Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 2 U 123/98
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 U 9/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 23. Januar 2001 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Beurteilung einer Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) und die Entschädigung der Folgen mit einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der geborene Kläger ist als Berufsmusiker beim P Pseit 1973 beschäftigt. Auf eine im Jahr 1994 bei dem Gemeindeunfallversicherungsverband Brandenburg, Landesausführungsbehörde für Unfallversicherung, eingegangene Unfallanzeige, mit der eine Facialisschwäche im Bereich der Lippen angezeigt worden war, ermittelte zunächst der Gemeindeunfallversicherungsverband Brandenburg.
Nach Ermittlungen des seinerzeitigen Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) des Gemeindeunfallversicherungsverbandes spielte der Kläger vom 01. Mai 1973 bis Ende 1974 im P P die dritte Trompete und ab 1975 die erste Trompetenstimme im P. Seit 1998 wird er in diesem Orchester als Schlagzeuger eingesetzt.
Der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Arbeitsmedizin Dr. Z erstattete am 12. Juni 1996 gegenüber dem Landesinstitut für Arbeitsschutz ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 12. Juni 1996. Nach seiner Beurteilung lag eine Druckneuropathie von Lippenästen des N. facialis beidseits durch Mundstückdruck beim Trompeteblasen beim Kläger vor. Er meinte, bereits unter physiologischen Bedingungen sei der Druck des Mundstücks auf die Lippen bei Trompetern sehr hoch, so dass die haftungsbegründende Kausalität für eine Lippendruckschädigung eigentlich bei jedem exponiert tätigen Trompeter gegeben sei.
Durch Bescheid vom 22. April 1998 lehnte die Unfallkasse Brandenburg als Rechtsnachfolgerin des Gemeindeunfallverbandes die Anerkennung einer BK und einen Anspruch auf Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass der streitgegenständlichen Erkrankung ab, weil die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Nr. 2106 der Anlage 1 zur BKV nicht erfüllt seien. Die beim Kläger bestehende Erkrankung (Drucklähmung des N. facialis beidseits) sei nicht in der Anlage aufgenommen. Auch die Voraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO seien nicht gegeben. Die haftungsbegründende Kausalität sei nicht gegeben, da ein Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit als Blasmusiker nicht wahrscheinlich gemacht werden könne. Derzeit sei im Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung eine Erweiterung der bisherigen Nr. 2106 der Anlage 1 zur BKV im Hinblick auf Einbeziehung der Entstehung des N. facialis bei Blasmusikern anhängig. Sofern nach Abschluss der Beratungen eine Anerkennung von Schädigungen des N. facialis bei Blasmusikern im Rahmen der Nr. 2106 möglich sei, werde das Feststellungsverfahren neu aufgenommen und die Anerkennung der Erkrankung geprüft.
Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Bescheid vom 04. November 1998 zurück.
Mit der am 07. Dezember 1998 beim Sozialgericht (SG) Potsdam eingegangenen Klage hat der Kläger weiter geltend gemacht, dass seine Gesundheitsstörungen Folge einer BK seien. Insbesondere wurde zur Begründung auf das Gutachten von Dr. Z Bezug genommen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. April 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 1998 zu verurteilen, die "Druckschädigung des Nervus facialis beidseits" des Klägers als Berufskrankheit nach Nr. 2106 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ab Januar 1996 Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE von 30 v. H. zu gewähren,
hilfsweise,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. April 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 1998 zu verurteilen, die "Druckschädigung des Nervus facialis beidseits" des Klägers wie eine Berufskrankheit i. S. von § 551 Abs. 2 RVO anzuerkennen und ab Januar 1996 Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE 30 v.H. zu gewähren.
Der Bevollmächtigte der Beklagten hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigte ihre Entscheidungen.
Das SG hat mit dem am 23. Januar 2001 verkündeten Urteil die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. April 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 1998 verurteilt, die Druckschädigung des N. facialis beidseits des Klägers als BK nach Nr. 2106 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen und ab 01. Januar 1996 Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren. Zur Begründung hat sich das SG darauf bezogen, die vorliegende Gesundheitsstörung des Klägers, nämlich die Druckschädigung des N. facialis sei eine Drucklähmung der Nerven im Sinne der Nr. 2106 der Anlage 1 zur BKV. Das Gericht folgte dem Gutachten von Dr. Zvom 12. Juni 1996.
Gegen das der Beklagten am 22. Februar 2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 02. März 2001 beim Landessozialgericht (LSG) für das Land Brandenburg eingegangene Berufung der Beklagten. Zur Begründung wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass für die Beklagte nicht sicher sei, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch das von Dr. Z im Befundbericht vom 25. März 1998 beschriebene Krankheitsbild mit Ausfällen bestanden habe. Das Gericht hätte nicht ohne erneute medizinische Begutachtung entscheiden dürfen. Zudem sei es nicht gerechtfertigt, das Krankheitsbild unter den Verordnungstext (Drucklähmungen der Nerven) zu fassen. Die Verurteilung zur Rentenzahlung nach einer MdE um 30 v. H. sei nicht nachvollziehbar.
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
das Urteil des SG Potsdam vom 23. Januar 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Insbesondere wurde vorgetragen, es bestehe ein ausgebreitetes druckneuropathisches Bild, das gegenüber den Vorableitungen deutlich verschlechtert sei.
Im Berufungsverfahren wurden Krankenunterlagen beigezogen, so von dem Facharzt für Allgemeinmedizin, Dr. G, Unterlagen des Kammervirtuosen F und vom Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B.
Aufgrund der Beweisanordnung vom 02. Mai 2002 erstattete der Arzt für Neurologie und Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musiker-Medizin der Hochschule für Musik und Theater H Prof. Dr. Aam 18. Februar 2003 ein schriftliches Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 26. August 2002, das er mit Stellungnahme vom 21. Juli 2003 ergänzte. Der von ihm erhobene Befund bei der Untersuchung beim Spiel des Klägers an der Trompete ergab eine Störung der feinmotorischen Koordination mit Verlust der professionellen Blasfähigkeit. Der Gutachter diagnostizierte eine fokale Dystonie der Ansatzmuskulatur (Ansatzdystonie). Er führte zunächst aus, dass es sich bei der tätigkeitsspezifischen fokalen Dystonie nicht um eine Erkrankung von Nervenbahnen oder Muskelgewebe handele, sondern um eine Störung zentralnervöser Steuerprogramme im Bereich des Gehirns. Die Ursache sei beruflich bedingt, sie manifestiere sich bei Berufsmusikern jeweils nur in einem langgeübten, aufgabenspezifischen Zusammenhang. Die Erkrankung sei nahezu ausschließlich bei Berufsbläsern nachweisbar, die einen hohen beruflichen Einsatz gezeigt hätten. Die heutige Vorstellung über die Entstehung einer tätigkeitsspezifischen Dystonie gehe von der Annahme aus, dass eine minimale, oft klinisch nicht objektivierbare Druckschädigung der feinen sensiblen Nerven in der Lippenschleimhaut stattfinde. Komme es zu einer Störung der Nervenleitung neuronaler Informationsweiterleitung von der Lippe zum Zentralnervensystem, folge zwangsläufig auch eine Störung der feinmotorischen Ansteuerung der Lippenmuskulatur mit Verlust der professionellen Spielfähigkeit. Bis heute gäbe es kein objektives neurophysiologisches Kriterium, um beim Menschen eine Störung der sensiblen Nervenäste des N. trigeminus festzustellen. Lediglich die klinische Testung der Feinwahrnehmung der Lippenschleimhaut könne Anhaltspunkte für eine stattgehabte Schädigung liefern. Eine eingetretene Erkrankung sei in der Regel nicht mehr heilbar. Die Erkrankung sei als BK nach Ziffer 2106 "Druckschädigung der Nerven" im Sinne der Revision der wissenschaftlichen Begründung für die BKen vom September 2001 anzuerkennen. Hier werde unter der Rubrik 1.3.2.3. "sonstige Nervenschäden" die Druckneuropathie des N. facialis und N. trigeminus aufgeführt. Dabei würden auch die Druckbelastung im Bereich des Nerven z. B. beim Gebrauch von Blasinstrumenten und die Ansatzstörung sowie die fokale Dystonie ausdrücklich aufgeführt. Die MdE sei ab dem 01. Januar 1996 bis zur Aufgabe der Trompetertätigkeit im Dezember 1997 mit unter 10 v. H. anzunehmen. Ab der Aufgabe der beruflichen Tätigkeit im Januar 1998 sei unter Annahme einer besonderen beruflichen Betroffenheit eine MdE um 10 v. H. anzunehmen, da der Kläger die erworbene Spezialqualifikation bei der Ausbildung zum Trompeter nicht mehr nutzen könne und jetzt eine weniger differenzierte Tätigkeit ausübe, die ihn deutlich weniger befriedige. Mit Dr. Zstimme er insoweit überein, dass der Kläger an den Folgen einer berufsbedingten Druckschädigung von Nerven im Bereich der Lippen leide. Allerdings sei nicht davon auszugehen, dass eine Schädigung der Lippenäste des N. fazialis vorliege. Eher werde davon ausgegangen, dass eine Störung der Feinwahrnehmung vorliege, die letztendlich mittelbar zu einer Veränderung zentralnervöser Steuerprogramme führe.
