Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 47 KR 544/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 6/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. November 2004 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte Kosten zu erstatten hat, die dadurch entstanden sind, dass die Klägerin auch linksseitig mit einem Cochlear-Implantat versorgt wurde.
Die 1953 geborene Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Sie ist Kindererzieherin. Sie leidet an beidseitiger Ertaubung unklarer Genese. Wegen der Probleme bezüglich der verminderten Höhrfähigkeit kündigte ihr Arbeitgeber, der P ... Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben.
Am 25.01.2001 wurde die Klägerin im Klinikum der Universität M. , Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkranke G. mit einem Cochlear-Implantat rechtsseitig versorgt. Am 18.12.2001 wurde eine bilaterale Versorgung verordnet mit der Begründung, durch eine zusätzliche Versorgung auch des linken Ohres sei eine deutliche Steigerung der Kommunikationsfähigkeit der Patientin in Alltagssituationen sowie aufgrund der binauralen Interaktion zwischen den beiden Implantatsystemen eine Verbesserung des Richtungsgehörs zu erwarten. Die Beklagte hörte hierzu den MDK (HNO-Arzt Dr.D.) nach Aktenlage an, der unter Hinweis auf den "maßlos überhöhten" Preis der Auffassung war, eine beidseitige Versorgung komme, wenn überhaupt, nur bei Sonderfällen in Frage. Im konkreten Fall könne einer Versorgung nicht zugestimmt werden.
Die Beklagte hat daraufhin mit Bescheid vom 28.02.2002 die beidseitige Versorgung unter Hinweis auf die fehlende Wirtschaftlichkeit abgelehnt. Dagegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 05.03.2002 Widerspruch eingelegt, der mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2002 zurückgewiesen wurde, die Stellungnahme des MDK sei schlüssig, eine Kostenübernahme stände nicht in Übereinstimmung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Auf eine mögliche Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers wurde hingewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtete sich die am 11.07.2002 zum Sozialgericht München erhobene Klage.
Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Direktors der Hals-Nasen-Ohren Poliklinik der Technischen Universität M. , Prof.Dr.A. , eingeholt. Der Gutachter hat die Klägerin am 21.05. und 03.06.2003 untersucht und eine beidseitige Taubheit diagnostiziert, die langsam im Laufe des Lebens der Klägerin aus einer beidseitigen Schwerhörigkeit heraus entstanden ist. Durch das im Jahr 2001 auf der rechten Seite im Klinikum G. eingesetzte Cochlear-Implantat sei die Klägerin in der Lage, bei direkter Ansprache und ohne Störgeräusche Sprache gut zu verstehen. Zur Klärung der Hauptfrage, ob ein Mensch, der nach einseitiger Versorgung mit einem Cochlear-Implantat unter bestimmten Bedingungen ausreichende Sprachverständlichkeit erzielt hat, ein Anrecht auf eine Versorgung auch des zweiten Ohres habe, sei einzugehen auf die biologische Aufgabe des beidohrigen Höhrens. Auch beim Gesunden werde durch beidohriges Hören die Sprachverständlichkeit um etwa 5 db verbessert. Überaus wichtig sei das Richtungshören. Beidohriges Hören ermögliche auch die sogenannte Diskrimination von Sprache. Nur bei ausreichend funktionierendem beidohrigen Höhren sei es möglich, Sprachsignale aus einem Störgeräusch herauszuhören. Bei Fehlen beidohrigen Hörens komme es zu erheblichen Verständigungsschwierigkeiten, wenn Umgebungsgeräusche vorliegen, wie dies im täglichen Leben fast immer der Fall sei. Es habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, beidohriges Hören entspreche dem physiologischen Zustand, was schließlich dazu geführt habe, dass von Krankenkassen die Kosten für eine beidohrige Hörgeräteversorgung übernommen werden. Die nach den Hilfsmittelrichtlinien erforderlichen Voraussetzungen für beidohrige Versorgung (Fähigkeit des Patienten zur sachgerechten Bedienung von zwei Hörgeräten und Verbesserung des Sprachverstehens um mindestens 10 Prozentpunkte oder Verbesserung des Richtungshörens) lägen bei der Klägerin in vollem Umfang vor. Eine beidohrige Versorgung mit einem Cochlear-Implantat führe zu einem deutlichen Gewinn des Sprachverständnisses. Die Versorgung mit einem zweiten Implantat sei nicht lediglich zur Teilnahme im Arbeitsleben erforderlich, sondern darüber hinaus für das alltägliche Leben.
