L 1 KR 24/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 72 KR 1622/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 24/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des gesamten Streitverfahrens zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Haftung des Klägers für rückständige Sozialversicherungsbeiträge nebst Gebühren und Zuschläge.

Die Firma M P G KG (im Folgenden: P KG) schuldet der Beklagten rückständige Sozialversicherungsbeiträge für die Jahre 1998 und 1999 einschließlich Gebühren und Zuschlägen.

Nach dem von der Beklagten beigezogenen Handelsregisterauszug vom 18. September 2000 erfolgte am 21.03.1997 die Eintragung des Klägers als persönlich haftender Gesellschafter der P KG. Gleichzeitig wurde der Kaufmann M P als Kommanditist mit einer Einlage von 15.000,00 DM eingetragen. Am 21.01.2000 erfolgte die Eintragung, dass die Gesellschaft durch rechtskräftige Abweisung eines Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels die Kosten des Verfahrens deckender Masse auf Grund des § 131 Abs. 2 Ziff. 1 Handelsgesetzbuch (HGB) aufgelöst sei (Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 28. Juli 1999, 108 IN 749/99). Die Beendigung der Betriebstätigkeit erfolgte nach einer im Verwaltungsverfahren eingeholten Auskunft des Bezirksamtes Pankow von Berlin am 18.01.99.

Mit Schreiben vom 5. Dezember 2000 wandte die Beklagte sich an den Kläger und teilte ihm mit, dass beabsichtigt sei, ihn als Komplementär der genannten Kommanditgesellschaft persönlich in Anspruch zu nehmen.

Hierauf sandte der Kläger der Beklagten in Fotokopie ein Schreiben an das Amtsgericht Charlottenburg vom 8. Januar 1999, wonach er selbst sowie der Kaufmann M P beantragt hatten, sein Ausscheiden als persönlich haftender Gesellschafter aus der Gesellschaft einzutragen und als neuen persönlich haftenden Gesellschafter Herrn M P einzutragen.

Durch Haftungsbescheid vom 19. Januar 2001 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er für Beiträge, Umlagebeträge und Säumniszuschläge, Mahngebühren und Kosten in Höhe von insgesamt 9.344,10 DM in Anspruch genommen werde. Hinzu kämen die bis zum Ausgleich der Beitragsforderungen noch zu berechnenden Säumniszuschläge ab 03.03.1999 in Höhe von eins vom Hundert der rückständigen Beiträge für jeden angefangenen Monat des Zahlungsverzuges (§ 24 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - SGB IV-). Gemäß §§ 161 Abs. 2, 128 HGB hafte er als persönlich haftender Gesellschafter in der Kommanditgesellschaft für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft persönlich.

Mit seinem Widerspruch vom 29. Januar 2001 machte der Kläger erneut geltend, er sei seit 8. Januar 1999 nicht mehr persönlich haftender Gesellschafter der P KG. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27. August 2002 zurückgewiesen.

Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger sein Vorbringen wiederholt und zusätzlich geltend gemacht, die P KG sei durch Herrn übernommen worden, der Erwerber einer Firma hafte nach § 25 HGB für die aus dem Betrieb der Firma begründeten Forderungen.

Dem hat die Beklagte entgegengehalten, ein bloßer Gesellschafterwechsel bei gleich bleibender Gesellschaft falle nicht unter § 25 HGB, solange das Unternehmen als Gesellschaft fortgeführt werde.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. März 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich auf die Begründung des Widerspruchsbescheides bezogen.

Hiergegen richtet sich die Berufung, mit der der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt.

Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich der Antrag,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19. März 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2002 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat durch Beschluss vom 7. November 2005 die Bundesagentur für Arbeit gemäß § 75 Abs. 2 SGG zum Rechtsstreit beigeladen. Diese hatte auf die Beitragsforderung 9.236,62 DM nach § 208 SGB III gezahlt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.

Nach § 28 e Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) haftet die Arbeitgeberin (hier die P KG) für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge sowie die darauf entfallenden Zinsen und Säumniszuschläge. Diese Ansprüche hat die Einzugsstelle (hier die Beklagte gemäß § 28 h Abs. 1 SGB IV) geltend zu machen.

Der Kläger ist als persönlichen haftender Gesellschafter gemäß § 161 Abs. 1 letzter Hs. HGB, § 161 Abs. 2 HGB i.V.m. § 128 HGB und dem 1997 abgeschlossenen Gesellschaftsvertrag für die Forderungen, die gegenüber der insolventen P KG bestehen, persönlich haftbar. Eine solche Haftung kann die Beklagte auch im Wege des Haftungsbescheides, wie hier geschehen, geltend machen (ständige Rechtssprechung des Bundessozialgerichts vgl. BSG in Soz R 1500 § 75 Nr. 41, 72 sowie Soz R3-2400 § 28 e Nr. 2).

Dieser Haftung kann der Kläger auch nicht eine möglicherweise im Januar 1999 herbeigeführte Änderung des Gesellschaftsvertrags entgegenhalten, durch den erneut ein Wechsel der Gesellschafter vereinbart wurde und nach dem der Kläger lediglich noch als Kommanditist im Rahmen seiner Einlage haften würde (§ 161 Abs. 1, vorletzter Hs. HGB).

Dabei kann der Senat unterstellen, dass dieser Änderungsvertrag tatsächlich so wie es der Kläger vorgetragen hat zustande gekommen ist. Selbst wenn dies der Fall ist, so kann sich der Kläger deshalb nicht darauf berufen, weil eine solche Änderung des Gesellschaftsvertrages in das Handelsregister nicht eingetragen wurde.