Der Kläger überreichte daraufhin ein weiteres Gutachten, das Dr. Z am 15. Juni 2003 nach Aktenlage erstellt hatte. Dieser verwies insbesondere darauf, dass mindestens im Januar 1998 noch eindeutig eine paralytische Druckschädigung im N. facialis - das heiße eine Drucklähmung alter Bezeichnungsweise - vorgelegen habe. Prof. Dr. A vermute in seinem Gutachten, dass die Gesichtsnervenschädigung jetzt nicht mehr bestehe. Aufgrund der Beschwerdeentwicklung beim Kläger und dem Verlauf der neuromyografischen Befunde halte er an seiner Diagnose der primären Druckneuropathie des N. facialis fest. Auch wenn das Störungsbild jetzt durch eine fokale Dystonie beherrscht würde, so wäre dies als eine Folge einer Druckschädigung nach BK 2106 zu behandeln. In jedem Fall liege eine BK vor, wie auch immer die aktuellen Wichtungen zwischen Druckschädigung und fokaler Dystonie in ihrer gegenseitigen Bedingtheit seien, wenn die ausgeübte Tätigkeit die Ursache sei. Der Versicherungsfall des Klägers sei 1994 eingetreten. In einem solchen Fall sei die BK-Anerkennung nur möglich, wenn sie schon in der alten Fassung möglich gewesen wäre, und dies sei vorliegend der Fall, da eine Drucklähmung vorgelegen habe. Da der Kläger als Solo-Trompeter eine im Berufsleben herausgehobene Stellung eingenommen habe, sei die Erhöhung der MdE, die er nicht unter 10 v.H. bewerte, um 20 v. H. zu erhöhen.
Prof. Dr. A wies in seiner Stellungnahme vom 21. Juli 2003 erneut darauf hin, dass die Elektroneurografie des N. facialis mit Sicherheit für den Nachweis einer Druckschädigung, die durch den Mundstückandruck des Trompetenmundstücks an der Lippe erfolgt sei, nicht geeignet sei und erläuterte dies im Einzelnen unter Hinweis auf die anatomische Struktur. Die von Dr. Zveröffentlichten Messergebnisse in einer Publikation besagten nicht, dass die Messmethode von den Fachgesellschaften anerkannt sei. Hingegen sprächen Angaben des Klägers zum Verlauf des Verlustes der feinmotorischen Kontrolle als diagnostisches Kriterium für eine fokale Dystonie. Die in seinem Gutachten (von Prof. A) angebotene Hilfskonstruktion, angebotene Möglichkeit, dass eine Druckschädigung sensibler Nervenäste vorgelegen haben könnte, sei in der Tat spekulativ, da zu keinem Zeitpunkt eindeutige klinische Symptome, geschweige denn elektroneurografische Befunde hierfür vorgelegen hätten. Daher wolle er sich von der von ihm angenommenen hypothetischen Druckschädigung des sensiblen Gesichtsnervens N. trigeminus distanzieren. Fakt sei, dass die feinmotorische Kontrolle der Lippenmuskulatur nach einer Pause beim Trompetenspielen nicht mehr gegeben gewesen sei und dass die neurografischen Methoden von Dr. Z in der Fachwelt nicht als überprüfte Methoden anerkannt seien.
Die in seinem Gutachten entstandenen Unklarheiten rührten auch daher, dass in der wissenschaftlichen Begründung für die BK "Druckschädigung der Nerven" unter "sonstige Nervenschäden" auch der N. facialis und der N. trigeminus aufgeführt sei. Unter der Rubrik "arbeitsbedingte Belastung" würden Druckbelastungen im Versorgungsbereich der Nerven beispielsweise beim Gebrauch von Blasinstrumenten, Ansatzstörungen (fokale Dystonie) aufgeführt. Leider sei jedoch die fokale Dystonie nicht, wie hier suggeriert werde, automatisch eine Belastung aufgrund einer Nervendruckläsion, sondern habe andere Ursachen. Nach seiner Auffassung handele es sich dennoch um eine BK, für die jedoch noch keine BK-Ziffer vorgesehen sei und nach Öffnungsklausel "wie eine BK" anzusehen sei. Eine MdE über 10 von 100 halte er weiterhin - auch unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit - nicht für begründet, insbesondere habe eine Störung der Feinkoordination der Lippe, die ausschließlich beim Trompetenspiel entstehe, keinen Einfluss auf das übrige Erwerbsleben.
Aufgrund der Beweisanordnung vom 03. Februar 2004 erstattete der Facharzt für Neurologie Dr. M am 22. Juni 2004 ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 10. Mai 2004. Der Gutachter gelangt zu der Beurteilung, beim Kläger liege mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Druckschädigung einzelner Axone peripherer motorischer Äste des N. facialis vor. Eine Störung im Sinne einer Dystonie sei im vorliegenden Fall nicht anzunehmen. Bei der klinisch-neurologischen Untersuchung durch ihn sei die Funktion des N. facialis unauffällig gewesen. Bei einem Vorspiel des Klägers auf der Trompete sei deutlich geworden, dass nach wie vor eine feinmotorische Störung in der zum Blasen eingesetzten Mundmuskulatur bestehe. Diese feinmotorische Störung sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch Fehleinsprossung nach der Druckschädigung des N. facialis entstanden und insofern Folge der Läsion der peripheren motorischen Äste dieses Nervens. Die ersten klinischen Erscheinungen dieser feinmotorischen Störungen seien nach seiner Auffassung im Frühjahr 1994 eingetreten. Am 09. Juni 1994 sei der erste Untersuchungsbefund dokumentiert, der auf der Grundlage eines Elektromyogramms und einer Neurografie die Druckschädigung des N. facialis zweifelsfrei nachweise. Infolge der Druckschädigung sei es zu einer Lähmung in den motorischen Einheiten beschädigter Myofibrillen gekommen. Der chronische Druck auf die Endäste des N. facialis sei ursächlich für die Läsion des Nervens. Die Voraussetzungen der BK 2106 der Anlage zur BKV seien erfüllt. Andere Erkrankungen außerhalb der beruflichen Expositionen kämen nicht als Ursache in Betracht. Es sei davon auszugehen, dass nur ein Endast des N. facialis lädiert sei und somit nicht eine vollständige einseitige Facialis parese vorliege. Die MdE beurteile er mit 5 v. H. unter Berücksichtigung der von ihm genannten Begutachtungsliteratur. Ergänzend nahm er Stellung am 19. Januar 2005.
In der öffentlichen Sitzung des 27. Senats des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 31.Januar 2005 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Insbesondere wurde den Beteiligten Einsicht gegeben in Aufsätze von O. Blome "Die erste Verordnung zur Änderung der Berufskrankheitenverordnung 2002", in Die BG 2003, 22 ff., Rolf Magun "Drucklähmungen der Nerven" im Handbuch der gesamten Arbeitsmedizin, herausgegeben von E. Bader.
Der Rechtsstreit wurde vertagt. Der Kläger nahm schriftsätzlich Stellung zu den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung und übersandte eine Stellungnahme von Dr. Z vom 14. März 2005. Insbesondere vertrat er die Auffassung, dass die Drucklähmung im Sinne der BK 2106 nicht nur als vollständige Lähmung zu verstehen sei und in der Praxis auch nicht so interpretiert worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorliegenden Gerichts- und Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige und im Übrigen statthafte Berufung der Beklagten ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung für die geltend gemachte BK. Die Klage war daher abzuweisen und das angefochtene Urteil entsprechend aufzuheben.
Die geltend gemachte Gesundheitsstörung ist nicht als BK und auch nicht als Folge einer BK zu beurteilen und rechtfertigt schon aus diesem Grunde keinen Rentenanspruch.
Der Anspruch des Klägers richtet sich noch nach den bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der RVO und der BKV, da die von ihm als BK geltend gemachte Gesundheitsstörung vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch, SGB VII, am 01. Januar 1997 - nämlich im Jahr 1994 - eingetreten ist (Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 214 SGB VII).
Damit scheidet eine Beurteilung der Erkrankung nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht aus. Denn für die nach dem 31. Dezember 1991 eingetretenen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten gelten die Vorschriften des Beitrittsgebiets nicht, § 1150 RVO.
