Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 85 KR 3245/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 56/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Erstattung von 4.776,98 EUR, die die Klägerin für das jeweils nach privatärztlicher Verordnung beschaffte Fertigarzneimittel Polyglobin 10% aufgewendet hat.
Die 1955 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie erkrankte 1981 an Multipler Sklerose (MS) und bezieht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Krankheit hat sich mittlerweile zu einer sekundär-chronischen MS mit Schüben entwickelt.
Seit August 1995 erhielt die Klägerin eine immunmodulatorische Therapie mit Interferon-Beta (Betaferon). Im Verlauf dieser Behandlung stellten sich erhebliche Nebenwirkungen ein, insbesondere entwickelte sich eine grippeähnliche Symptomatik, sowie eine Verstärkung der Spastik. Aus diesem Grunde wurde die Therapie mit Betaferon abgesetzt.
Über ihren behandelnden Arzt für Neurologie und Psychiatrie H B beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 13. Januar 2000 die Kostenübernahme für die Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (IvIg).
Am 26. Januar 2000 erhielt die Klägerin erstmals das IvIg-Präparat Polyglobin 10 %, und zwar als Sachleistung der Beklagten nach ausgestellten ärztlichen Verordnungen ihres behandelnden Arztes, der als Vertragsarzt zugelassen ist. Polyglobin 10 % ist nicht für die Behandlung von MS-Patienten arzneimittelrechtlich zugelassen. In Folge von Regressmitteilungen an den behandelnden Arzt B verordnete dieser Polyglobin 10 % jeweils am 24. August 2001,
11. September 2001, 1. November 2001, 10. Dezember 2001 und 2. Januar 2002 nur noch auf Privatrezept. Die Klägerin bezog das Arzneimittel über die Apotheke und musste hierfür jeweils 1.852,59 DM bzw. 988,12 EUR (insgesamt 4.776,98 EUR) aufwenden. Nach Einschaltung des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MdK), der seinerseits eine gutachtliche Äußerung des Chefarztes der neurologischen Abteilung des Krankenhauses Neukölln Prof. Dr. G einholte, und der von dort abgegebenen Stellungnahmen vom 14. Februar 2000 und 31. Juli 2000 lehnte die Beklagte eine Übernahme der Therapiekosten für die Therapie mit IvIG ab (Bescheid vom 21. März 2000, Widerspruchsbescheid vom 21. September 2000). IvIg sei für die Behandlung bei MS nicht zugelassen und eine Leistungspflicht der Krankenkasse scheide damit aus.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass ihr Therapiemöglichkeiten mit anderen für die Behandlung von MS zugelassenen Arzneimitteln nicht zur Verfügung gestanden hätten. Sie habe die Therapie mit Betaferon nicht mehr vertragen und das von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden benannte Arzneimittel Avonex scheide ebenso aus, weil Avonex nur für die schubförmig remittierende MS zugelassen sei. Das Mittel Copaxone habe gleichfalls in Deutschland noch keine Zulassung für die Behandlung von MS. Im Übrigen sei die Behandlung mit Betaferon nicht günstiger als die IvIg Therapie. Insgesamt habe mit der IvIg Therapie eine deutliche Befundbesserung erzielt werden können. Ihre Gangunsicherheit sei verschwunden; sie habe ihren Gehstock nicht mehr benötigt und größere Wegstrecken eigenständig zurücklegen können.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 4. September 2003 abgewiesen. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V komme nicht in Betracht, denn ein solcher Kostenerstattungsanspruch trete lediglich an die Stelle eines an sich gegebenen Sachleistungsanspruchs, den die Kasse infolge eines Versagens des Beschaffungssystems nicht erfüllt habe. Er könne deshalb nur bestehen, soweit die selbst beschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehöre, welche die gesetzlichen Krankenkassen als Sach- und Dienstleistung zu erbringen hätten. Das sei hier nicht der Fall, denn die Behandlung der sekundär-chronischen MS mit dem für dieses Anwendungsgebiet nicht zugelassenen Arzneimittel Polyglobin 10 % sei keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Auch die Voraussetzungen, die das Bundessozialgericht dafür aufgestellt habe, dass in bestimmten Ausnahmesituationen dennoch ein so genannter Off-Label-Use zu Lasten der Krankenversicherung zulässig sei, seien nicht erfüllt. Es lägen keine Forschungsergebnisse vor, die erwarten ließen, dass das Präparat Polyglobin 10 % zur Behandlung der sekundär-chronischen MS zugelassen werden könnte. Selbst der behandelnde Arzt der Klägerin habe in seinem Befundbericht vom 22. März 2002 mitgeteilt, dass eine als Zulassungsstudie geplante große Studie der Firma B Ende 2001 keinen therapeutischen Nutzen für Patienten mit primär oder sekundär -chronischer MS gezeigt habe. Auch in den Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Behandlung der MS, Stand April 2002, werde ausdrücklich betont, dass aufgrund einer negativ verlaufenen Studie von intravenösen Immunglobulinen bei sekundär progredienter MS diese Therapieoption für diese Verlaufsform der MS nicht empfohlen werden könne.
