinik L ..." benannte, in der die Operation durchgeführt worden war. Die Beklagte hat daraufhin bewilligt, ohne Unterlagen von der Augenklinik beigezogen zu haben. Es wurde lediglich die Augenärztin befragt. Aus den Akten des Verfahrens nach dem Schwerbehindertengesetz wurden Befunde vom 11.12.1996 und 05.03.1997 beigezo-gen, die auf Anfragen vom 19.02.1997 und vom 03.12.1996, also jeweils vor der Operati-on, beruhten. Konkret nach der Sehschärfe oder nach weiteren Einzelheiten ist die Klägerin in dem Antragsformular des Beklagten nicht gefragt worden. Sie hat in diesem Antrags-formular alle Fragen beantwortet und die Antwort auf die Frage nach der ärztlichen Behandlung: "wurde telefonisch mit Frau Dr. H1 ... u. Familienkasse geklärt" lässt sich auch nicht als unvollständige Angabe fassen. Nach der gerade erst durchgeführten Augenoperation war sie nicht gefragt worden, die Angabe, dass bei der Augenklinik L ... weitere Unterlagen angefordert werden konnten, genügt in diesem Zusammen-hang.
Auch die Alternative des § 45 Abs. 2 S. 3 Ziffer 3 SGB X ist nicht gegeben. Es kann der Klägerin nicht unterstellt werden, dass sie bei Erhalt des Bescheides vom 06.08.1997 ohne weiteres hätte einsehen können, dass ihr das Blindengeld nicht zustand. Zwar bestand zu diesem Zeitpunkt auch nach den Ausführungen von Prof. Dr. P1 ... – im Einklang mit der Einschätzung des Beklagten – weder hochgradige Sehschwäche noch Blindheit. Prof. P1 ... hat jedoch nachvollziehbar dargelegt, dass auf Grund der allmählichen Verbesserung und des generell schwankenden Zustandes man der Klägerin nicht nachweisen könne, dass sie diese Sehverbesserung tatsächlich auch bemerkt habe. In diesem Zusammenhang kommt es auch nicht auf die Änderung an sich an; von grob fahrlässiger Entgegennahme einer Sozialleistung kann nur dann die Rede sein, wenn der Begünstigte leicht hätte einsehen können (sog. "Parallelwertung in der Laienssphäre"), dass ihm die Leistung nicht zusteht. Bekanntlich ist nicht die völlige Amaurose Voraussetzung für den Anspruch auf Blinden-geld nach dem Landesblindengeldgesetzen. Auch derjenige, der also "noch etwas sieht", hat Anspruch auf Blindengeld. Wann der Grenzbereich zur nur "hochgradigen Sehschwä-che" überschritten ist und wann auch diese Voraussetzungen nicht mehr zu bejahen sind, ist für den Betroffenen lediglich aus seinem subjektiven Erleben heraus kaum feststellbar. Prof. P1 ... hat in diesem Zusammenhang auch sachkundig dargelegt, dass die Betroffe-nen oft zur Dissimulation neigen, dass also immer wieder ein deutliches Auseinanderklaf-fen von subjektiv wahrgenommener Sehschärfe und tatsächlich vorhandener beobachtet werden muss.
Außerdem ist auf folgendes hinzuweisen. Der Vertrauensschutz ist durch die Entscheidung nach dem Schwerbehindertengesetz vom 18.08.1997, in welchem noch einmal ausdrück-lich Blindheit festgestellt und das Merkzeichen "Bl" zuerkannt wurde, bestätigt worden (vgl. BSG SozR 1300 § 45 Nr. 9). Die Klägerin hätte auch durch den Bescheid selbst nicht misstrauisch werden müssen – auch wenn man unterstellt, dass es grob fahrlässig von ihr gewesen wäre, sich den 5-seitigen Bescheid nicht in allen Einzelheiten vorlesen zu lassen -, denn auf Seite 2 dieses Bescheides wurden zwar die Voraussetzungen für den Erhalt von Blindengeld in medizi-nisch-juristischer Diktion im einzelnen aufgeführt (8 Alternativen); im Folgenden wird dann aber nicht genannt, welche Alternative auf die Klägerin zutrifft, es wird lediglich festgestellt, dass nach dem Ergebnis der Antragsprüfung und unter Berücksichtigung der beigezogenen bzw. vorgelegten Unterlagen die Voraussetzung für die Gewährung von Landesblindengeld bei ihr vorlägen. Da die Klägerin zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr "blind" im Sinne des Landesblindengeldgesetzes war, spielen die leichten Verbesse-rungen, die dann ja auch bald wieder in Verschlechterungen umschlugen, keine entschei-dende Rolle: sie durfte, ohne dass ihr deswegen der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zu machen wäre, bei Bescheiderhalt davon ausgehen, dass der Anspruch bestand, schließlich hatte sie die Unterlagen der Augenklinik L ... dem Beklagten mitgeteilt und durfte sich somit von der Vorstellung leiten lassen, diese seien selbstverständlich beigezogen worden.