Die Beklagte blieb bei ihrer Auffassung, zuständig sei der Rentenversicherungsträger. Sie holte eine erneute Stellungnahme des MDK (Dr.D.) ein, eine Stellungnahme einer Arbeitsgruppe der Schweizerischen Sozialversicherungen zur bilateralen Cochlear-Implantatversorgung wurde vorgelegt. Der MDK ergänzte sein Gutachten am 07.01.2004 und 15.09.2004.
Nach Angaben ihres Bevollmächtigten hat die Klägerin nach Kreditaufnahme auch die Versorgung des zweiten Ohres in G. vornehmen lassen. Es wurden ihr am 09.11.2004 hierfür insgesamt 22.375,68 EUR in Rechnung gestellt.
Der Klägerbevollmächtigte und die Klägerin haben auch bei der Beigeladenen die Versorgung des zweiten Ohres beantragt. Die Beigeladene hat ihre Leistungspflicht abgelehnt (Bescheid vom 10.07.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.03.2003). Der hiergegen unter dem Az.: S 17 RA 384/03 geführte Rechtsstreit vor dem Sozialgericht München ruht.
Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 23.11.2004 verurteilt, der Klägerin die geltend gemachten Kosten zu erstatten sowie die aus dieser Versorgung anfallenden und noch nicht abgerechneten Kosten zu übernehmen. Der Kostenerstattungsanspruch ergebe sich aus § 13 Abs.3 SGB V. Die Ablehnung der Versorgung auch des linken Ohres der Klägerin durch die Beklagte sei zu Unrecht erfolgt. Nach dem HNO-ärztlichen Gutachten des Prof.Dr.H. sei die Versorgung erforderlich. Der Anspruch könne auch aus einer analogen Anwendung der Hilfsmittelrichtlinien zur beidseitigen Versorgung mit einem Hörgerät abgeleitet werden. Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen hierfür. Die Versorgung sei verordnet worden und in einer anerkannten Universitätsklinik durchgeführt worden. Auch der MDK-Gutachter bestreite nicht, dass die bilaterale Versorgung bei allen Patienten von Vorteil sein könne. Der Hinweis des MDK auf die beruflichen Gründe gehe fehl. Eine sonstige Versorgung sei medizinisch nicht geeignet bzw. ausreichend, so dass auch von einer Wirtschaftlichkeit der beidseitigen CI-Versorgung auszugehen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die nach Einholung eines weiteren Gutachtens des MDK vom 14.03.2005 damit begründet wird, die Versorgung mit einer zweiten Cochlear-Implantation werde zur Teilnahme am Arbeitsleben als Erzieherin begehrt. Hierfür sei die Beklagte unzweifelhaft nicht zuständig. Es sei dann nicht konsequent, dass die Beklagte zuständiger Leistungsträger sein solle. Eine Leistungspflicht der Krankenversicherung komme nur dann in Betracht, wenn es um die Ermöglichung menschlicher Grundbedürfnisse gehe. Eine Verbesserung des Behinderungsausgleichs auf beruflicher oder gesellschaftlicher Ebene sowie im Freizeitbereich reichen dazu nicht aus. Das Grundbedürfnis sei bereits mittels eines Cochlear-Implantats befriedigt. Das Sozialgericht verkenne die systematische Gliederung der Rangfolge zwischen den einzelnen Leistungsträgern. Die fehlerhafte Einschätzung des Sozialgerichts werde um so deutlicher, wenn man sich vergegenwärtige, dass das Sozialgericht darauf hingewiesen habe, nur durch eine beidseitige Cochlear-Implantatversorgung sei die stereophone Hörfähigkeit, auf welche die Klägerin als Kindergärtnerin angewiesen sei, gewährleistet. Damit bestätige das Sozialgericht die Zuständigkeit der Beigeladenen. Außerdem würde die beidseitige Versorgung dem Gutachter zufolge zu einem besseren Sprachverständnis von nur 5 db führen. Ein deutlicher Gebrauchsvorteil, wie er für einen Anspruch auf eine weitere Cochlearversorgung erforderlich wäre (BSG-Urteil vom 16.09.2004, B 3 KR 20/04 R), liege damit nicht vor.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 23.11.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Die Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Ihre Zuständigkeit sei nicht gegeben, weil das Cochlear-Implantat unmittelbar an der Behinderung ansetze.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten und des Sozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die wegen der Höhe des Beschwerdewertes nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig, sie erweist sich aber als unbegründet.