Hiergegen richtet sich die Berufung, mit der die Klägerin geltend macht, die bei ihr immer wieder auftretenden MS-bedingten Spastiken mit einer erheblichen Beeinträchtigung ihrer Gehfähigkeit hätten unter Anwendung des strittigen Mittels abgenommen und die Bewegungs- und Gehfähigkeit habe sich in auffallender Weise verbessert. Arzneimittelbedingte Nebenwirkungen seien nicht auffällig geworden. Unter diesen Umständen könne es nicht darauf ankommen, ob in anderen Fällen, bei anderen Patienten, ein therapeutischer Nutzen durch die Anwendung von Immunglobulinen nicht habe festgestellt werden können. Letztlich stelle sich die Gewährung der IvIg-Therapie nicht nur als zweckmäßig, sondern auch als wirtschaftlich dar, da die Kosten für das eingesetzte Arzneimittel sogar niedriger seien, als für die bei einer MS-Erkrankung zugelassenen Medikamente, die allerdings nicht hülfen.
Im Übrigen scheine sich in der Rechtsprechung ein Wandel abzuzeichnen dahingehend, dass die Behandlung mit Immunglobulinen bei der schubförmigen MS als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung angesehen werde (unter Bezugnahme auf das Urteil des Sozialgerichts Berlin - S 81 KR 323/99 -). Es solle gegebenenfalls ein aktuelles Gutachten eingeholt werden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. September 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. März 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Medikamentenkosten in Höhe von 4.776,98 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass das von der Klägerin zitierte Urteil des Sozialgerichts Berlin erst für das Jahr 2005 von einer ausreichenden Datenlage zum Nutzen der IvIg-Therapie ausgegangen sei. Deshalb sei die Beklagte in dem dort anhängigen Rechtsstreit auch lediglich dazu verurteilt worden, die Kosten für die zukünftige Behandlung zu übernehmen. Die Kosten für bereits in der Vergangenheit angefallene Behandlungen habe das Sozialgericht Berlin nicht als erstattungsfähig angesehen. Für den hiesigen Fall bedeute dies, dass für die bereits in der Zeit von August 2001 bis Januar 2002 durchgeführte Behandlung ebenfalls keine Kostenerstattung verlangt werden könne.
Die Verwaltungsakten der Beklagten betreffend die Klägerin lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht ausgeführt, dass eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V voraussetzt, dass die selbst beschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, welche die gesetzlichen Krankenkassen als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hätten. Dies ist bei dem Medikament Polyglobin 10 % im Falle der Klägerin nicht gegeben, weil dieses Medikament für die Behandlung der MS nicht zugelassen ist. Auch die Voraussetzungen, die das BSG dafür aufgestellt hat, dass in bestimmten Ausnahmesituationen auch im Falle eines so genannten Off-Label-Use die gesetzlichen Krankenkassen Leistungen zu erbringen haben, sind nicht gegeben. Die Feststellungen des Sozialgerichts dazu, dass aufgrund der Datenlage gerade nicht die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behand-lungserfolg (kurativ oder palliativ) zu erzielen ist, sind zutreffend und sie bleiben zutreffend.