Der Anspruch auf Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung setzt - wie im vorliegenden Fall des Fehlens eines Stützrententatbestandes - voraus, dass infolge eines Versicherungsfalls die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch, SGB VII, § 581 Abs. 1 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung, RVO, wobei als Versicherungsfall Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten gelten, § 7 Abs. 1 SGB VII, 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO, § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO.
BKen sind nach § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Nach der Nr. 2106 der Anlage zur BKV in der Fassung der Verordnung zur Änderung der BKV (BKV-ÄndV) vom 05. September 2002 gehört zu den BKen auch die "Druckschädigung der Nerven". Die bis dahin geltende Nr. 2106 der Anlage zur BKV erfasste "Drucklähmungen der Nerven".
In der aktuellen Fassung findet die Nr. 2106 für den Kläger keine Anwendung, da die streitgegenständliche Krankheit bereits im Jahr 1994 eingetreten ist. Die aktuelle Fassung findet erst Anwendung auf Versicherungsfälle, die nach dem 30.November 1997 eingetreten sind, Art. 1 Nr. 2 BKV -ÄndV.
Die beim Kläger vorliegende Gesundheitsstörung lässt sich schon deshalb nicht als BK beurteilen, weil weder eine Drucklähmung noch eine Druckschädigung der Nerven als Ausgangserkrankung im Jahr 1994 und damit die Grundlage der heutigen Störung der Mundmuskulatur nicht zweifelsfrei feststeht.
Daher wäre selbst dann die Klage nicht begründet, wenn der Senat entsprechend dem Sprachgebrauch von Dr. M die Begriffe der Druckschädigung und der Drucklähmung synonym gebrauchte.
Die für die Anerkennung einer BK nach Nr. 2106 erforderliche Druckschädigung ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, § 128 Sozialgerichtsgesetz, SGG, bereits nicht zweifelsfrei zur Überzeugung des Senats nachgewiesen worden.
Nach dem Ergebnis der letzten gutachterlichen Untersuchung des Klägers durch Dr. Mliegt lediglich eine feinmotorische Störung in der zum Blasen eingesetzten Mundmuskulatur vor. Soweit Dr. M meint, dies sei eine Folge einer Druckschädigung der Gesichtsnerven nach einer Läsion ,ist bereits die (Druck)-Schädigung eines Nerven nicht zweifelsfrei festgestellt worden.
Den Beurteilungen von Dr. Mund Dr. Z, dass eine Druckschädigung der peripheren Äste des N. facialis mit der daraus sich ergebenden feinmotorischen Störung vorgelegen habe, steht entgegen die Auffassung von Prof. Dr. Altenmüller, der in seiner Stellungnahme vom 21. Juli 2000 darauf verweist, dass eine Druckschädigung sensibler Nervenäste allenfalls eine Möglichkeit sei, die zu keinem Zeitpunkt eindeutige klinische Symptome geschweige denn objektive elektroneurografische Befunde ergeben habe. Auch aus dem Gutachten von Dr. M(Stellungnahme vom 21. Januar 2005) folgt, dass ein zweifelsfreier Nachweis einer Druckschädigung nicht erbracht ist. Dr. M hat seinerseits die Beurteilung abgegeben, dass ein beweisender pathologischer Befund nicht zu erheben sei. Im Einzelnen hat er ausgeführt, dass die im Gutachten beschriebenen neurophysiologischen Befunde, die auf Fremduntersuchungen basierten, nur Hinweischarakter hätten. Pathognomonische Befunde für eine Drucklähmung eines Nervens gebe es nicht. Die Diagnose einer Drucklähmung/Druckschädigung (Dr. Mverwendet diese Begriffe synonym) ergebe sich grundsätzlich aus der Synopse der Vorgeschichte und des klinischen Befundes. Wenn in der Vorgeschichte ein permanenter Druck auf einen peripheren Nerven nachweisbar sei, sich damit auch ein eindeutiger Lokalisationsbezug zwischen dem Druck als schädigende Noxe und dem betreffenden Nerv ergebe, und andere Nerven nicht betroffen seien, so resultiere daraus die Berechtigung, diese Schädigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den ausgeübten Druck zu beziehen. Aus rein wissenschaftlicher Betrachtungsweise blieben natürlich Zweifel, weil ein beweisender pathognomonischer Befund nicht zu erheben sei.
Damit werden die im Gutachten von Prof. Dr. A begründeten Zweifel am Nachweis einer Druckschädigung auch von Dr. M gestützt.
Der Senat erachtet im Rahmen der individuellen Beurteilung des Einzelfalls objektivierbare und reproduzierbare neurologische und neurophysiologische Parameter für unerlässlich (vgl. auch BR Drucksache 382/02).
Die Erkrankung des Klägers ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Fassung der Nr. 2106 "Drucklähmung der Nerven" zu beurteilen.
Dies folgt bereits aus den vorangegangenen Ausführungen zum Nachweis der im Jahr 1994 eingetretenen Erkrankung.
Daher kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob die als BK bezeichnete Drucklähmung der Nerven nur vollständige Lähmungen erfasste. Schon die Subsumtion der Erkrankung des Klägers unter die Bezeichnung der Druckschädigung ist nicht zweifelsfrei möglich. Noch weniger lässt sich eine Drucklähmung zweifelsfrei feststellen.
Aus keinem der vorliegenden Gutachten ergibt sich der zweifelsfreie Nachweis einer Drucklähmung der Nerven des Klägers. Dr. M beschreibt eine Läsion der Nervenäste, dass es nur zu einer Lähmung - vorübergehend - in den motorischen Einheiten beschädigter Myofibrillen gekommen sei. Dr. Abejaht eine Lähmung ebenfalls nicht. Unerheblich ist die Auffassung von Dr. Z, aus keinem Gutachten oder Stellungnahmen von Dr. A ergebe sich zwingend, dass beim Kläger keine Drucklähmung vorgelegen habe. Denn der Kläger hat den zweifelsfreien Nachweis einer Drucklähmung zu erbringen.
Nach allem wäre auch die Beurteilung der Erkrankung unter dem Gesichtspunkt einer fokalen Dystonie - die ebenso wenig zweifelsfrei nachgewiesen ist und von der Prof. Dr. A ausgeht - nicht geeignet, die Erkrankung als BK zu bewerten. Diese ist nach der wissenschaftlichen Begründung des ärztlichen Sachverständigenbeirats erfasst von der BK 2106 "Druckschädigung der Nerven" und unterliegt damit der Rückwirkungsklausel.
Die Beurteilung der BK unter dem Gesichtspunkt einer "Quasi-BK" nach § 551 II RVO kommt infolge der Rückwirkungsklausel ebenfalls nicht in Betracht. Danach sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKV bezeichnet ist, oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 I RVO erfüllt sind.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG schließt die Rückwirkungsvorschrift der BKV-ÄndV auch aus, für alte Versicherungsfälle außerhalb des vorgeschriebenen Rückwirkungszeitraums noch eine Entschädigung nach § 551 II RVO zuzusprechen (BSGE 75, 51 ff. BSGE 72, 303). Das Bundesverfassungsgericht bestätigte eine Entscheidung des BSG vom 19. Januar 1995 - 2 RU 14/94, die die Stichtagsregelung in Art. 2 II der 2. VO zur Änderung der BKV vom 18. Dezember 1992 betraf, die die Rückwirkung der Neuaufnahme von Wirbelsäulenerkrankungen auf Versicherungsfälle beschränkt, die nach dem 31. März 1988 eingetreten sind. Das BSG führte hier die o. g. Entscheidungen fort (vgl. BVerfG - 1 BvR 791/95 in SozR 3-2200 § 551 RVO).
Selbst wenn die Erkrankung des Klägers als BK beurteilt und selbst wenn davon ausgegangen würde, dass die feinmotorische Störung in der zum Blasen eingesetzten Mundmuskulatur mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich zurückzuführen wäre auf eine BK, folgte hieraus keine MdE in rentenberechtigendem Grade ab Januar 1996 und begründete keinen Rentenanspruch des Klägers.