Die Klägerin hat sich die ursprünglich als Sachleistung beantragte Versorgung mit einem zweiten Cochlear-Implantat im Laufe des Gerichtsverfahrens selbst besorgt, der ursprüngliche Leistungsanspruch wandelt sich damit, ohne dass es einer Klageänderung bedarf, in einen Sachleistungsanspruch. Anspruchsgrundlage ist § 13 Abs.3 SGB V. Danach hat die Krankenkasse Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung notwendig war und sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Die Beklagte hat die Sachleistung zu Unrecht abgelehnt. Die Klägerin hat gemäß § 33 Abs.1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit das Hilfsmittel nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen ist.
Dass es sich bei dem Cochlear-Implantat um ein Hilfsmittel gemäß § 33 SGB V handelt, ist unbestritten. Die Beklagte hat die Versorgung eines Ohres auch übernommen. Ein Cochlear-Implantat ist kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden sind oder von diesem Personenkreis ausschließlich oder ganz überwiegend benutzt werden, sind grundsätzlich nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen (BSG, Urteil vom 03.11.1999, SozR 3-2500 § 33 Nr.34 m.w.N.). Das Bundesozialgericht führt in diesem Urteil, das die Versorgung eines schwerhörigen Erwachsenen mit einer Mikroportanlage zusätzlich zu einem Cochlear-Implantat betrifft, weiter aus, dass beim dortigen Kläger die grundlegende Verbesserung des Hörvermögens bereits durch das Cochlear-Implantat erreicht worden ist. Eine zusätzliche Verbesserung für bestimmte Lebensbereiche habe nur dann eine Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Folge, wenn es sich um Lebensbereiche handelt, die zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen. Entgegen der Auffassung der Beklagten und in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Beigeladenen geht der Senat davon aus, dass nicht nur Hören, sondern beidseitiges Hören zu den Grundbedürfnissen zählt. Deshalb ist im Fall der Klägerin die Versorgung des zweiten Ohres notwendig. Unbestritten ist, dass der Ausgleich der Behinderung der beidseits tauben Klägerin durch die Versorgung nur eines Ohres nicht vollständig erreicht ist. Die Versorgung ist zweckmäßig. Dies ergibt sich für den Senat aus den Äußerungen des vom Sozialgericht gehörten Gutachters Prof.H ... Er weist darauf hin, dass durch die beidohrige Versorgung gegenüber der einohrigen Versorgung das Sprachverstehen im Störgeräusch um mindestens 10 Prozentpunkte steigt und das Richtungshören verbessert wird. Das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 16.09.2004 (B 3 KR 20/04 R, SozR 4-2500 § 33 Nr.9) entschieden, solange ein Ausgleich der Behinderung im Sinne eines Gleichziehens mit einem gesunden Menschen nicht vollständig erreicht ist, darf die Versorgung mit einem fortschrittlichen Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstand sei ausreichend. Der 3. Senat bestätigt damit seine Rechtsprechung. Bereits im Urteil vom 06.06.2002 (B 3 KR 68/01, SozR 3-2500 § 33 Nr.44) führte er zusätzlich aus, dass sich die Krankenkassen dann auch nicht zur Abwendung ihrer Leistungspflicht auf die erheblichen Mehrkosten der Versorgung berufen dürfen. Ob mit dieser besseren Versorgung auch die Eingliederung ins Berufsleben besser möglich ist, spielt für die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung hier keine Rolle.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen der Beklagten.
Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte Kosten zu erstatten hat, die dadurch entstanden sind, dass die Klägerin auch linksseitig mit einem Cochlear-Implantat versorgt wurde.
Die 1953 geborene Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Sie ist Kindererzieherin. Sie leidet an beidseitiger Ertaubung unklarer Genese. Wegen der Probleme bezüglich der verminderten Höhrfähigkeit kündigte ihr Arbeitgeber, der P ... Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben.
Am 25.01.2001 wurde die Klägerin im Klinikum der Universität M. , Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkranke G. mit einem Cochlear-Implantat rechtsseitig versorgt. Am 18.12.2001 wurde eine bilaterale Versorgung verordnet mit der Begründung, durch eine zusätzliche Versorgung auch des linken Ohres sei eine deutliche Steigerung der Kommunikationsfähigkeit der Patientin in Alltagssituationen sowie aufgrund der binauralen Interaktion zwischen den beiden Implantatsystemen eine Verbesserung des Richtungsgehörs zu erwarten. Die Beklagte hörte hierzu den MDK (HNO-Arzt Dr.D.) nach Aktenlage an, der unter Hinweis auf den "maßlos überhöhten" Preis der Auffassung war, eine beidseitige Versorgung komme, wenn überhaupt, nur bei Sonderfällen in Frage. Im konkreten Fall könne einer Versorgung nicht zugestimmt werden.
Die Beklagte hat daraufhin mit Bescheid vom 28.02.2002 die beidseitige Versorgung unter Hinweis auf die fehlende Wirtschaftlichkeit abgelehnt. Dagegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 05.03.2002 Widerspruch eingelegt, der mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2002 zurückgewiesen wurde, die Stellungnahme des MDK sei schlüssig, eine Kostenübernahme stände nicht in Übereinstimmung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Auf eine mögliche Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers wurde hingewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtete sich die am 11.07.2002 zum Sozialgericht München erhobene Klage.
Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Direktors der Hals-Nasen-Ohren Poliklinik der Technischen Universität M. , Prof.Dr.A. , eingeholt. Der Gutachter hat die Klägerin am 21.05. und 03.06.2003 untersucht und eine beidseitige Taubheit diagnostiziert, die langsam im Laufe des Lebens der Klägerin aus einer beidseitigen Schwerhörigkeit heraus entstanden ist. Durch das im Jahr 2001 auf der rechten Seite im Klinikum G. eingesetzte Cochlear-Implantat sei die Klägerin in der Lage, bei direkter Ansprache und ohne Störgeräusche Sprache gut zu verstehen. Zur Klärung der Hauptfrage, ob ein Mensch, der nach einseitiger Versorgung mit einem Cochlear-Implantat unter bestimmten Bedingungen ausreichende Sprachverständlichkeit erzielt hat, ein Anrecht auf eine Versorgung auch des zweiten Ohres habe, sei einzugehen auf die biologische Aufgabe des beidohrigen Höhrens. Auch beim Gesunden werde durch beidohriges Hören die Sprachverständlichkeit um etwa 5 db verbessert. Überaus wichtig sei das Richtungshören. Beidohriges Hören ermögliche auch die sogenannte Diskrimination von Sprache. Nur bei ausreichend funktionierendem beidohrigen Höhren sei es möglich, Sprachsignale aus einem Störgeräusch herauszuhören. Bei Fehlen beidohrigen Hörens komme es zu erheblichen Verständigungsschwierigkeiten, wenn Umgebungsgeräusche vorliegen, wie dies im täglichen Leben fast immer der Fall sei. Es habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, beidohriges Hören entspreche dem physiologischen Zustand, was schließlich dazu geführt habe, dass von Krankenkassen die Kosten für eine beidohrige Hörgeräteversorgung übernommen werden. Die nach den Hilfsmittelrichtlinien erforderlichen Voraussetzungen für beidohrige Versorgung (Fähigkeit des Patienten zur sachgerechten Bedienung von zwei Hörgeräten und Verbesserung des Sprachverstehens um mindestens 10 Prozentpunkte oder Verbesserung des Richtungshörens) lägen bei der Klägerin in vollem Umfang vor. Eine beidohrige Versorgung mit einem Cochlear-Implantat führe zu einem deutlichen Gewinn des Sprachverständnisses. Die Versorgung mit einem zweiten Implantat sei nicht lediglich zur Teilnahme im Arbeitsleben erforderlich, sondern darüber hinaus für das alltägliche Leben.
