L 12 AL 77/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 62 AL 6952/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 12 AL 77/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. November 2004 wird als unzulässig verworfen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. November 2004 wird abgelehnt. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Der Kläger begehrt die Gewährung höheren Arbeitslosengeldes.

Der 1949 geborene Kläger, der vom 1. Juni bis 30. September 2003 als Versuchstechniker beschäftigt war, meldete sich am 23. September (mit Wirkung zum 1. Oktober 2003) arbeitslos. Die Beklagte bewilligte ihm unter Berücksichtigung der Steuerklasse IV und eines Kindes mit Bescheid vom 2. Oktober 2003 Arbeitslosengeld ab dem 1. Oktober 2003 in Höhe von 250,67 EUR wöchentlich (Leistungsgruppe A, erhöhter Leistungssatz); dabei legte sie – ausgehend von einem in der Zeit vom 1. Oktober 2002 bis 30. September 2003 erzielten Arbeitsentgelt von insgesamt 34.560 EUR - ein (ungerundetes) Bemessungsentgelt in Höhe von 662,07 EUR (gerundet: 660 EUR) zugrunde.

Der Kläger legte am 29. Oktober 2003 Widerspruch ein. Seinem monatlichen Durchschnittsverdienst in Höhe von (34.560: 12 =) 2.880 EUR entspreche ein gerundetes wöchentliches Bemessungsentgelt von 665 EUR.

Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2003 zurück. Das vom Kläger in der Zeit vom 1. Oktober 2002 bis 30. September 2003 erzielte Bruttoarbeitsentgelt (34.560 EUR) sei durch die entsprechende Zahl der Wochen (52,2) zu teilen. Danach ergebe sich ein wöchentliches Bemessungsentgelt in Höhe von 662,07 EUR (gerundet: 660 EUR).

Zur Begründung seiner am 23. Dezember 2003 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, dass sein in 12 Monaten erzieltes Arbeitsentgelt durch 52 zu teilen sei, so dass sich ein Bemessungsentgelt in Höhe von 665 EUR ergebe. Darüber hinaus hätte die Beklagte den von ihr ermittelten Betrag (662,07 EUR) nach § 132 Abs. 3 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB III) "auf" den nächsten durch fünf teilbaren Euro-Betrag, also 665 EUR runden müssen.

Die Beklagte, die dem Kläger nach einer Änderung der Steuerklasse mit Wirkung zum 1. Januar 2004 (von I in II) ab dem 1. Januar 2004 Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe B in Höhe von 262,85 EUR (erhöhter Leistungssatz) gewährt hat, hat gemeint, dass der Kläger sein Arbeitsentgelt in 52,2 Wochen erzielt habe. Deshalb sei dieser Divisor anzuwenden.

Wegen des Bezugs von Krankengeld hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld mit Bescheid vom 18. Mai 2004 ab dem 13. Mai 2004 auf.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 24. November 2004 abgewiesen. Nach § 130 Abs. 1 SGB III umfasse der "Bemessungsrahmen" 52 Wochen. Der Entgeltabrechnungszeitraum werde aus den Entgeltabrechnungszeiträumen gebildet, die in den Bemessungsrahmen fielen. Nur volle Entgeltabrechnungszeiträume könnten zugrunde gelegt werden. Mithin umfasse dieser Rahmen die Zeit vom 1. Oktober 2002 bis 30. September 2003. In dieser Zeit habe der Kläger ein "Bemessungsentgelt" von 34.560 EUR erzielt. Bemessungsentgelt sei nach § 132 Abs. 1 SGB III das im Bemessungszeitraum durchschnittlich auf die Woche entfallende Entgelt. Der Divisor ergebe sich nach § 132 Abs. 2 SGB III aus der Zahl der Wochen, für die das Bemessungsentgelt erzielt worden sei. Der Kläger habe das Bemessungsentgelt von 34.560 EUR nicht in 52, sondern in 52,2 Wochen erzielt. Danach ergebe sich ein wöchentliches Bemessungsentgelt von 662,07 EUR. Dieses sei nach § 132 Abs. 3 SGB III auf 660 EUR zu runden. Mit dem Begriff des "Rundens auf den nächsten" maßgebenden Betrag sei nicht nur Aufrunden, sondern die Möglichkeit des Auf- und Abrundens in Anwendung der üblichen Kriterien gemeint, wie das Bundessozialgericht bereits zu § 112 Abs. 9 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) entschieden habe (Hinweis auf Urteil vom 1. April 1993 – 7 RAr 68/92 –). Zum Schluss der Entscheidungsgründe des Sozialgerichts heißt es: "Da die Anspruchsdauer 600 Tage umfasst, ist die Berufung gegen dieses Urteil nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulässig. Die Berufung betrifft eine laufende Leistung für mehr als ein Jahr."

Dem Urteil ist die Belehrung beigegeben, dass es mit der Berufung angefochten werden könne.