Nach § 15 HGB kann eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden, es sei denn, dass sie diesem (d.i. dem Dritten) bekannt war. Der Wechsel eines Gesellschafters in eine andere Gesellschaftsstellung (hier des Klägers als Komplementär in die Stellung eines Kommanditisten) ist entsprechend § 162 Abs. 3 HGB einzutragen gewesen (vgl. Baumbach/ Hopt § 162 HGB Rdnr. 10). Auf die Frage, aus welchen Gründen die Eintragung des erneuten Gesellschafterwechsels nicht erfolgt ist, kommt es vorliegend nicht an. Anhaltspunkte dafür, das der Beklagten der Gesellschafterwechsel anderweitig bekannt geworden war, liegen nicht vor.

Zurecht hat die Beklagte darüber hinaus darauf hingewiesen, dass sich der Kläger auch auf die Vorschrift des § 25 HGB nicht berufen kann, weil es sich bei dem bloßen Gesellschafterwechsel, wie er hier stattgefunden hat, nicht um den Erwerb eines Handelsgeschäftes nach dieser Vorschrift handelt.

Der Haftung des Klägers steht auch nicht entgegen, dass die Beigeladene inzwischen einen Großteil der geforderten Summe nach § 208 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) gezahlt hat; denn nach § 208 Abs. 2 Satz 1 SGB III bleiben die Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber bestehen. Sie sind deshalb auch gegenüber demjenigen weiter zu verfolgen, der für die Beitragsforderung gegenüber dem Arbeitgeber haftet ( BSG in Soz R 3-2400 § 28 e Nr. 2).

Dem angefochtenen Bescheid fehlt es auch nicht an der erforderlichen Bestimmtheit nach § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).

Zwar müssen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Beitragsbescheide, wenn sie Forderungen eines Sozialversicherungsträgers festsetzen, die betroffenen Versicherten grundsätzlich individuell bezeichnen oder aber dies muss sich aus spätestens im Widerspruchsverfahren eingeführten Unterlagen (Beitragsnachweise, Lohnlisten) ergeben (BSG a.a.O m.w.N.).

Das BSG hat in der genannten Entscheidung jedoch weiter ausgeführt, dass in den Fällen, in denen wie hier Dritte in Anspruch genommen werden, die für die Beitragsschulden des Arbeitgebers zusätzlich haften, an das Erfordernis der Bestimmtheit andere, geringere Anforderungen zu stellen seien. Soweit aus der früheren Rechtsprechung des Senats etwas anderes entnommen werden könne (BSG Soz R 1500 § 75 Nrn 41, 72), werde hieran nicht festgehalten.

Mit einem Haftungsbescheid gegenüber Dritten entscheide die Einzugsstelle nicht über die Beitragsschuld eines Arbeitgebers einschließlich der Versicherungs- und Beitragspflicht von Arbeitnehmern, sondern lediglich darüber, ob der Adressat für eine Beitragsforderung gegen den Arbeitgeber hafte. Für einen solchen Haftungsbescheid sei nur das Bestehen einer Beitragsforderung gegen den Arbeitgeber und die Haftung des Adressaten hierfür rechtsbegründend. Nur insofern gelte demnach auch das Bestimmtheitserfordernis des § 33 Abs. 1 SGB X. Das Bestehen von Versicherungspflicht und Beitragspflicht der Arbeitnehmer sowie die richtige Beitragshöhe seien lediglich Vorfragen, über die eine Einzugsstelle in einem Haftungsbescheid nicht mit Bindungswirkung gegenüber Arbeitgebern und Arbeitnehmern entscheide. Diese brauchten deshalb im Streit um die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides auch nicht vom Verwaltungsverfahren benachrichtigt und im Prozess nicht notwendig beigeladen zu werden.

Für den Erlass von Haftungsbescheiden mit geringeren Anforderungen an die Bestimmtheit bestehe in der Praxis häufig Bedarf, wenn wie hier die Beiträge bisher vom Arbeitgeber ohne Erlass eines Bescheides entrichtet worden seien, er dann aber wirtschaftlich hierzu nicht mehr imstande sei. In diesen Fällen sei die Beitragsforderung in der Regel schon durch Beitragsnachweise oder andere Unterlagen oder Angaben des Arbeitgebers hinreichend konkretisiert.

So liegt der Fall auch hier, die geltend gemachte Beitragssumme beruht auf den Angaben der Arbeitgeberin, Einwände gegen die Höhe der Beitragsforderungen hat der Kläger, der als Komplementär und ehemaliger Geschäftsführer der P KG hierzu in der Lage gewesen wäre, nicht geltend gemacht, sie sind auch nach Aktenlage nicht ersichtlich. Dementsprechend waren der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt für das im September 2002 eingeleitete Verfahren entgegen der Entscheidung des Sozialgerichts aus § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VWGO.

Dem steht nicht das so genannte Verbot der reformatio in peius (d.i. Verbot der Verböserung oder Verschlechterung) entgegen, weil dieses Verbot sich nur auf den der Disposition der Beteiligten unterliegenden Streitgegenstand bezieht, der durch das Rechtsmittel in die höhere Instanz gelangt ist, nicht aber auf solche, im angefochtenen Urteil enthaltene Entscheidungen, die der Disposition der Beteiligten entzogen und daher ohne Rücksicht auf den Willen der Beteiligten von Amts wegen zu treffen sind. Dies trifft für die Kostenentscheidung zu. Über die Kosten ist nämlich – jedenfalls im Urteil (§ 193 Abs. 1 SGG) – von Amts wegen zu entscheiden und zwar unabhängig davon, ob ein entsprechender Antrag der Beteiligten vorliegt (vgl. BSG in SozR 4100 § 141 b Nr. 40).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorlag.
Rechtskraft
Aus
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