Das von der Klägerin angeführte Urteil des Sozialgerichts Berlin (S 81 KR 323/99) vom 12. April 2005 behandelt nicht den bei der Klägerin vorliegenden Fall der sekundär-chronischen MS sondern den der schubförmig verlaufenden frühen MS. Für solche Fälle hat das Sozialgericht zutreffend darauf abgehoben, dass sich ein Wandel in der Datenlage abzeichnet. Nach einer Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts (Bundesamt für Sera und Impfstoffe) vom Stand Oktober 2005 wurden in jüngster Zeit neue Daten zur Wirksamkeit von IvIg bei schubförmiger MS veröffentlicht. Es entspräche daher der derzeitigen Lehrmeinung, ein immunmodulatorisches Medikament bereits früh nach der Diagnosestellung einzusetzen. Allerdings führt das Institut weiter aus, die Erteilung einer Zulassung eines bestimmten Produktes für die Indikation "schubförmige MS" setze voraus, dass eine kontrollierte und adäquat durchgeführte Phase III-Studie für das jeweilige Produkt durchgeführt werde. Das sei bisher nicht der Fall. Deshalb lägen aus Sicht des Instituts derzeit immer noch keine Voraus-setzungen zur Erteilung einer Zulassung für die Indikation schubförmiger MS vor.
Dies zugrunde gelegt, kann die Klägerin, die nicht an der schubförmigen frühen MS leidet, sondern an einer sekundär-progredienten-chronischen Form der MS die Erstattung von Kosten für eine IvIg Behandlung auch nach neuer Datenlage nicht beanspruchen.
Darüber hinaus ist hier zu berücksichtigen, dass selbst wenn man davon ausginge, dass die neueren Forschungsergebnisse auch für den Fall der Klägerin herangezogen werden könnten, dies der Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit nicht zum Erfolg verhelfen würde. Denn nach der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts kann das Verbot des § 135 Abs. 1 SGB V auch in Fällen eines Systemmangels nur überwunden werden, wenn zum Behandlungszeitpunkt ein ausreichender Wirksamkeitsnachweis vorlag, sodass eine positive Entscheidung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss veranlasst gewesen wäre. Ein zu einem späteren Zeitpunkt erbrachter Wirksamkeitsnachweis kann das Verbot auch erst zu diesem Zeitpunkt entfallen lassen (BSG E 86, 54,66, Orientierungssatz 4).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorlag.
Tatbestand:
Streitig ist die Erstattung von 4.776,98 EUR, die die Klägerin für das jeweils nach privatärztlicher Verordnung beschaffte Fertigarzneimittel Polyglobin 10% aufgewendet hat.
Die 1955 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie erkrankte 1981 an Multipler Sklerose (MS) und bezieht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Krankheit hat sich mittlerweile zu einer sekundär-chronischen MS mit Schüben entwickelt.
Seit August 1995 erhielt die Klägerin eine immunmodulatorische Therapie mit Interferon-Beta (Betaferon). Im Verlauf dieser Behandlung stellten sich erhebliche Nebenwirkungen ein, insbesondere entwickelte sich eine grippeähnliche Symptomatik, sowie eine Verstärkung der Spastik. Aus diesem Grunde wurde die Therapie mit Betaferon abgesetzt.
Über ihren behandelnden Arzt für Neurologie und Psychiatrie H B beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 13. Januar 2000 die Kostenübernahme für die Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (IvIg).