Am 22. Dezember 2004 meldete sich der Kläger erneut (mit Wirkung zum 24. Dezember 2004) arbeitslos. Ab dem 6. Januar 2005 war er erneut arbeitsunfähig krank. Die Beklagte bewilligte ihm erneut Arbeitslosengeld ab dem 24. Dezember 2004 (Bescheid vom 28. Januar 2005) und gewährte ihm diese Leistung bis zum 16. Februar 2005. Mit Bescheid vom 17. Februar 2005 hob sie die Bewilligung ab diesem Tag auf.

Der Kläger hat am 28. Februar 2005 Berufung gegen das ihm am 8. Februar 2005 zugestellte Urteil eingelegt. Er meint weiterhin, dass das von ihm in der Zeit vom 1. Oktober 2002 bis 30. September 2003 erzielte Arbeitsentgelt durch 52 zu teilen sei. Die Anwendung eines größeren Divisors als 52 sei mit Blick auf § 130 Abs. 1 SGB III ausgeschlossen. Im Übrigen sei die Berufung – entgegen der Auffassung der Beklagten – zulässig. Das Sozialgericht habe die Berufung zugelassen. Zudem sei die Anspruchsdauer länger als ein Jahr. Er habe ein Stammrecht auf Arbeitslosengeld für eine Dauer von 600 Kalendertagen erworben. Dieses Stammrecht erlösche nicht dadurch, dass die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes unterbrochen werde. Mit dem Ende des Ruhenszeitraumes lebe das Stammrecht wieder auf. Hilfsweise beantrage er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. November 2004 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2003 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Oktober 2003 Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines wöchentlichen Bemessungsentgelts von 665 EUR zu zahlen,

- hilfsweise –

ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zu verwerfen, hilfsweise, sie zurückzuweisen.

Sie hält die Berufung für unstatthaft. Sie betreffe nicht laufende oder wiederkehrende Leistungen von mehr als einem Jahr, sondern nur den Zeitraum vom 1. Oktober 2003 bis 12. Mai 2004 (225 Tage). Ab dem 13. Mai 2004 habe der Kläger Krankengeld bezogen. Die erneute Arbeitslosengeldbewilligung ab dem 24. Dezember 2004 sei nicht Gegenstand des Rechtsstreits; der Bewilligungsbescheid vom 28. Januar 2005 sei auch nicht angefochten worden. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteige auch nicht 500 EUR. Auf der Grundlage des vom Kläger für richtig gehaltenen Bemessungsentgeltes ergebe sich ein Unterschiedsbetrag für die Zeit vom 1. Oktober 2003 bis 12. Mai 2004 von insgesamt 41,32 EUR. Auch habe das Sozialgericht die Berufung nicht zugelassen. Zur Zulässigkeit der Berufung führe ebenso wenig die – unrichtige – Rechtsmittelbelehrung im Urteil des Sozialgerichts, das im Übrigen in der Sache richtig sei.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Leistungsakte, die Gegenstand der Beratung gewesen ist, verwiesen.

-

Die Berufung des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht statthaft ist (§ 158 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]). Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, diese Entscheidung durch Beschluss zu treffen (158 Satz 2 SGG), da er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält; die Beteiligten haben die Möglichkeit genutzt, ihre Auffassungen schriftlich ausführlich darzulegen.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht nicht statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500 EUR nicht übersteigt (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) oder wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für nicht mehr als ein Jahr betrifft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), es sei denn, die Berufung sei im Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts zugelassen (§§ 144 Abs. 1 Satz 1 1.Hs. SGG). Danach ist hier die Berufung nicht gegeben.

Entgegen der Auffassung des Klägers betrifft seine Berufung keine "wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr". Gegenstand des Rechtsstreits ist ausschließlich die in dem Bescheid vom 2. Oktober 2003 geregelte (und in späteren Änderungsbescheiden geänderte) Höhe der – gleichfalls in dem Bescheid vom 2. Oktober 2003 – ab dem 1. Oktober 2003 bewilligten und durch den Aufhebungsbescheid vom 18. Mai 2005 ab dem 13. Mai 2004 aufgehobenen Leistung, die somit nicht "für mehr als ein Jahr" bewilligt und gewährt wurde. Unerheblich ist, dass dem Sozialgericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung dieser Umstand – auf den es die Beteiligten auch nicht hingewiesen haben – nicht bekannt war.

Die Berufung würde selbst dann keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr betreffen, wenn die nach Verkündung des Urteils des Sozialgerichts, aber vor Einlegung der Berufung verfügte (erneute) Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit ab dem 24. Dezember 2004 ungeachtet dessen, dass sie die ursprüngliche Festsetzung der Höhe des Arbeitslosengeldes weder ändert noch ersetzt, in entsprechender Anwendung des § 96 SGG Gegenstand des Rechtsstreits geworden sein sollte (wofür der Termin-Bericht Nr. 61/05 des Bundessozialgerichts vom 18. November 2005 zu dessen Urteil vom 17. November 2005 – B 11 a/11 AL 57/04 R – sprechen könnte). Denn diese Bewilligung ist am und ab dem 17. Februar 2005 – vor Einlegung der Berufung – wieder aufgehoben worden. Gegenstand des Rechtsstreits wäre somit allenfalls die Höhe des Arbeitslosegeldes für weitere 45 Tage geworden, so dass die Berufung in dem für die Beurteilung ihrer Statthaftigkeit maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Einlegung allenfalls die Höhe der Leistung für insgesamt 270 Tage betroffen hätte.