Die Beklagte blieb bei ihrer Auffassung, zuständig sei der Rentenversicherungsträger. Sie holte eine erneute Stellungnahme des MDK (Dr.D.) ein, eine Stellungnahme einer Arbeitsgruppe der Schweizerischen Sozialversicherungen zur bilateralen Cochlear-Implantatversorgung wurde vorgelegt. Der MDK ergänzte sein Gutachten am 07.01.2004 und 15.09.2004.
Nach Angaben ihres Bevollmächtigten hat die Klägerin nach Kreditaufnahme auch die Versorgung des zweiten Ohres in G. vornehmen lassen. Es wurden ihr am 09.11.2004 hierfür insgesamt 22.375,68 EUR in Rechnung gestellt.
Der Klägerbevollmächtigte und die Klägerin haben auch bei der Beigeladenen die Versorgung des zweiten Ohres beantragt. Die Beigeladene hat ihre Leistungspflicht abgelehnt (Bescheid vom 10.07.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.03.2003). Der hiergegen unter dem Az.: S 17 RA 384/03 geführte Rechtsstreit vor dem Sozialgericht München ruht.
Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 23.11.2004 verurteilt, der Klägerin die geltend gemachten Kosten zu erstatten sowie die aus dieser Versorgung anfallenden und noch nicht abgerechneten Kosten zu übernehmen. Der Kostenerstattungsanspruch ergebe sich aus § 13 Abs.3 SGB V. Die Ablehnung der Versorgung auch des linken Ohres der Klägerin durch die Beklagte sei zu Unrecht erfolgt. Nach dem HNO-ärztlichen Gutachten des Prof.Dr.H. sei die Versorgung erforderlich. Der Anspruch könne auch aus einer analogen Anwendung der Hilfsmittelrichtlinien zur beidseitigen Versorgung mit einem Hörgerät abgeleitet werden. Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen hierfür. Die Versorgung sei verordnet worden und in einer anerkannten Universitätsklinik durchgeführt worden. Auch der MDK-Gutachter bestreite nicht, dass die bilaterale Versorgung bei allen Patienten von Vorteil sein könne. Der Hinweis des MDK auf die beruflichen Gründe gehe fehl. Eine sonstige Versorgung sei medizinisch nicht geeignet bzw. ausreichend, so dass auch von einer Wirtschaftlichkeit der beidseitigen CI-Versorgung auszugehen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die nach Einholung eines weiteren Gutachtens des MDK vom 14.03.2005 damit begründet wird, die Versorgung mit einer zweiten Cochlear-Implantation werde zur Teilnahme am Arbeitsleben als Erzieherin begehrt. Hierfür sei die Beklagte unzweifelhaft nicht zuständig. Es sei dann nicht konsequent, dass die Beklagte zuständiger Leistungsträger sein solle. Eine Leistungspflicht der Krankenversicherung komme nur dann in Betracht, wenn es um die Ermöglichung menschlicher Grundbedürfnisse gehe. Eine Verbesserung des Behinderungsausgleichs auf beruflicher oder gesellschaftlicher Ebene sowie im Freizeitbereich reichen dazu nicht aus. Das Grundbedürfnis sei bereits mittels eines Cochlear-Implantats befriedigt. Das Sozialgericht verkenne die systematische Gliederung der Rangfolge zwischen den einzelnen Leistungsträgern. Die fehlerhafte Einschätzung des Sozialgerichts werde um so deutlicher, wenn man sich vergegenwärtige, dass das Sozialgericht darauf hingewiesen habe, nur durch eine beidseitige Cochlear-Implantatversorgung sei die stereophone Hörfähigkeit, auf welche die Klägerin als Kindergärtnerin angewiesen sei, gewährleistet. Damit bestätige das Sozialgericht die Zuständigkeit der Beigeladenen. Außerdem würde die beidseitige Versorgung dem Gutachter zufolge zu einem besseren Sprachverständnis von nur 5 db führen. Ein deutlicher Gebrauchsvorteil, wie er für einen Anspruch auf eine weitere Cochlearversorgung erforderlich wäre (BSG-Urteil vom 16.09.2004, B 3 KR 20/04 R), liege damit nicht vor.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 23.11.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Die Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Ihre Zuständigkeit sei nicht gegeben, weil das Cochlear-Implantat unmittelbar an der Behinderung ansetze.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten und des Sozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die wegen der Höhe des Beschwerdewertes nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig, sie erweist sich aber als unbegründet.