Am 26. Januar 2000 erhielt die Klägerin erstmals das IvIg-Präparat Polyglobin 10 %, und zwar als Sachleistung der Beklagten nach ausgestellten ärztlichen Verordnungen ihres behandelnden Arztes, der als Vertragsarzt zugelassen ist. Polyglobin 10 % ist nicht für die Behandlung von MS-Patienten arzneimittelrechtlich zugelassen. In Folge von Regressmitteilungen an den behandelnden Arzt B verordnete dieser Polyglobin 10 % jeweils am 24. August 2001,
11. September 2001, 1. November 2001, 10. Dezember 2001 und 2. Januar 2002 nur noch auf Privatrezept. Die Klägerin bezog das Arzneimittel über die Apotheke und musste hierfür jeweils 1.852,59 DM bzw. 988,12 EUR (insgesamt 4.776,98 EUR) aufwenden. Nach Einschaltung des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MdK), der seinerseits eine gutachtliche Äußerung des Chefarztes der neurologischen Abteilung des Krankenhauses Neukölln Prof. Dr. G einholte, und der von dort abgegebenen Stellungnahmen vom 14. Februar 2000 und 31. Juli 2000 lehnte die Beklagte eine Übernahme der Therapiekosten für die Therapie mit IvIG ab (Bescheid vom 21. März 2000, Widerspruchsbescheid vom 21. September 2000). IvIg sei für die Behandlung bei MS nicht zugelassen und eine Leistungspflicht der Krankenkasse scheide damit aus.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass ihr Therapiemöglichkeiten mit anderen für die Behandlung von MS zugelassenen Arzneimitteln nicht zur Verfügung gestanden hätten. Sie habe die Therapie mit Betaferon nicht mehr vertragen und das von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden benannte Arzneimittel Avonex scheide ebenso aus, weil Avonex nur für die schubförmig remittierende MS zugelassen sei. Das Mittel Copaxone habe gleichfalls in Deutschland noch keine Zulassung für die Behandlung von MS. Im Übrigen sei die Behandlung mit Betaferon nicht günstiger als die IvIg Therapie. Insgesamt habe mit der IvIg Therapie eine deutliche Befundbesserung erzielt werden können. Ihre Gangunsicherheit sei verschwunden; sie habe ihren Gehstock nicht mehr benötigt und größere Wegstrecken eigenständig zurücklegen können.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 4. September 2003 abgewiesen. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V komme nicht in Betracht, denn ein solcher Kostenerstattungsanspruch trete lediglich an die Stelle eines an sich gegebenen Sachleistungsanspruchs, den die Kasse infolge eines Versagens des Beschaffungssystems nicht erfüllt habe. Er könne deshalb nur bestehen, soweit die selbst beschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehöre, welche die gesetzlichen Krankenkassen als Sach- und Dienstleistung zu erbringen hätten. Das sei hier nicht der Fall, denn die Behandlung der sekundär-chronischen MS mit dem für dieses Anwendungsgebiet nicht zugelassenen Arzneimittel Polyglobin 10 % sei keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Auch die Voraussetzungen, die das Bundessozialgericht dafür aufgestellt habe, dass in bestimmten Ausnahmesituationen dennoch ein so genannter Off-Label-Use zu Lasten der Krankenversicherung zulässig sei, seien nicht erfüllt. Es lägen keine Forschungsergebnisse vor, die erwarten ließen, dass das Präparat Polyglobin 10 % zur Behandlung der sekundär-chronischen MS zugelassen werden könnte. Selbst der behandelnde Arzt der Klägerin habe in seinem Befundbericht vom 22. März 2002 mitgeteilt, dass eine als Zulassungsstudie geplante große Studie der Firma B Ende 2001 keinen therapeutischen Nutzen für Patienten mit primär oder sekundär -chronischer MS gezeigt habe. Auch in den Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Behandlung der MS, Stand April 2002, werde ausdrücklich betont, dass aufgrund einer negativ verlaufenen Studie von intravenösen Immunglobulinen bei sekundär progredienter MS diese Therapieoption für diese Verlaufsform der MS nicht empfohlen werden könne.
Hiergegen richtet sich die Berufung, mit der die Klägerin geltend macht, die bei ihr immer wieder auftretenden MS-bedingten Spastiken mit einer erheblichen Beeinträchtigung ihrer Gehfähigkeit hätten unter Anwendung des strittigen Mittels abgenommen und die Bewegungs- und Gehfähigkeit habe sich in auffallender Weise verbessert. Arzneimittelbedingte Nebenwirkungen seien nicht auffällig geworden. Unter diesen Umständen könne es nicht darauf ankommen, ob in anderen Fällen, bei anderen Patienten, ein therapeutischer Nutzen durch die Anwendung von Immunglobulinen nicht habe festgestellt werden können. Letztlich stelle sich die Gewährung der IvIg-Therapie nicht nur als zweckmäßig, sondern auch als wirtschaftlich dar, da die Kosten für das eingesetzte Arzneimittel sogar niedriger seien, als für die bei einer MS-Erkrankung zugelassenen Medikamente, die allerdings nicht hülfen.