Dr. M hat dargelegt, dass ausschließlich eine feinmotorische Störung in der zum Blasen eingesetzten Mundmuskulatur besteht ohne jegliche Störungen sonstiger Art, insbesondere ohne Auswirkungen auf das Sprachverhalten. Auch bei der spontanen Sprache zeigten sich im fokalen Bereich keine Auffälligkeiten. Diese Umstände berücksichtigend lässt sich die MdE nicht mit 20 v.H. beurteilen.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Dabei ist die vor dem Versicherungsfall bestehende individuelle Erwerbsfähigkeit mit 100 v. H. einzusetzen und die Einbuße an der individuellen Erwerbsfähigkeit durch den Versicherungsfall in einem bestimmten Prozentsatz davon auszudrücken (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, BSGE 43, 208 f.). Maßgebend ist diejenige Erwerbsfähigkeit, die dem Verletzten nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und unter Berücksichtigung eines Vorschadens verblieben ist (BSG a.a.O.). Die individuellen Funktionseinbußen bei dem jeweiligen Versicherten sind maßgebend (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in ärztlicher Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Bei der Bewertung der MdE sind auch die von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht im Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden und einem ständigen Wandel unterliegen (BSG SozR 2200 § 581 Nrn. 23, 27). Die herausgearbeiteten "Erfahrungssätze" drücken den Umstand der verlorenen Erwerbsfähigkeit auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens aus. Allerdings lässt sich die MdE in aller Regel nicht mathematisch-exakt festlegen, sondern sie lässt sich nur annähernd bestimmen. Der Bewertung der MdE ist eine gewisse Schwankungsbreite eigentümlich.
Die im versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze für die MdE sehen selbst für eine Facialisparese bei einseitig und kosmetisch wenig störender Restparese eine MdE um 10 v. H. vor( Rauschelbach, Das neurologische Gutachten, 2 Auflage, S. 46, und Schönberger-Mehrtens-Valentin, 6. Auflage S. 285). Weitere Orientierungswerte sind gegeben für die Gesichtsnervenlähmung einseitig, kosmetisch wenig störend, 10 v.H., für einen Lippendefekt mit Speichelfluss 10 v.H. (Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und BK, 7. Auflage, S. 342, ebenso Mehrhoff und Muhr, Unfallbegutachtung, 10. Auflage, S. 130).
Nach allem ist angemessen die Beurteilung von Prof. Dr. Altenmüller, der ab 01. Januar 1996 die MdE mit unter 10 v. H. beurteilt.
Selbst eine Erhöhung der MdE unter dem Gesichtspunkt des § 581 Abs. 2 RVO bzw. § 56 Abs. 2 Satz 2 SGB VII führte nicht zur MdE um 20 v. H.
Bei der Bemessung der MdE sind Nachteile zu berücksichtigen, die der Verletzte dadurch erleidet, dass er bestimmte, von ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Unfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen kann, soweit sie nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihm zugemutet werden kann, ausgeglichen werden (§ 581 Abs. 2 RVO, § 56 Abs. 2 Satz 2 SGB VII). Diese unfallversicherungsrechtliche Regelung, bei der regelmäßig Erhöhungen von 10 bis 20 v. H. in Betracht kommen (BSGE 70, 47, 51), lässt keine allgemeine Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit - etwa entsprechend den Grundsätzen des § 30 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) - zu. Eine allgemeine Berücksichtigung des "besonderen beruflichen Betroffenseins" würde in der gesetzlichen Unfallversicherung regelmäßig zu einer doppelten Berücksichtung des Berufs führen (BSGE 70, 47, 48). Selbst wenn der Verletzte seinen erlernten Beruf infolge des Arbeitsunfalls nicht mehr ausüben könnte, müsste dies nicht zwangsläufig zur Erhöhung der MdE führen (BSGE 39, 31, 32). Auch dass erst bei einer Erhöhung der MdE nach § 581 Abs. 2 RVO ein Rentenanspruch begründet werden kann, stellt für sich noch keine derartige unbillige Härte dar (BSGE SozR 2200 § 581 Nr. 18).
Die eine Höherbewertung der MdE rechtfertigenden Nachteile liegen im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO bzw. § 56 Abs. 2 Satz 2 SGB VII dann vor, wenn unter Wahrung des in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung, der durch § 581 Abs. 2 RVO nicht eingeschränkt wird (BSGE 23, 253, 254), die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde (ständige Rechtsprechung seit BSGE 23, 253, 255).
Als wesentliche Merkmale für die Beurteilung der Frage, ob eine höhere Bewertung der MdE zur Vermeidung unbilliger Härten gerechtfertigt ist, hat das BSG vielmehr das besondere Alter des Verletzten (BSGE 4, 294, 299), die Dauer der Ausbildung (BSG SozR Nr. 10 des § 581 RVO) sowie vor allem die Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit (BSGE 4, 294, 298) und auch den Umstand bezeichnet, dass die bisher verrichtete Tätigkeit eine günstige Stellung im Erwerbsleben gewährleistete (BSG SozR Nrn. 10 und 12 zu § 581 RVO). Aus diesen Merkmalen und den außerdem zu beachtenden sonstigen besonderen Umständen des Einzelfalls kann sich eine höhere Bewertung der MdE nach § 581 Abs. 2 RVO ergeben, wenn der Verletzte die ihm verbliebenen Kenntnisse und Fähigkeiten nur noch unter Inkaufnahme eines unzumutbaren sozialen Abstiegs auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens verwerten kann (BSGE 70, 47, 49). Die einzelnen Umstände des jeweiligen Falls sind dabei nicht isoliert, sondern in ihrer Gesamtheit zu beurteilen. Eine allgemeine Regel, wie dies jeweils mit welchem Ergebnis zu geschehen hat, lässt sich hierfür nicht aufstellen. Verfügt der Verletzte indes über sonstige Fähigkeiten, die geeignet sind, die unfallbedingt nicht mehr oder nicht mehr in vollem Umfang nutzbaren besonderen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen auszugleichen, kommt eine Erhöhung der MdE nicht in Betracht, sofern dem Verletzten die Nutzung dieser Fähigkeiten zugemutet werden kann; dies schließt die zumutbare Aneignung solcher Fähigkeiten durch eine Umschulung ein (zu allem BSGE SozR 3-2200 § 581 Nr. 6). Da - wie bereits dargelegt - der Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung durch § 581 Abs. 2 RVO bzw. § 56 Abs. 2 Satz 2 SGB VII nicht eingeschränkt wird, was schon daran deutlich wird, dass auch hier nur eine angemessene Erhöhung der MdE, nicht jedoch ein rechnerischer Ausgleich des tatsächlichen - konkreten - Schadens erfolgen kann, können auch die individuellen Verhältnisse, die nicht die abstrakte Erwerbsfähigkeit, sondern die konkrete Einkommenssituation des Verletzten betreffen, nicht zur Erhöhung der MdE im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO bzw. § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII führen. Dies gilt insbesondere auch für die Erlangung eines - den durch die Umschulung erworbenen Fähigkeiten angepassten - Arbeitsplatzes (SozR 3-2200 § 581 Nr. 6, Nr. 7). So verbleibt es auch unter Anwendung des § 581 Abs. 2 Satz 2 RVO bzw. § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII dabei, dass die in Form einer Verletztenrente zu gewährende Entschädigung nicht den tatsächlichen Minderverdienst ausgleichen soll, sondern nach dem Unterschied der auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens bestehenden Erwerbsmöglichkeiten des Verletzten vor und nach dem Arbeitsunfall zu bemessen sind (SozR 3-2200 § 581 RVO Nr. 6 m.w.N.).
Selbst wenn der Senat unter Zugrundelegung der o. g. Maßstäbe eine unbillige Härte insoweit annähme, als der Kläger seine besonderen Erfahrungen und Kenntnisse anlässlich seiner Stellung als erster Trompeter nicht mehr ausüben kann, und selbst wenn hierdurch ein sozialer Abstieg angenommen würde, ergebe eine Erhöhung der MdE lediglich eine solche um 20 v.H.
Auch eine höhere Bewertung der MdE im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO setzt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG voraus, dass sich die Verletzung, die sich der Versicherte durch den Versicherungsfall zuzog, speziell auf die Fähigkeit zum Erwerb auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens auswirkt (BSGE 23, 253, 255, BSGE 39, 31, 33). Dies ist beim Kläger jedoch nach sämtlichen Gutachten nicht der Fall. Die Auswirkungen der streitgegenständlichen Gesundheitsstörungen wirken sich auf seine Fähigkeit zum Erwerb auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens nicht wesentlich aus. Er kann lediglich keine Blasinstrumente spielen. Die Einschränkung dieser Tätigkeit in Bezug auf seine Erwerbsfähigkeit auf dem maßgebenden Gesamtgebiet des Erwerbslebens nicht so erheblich, dass damit eine Bewertung der MdE mit 20 v. H. angemessen wäre. Dies gilt auch hinsichtlich eines damit verbundenen Minderverdienstes, somit dem Kläger die Zulagen für die Stimmführerzulage, Solo zu blasen, ebenso verlustig gegangen sind wie höherer Verdienst. Von daher kann dahinstehen, ob der Kläger über sonstige Fähigkeiten verfügt, die geeignet sind, die gesundheitsbedingt nicht mehr in vollem Umfang nutzbaren Fertigkeiten und besonderen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen auszugleichen.