Eine "Änderung der Verhältnisse" im Sinne des § 48 SGB X, die die Klägerin verpflichtet hätte, die Operation mitzuteilen, lag nicht vor. Die vom Gesetz nicht vorgesehene Rückbe-ziehung des Anspruchsbeginns auf über ein Vierteljahr vor der Antragstellung kann nicht eine Situation fingieren, als hätte die Klägerin bereits im November 1996 Blindengeld be-antragt und die Ende Februar 1997 erfolgte Operation dann nicht mitgeteilt.
Nach Auffassung des Senats ist es glaubwürdig, dass die Klägerin sich ununterbrochen als anspruchsberechtigt angesehen hat und dies auch durfte, ohne dass ihr deswegen der Vor-wurf der groben Fahrlässigkeit zu machen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rückforderung von Blindengeld in Höhe von 14.600,00 DM.
Die am ...1940 geborene Klägerin beantragte am 16.06.1997 (Eingang) bei dem Be-klagten Leistungen nach dem Gesetz über die Gewährung eines Landesblindengeldes und anderer Nachteilsausgleiche. Den Antrag hatte sie schon am 29.03.1997 – zwischen zwei Augenoperationen – ausgefüllt. In der Rubrik: "Angaben über ärztliche Behandlungen" gab sie an, dies sei telefonisch mit Frau Dr. H1 ... und der Familienkasse geklärt worden. Sie teilte mit, dass weitere Unterlagen von der Augenklinik L ... beigezogen werden könnten. Außerdem verwies sie in ihrem Antrag auf den beim Beklagten bereits anhängi-gen Vorgang nach dem Schwerbehindertengesetz. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war sie im Besitz eines Änderungsbescheides, mit welchem eine hochgradige Sehminderung bei einem daraus resultierenden GdB von 100 festgestellt worden war. Zwei Monate später, nämlich mit Bescheid vom 18.08.1997 wurde als Behinderung "Blindheit" festgestellt und das Merkzeichen "BL" zuerkannt.Unter Auswertung der Befunde aus der Schwerbehinderten-Akte wurde versorgungsärzt-licherseits Blindheit im Sinne des Landesblindengesetzes "seit Antragstellung" bejaht. Mit Bescheid vom 06.08.1997 wurde der Klägerin daraufhin Blindengeld in Höhe von 650,00 DM monatlich ab dem 01.11.1996 bewilligt. Als Zeitpunkt der Antragstellung war der Eingang des Antrages nach dem Schwerbehindertengesetz (28.11.1996) angenommen worden.In dem Bescheid wurde mitgeteilt, dass die Klägerin verpflichtet sei, jede Änderung der persönlichen Verhältnisse, insbesondere auch die Besserung der bestehenden Behinde-rung anzuzeigen. Zur Prüfung sei auch hier die diesbezügliche Operation mitzuteilen. Zwischen fingierter Antragstellung und Bescheiderhalt war die Klägerin operiert worden. Es hatte am 26.02.1997 eine pars plana Vitrektomie stattgefunden mit Membrane peeling, Endolaserkoagulation, hinterer Kapsulotomie mit nachfolgender Cerclage und Silikonö-linstillation. Vor der Operation hatte die Sehschärfe nach Einschätzung der Augenklinik 1/35 bzw. nach gutachterlicher Einschätzung aus dem Schwerbehindertenverfahren 1/50 betragen. Unmittelbar nach der Operation kam es zu einer Sehverbesserung. Die erste dokumentierte Sehschärfe nach der zweiten Operation vom 06.03.1997 betrug 1/20. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Sehverbesserung, so dass am 14.04.1997 die Sehschärfe 1/15 betrug, bis dann die maximale postoperative Sehschärfe am 19.01.1998 mit 0,1 do-kumentiert wurde.Diese Informationen wurden dem Beklagten durch die Augenärztin der Klägerin Frau Dr. H1 ... bekannt gemacht, nachdem mit Schreiben vom 02.12.1998 hierum gebeten worden war. Anlass hierfür war ein Befundbericht von Frau Dr. H1 ..., in welchem schon im Juni 1998 eine Sehschärfe von 1/10 bescheinigt worden war.In Auswertung weiterer Befundberichte kam der Beklagte zu folgender Auffassung: - vom 01.11.1996 bis 28.02.1997 lag Blindheit