Die in dem Bescheid vom 2. Oktober 2003 gleichfalls geregelte Anspruchsdauer (600 Tage) ist hier nicht im Streit. Diesen Verwaltungsakt, der die Anspruchsdauer festsetzt, hat der Kläger zu keiner Zeit angefochten (sondern lediglich die Regelung über die Höhe des Arbeitslosengeldes). Das der Ermittlung der Höhe des Arbeitslosengeldes zugrunde gelegte Bemessungsentgelt ist in diesem Bescheid nicht geregelt, sondern lediglich ein Bestandteil der Begründung (BSG, Urteil vom 29. Juni 2000 – B 11 AL 89/99 R –, SozR 3-4100 § 136 Nr. 12). Ebenso wenig wird durch die (erstmalige) Bewilligung von Arbeitslosengeld – konstitutiv – ein "Stammrecht" zuerkannt (BSG, a.a.O.), über das die Beteiligten hier streiten würden.

Danach übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes auch nicht 500 EUR. Für die Zeit vom 1. Oktober 2003 bis 12. Mai 2004 ergibt sich – wie die Beklagte in ihrer Berufungserwiderung vom 5. September 2005 zutreffend errechnet hat – ein Unterschiedsbetrag zwischen der vom Kläger begehrten und der ihm bewilligten und gewährten Leistung von nur 41,32 EUR. Auch wenn darüber hinaus die Höhe des Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 24. Dezember 2004 bis 16. Februar 2005 Gegenstand des Rechtsstreits geworden und bei der Ermittlung des Werts des Beschwerdegegenstandes zu berücksichtigen sein sollte, würde dieser 500 EUR nicht erreichen.

Schließlich hat das Sozialgericht entgegen der Annahme des Klägers die Berufung auch nicht zugelassen. Eine solche Entscheidung ist – auch ausweislich der Sitzungsniederschrift – weder verkündet noch in dem schriftlich abgefassten Urteil ausgesprochen worden – was der Kläger auch einräumt. Eine Zulassung der Berufung ist insbesondere nicht dem letzten Absatz der Entscheidungsgründe in dem Urteil des Sozialgerichts zu entnehmen. Daraus ergibt sich vielmehr bzw. lediglich, dass das Sozialgericht – irrtümlich – meinte, einer Zulassung der Berufung bedürfe es nicht, da diese ohnehin statthaft sei, weil sie eine laufende Leistung für mehr als ein Jahr betreffe. Eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung hat das Sozialgericht damit gerade nicht getroffen, weil es eine solche Entscheidung nicht als notwendig ansah. Dieser Irrtum des Sozialgerichts führt aber ebenso wenig zur Zulassung und Zulässigkeit der Berufung wie die von ihm folgerichtig fehlerhaft erteilte Rechtsmittelbelehrung.

Der Antrag des Klägers, ihm (hilfsweise) wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung Wiedereinsetzung zu gewähren, ist abzulehnen. Abgesehen davon, dass der Kläger die versäumte Rechtshandlung (Einlegung der Beschwerde) bislang nicht nachgeholt hat (§ 67 Abs. 2 Satz 3 SGG), fehlt dem Antrag auf Wiedereinsetzung das Rechtsschutzbedürfnis. Da dem Kläger vom Sozialgericht eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung erteilt worden ist, ist die Einlegung des zutreffenden Rechtsbehelfs noch innerhalb eines Jahres seit Zustellung zulässig (§ 66 Abs. 2 SGG). Diese Frist ist nach der Zustellung des vollständig abgefassten Urteils an den Kläger am 8. Februar 2005 noch nicht abgelaufen, worauf ihn bereits die Beklagte hingewiesen hat (Schriftsatz vom 11. November 2005).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt. Insbesondere weicht die vorliegende Entscheidung nicht von einem Urteil des Bundessozialgerichts ab. Dass das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 17. November 2005 (B 11a/ 11 AL 57/04 R) den Rechtssatz aufgestellt hätte oder hätte aufstellen wollen, der für die Statthaftigkeit der Berufung maßgebliche Beschwerdewert könne sich unter Berücksichtigung eines Verwaltungsaktes ergeben, der eine erst nach Einlegung der Berufung entstehende Beschwer betrifft und in entsprechender Anwendung des § 96 i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens wird, ist dem Termin-Bericht Nr. 61/05 vom 18. November 2005 nicht zu entnehmen und auch nicht anzunehmen.
Rechtskraft
Aus
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