Nach allem war die Berufung begründet und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Beurteilung einer Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) und die Entschädigung der Folgen mit einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der geborene Kläger ist als Berufsmusiker beim P Pseit 1973 beschäftigt. Auf eine im Jahr 1994 bei dem Gemeindeunfallversicherungsverband Brandenburg, Landesausführungsbehörde für Unfallversicherung, eingegangene Unfallanzeige, mit der eine Facialisschwäche im Bereich der Lippen angezeigt worden war, ermittelte zunächst der Gemeindeunfallversicherungsverband Brandenburg.
Nach Ermittlungen des seinerzeitigen Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) des Gemeindeunfallversicherungsverbandes spielte der Kläger vom 01. Mai 1973 bis Ende 1974 im P P die dritte Trompete und ab 1975 die erste Trompetenstimme im P. Seit 1998 wird er in diesem Orchester als Schlagzeuger eingesetzt.
Der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Arbeitsmedizin Dr. Z erstattete am 12. Juni 1996 gegenüber dem Landesinstitut für Arbeitsschutz ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 12. Juni 1996. Nach seiner Beurteilung lag eine Druckneuropathie von Lippenästen des N. facialis beidseits durch Mundstückdruck beim Trompeteblasen beim Kläger vor. Er meinte, bereits unter physiologischen Bedingungen sei der Druck des Mundstücks auf die Lippen bei Trompetern sehr hoch, so dass die haftungsbegründende Kausalität für eine Lippendruckschädigung eigentlich bei jedem exponiert tätigen Trompeter gegeben sei.
Durch Bescheid vom 22. April 1998 lehnte die Unfallkasse Brandenburg als Rechtsnachfolgerin des Gemeindeunfallverbandes die Anerkennung einer BK und einen Anspruch auf Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass der streitgegenständlichen Erkrankung ab, weil die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Nr. 2106 der Anlage 1 zur BKV nicht erfüllt seien. Die beim Kläger bestehende Erkrankung (Drucklähmung des N. facialis beidseits) sei nicht in der Anlage aufgenommen. Auch die Voraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO seien nicht gegeben. Die haftungsbegründende Kausalität sei nicht gegeben, da ein Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit als Blasmusiker nicht wahrscheinlich gemacht werden könne. Derzeit sei im Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung eine Erweiterung der bisherigen Nr. 2106 der Anlage 1 zur BKV im Hinblick auf Einbeziehung der Entstehung des N. facialis bei Blasmusikern anhängig. Sofern nach Abschluss der Beratungen eine Anerkennung von Schädigungen des N. facialis bei Blasmusikern im Rahmen der Nr. 2106 möglich sei, werde das Feststellungsverfahren neu aufgenommen und die Anerkennung der Erkrankung geprüft.
Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Bescheid vom 04. November 1998 zurück.
Mit der am 07. Dezember 1998 beim Sozialgericht (SG) Potsdam eingegangenen Klage hat der Kläger weiter geltend gemacht, dass seine Gesundheitsstörungen Folge einer BK seien. Insbesondere wurde zur Begründung auf das Gutachten von Dr. Z Bezug genommen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. April 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 1998 zu verurteilen, die "Druckschädigung des Nervus facialis beidseits" des Klägers als Berufskrankheit nach Nr. 2106 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ab Januar 1996 Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE von 30 v. H. zu gewähren,
hilfsweise,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. April 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 1998 zu verurteilen, die "Druckschädigung des Nervus facialis beidseits" des Klägers wie eine Berufskrankheit i. S. von § 551 Abs. 2 RVO anzuerkennen und ab Januar 1996 Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE 30 v.H. zu gewähren.
Der Bevollmächtigte der Beklagten hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigte ihre Entscheidungen.
Das SG hat mit dem am 23. Januar 2001 verkündeten Urteil die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. April 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 1998 verurteilt, die Druckschädigung des N. facialis beidseits des Klägers als BK nach Nr. 2106 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen und ab 01. Januar 1996 Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren. Zur Begründung hat sich das SG darauf bezogen, die vorliegende Gesundheitsstörung des Klägers, nämlich die Druckschädigung des N. facialis sei eine Drucklähmung der Nerven im Sinne der Nr. 2106 der Anlage 1 zur BKV. Das Gericht folgte dem Gutachten von Dr. Zvom 12. Juni 1996.
Gegen das der Beklagten am 22. Februar 2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 02. März 2001 beim Landessozialgericht (LSG) für das Land Brandenburg eingegangene Berufung der Beklagten. Zur Begründung wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass für die Beklagte nicht sicher sei, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch das von Dr. Z im Befundbericht vom 25. März 1998 beschriebene Krankheitsbild mit Ausfällen bestanden habe. Das Gericht hätte nicht ohne erneute medizinische Begutachtung entscheiden dürfen. Zudem sei es nicht gerechtfertigt, das Krankheitsbild unter den Verordnungstext (Drucklähmungen der Nerven) zu fassen. Die Verurteilung zur Rentenzahlung nach einer MdE um 30 v. H. sei nicht nachvollziehbar.
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
das Urteil des SG Potsdam vom 23. Januar 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Insbesondere wurde vorgetragen, es bestehe ein ausgebreitetes druckneuropathisches Bild, das gegenüber den Vorableitungen deutlich verschlechtert sei.
Im Berufungsverfahren wurden Krankenunterlagen beigezogen, so von dem Facharzt für Allgemeinmedizin, Dr. G, Unterlagen des Kammervirtuosen F und vom Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B.
Aufgrund der Beweisanordnung vom 02. Mai 2002 erstattete der Arzt für Neurologie und Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musiker-Medizin der Hochschule für Musik und Theater H Prof. Dr. Aam 18. Februar 2003 ein schriftliches Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 26. August 2002, das er mit Stellungnahme vom 21. Juli 2003 ergänzte. Der von ihm erhobene Befund bei der Untersuchung beim Spiel des Klägers an der Trompete ergab eine Störung der feinmotorischen Koordination mit Verlust der professionellen Blasfähigkeit. Der Gutachter diagnostizierte eine fokale Dystonie der Ansatzmuskulatur (Ansatzdystonie). Er führte zunächst aus, dass es sich bei der tätigkeitsspezifischen fokalen Dystonie nicht um eine Erkrankung von Nervenbahnen oder Muskelgewebe handele, sondern um eine Störung zentralnervöser Steuerprogramme im Bereich des Gehirns. Die Ursache sei beruflich bedingt, sie manifestiere sich bei Berufsmusikern jeweils nur in einem langgeübten, aufgabenspezifischen Zusammenhang. Die Erkrankung sei nahezu ausschließlich bei Berufsbläsern nachweisbar, die einen hohen beruflichen Einsatz gezeigt hätten. Die heutige Vorstellung über die Entstehung einer tätigkeitsspezifischen Dystonie gehe von der Annahme aus, dass eine minimale, oft klinisch nicht objektivierbare Druckschädigung der feinen sensiblen Nerven in der Lippenschleimhaut stattfinde. Komme es zu einer Störung der Nervenleitung neuronaler Informationsweiterleitung von der Lippe zum Zentralnervensystem, folge zwangsläufig auch eine Störung der feinmotorischen Ansteuerung der Lippenmuskulatur mit Verlust der professionellen Spielfähigkeit. Bis heute gäbe es kein objektives neurophysiologisches Kriterium, um beim Menschen eine Störung der sensiblen Nervenäste des N. trigeminus festzustellen. Lediglich die klinische Testung der Feinwahrnehmung der Lippenschleimhaut könne Anhaltspunkte für eine stattgehabte Schädigung liefern. Eine eingetretene Erkrankung sei in der Regel nicht mehr heilbar. Die Erkrankung sei als BK nach Ziffer 2106 "Druckschädigung der Nerven" im Sinne der Revision der wissenschaftlichen Begründung für die BKen vom September 2001 anzuerkennen. Hier werde unter der Rubrik 1.3.2.3. "sonstige Nervenschäden" die Druckneuropathie des N. facialis und N. trigeminus aufgeführt. Dabei würden auch die Druckbelastung im Bereich des Nerven z. B. beim Gebrauch von Blasinstrumenten und die Ansatzstörung sowie die fokale Dystonie ausdrücklich aufgeführt. Die MdE sei ab dem 01. Januar 1996 bis zur Aufgabe der Trompetertätigkeit im Dezember 1997 mit unter 10 v. H. anzunehmen. Ab der Aufgabe der beruflichen Tätigkeit im Januar 1998 sei unter Annahme einer besonderen beruflichen Betroffenheit eine MdE um 10 v. H. anzunehmen, da der Kläger die erworbene Spezialqualifikation bei der Ausbildung zum Trompeter nicht mehr nutzen könne und jetzt eine weniger differenzierte Tätigkeit ausübe, die ihn deutlich weniger befriedige. Mit Dr. Zstimme er insoweit überein, dass der Kläger an den Folgen einer berufsbedingten Druckschädigung von Nerven im Bereich der Lippen leide. Allerdings sei nicht davon auszugehen, dass eine Schädigung der Lippenäste des N. fazialis vorliege. Eher werde davon ausgegangen, dass eine Störung der Feinwahrnehmung vorliege, die letztendlich mittelbar zu einer Veränderung zentralnervöser Steuerprogramme führe.
Der Kläger überreichte daraufhin ein weiteres Gutachten, das Dr. Z am 15. Juni 2003 nach Aktenlage erstellt hatte. Dieser verwies insbesondere darauf, dass mindestens im Januar 1998 noch eindeutig eine paralytische Druckschädigung im N. facialis - das heiße eine Drucklähmung alter Bezeichnungsweise - vorgelegen habe. Prof. Dr. A vermute in seinem Gutachten, dass die Gesichtsnervenschädigung jetzt nicht mehr bestehe. Aufgrund der Beschwerdeentwicklung beim Kläger und dem Verlauf der neuromyografischen Befunde halte er an seiner Diagnose der primären Druckneuropathie des N. facialis fest. Auch wenn das Störungsbild jetzt durch eine fokale Dystonie beherrscht würde, so wäre dies als eine Folge einer Druckschädigung nach BK 2106 zu behandeln. In jedem Fall liege eine BK vor, wie auch immer die aktuellen Wichtungen zwischen Druckschädigung und fokaler Dystonie in ihrer gegenseitigen Bedingtheit seien, wenn die ausgeübte Tätigkeit die Ursache sei. Der Versicherungsfall des Klägers sei 1994 eingetreten. In einem solchen Fall sei die BK-Anerkennung nur möglich, wenn sie schon in der alten Fassung möglich gewesen wäre, und dies sei vorliegend der Fall, da eine Drucklähmung vorgelegen habe. Da der Kläger als Solo-Trompeter eine im Berufsleben herausgehobene Stellung eingenommen habe, sei die Erhöhung der MdE, die er nicht unter 10 v.H. bewerte, um 20 v. H. zu erhöhen.
Prof. Dr. A wies in seiner Stellungnahme vom 21. Juli 2003 erneut darauf hin, dass die Elektroneurografie des N. facialis mit Sicherheit für den Nachweis einer Druckschädigung, die durch den Mundstückandruck des Trompetenmundstücks an der Lippe erfolgt sei, nicht geeignet sei und erläuterte dies im Einzelnen unter Hinweis auf die anatomische Struktur. Die von Dr. Zveröffentlichten Messergebnisse in einer Publikation besagten nicht, dass die Messmethode von den Fachgesellschaften anerkannt sei. Hingegen sprächen Angaben des Klägers zum Verlauf des Verlustes der feinmotorischen Kontrolle als diagnostisches Kriterium für eine fokale Dystonie. Die in seinem Gutachten (von Prof. A) angebotene Hilfskonstruktion, angebotene Möglichkeit, dass eine Druckschädigung sensibler Nervenäste vorgelegen haben könnte, sei in der Tat spekulativ, da zu keinem Zeitpunkt eindeutige klinische Symptome, geschweige denn elektroneurografische Befunde hierfür vorgelegen hätten. Daher wolle er sich von der von ihm angenommenen hypothetischen Druckschädigung des sensiblen Gesichtsnervens N. trigeminus distanzieren. Fakt sei, dass die feinmotorische Kontrolle der Lippenmuskulatur nach einer Pause beim Trompetenspielen nicht mehr gegeben gewesen sei und dass die neurografischen Methoden von Dr. Z in der Fachwelt nicht als überprüfte Methoden anerkannt seien.
Die in seinem Gutachten entstandenen Unklarheiten rührten auch daher, dass in der wissenschaftlichen Begründung für die BK "Druckschädigung der Nerven" unter "sonstige Nervenschäden" auch der N. facialis und der N. trigeminus aufgeführt sei. Unter der Rubrik "arbeitsbedingte Belastung" würden Druckbelastungen im Versorgungsbereich der Nerven beispielsweise beim Gebrauch von Blasinstrumenten, Ansatzstörungen (fokale Dystonie) aufgeführt. Leider sei jedoch die fokale Dystonie nicht, wie hier suggeriert werde, automatisch eine Belastung aufgrund einer Nervendruckläsion, sondern habe andere Ursachen. Nach seiner Auffassung handele es sich dennoch um eine BK, für die jedoch noch keine BK-Ziffer vorgesehen sei und nach Öffnungsklausel "wie eine BK" anzusehen sei. Eine MdE über 10 von 100 halte er weiterhin - auch unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit - nicht für begründet, insbesondere habe eine Störung der Feinkoordination der Lippe, die ausschließlich beim Trompetenspiel entstehe, keinen Einfluss auf das übrige Erwerbsleben.
Aufgrund der Beweisanordnung vom 03. Februar 2004 erstattete der Facharzt für Neurologie Dr. M am 22. Juni 2004 ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 10. Mai 2004. Der Gutachter gelangt zu der Beurteilung, beim Kläger liege mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Druckschädigung einzelner Axone peripherer motorischer Äste des N. facialis vor. Eine Störung im Sinne einer Dystonie sei im vorliegenden Fall nicht anzunehmen. Bei der klinisch-neurologischen Untersuchung durch ihn sei die Funktion des N. facialis unauffällig gewesen. Bei einem Vorspiel des Klägers auf der Trompete sei deutlich geworden, dass nach wie vor eine feinmotorische Störung in der zum Blasen eingesetzten Mundmuskulatur bestehe. Diese feinmotorische Störung sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch Fehleinsprossung nach der Druckschädigung des N. facialis entstanden und insofern Folge der Läsion der peripheren motorischen Äste dieses Nervens. Die ersten klinischen Erscheinungen dieser feinmotorischen Störungen seien nach seiner Auffassung im Frühjahr 1994 eingetreten. Am 09. Juni 1994 sei der erste Untersuchungsbefund dokumentiert, der auf der Grundlage eines Elektromyogramms und einer Neurografie die Druckschädigung des N. facialis zweifelsfrei nachweise. Infolge der Druckschädigung sei es zu einer Lähmung in den motorischen Einheiten beschädigter Myofibrillen gekommen. Der chronische Druck auf die Endäste des N. facialis sei ursächlich für die Läsion des Nervens. Die Voraussetzungen der BK 2106 der Anlage zur BKV seien erfüllt. Andere Erkrankungen außerhalb der beruflichen Expositionen kämen nicht als Ursache in Betracht. Es sei davon auszugehen, dass nur ein Endast des N. facialis lädiert sei und somit nicht eine vollständige einseitige Facialis parese vorliege. Die MdE beurteile er mit 5 v. H. unter Berücksichtigung der von ihm genannten Begutachtungsliteratur. Ergänzend nahm er Stellung am 19. Januar 2005.
In der öffentlichen Sitzung des 27. Senats des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 31.Januar 2005 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Insbesondere wurde den Beteiligten Einsicht gegeben in Aufsätze von O. Blome "Die erste Verordnung zur Änderung der Berufskrankheitenverordnung 2002", in Die BG 2003, 22 ff., Rolf Magun "Drucklähmungen der Nerven" im Handbuch der gesamten Arbeitsmedizin, herausgegeben von E. Bader.
Der Rechtsstreit wurde vertagt. Der Kläger nahm schriftsätzlich Stellung zu den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung und übersandte eine Stellungnahme von Dr. Z vom 14. März 2005. Insbesondere vertrat er die Auffassung, dass die Drucklähmung im Sinne der BK 2106 nicht nur als vollständige Lähmung zu verstehen sei und in der Praxis auch nicht so interpretiert worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorliegenden Gerichts- und Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige und im Übrigen statthafte Berufung der Beklagten ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung für die geltend gemachte BK. Die Klage war daher abzuweisen und das angefochtene Urteil entsprechend aufzuheben.
Die geltend gemachte Gesundheitsstörung ist nicht als BK und auch nicht als Folge einer BK zu beurteilen und rechtfertigt schon aus diesem Grunde keinen Rentenanspruch.
Der Anspruch des Klägers richtet sich noch nach den bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der RVO und der BKV, da die von ihm als BK geltend gemachte Gesundheitsstörung vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch, SGB VII, am 01. Januar 1997 - nämlich im Jahr 1994 - eingetreten ist (Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 214 SGB VII).
Damit scheidet eine Beurteilung der Erkrankung nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht aus. Denn für die nach dem 31. Dezember 1991 eingetretenen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten gelten die Vorschriften des Beitrittsgebiets nicht, § 1150 RVO.
