L 6 LW 1/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 2 LW 25/02
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 LW 1/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein rechtskräftiges Grundurteil über einen Anspruch schließt regelmäßig den Einwand des Ruhens dieses Anspruchs aus. Dies gilt auch dann, wenn in jenem Urteil die Frage des Ruhens nicht behandelt wurde.
2. Gegen ein rechtskräftiges Grundurteil über einen Anspruch ist aber die Einrede der Erfüllung dieses Anspruchs zulässig, die dann gegeben ist, wenn bereits ein anderer Leistungsträger nach der Systematik der §§ 104 ff SGB X die ausgeurteilte Leistung erbracht hatte.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 23. August 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungs-verfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch auf Ausgleichsgeld nach dem Gesetz über die Förderung der Ein-stellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit (FELEG) für den Zeitraum vom 01.10.1996 bis 31.10.1997.

Die Klägerin ist die Alleinerbin des am ...1941 geborenen und am ...2002 gestorbe-nen G ... Z ... Dieser hatte am 09.09.1996 bei der Beklagten Ausgleichsgeld beantragt, was die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 24.11.1997 und Widerspruchsbescheid vom 12.03.1998 abge-lehnt hatte. Eine am 14.04.1998 zum Sozialgericht Leipzig erhobene Klage (Az.: S 2 LW 36/98) führte jedoch dazu, dass die Beklagte mit Urteil vom 17.12.1999 verurteilt wurde, an den Kläger Ausgleichsgeld - so wörtlich - "am 01.10.1996" zu zahlen. Die entgegenstehenden Bescheide wurden aufgehoben. Aus den Urteilsgründen ergab sich jedoch, dass die Beklagte verurteilt wurde, dem Kläger ab dem 01.10.1996 Ausgleichsgeld zu bewilligen. Berufung wurde gegen das Urteil nicht eingelegt. Bereits am 21.01.1997 hatte sich Herr G ... Z ... beim Arbeitsamt Oschatz arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt. Tatsächlich gezahlt wurde Arbeitslosengeld vom 01.10.1996 bis 31.10.1997.Das Urteil vom 17.12.1999 führte die Beklagte erst mit Bescheid vom 10.10.2000 aus. Für die Zeit ab 01.11.1997 bis laufend (also Oktober 2000) wurden Auszahlungsbeträge vom 29,03 DM bis 30,57 DM monatlich festgesetzt. Dieser Zeitraum ist nicht streitig. Für die Zeit vom 01.10.1996 bis 31.10.1997 wurde allerdings verfügt, dass sich ein Zahlbe-trag nicht ergebe, weil das Ausgleichsgeld in voller Höhe ruhe. Als Grund für das Ruhen wurde der - mittlerweile vom Beklagten festgestellte - Bezug von Arbeitslosengeld angege-ben. Der Widerspruch wurde damit begründet, dass die Beklagte durch Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 17.12.1999 zur Zahlung ab dem 01.10.1996 verpflichtet sei. Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 15.11.2000 zurückgewiesen. Gemäß § 12 Abs. 1 FELEG ruhe der Anspruch auf Ausgleichsgeld während der Zeit, in der der Leistungsberech-tigte eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III beziehe. Das Urteil des Sozialgerichts Leipzig sei sehr wohl beachtet worden, denn es sei auch Ausgleichsgeld ab dem 01.10.1996 bewilligt worden. Eine andere Frage sei, ob der Anspruch ruhe. Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Leipzig mit Urteil vom 23.08.2002 den Bescheid vom 10.10.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2002 dahingehend abgeändert, dass Herrn G ... Z ... für die Zeit vom 01.10.1996 bis 31.10.1997 unter Anrechnung des bezogenen Arbeitslosengeldes Ausgleichsgeld zu gewäh-ren sei. Das Sozialgericht hat seine Auffassung damit begründet, dass die Antragstellung beim Arbeitsamt Oschatz von Herrn G ... Z ... am 21.01.1997 den Umständen nach unvernünftig gewesen sei. Betreuungsbedürftigkeit für Herrn G ... Z ... habe zumindest ab dem 11.12.1997 gemäß dem vom Amtsgericht Torgau ausgestellten Betreuerausweis be-standen. Zur Überzeugung