Im Übrigen scheine sich in der Rechtsprechung ein Wandel abzuzeichnen dahingehend, dass die Behandlung mit Immunglobulinen bei der schubförmigen MS als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung angesehen werde (unter Bezugnahme auf das Urteil des Sozialgerichts Berlin - S 81 KR 323/99 -). Es solle gegebenenfalls ein aktuelles Gutachten eingeholt werden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. September 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. März 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Medikamentenkosten in Höhe von 4.776,98 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass das von der Klägerin zitierte Urteil des Sozialgerichts Berlin erst für das Jahr 2005 von einer ausreichenden Datenlage zum Nutzen der IvIg-Therapie ausgegangen sei. Deshalb sei die Beklagte in dem dort anhängigen Rechtsstreit auch lediglich dazu verurteilt worden, die Kosten für die zukünftige Behandlung zu übernehmen. Die Kosten für bereits in der Vergangenheit angefallene Behandlungen habe das Sozialgericht Berlin nicht als erstattungsfähig angesehen. Für den hiesigen Fall bedeute dies, dass für die bereits in der Zeit von August 2001 bis Januar 2002 durchgeführte Behandlung ebenfalls keine Kostenerstattung verlangt werden könne.
Die Verwaltungsakten der Beklagten betreffend die Klägerin lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht ausgeführt, dass eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V voraussetzt, dass die selbst beschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, welche die gesetzlichen Krankenkassen als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hätten. Dies ist bei dem Medikament Polyglobin 10 % im Falle der Klägerin nicht gegeben, weil dieses Medikament für die Behandlung der MS nicht zugelassen ist. Auch die Voraussetzungen, die das BSG dafür aufgestellt hat, dass in bestimmten Ausnahmesituationen auch im Falle eines so genannten Off-Label-Use die gesetzlichen Krankenkassen Leistungen zu erbringen haben, sind nicht gegeben. Die Feststellungen des Sozialgerichts dazu, dass aufgrund der Datenlage gerade nicht die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behand-lungserfolg (kurativ oder palliativ) zu erzielen ist, sind zutreffend und sie bleiben zutreffend.
Das von der Klägerin angeführte Urteil des Sozialgerichts Berlin (S 81 KR 323/99) vom 12. April 2005 behandelt nicht den bei der Klägerin vorliegenden Fall der sekundär-chronischen MS sondern den der schubförmig verlaufenden frühen MS. Für solche Fälle hat das Sozialgericht zutreffend darauf abgehoben, dass sich ein Wandel in der Datenlage abzeichnet. Nach einer Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts (Bundesamt für Sera und Impfstoffe) vom Stand Oktober 2005 wurden in jüngster Zeit neue Daten zur Wirksamkeit von IvIg bei schubförmiger MS veröffentlicht. Es entspräche daher der derzeitigen Lehrmeinung, ein immunmodulatorisches Medikament bereits früh nach der Diagnosestellung einzusetzen. Allerdings führt das Institut weiter aus, die Erteilung einer Zulassung eines bestimmten Produktes für die Indikation "schubförmige MS" setze voraus, dass eine kontrollierte und adäquat durchgeführte Phase III-Studie für das jeweilige Produkt durchgeführt werde. Das sei bisher nicht der Fall. Deshalb lägen aus Sicht des Instituts derzeit immer noch keine Voraus-setzungen zur Erteilung einer Zulassung für die Indikation schubförmiger MS vor.
Dies zugrunde gelegt, kann die Klägerin, die nicht an der schubförmigen frühen MS leidet, sondern an einer sekundär-progredienten-chronischen Form der MS die Erstattung von Kosten für eine IvIg Behandlung auch nach neuer Datenlage nicht beanspruchen.
Darüber hinaus ist hier zu berücksichtigen, dass selbst wenn man davon ausginge, dass die neueren Forschungsergebnisse auch für den Fall der Klägerin herangezogen werden könnten, dies der Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit nicht zum Erfolg verhelfen würde. Denn nach der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts kann das Verbot des § 135 Abs. 1 SGB V auch in Fällen eines Systemmangels nur überwunden werden, wenn zum Behandlungszeitpunkt ein ausreichender Wirksamkeitsnachweis vorlag, sodass eine positive Entscheidung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss veranlasst gewesen wäre. Ein zu einem späteren Zeitpunkt erbrachter Wirksamkeitsnachweis kann das Verbot auch erst zu diesem Zeitpunkt entfallen lassen (BSG E 86, 54,66, Orientierungssatz 4).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorlag.
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