vor- vom 01.03.1997 bis 31.07.1997 lag hochgradige Sehschwäche vor- vom 01.08.1997 bis 30.09.1998 bestand kein Anspruch nach dem Landesblinden-geldgesetz. - vom 01.10.1998 bis 31.01.1999 lag hochgradige Sehschwäche vor. - ab dem 01.02.1999 besteht kein Anspruch mehr nach dem Landesblindengeld- gesetz. Der Beklagte berechnete daraufhin, dass für die Monate März bis Juli 1997 jeweils 550,00 DM zuviel gezahlt worden seien, da nur hochgradige Sehschwäche vorgelegen habe, für diesen Zeitraum seien also 2.750,00 DM zu erstatten. Von August 1997 bis Sep-tember 1998 seien für 14 Monate Leistungen nach dem Landesblindengeldgesetz in Höhe von 650,00 DM monatlich ohne Rechtsgrund, insgesamt also 9.100,00 DM zuviel gezahlt worden. Für Oktober 1998 bis Januar 1999 seien viermal 550,00 DM (Differenz Blinden-geld/Nachteilsausgleich für hochgradige Sehschwäche) mithin 2.200,00 DM zurückzu-fordern. Ab Februar 1999 stehe überhaupt keine Leistung mehr zu. Die bis August ge-zahlten Leistungen von monatlich 56,00 DM, insgesamt 4.550,00 DM seien daher zu er-statten.Mit Schreiben vom 03.08.1999 hörte der Beklagte die Klägerin daraufhin zu der beab-sichtigten Rückforderung von Leistungen in Höhe von insgesamt 18.600,00 DM an.Die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 06.08.1987 zu vertreten, denn sie habe die bereits im Monat März 1997 erfolgte Besserung des Sehvermögens nach der Augenoperation mitteilen müssen.Die Klägerin äußerte sich darauf dahingehend, dass sie mit den Einschätzungen und Schlussfolgerungen des Beklagten keineswegs einverstanden sei und um ein Obergutach-ten bitte.Mit Bescheid vom 12.10.1999 hob der Beklagte daraufhin den Bescheid vom 06.08.1997 mit Wirkung ab 01.03.1997 auf. Für den Zeitraum 01.03.1997 bis 31.07.1997 und vom 01.10.1998 bis 31.01.1999 stehe der Nachteilsausgleich für hochgradige Sehschwäche in Höhe von 100,00 DM monatlich zu. Der überzahlte Betrag von 18.600,00 DM sei zu er-statten. Die Aufhebung erfolge gemäß § 45 SGB X, Vertrauensschutz könne gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X nicht geltend gemacht werden, da die Klägerin pflicht-widrig die Augenoperation im Februar 1997 nicht mitgeteilt habe. Auch im Ermessens-wege könne von der Rücknahme des Bescheides nicht abgesehen werden, schließlich ha-be sie ihre Sorgfaltspflichten in besonders schwerem Maße vernachlässigt.Der Widerspruch wurde damit begründet, dass sich für die Klägerin auch nach der Opera-tion nichts geändert habe. Aus ihrer Sicht habe sich keine Besserung des Sehvermögens feststellen lassen. Deswegen habe sie keine Veranlassung gehabt, diese Operation mitzu-teilen. Nach Beiziehung weiterer Befundberichte kam der Beklagte zu dem Ergebnis, dass ab dem 01.03.1999 wieder Blindheit im Sinne des Landesblindengeldgesetzes vorliege und setzte dies mit Teil-Abhilfe-Bescheid vom 04.05.2000 um, so dass sich die Rückfor-derung auf 14.600,00 DM reduzierte. Da der Facharzt für Augenheilkunde Dr. W1 ... in einem Aktenvermerk die Auffassung vertreten hatte, es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Klägerin eine Besserung ihrer Sehschärfe nach der Operation bemerkt habe, wies der Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 29.06.2000 als unbegründet zurück. Ab dem 25.02.1997 habe die Sehschärfe 1/35, ab dem 26.02.1997 ein 1/20 und ab dem 14.07.1997 ein 1/15 betragen. Damit sei der Grenzwert für Blindheit von 1/50 bereits am 25.02.1997 überschritten gewesen, am 14.07.1997 sei auch der Grenzwert für hochgradi-ge Sehschwäche (1/20) überschritten gewesen.Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 21.01.2003 abgewie-sen.Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht bei Prof. P1 ... ein medizini-sches Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, ob die Klägerin in irgendeinem Zeitraum zwischen dem 01.03.1997 und dem 28.02.1999 blind im Sinne der Richtlinien der DOG gewesen sei und ob die Klägerin – verglichen mit ihrer Sehleistung vor der O-peration Ende Februar 1997 – nach ihrer Operation möglicherweise, wahrscheinlich oder mit Sicherheit eine subjektive erlebbare, nicht bloß völlig unerhebliche Verbesserung ihrer Sehleistung feststellen konnte. Prof. P1 ... verneinte in seinem Gutachten vom 11.01.2004 die erste Frage: Der im Zeit-raum 01.03.1997 bis 28.02.1999 dokumentierte schlechteste Visus betrage 1/25, so dass auch unter Berücksichtigung der Gesichtsfelder und eventueller Skotome davon ausge-gangen sein müsse, dass in diesem Zeitraum nie Blindheit im Sinne der DOG vorgelegen habe.Zu der zweiten Frage führt Prof. P1 ... auf, dass die Verbesserung subjektiv in erster Linie dazu geführt habe, dass die Klägerin, die vor der Operation nur grobe Umrisse in 1 Meter Entfernung habe wahrnehmen können, dies nach der Operation auch bei Gegen-ständen in einer Entfernung bis zu 4 Metern habe können. Ein Lesen – auch von Über-schriften in einer Zeitung – sei allerdings nicht möglich. Allenfalls könne das mühsame Erkennen von einzelnen sehr großen Buchstaben möglich gewesen sein. Es sei also nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin eine geringgradige Verbesserung ihrer Sehleistung festgestellt habe. Dies sei aber eher unwahrscheinlich, da die messbare Verbesserung der Sehleistung ihre persönlichen Lebensumstände, Orientierung im Raum, grobes Erkennen von Umrissen etc. nur unwesentlich verbessert habe. Ihre Äußerung, das Sehen sei etwas besser geworden bei einer Sehschärfe von 0,08, sei in diesem Zusammenhang nicht über-zubewerten. Es sei nämlich nicht selten, dass Patienten subjektiv eine Sehverbesserung angäben, ohne dass es tatsächlich objektiv zu einer Verbesserung gekommen sei. Man könne also aus dieser Äußerung sicherlich nicht schlussfolgern, dass der Klägerin eine erhebliche Verbesserung der Sehleistung bewusst gewesen sei. Insbesondere deswegen, weil es über den Zeitraum von 1 Jahr nur allmählich zu einer Sehverbesserung gekommen sei, könne man nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Klägerin die Verbesserung selbst wahrgenommen habe.Hierauf gestützt beantragt die Klägerin,das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21.01.2003 sowie den Bescheid des Be-klagten vom 12.10.1999 in Gestalt des Teil-Abhilfe-Bescheides vom 04.05.2000 und des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2000 aufzuheben.Der Beklagte beantragt,die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21.01.2003 zurückzuweisen.Die Aussagen des Sachverständigen bestätigten die angefochtenen Entscheidungen. Auch wenn sich die Orientierung von 1 Meter auf 4 Meter erweitere, sei darin eine beträchtli-che Verbesserung des Sehvermögens zu sehen. Im Übrigen habe die Klägerin bereits die Operation – unabhängig von einer Verbesserung des Sehvermögens – und die Verbesse-rung des Sehvermögens – unabhängig von der Frage, ob sich hieraus Auswirkungen auf den Anspruch nach dem Landesblindengeldgesetz ergeben – mitteilen müssen.Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die Lan-desblindengeldakten des Beklagten, die Schwerbehindertenakten und die beigezogenen Krankenakten der Universität L ... Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist auch begründet.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht Leipzig den angefochtenen Aufhebungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.06.2000 bestätigt.