des Gerichts sei der Kläger auch davor und insbesondere bei sei-ner Antragstellung gegenüber dem Arbeitsamt nicht mehr geschäftsfähig gewesen, er habe daher nicht mehr rechtswirksam einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld stellen können und müsse deshalb so gestellt werden, als wenn er gar nicht beim Arbeitsamt Oschatz vorgesprochen hätte. Ihm sei deshalb das Ausgleichsgeld "-selbstverständlich unter Anrech-nung des bezogenen Arbeitslosengeldes-" für den Zeitraum vom 01.10.1996 bis 31.10.1997 nachzuzahlen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit welcher vorgebracht wird, es sei nicht erwiesen, dass zum Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Arbeitslosengeld am 21.01.1997 Geschäftsunfähigkeit und damit sozialrechtliche Handlungsunfähigkeit vorgelegen habe. Al-lein das Kriterium des "vernünftigen Handelns" könne dafür nicht herangezogen werden. Immerhin habe Herr G ... Z ... Arbeitslosengeld beantragt, weil er in akuter Geldnot gewesen sei. Unvernünftig sei eine Handlung nicht schon deswegen, weil sie später eine ne-gative Rechtsfolge nach sich ziehe. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 23.08.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 23.08.2002 zurückzuweisen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die beigezoge-ne Gerichtsakte des Sozialgerichts Leipzig (Az.: S 2 LW 36/98) und die beigezogene Beklag-tenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts vom 23. August 2002 ist zu bestätigen. Zwar teilt der Senat die Bedenken der Beklagten hinsichtlich der Begründung jenes Urteils: Auch nach Auffassung des Senats ist die Geschäftsunfähigkeit des Herrn G ... Z ... zum Zeitpunkt der ALG-Antragstellung nicht erwiesen; gleichwohl durfte eine Berück-sichtigung des ALG-Bezuges in dem angefochtenen Ausführungsbescheid nicht erfolgen, da dieser Tatbestand bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils vom 17.12.1999 gege-ben war. Das Urteil vom 17.12.1999 ist rechtskräftig geworden, die Beklagte ist dadurch mit Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit dieses Urteils präkludiert. Der Senat ist weiterhin der Auffassung, dass mangels einer Rechtsgrundlage hierfür in dem Urteil vom 23.08.2002 nicht eine "Anrechnung des bezogenen Arbeitslosengeldes" hätte verfügt werden dürfen; mangels einer (Anschluss-)Berufung der Klägerin und mangels einer diesbezüglichen Beschwer der Beklagten war das angefochtene Urteil allerdings auch insoweit zu bestätigen.

Die Beklagte wurde durch rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts Leipzig zur Zahlung von Ausgleichsgeld ab dem 01.10.1996 verurteilt. Die Tenorierung "am 01.10.1996" ist insoweit ein offenkundlicher Schreibfehler, da sich aus Antragstellung, Urteilsgründen und dem Gesamtzusammenhang ergibt, dass gemeint war: ab dem 01.10.1996. Dies wird auch von der Beklagten nicht bestritten. Bei dem rechtskräftigen Urteil vom 17.12.1999 handelt es sich um ein Grundurteil nach § 130 SGG. Ein rechtskräftiges Grundurteil schließt regelmäßig den Einwand des Ruhens aus (vgl. BSG, Urteil vom 20.04.1999 – B 1 KR 15/98 RSozR 3-1500 § 141 Nr. 3). Die Beklagte kann daher nicht mit Erfolg einwenden, sie habe sich mit dem angefochtenen Ausführungsbescheid nicht in Widerspruch zu dem Urteil vom 17.12.1999 gesetzt, schließ-lich gehe der Anspruch ja durch das bloße Feststellen des Ruhens als solcher nicht verloren (so aber die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 15.11.2000). Im Grundurteil wurde ein Zahlungsanspruch ab dem 01.10.1996 festgestellt. Bei verständiger Auslegung des Tenors ist also nicht etwa nur ein abstrakter "theoretischer" Anspruch festgestellt wor-den, auch ist ein Grundurteil nicht ein Feststellungsurteil über ein "Stammrecht", vielmehr ergeht ein Grundurteil auf eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 – wie in diesem Fall -) oder auf eine echte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG); die Verurtei-lung "dem Grunde nach" bezieht sich also schon auf den Leistungsanspruch, d. h. auf den Zahlungsanspruch. An und für sich würde hieraus folgen, dass der Anspruch auf einen Mindestgeldbetrag fest-stehen muss (vgl. Meyer-Ladewig, 7. Auflage § 130 Rd.