Die Klägerin hat sich die ursprünglich als Sachleistung beantragte Versorgung mit einem zweiten Cochlear-Implantat im Laufe des Gerichtsverfahrens selbst besorgt, der ursprüngliche Leistungsanspruch wandelt sich damit, ohne dass es einer Klageänderung bedarf, in einen Sachleistungsanspruch. Anspruchsgrundlage ist § 13 Abs.3 SGB V. Danach hat die Krankenkasse Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung notwendig war und sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Die Beklagte hat die Sachleistung zu Unrecht abgelehnt. Die Klägerin hat gemäß § 33 Abs.1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit das Hilfsmittel nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen ist.
Dass es sich bei dem Cochlear-Implantat um ein Hilfsmittel gemäß § 33 SGB V handelt, ist unbestritten. Die Beklagte hat die Versorgung eines Ohres auch übernommen. Ein Cochlear-Implantat ist kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden sind oder von diesem Personenkreis ausschließlich oder ganz überwiegend benutzt werden, sind grundsätzlich nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen (BSG, Urteil vom 03.11.1999, SozR 3-2500 § 33 Nr.34 m.w.N.). Das Bundesozialgericht führt in diesem Urteil, das die Versorgung eines schwerhörigen Erwachsenen mit einer Mikroportanlage zusätzlich zu einem Cochlear-Implantat betrifft, weiter aus, dass beim dortigen Kläger die grundlegende Verbesserung des Hörvermögens bereits durch das Cochlear-Implantat erreicht worden ist. Eine zusätzliche Verbesserung für bestimmte Lebensbereiche habe nur dann eine Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Folge, wenn es sich um Lebensbereiche handelt, die zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen. Entgegen der Auffassung der Beklagten und in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Beigeladenen geht der Senat davon aus, dass nicht nur Hören, sondern beidseitiges Hören zu den Grundbedürfnissen zählt. Deshalb ist im Fall der Klägerin die Versorgung des zweiten Ohres notwendig. Unbestritten ist, dass der Ausgleich der Behinderung der beidseits tauben Klägerin durch die Versorgung nur eines Ohres nicht vollständig erreicht ist. Die Versorgung ist zweckmäßig. Dies ergibt sich für den Senat aus den Äußerungen des vom Sozialgericht gehörten Gutachters Prof.H ... Er weist darauf hin, dass durch die beidohrige Versorgung gegenüber der einohrigen Versorgung das Sprachverstehen im Störgeräusch um mindestens 10 Prozentpunkte steigt und das Richtungshören verbessert wird. Das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 16.09.2004 (B 3 KR 20/04 R, SozR 4-2500 § 33 Nr.9) entschieden, solange ein Ausgleich der Behinderung im Sinne eines Gleichziehens mit einem gesunden Menschen nicht vollständig erreicht ist, darf die Versorgung mit einem fortschrittlichen Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstand sei ausreichend. Der 3. Senat bestätigt damit seine Rechtsprechung. Bereits im Urteil vom 06.06.2002 (B 3 KR 68/01, SozR 3-2500 § 33 Nr.44) führte er zusätzlich aus, dass sich die Krankenkassen dann auch nicht zur Abwendung ihrer Leistungspflicht auf die erheblichen Mehrkosten der Versorgung berufen dürfen. Ob mit dieser besseren Versorgung auch die Eingliederung ins Berufsleben besser möglich ist, spielt für die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung hier keine Rolle.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen der Beklagten.
Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben.
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