Auch rechtswidrige Verwaltungsakte dürfen nicht ohne Rücksicht auf Vertrauensschutz mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden. Gem. § 45 Abs. 4 S. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 S. 2 kann auch ein rechtswidriger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nur zurückgenommen werden, wenn - der Begünstigte den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Be-stechung erwirkt hat - der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder - er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrläs-sigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erfor-derliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. - Eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit kommt auch in Betracht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der ZPO vorliegen, wenn also der Verwaltungsakt auf einen Meineid, eine Urkundenfälschung, die Straftat eines Sachverständigen, Amtsträgers oder des Begünstigten selbst zurückgeht oder wenn ein Verwaltungsakt gegenteiligen Inhalts und früheren Datums vorliegt. Von all diesen Tatbeständen könnte sich der Beklagte allenfalls auf § 45 Abs. 2 S. 3 Ziffer 2 und 3 SGB X berufen, also den Fall der grob fahrlässig unrichtigen oder unvollständigen Angaben durch den Betroffenen oder der grob fahrlässigen Entgegennahme einer Sozialleistung, von der der Begünstigte ohne weiteres einsehen kann, dass sie ihm nicht zusteht. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 liegen nicht vor, da die Klägerin in ih-rem Antrag vom 16.06.1997, den sie also nach der Augenoperation stellte, ausdrücklich (Ziffer 12) die "Augenklinik L ..." benannte, in der die Operation durchgeführt worden war. Die Beklagte hat daraufhin bewilligt, ohne Unterlagen von der Augenklinik beigezogen zu haben. Es wurde lediglich die Augenärztin befragt. Aus den Akten des Verfahrens nach dem Schwerbehindertengesetz wurden Befunde vom 11.12.1996 und 05.03.1997 beigezo-gen, die auf Anfragen vom 19.02.1997 und vom 03.12.1996, also jeweils vor der Operati-on, beruhten. Konkret nach der Sehschärfe oder nach weiteren Einzelheiten ist die Klägerin in dem Antragsformular des Beklagten nicht gefragt worden. Sie hat in diesem Antrags-formular alle Fragen beantwortet und die Antwort auf die Frage nach der ärztlichen Behandlung: "wurde telefonisch mit Frau Dr. H1 ... u. Familienkasse geklärt" lässt sich auch nicht als unvollständige Angabe fassen. Nach der gerade erst durchgeführten Augenoperation war sie nicht gefragt worden, die Angabe, dass bei der Augenklinik L ... weitere Unterlagen angefordert werden konnten, genügt in diesem Zusammen-hang.
Auch die Alternative des § 45 Abs. 2 S. 3 Ziffer 3 SGB X ist nicht gegeben. Es kann der Klägerin nicht unterstellt werden, dass sie bei Erhalt des Bescheides vom 06.08.1997 ohne weiteres hätte einsehen können, dass ihr das Blindengeld nicht zustand. Zwar bestand zu diesem Zeitpunkt auch nach den Ausführungen von Prof. Dr. P1 ... – im Einklang mit der Einschätzung des Beklagten – weder hochgradige Sehschwäche noch Blindheit. Prof. P1 ... hat jedoch nachvollziehbar dargelegt, dass auf Grund der allmählichen Verbesserung und des generell schwankenden Zustandes man der Klägerin nicht nachweisen könne, dass sie diese Sehverbesserung tatsächlich auch bemerkt habe. In diesem Zusammenhang kommt es auch nicht auf die Änderung an sich an; von grob fahrlässiger Entgegennahme einer Sozialleistung kann nur dann die Rede sein, wenn der Begünstigte leicht hätte einsehen können (sog. "Parallelwertung in der Laienssphäre"), dass ihm die Leistung nicht zusteht. Bekanntlich ist nicht die völlige Amaurose Voraussetzung für den Anspruch auf Blinden-geld nach dem Landesblindengeldgesetzen. Auch derjenige, der also "noch etwas sieht", hat Anspruch auf Blindengeld. Wann der Grenzbereich zur nur "hochgradigen Sehschwä-che" überschritten ist und wann auch diese Voraussetzungen nicht mehr zu bejahen sind, ist für den Betroffenen lediglich aus seinem subjektiven Erleben heraus kaum feststellbar. Prof. P1 ... hat in diesem Zusammenhang auch sachkundig dargelegt, dass die Betroffe-nen oft zur Dissimulation neigen, dass also immer wieder ein deutliches Auseinanderklaf-fen von subjektiv wahrgenommener Sehschärfe und tatsächlich vorhandener beobachtet werden muss.
Außerdem ist auf folgendes hinzuweisen. Der Vertrauensschutz ist durch die Entscheidung nach dem Schwerbehindertengesetz vom 18.08.1997, in welchem noch einmal ausdrück-lich Blindheit festgestellt und das Merkzeichen "Bl" zuerkannt wurde, bestätigt worden (vgl. BSG SozR 1300 § 45 Nr. 9). Die Klägerin hätte auch durch den Bescheid selbst nicht misstrauisch werden müssen – auch wenn man unterstellt, dass es grob fahrlässig von ihr gewesen wäre, sich den 5-seitigen Bescheid nicht in allen Einzelheiten vorlesen zu lassen -, denn auf Seite 2 dieses Bescheides wurden zwar die Voraussetzungen für den Erhalt von Blindengeld in medizi-nisch-juristischer Diktion im einzelnen aufgeführt (8 Alternativen); im Folgenden wird dann aber nicht genannt, welche Alternative auf die Klägerin zutrifft, es wird lediglich festgestellt, dass nach dem Ergebnis der Antragsprüfung und unter Berücksichtigung der beigezogenen bzw. vorgelegten Unterlagen die Voraussetzung für die Gewährung von Landesblindengeld bei ihr vorlägen. Da die Klägerin zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr "blind" im Sinne des Landesblindengeldgesetzes war, spielen die leichten Verbesse-rungen, die dann ja auch bald wieder in Verschlechterungen umschlugen, keine entschei-dende Rolle: sie durfte, ohne dass ihr deswegen der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zu machen wäre, bei Bescheiderhalt davon ausgehen, dass der Anspruch bestand, schließlich hatte sie die Unterlagen der Augenklinik L ... dem Beklagten mitgeteilt und durfte sich somit von der Vorstellung leiten lassen, diese seien selbstverständlich beigezogen worden.
Eine "Änderung der Verhältnisse" im Sinne des § 48 SGB X, die die Klägerin verpflichtet hätte, die Operation mitzuteilen, lag nicht vor. Die vom Gesetz nicht vorgesehene Rückbe-ziehung des Anspruchsbeginns auf über ein Vierteljahr vor der Antragstellung kann nicht eine Situation fingieren, als hätte die Klägerin bereits im November 1996 Blindengeld be-antragt und die Ende Februar 1997 erfolgte Operation dann nicht mitgeteilt.
Nach Auffassung des Senats ist es glaubwürdig, dass die Klägerin sich ununterbrochen als anspruchsberechtigt angesehen hat und dies auch durfte, ohne dass ihr deswegen der Vor-wurf der groben Fahrlässigkeit zu machen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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