Der Anspruch auf Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung setzt - wie im vorliegenden Fall des Fehlens eines Stützrententatbestandes - voraus, dass infolge eines Versicherungsfalls die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch, SGB VII, § 581 Abs. 1 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung, RVO, wobei als Versicherungsfall Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten gelten, § 7 Abs. 1 SGB VII, 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO, § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO.
BKen sind nach § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Nach der Nr. 2106 der Anlage zur BKV in der Fassung der Verordnung zur Änderung der BKV (BKV-ÄndV) vom 05. September 2002 gehört zu den BKen auch die "Druckschädigung der Nerven". Die bis dahin geltende Nr. 2106 der Anlage zur BKV erfasste "Drucklähmungen der Nerven".
In der aktuellen Fassung findet die Nr. 2106 für den Kläger keine Anwendung, da die streitgegenständliche Krankheit bereits im Jahr 1994 eingetreten ist. Die aktuelle Fassung findet erst Anwendung auf Versicherungsfälle, die nach dem 30.November 1997 eingetreten sind, Art. 1 Nr. 2 BKV -ÄndV.
Die beim Kläger vorliegende Gesundheitsstörung lässt sich schon deshalb nicht als BK beurteilen, weil weder eine Drucklähmung noch eine Druckschädigung der Nerven als Ausgangserkrankung im Jahr 1994 und damit die Grundlage der heutigen Störung der Mundmuskulatur nicht zweifelsfrei feststeht.
Daher wäre selbst dann die Klage nicht begründet, wenn der Senat entsprechend dem Sprachgebrauch von Dr. M die Begriffe der Druckschädigung und der Drucklähmung synonym gebrauchte.
Die für die Anerkennung einer BK nach Nr. 2106 erforderliche Druckschädigung ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, § 128 Sozialgerichtsgesetz, SGG, bereits nicht zweifelsfrei zur Überzeugung des Senats nachgewiesen worden.
Nach dem Ergebnis der letzten gutachterlichen Untersuchung des Klägers durch Dr. Mliegt lediglich eine feinmotorische Störung in der zum Blasen eingesetzten Mundmuskulatur vor. Soweit Dr. M meint, dies sei eine Folge einer Druckschädigung der Gesichtsnerven nach einer Läsion ,ist bereits die (Druck)-Schädigung eines Nerven nicht zweifelsfrei festgestellt worden.
Den Beurteilungen von Dr. Mund Dr. Z, dass eine Druckschädigung der peripheren Äste des N. facialis mit der daraus sich ergebenden feinmotorischen Störung vorgelegen habe, steht entgegen die Auffassung von Prof. Dr. Altenmüller, der in seiner Stellungnahme vom 21. Juli 2000 darauf verweist, dass eine Druckschädigung sensibler Nervenäste allenfalls eine Möglichkeit sei, die zu keinem Zeitpunkt eindeutige klinische Symptome geschweige denn objektive elektroneurografische Befunde ergeben habe. Auch aus dem Gutachten von Dr. M(Stellungnahme vom 21. Januar 2005) folgt, dass ein zweifelsfreier Nachweis einer Druckschädigung nicht erbracht ist. Dr. M hat seinerseits die Beurteilung abgegeben, dass ein beweisender pathologischer Befund nicht zu erheben sei. Im Einzelnen hat er ausgeführt, dass die im Gutachten beschriebenen neurophysiologischen Befunde, die auf Fremduntersuchungen basierten, nur Hinweischarakter hätten. Pathognomonische Befunde für eine Drucklähmung eines Nervens gebe es nicht. Die Diagnose einer Drucklähmung/Druckschädigung (Dr. Mverwendet diese Begriffe synonym) ergebe sich grundsätzlich aus der Synopse der Vorgeschichte und des klinischen Befundes. Wenn in der Vorgeschichte ein permanenter Druck auf einen peripheren Nerven nachweisbar sei, sich damit auch ein eindeutiger Lokalisationsbezug zwischen dem Druck als schädigende Noxe und dem betreffenden Nerv ergebe, und andere Nerven nicht betroffen seien, so resultiere daraus die Berechtigung, diese Schädigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den ausgeübten Druck zu beziehen. Aus rein wissenschaftlicher Betrachtungsweise blieben natürlich Zweifel, weil ein beweisender pathognomonischer Befund nicht zu erheben sei.
Damit werden die im Gutachten von Prof. Dr. A begründeten Zweifel am Nachweis einer Druckschädigung auch von Dr. M gestützt.
Der Senat erachtet im Rahmen der individuellen Beurteilung des Einzelfalls objektivierbare und reproduzierbare neurologische und neurophysiologische Parameter für unerlässlich (vgl. auch BR Drucksache 382/02).
Die Erkrankung des Klägers ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Fassung der Nr. 2106 "Drucklähmung der Nerven" zu beurteilen.
Dies folgt bereits aus den vorangegangenen Ausführungen zum Nachweis der im Jahr 1994 eingetretenen Erkrankung.
Daher kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob die als BK bezeichnete Drucklähmung der Nerven nur vollständige Lähmungen erfasste. Schon die Subsumtion der Erkrankung des Klägers unter die Bezeichnung der Druckschädigung ist nicht zweifelsfrei möglich. Noch weniger lässt sich eine Drucklähmung zweifelsfrei feststellen.
Aus keinem der vorliegenden Gutachten ergibt sich der zweifelsfreie Nachweis einer Drucklähmung der Nerven des Klägers. Dr. M beschreibt eine Läsion der Nervenäste, dass es nur zu einer Lähmung - vorübergehend - in den motorischen Einheiten beschädigter Myofibrillen gekommen sei. Dr. Abejaht eine Lähmung ebenfalls nicht. Unerheblich ist die Auffassung von Dr. Z, aus keinem Gutachten oder Stellungnahmen von Dr. A ergebe sich zwingend, dass beim Kläger keine Drucklähmung vorgelegen habe. Denn der Kläger hat den zweifelsfreien Nachweis einer Drucklähmung zu erbringen.
Nach allem wäre auch die Beurteilung der Erkrankung unter dem Gesichtspunkt einer fokalen Dystonie - die ebenso wenig zweifelsfrei nachgewiesen ist und von der Prof. Dr. A ausgeht - nicht geeignet, die Erkrankung als BK zu bewerten. Diese ist nach der wissenschaftlichen Begründung des ärztlichen Sachverständigenbeirats erfasst von der BK 2106 "Druckschädigung der Nerven" und unterliegt damit der Rückwirkungsklausel.
Die Beurteilung der BK unter dem Gesichtspunkt einer "Quasi-BK" nach § 551 II RVO kommt infolge der Rückwirkungsklausel ebenfalls nicht in Betracht. Danach sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKV bezeichnet ist, oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 I RVO erfüllt sind.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG schließt die Rückwirkungsvorschrift der BKV-ÄndV auch aus, für alte Versicherungsfälle außerhalb des vorgeschriebenen Rückwirkungszeitraums noch eine Entschädigung nach § 551 II RVO zuzusprechen (BSGE 75, 51 ff. BSGE 72, 303). Das Bundesverfassungsgericht bestätigte eine Entscheidung des BSG vom 19. Januar 1995 - 2 RU 14/94, die die Stichtagsregelung in Art. 2 II der 2. VO zur Änderung der BKV vom 18. Dezember 1992 betraf, die die Rückwirkung der Neuaufnahme von Wirbelsäulenerkrankungen auf Versicherungsfälle beschränkt, die nach dem 31. März 1988 eingetreten sind. Das BSG führte hier die o. g. Entscheidungen fort (vgl. BVerfG - 1 BvR 791/95 in SozR 3-2200 § 551 RVO).
Selbst wenn die Erkrankung des Klägers als BK beurteilt und selbst wenn davon ausgegangen würde, dass die feinmotorische Störung in der zum Blasen eingesetzten Mundmuskulatur mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich zurückzuführen wäre auf eine BK, folgte hieraus keine MdE in rentenberechtigendem Grade ab Januar 1996 und begründete keinen Rentenanspruch des Klägers.
Dr. M hat dargelegt, dass ausschließlich eine feinmotorische Störung in der zum Blasen eingesetzten Mundmuskulatur besteht ohne jegliche Störungen sonstiger Art, insbesondere ohne Auswirkungen auf das Sprachverhalten. Auch bei der spontanen Sprache zeigten sich im fokalen Bereich keine Auffälligkeiten. Diese Umstände berücksichtigend lässt sich die MdE nicht mit 20 v.H. beurteilen.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Dabei ist die vor dem Versicherungsfall bestehende individuelle Erwerbsfähigkeit mit 100 v. H. einzusetzen und die Einbuße an der individuellen Erwerbsfähigkeit durch den Versicherungsfall in einem bestimmten Prozentsatz davon auszudrücken (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, BSGE 43, 208 f.). Maßgebend ist diejenige Erwerbsfähigkeit, die dem Verletzten nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und unter Berücksichtigung eines Vorschadens verblieben ist (BSG a.a.O.). Die individuellen Funktionseinbußen bei dem jeweiligen Versicherten sind maßgebend (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in ärztlicher Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Bei der Bewertung der MdE sind auch die von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht im Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden und einem ständigen Wandel unterliegen (BSG SozR 2200 § 581 Nrn. 23, 27). Die herausgearbeiteten "Erfahrungssätze" drücken den Umstand der verlorenen Erwerbsfähigkeit auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens aus. Allerdings lässt sich die MdE in aller Regel nicht mathematisch-exakt festlegen, sondern sie lässt sich nur annähernd bestimmen. Der Bewertung der MdE ist eine gewisse Schwankungsbreite eigentümlich.
Die im versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze für die MdE sehen selbst für eine Facialisparese bei einseitig und kosmetisch wenig störender Restparese eine MdE um 10 v. H. vor( Rauschelbach, Das neurologische Gutachten, 2 Auflage, S. 46, und Schönberger-Mehrtens-Valentin, 6. Auflage S. 285). Weitere Orientierungswerte sind gegeben für die Gesichtsnervenlähmung einseitig, kosmetisch wenig störend, 10 v.H., für einen Lippendefekt mit Speichelfluss 10 v.H. (Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und BK, 7. Auflage, S. 342, ebenso Mehrhoff und Muhr, Unfallbegutachtung, 10. Auflage, S. 130).
Nach allem ist angemessen die Beurteilung von Prof. Dr. Altenmüller, der ab 01. Januar 1996 die MdE mit unter 10 v. H. beurteilt.
Selbst eine Erhöhung der MdE unter dem Gesichtspunkt des § 581 Abs. 2 RVO bzw. § 56 Abs. 2 Satz 2 SGB VII führte nicht zur MdE um 20 v. H.
Bei der Bemessung der MdE sind Nachteile zu berücksichtigen, die der Verletzte dadurch erleidet, dass er bestimmte, von ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Unfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen kann, soweit sie nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihm zugemutet werden kann, ausgeglichen werden (§ 581 Abs. 2 RVO, § 56 Abs. 2 Satz 2 SGB VII). Diese unfallversicherungsrechtliche Regelung, bei der regelmäßig Erhöhungen von 10 bis 20 v. H. in Betracht kommen (BSGE 70, 47, 51), lässt keine allgemeine Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit - etwa entsprechend den Grundsätzen des § 30 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) - zu. Eine allgemeine Berücksichtigung des "besonderen beruflichen Betroffenseins" würde in der gesetzlichen Unfallversicherung regelmäßig zu einer doppelten Berücksichtung des Berufs führen (BSGE 70, 47, 48). Selbst wenn der Verletzte seinen erlernten Beruf infolge des Arbeitsunfalls nicht mehr ausüben könnte, müsste dies nicht zwangsläufig zur Erhöhung der MdE führen (BSGE 39, 31, 32). Auch dass erst bei einer Erhöhung der MdE nach § 581 Abs. 2 RVO ein Rentenanspruch begründet werden kann, stellt für sich noch keine derartige unbillige Härte dar (BSGE SozR 2200 § 581 Nr. 18).
Die eine Höherbewertung der MdE rechtfertigenden Nachteile liegen im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO bzw. § 56 Abs. 2 Satz 2 SGB VII dann vor, wenn unter Wahrung des in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung, der durch § 581 Abs. 2 RVO nicht eingeschränkt wird (BSGE 23, 253, 254), die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde (ständige Rechtsprechung seit BSGE 23, 253, 255).
Als wesentliche Merkmale für die Beurteilung der Frage, ob eine höhere Bewertung der MdE zur Vermeidung unbilliger Härten gerechtfertigt ist, hat das BSG vielmehr das besondere Alter des Verletzten (BSGE 4, 294, 299), die Dauer der Ausbildung (BSG SozR Nr. 10 des § 581 RVO) sowie vor allem die Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit (BSGE 4, 294, 298) und auch den Umstand bezeichnet, dass die bisher verrichtete Tätigkeit eine günstige Stellung im Erwerbsleben gewährleistete (BSG SozR Nrn. 10 und 12 zu § 581 RVO). Aus diesen Merkmalen und den außerdem zu beachtenden sonstigen besonderen Umständen des Einzelfalls kann sich eine höhere Bewertung der MdE nach § 581 Abs. 2 RVO ergeben, wenn der Verletzte die ihm verbliebenen Kenntnisse und Fähigkeiten nur noch unter Inkaufnahme eines unzumutbaren sozialen Abstiegs auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens verwerten kann (BSGE 70, 47, 49). Die einzelnen Umstände des jeweiligen Falls sind dabei nicht isoliert, sondern in ihrer Gesamtheit zu beurteilen. Eine allgemeine Regel, wie dies jeweils mit welchem Ergebnis zu geschehen hat, lässt sich hierfür nicht aufstellen. Verfügt der Verletzte indes über sonstige Fähigkeiten, die geeignet sind, die unfallbedingt nicht mehr oder nicht mehr in vollem Umfang nutzbaren besonderen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen auszugleichen, kommt eine Erhöhung der MdE nicht in Betracht, sofern dem Verletzten die Nutzung dieser Fähigkeiten zugemutet werden kann; dies schließt die zumutbare Aneignung solcher Fähigkeiten durch eine Umschulung ein (zu allem BSGE SozR 3-2200 § 581 Nr. 6). Da - wie bereits dargelegt - der Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung durch § 581 Abs. 2 RVO bzw. § 56 Abs. 2 Satz 2 SGB VII nicht eingeschränkt wird, was schon daran deutlich wird, dass auch hier nur eine angemessene Erhöhung der MdE, nicht jedoch ein rechnerischer Ausgleich des tatsächlichen - konkreten - Schadens erfolgen kann, können auch die individuellen Verhältnisse, die nicht die abstrakte Erwerbsfähigkeit, sondern die konkrete Einkommenssituation des Verletzten betreffen, nicht zur Erhöhung der MdE im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO bzw. § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII führen. Dies gilt insbesondere auch für die Erlangung eines - den durch die Umschulung erworbenen Fähigkeiten angepassten - Arbeitsplatzes (SozR 3-2200 § 581 Nr. 6, Nr. 7). So verbleibt es auch unter Anwendung des § 581 Abs. 2 Satz 2 RVO bzw. § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII dabei, dass die in Form einer Verletztenrente zu gewährende Entschädigung nicht den tatsächlichen Minderverdienst ausgleichen soll, sondern nach dem Unterschied der auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens bestehenden Erwerbsmöglichkeiten des Verletzten vor und nach dem Arbeitsunfall zu bemessen sind (SozR 3-2200 § 581 RVO Nr. 6 m.w.N.).
Selbst wenn der Senat unter Zugrundelegung der o. g. Maßstäbe eine unbillige Härte insoweit annähme, als der Kläger seine besonderen Erfahrungen und Kenntnisse anlässlich seiner Stellung als erster Trompeter nicht mehr ausüben kann, und selbst wenn hierdurch ein sozialer Abstieg angenommen würde, ergebe eine Erhöhung der MdE lediglich eine solche um 20 v.H.
Auch eine höhere Bewertung der MdE im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO setzt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG voraus, dass sich die Verletzung, die sich der Versicherte durch den Versicherungsfall zuzog, speziell auf die Fähigkeit zum Erwerb auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens auswirkt (BSGE 23, 253, 255, BSGE 39, 31, 33). Dies ist beim Kläger jedoch nach sämtlichen Gutachten nicht der Fall. Die Auswirkungen der streitgegenständlichen Gesundheitsstörungen wirken sich auf seine Fähigkeit zum Erwerb auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens nicht wesentlich aus. Er kann lediglich keine Blasinstrumente spielen. Die Einschränkung dieser Tätigkeit in Bezug auf seine Erwerbsfähigkeit auf dem maßgebenden Gesamtgebiet des Erwerbslebens nicht so erheblich, dass damit eine Bewertung der MdE mit 20 v. H. angemessen wäre. Dies gilt auch hinsichtlich eines damit verbundenen Minderverdienstes, somit dem Kläger die Zulagen für die Stimmführerzulage, Solo zu blasen, ebenso verlustig gegangen sind wie höherer Verdienst. Von daher kann dahinstehen, ob der Kläger über sonstige Fähigkeiten verfügt, die geeignet sind, die gesundheitsbedingt nicht mehr in vollem Umfang nutzbaren Fertigkeiten und besonderen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen auszugleichen.
Nach allem war die Berufung begründet und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
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