-Nr. 2a m.w.N.). Das BSG hat es allerdings schon seit jeher genügen lassen, wenn das Gericht das Gegebensein eines Geld-anspruchs in Mindesthöhe nicht als voll nachgewiesen, sondern nur "als wahrscheinlich ansieht", "da sonst der Zweck eines Grundurteils, die Ermittlungen über die Höhe des An-spruchs einem späteren Verfahren vorzubehalten, vereitelt würde" (BSG, Urteil vom 01.12.1960 – 5 RKN 65/59 -; BSGE 13, 178, 181 = SozR Nr. 3 zu § 130 SGG; BSG, SozR Nr. 4 zu § 130 SGG; BSG, Urteil vom 27.11.1986 – 2 RU 20/86). Lässt man die "Wahrscheinlichkeit" genügen, so ergibt sich hiermit zwangsläufig, dass, wenn der "unwahrscheinliche" Fall eines tatsächlich nicht gegebenen Zahlungsanspruches eintritt, der Verwaltung auch erlaubt sein muss, im Ausführungsbescheid dies festzustellen. Mit Urteil vom 08.08.1990 (11 RAR 97/88 – SGB 1991, 323) hat das BSG dies für den Fall auch zugelassen, dass deswegen kein auszuzahlender Betrag verbleibt, weil bereits ein anderer Leistungsträger nach der Systematik der §§ 104 ff. SGB X die streitige Leistung erbracht hatte. Es leuchtet ein, dass der Einwand, der Kläger habe die ausgeurteilte Leis-tung bereits erhalten, sich nicht in Widerspruch zu einem Grundurteil setzt. Widersprüchlich ist es auch nicht, wenn die Verwaltung in dem Ausführungsbescheid die Leistung kürzt (vgl. BSG, Urteil vom 24.08.1992 – 9 A/9 RV 36/81 – VersorgB 1983, 11), wie es ja auch vorliegend durch die Berücksichtigung der Rentenzahlungen für die unstrei-tigen Zeiträume geschehen ist. Nicht zulässig ist es jedoch, ein Grundurteil durch die Er-hebung der Verjährungseinrede (BSG, Urteil vom 30.04.1982 – 11 RA 29/81 -, BSGE 53, 253) oder durch den Einwand, der Anspruch ruhe, zu unterlaufen. Ebenso wenig, wie der Anspruchsteller in dem Klageverfahren gegen den Ausführungsbescheid mit dem Vorbrin-gen gehört werden kann, der Ausführungsbescheid sei materiell unrichtig, da auch das aus-zuführende Urteil materiell unrichtig sei und er in Wirklichkeit weitergehende Ansprüche habe (vgl. hierzu Urteil des LSG NRW vom 23.03.1973 – 14 AN 6/73 – SGb 1974, 117 m. Anm. Thieme), ist die reziproke Möglichkeit dem Versicherungsträger gegeben: Der Hin-weis, das Urteil sei materiell unrichtig (der im vorliegenden Fall durchaus begründet er-scheinen kann), kommt im Ausführungsbescheid regelmäßig zu spät. Solche Einwände wären im Rechtsmittelverfahren geltend zu machen gewesen.

Unschädlich ist es, dass in dem Urteil vom 17.12.1999 die Frage des Ruhens nicht abge-handelt wurde. Richtig ist, dass das Sozialgericht verpflichtet war, alle Voraussetzungen des streitigen Anspruchs zu prüfen, und hierzu gehört auch die Frage des eventuellen Ru-hens (vgl. BSG SozR 3-1500 § 141 Nr. 8 Seite 12). Gleichwohl gelten diese Vorausset-zungen als geprüft, denn der Umfang der Rechtskraft kann nicht von der Ausführlichkeit der Entscheidungsgründe abhängen. Nur wenn das SG zu erkennen gegeben hätte, dass es die Frage des Ruhens ausdrücklich ausklammert und der Prüfung durch die Verwaltung überlassen will (in diesem Fall hätte kein Grundurteil ergehen dürfen [vgl. BSG a.a.O Seite 13]), wäre die Rechtskraftwirkung, auf welcher die Verpflichtung der Beklagten beruht, Leistungen auch ab dem 01.10.1996 zu bewilligen, zerstört. Der bloße Einwand, dass ein Gericht einen rechtlichen Gesichtspunkt möglicherweise übersehen hat, beseitigt die Rechtskraftwirkung regelmäßig nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved