Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
77
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 77 AL 3448/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Bescheide der Beklagten vom 1. und 5. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2004 in der Form der Bescheide vom 27. Oktober 2004 werden aufgehoben, soweit die Beklagte nicht bereits anerkannt hat. 2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 3. Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die teilweise Aufhebung der Bewilligungen von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe nach dem erhöhten statt nach dem allgemeinen Leistungssatz sowie über die entsprechende Erstattung.
Die 1950 geborene Klägerin ist Mutter einer im April 1975 geborene Tochter. Sie beantragte am 28. Februar 2002 Arbeitslosengeld und meldete sich bei der Beklagten persönlich arbeitslos. Im Leistungsantrag gab sie das Geburtsdatum ihrer Tochter, die Familienkasse für das Kindergeld sowie die Kindergeldnummer an. Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 5. März 2002 Arbeitslosengeld nach dem erhöhten Leistungssatz. Die Klägerin bezog die Leistung bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 19. Dezember 2003. Während des Leistungsbezuges erfolgte am 3. Juni 2002 eine Bearbeitung wegen eines Datenabgleichs mit der Kindergeldkasse. Dort war zum April 2002 die Zahlungseinstellung vermerkt. Im September 2002 und im März 2003 forderte die Beklagte die Klägerin auf, die für die Prüfung der Voraussetzungen des erhöhten Leistungssatzes erforderlichen Unterlagen einzureichen. Die Klägerin kam diesen Aufforderungen jeweils in vollem Umfange und zeitnah nach. Mit Schreiben vom 16. September 2003 reichte die Klägerin (noch ohne dazu aufgefordert zu sein) die entsprechenden Unterlagen ein und teilte der Beklagten mit, dass das Studium der Tochter voraussichtlich im Februar 2004 ende. Sie reichte dazu eine Immatrikulationsbescheinigung ihrer Tochter ein.
Die Klägerin beantragte am 4. Dezember 2003 die Gewährung von Arbeitslosenhilfe. Im Antrag gab sie zutreffend das Geburtsdatum ihrer Tochter an. Die Frage, ob für das Kind Kindergeld gezahlt werde, wurde bejaht. Es ist erkennbar, dass der Eintrag korrigiert wurde. Die Beklagte bewilligte der Klägerin Arbeitslosenhilfe nach dem erhöhten Leistungssatz (Verfügung vom 10. Dezember 2003).
Mit Schreiben vom 16. März 2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass diese in der Zeit vom 1. Mai 2002 bis 29. Februar 2004 Arbeitslosengeld in Höhe von 1.736,43 EUR zu Unrecht bezogen habe. Der Klägerin habe in diesem Zeitraum Leistung nur nach dem allgemeinen Leistungssatz zugestanden, da die Tochter im April 2002 das 27. Lebensjahr vollendet habe. Leistungen seien jedoch nach dem erhöhten Leistungssatz gezahlt worden. Die Klägerin habe die Überzahlung verursacht, weil sie eine für den Leistungsanspruch erhebliche Änderung in ihren Verhältnissen nicht richtig angezeigt habe. Die Klägerin erhalte Gelegenheit zur Äußerung. Bereits für März 2004 wurde der Klägerin Arbeitslosenhilfe nur nach dem allgemeinen Leistungssatz gezahlt.
Die Klägerin teilte der Beklagten mit Schreiben vom 26. März 2004 mit, dass die Tochter am 26. Januar 2004 das Studium abgeschlossen habe. Es solle nicht mehr der erhöhte Leistungssatz gezahlt werden. Mit Schreiben vom 30. März 2004 wandte sich die Klägerin gegen die beabsichtigte Aufhebung und begründete dies damit, dass der Beklagten das Geburtsdatum ihrer Tochter seit Gewährung des erhöhten Leistungssatzes, von vornherein bekannt gewesen sei. Die Beklagte habe im März 2003 die Voraussetzungen für die Anwendung des erhöhten Leistungssatzes geprüft und sei in der Folgezeit davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen vorliegen würden. Es sei deshalb nicht erkennbar, welche erhebliche Änderung in den Verhältnissen die Klägerin nicht angezeigt haben sollte.
Die Beklagte hob mit Bescheid vom 1. April 2004 die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 1. Mai 2002 bis 29. Februar 2004 auf. Die Klägerin habe gewusst bzw. hätte wissen müssen, dass der ihr zuerkannte Anspruch zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen sei. Wenn sie dies nicht gewusst habe, weil sie das ihr ausgehändigte Merkblatt nicht gelesen habe, so sei dies als grob fahrlässig anzusehen. Im Aufhebungszeitraum sei der Klägerin Leistung in Höhe von 1.736,43 EUR zu Unrecht gezahlt worden. Dieser Betrag sei von der Klägerin zu erstatten.
Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 19. April 2004. Sie verwies darin auf ihr Schreiben vom 30. März 2004. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2004 zurück. Die Klägerin habe nicht mitgeteilt, dass das Kindergeld nur befristet gewährt worden sei und auch nicht, dass es weggefallen sei.
Die Klägerin verfolgt ihr Begehren mit ihrer am 17. Juni 2004 erhobenen Klage weiter. Die Klägerin bestreitet, dass die Eintragungen zum Kindergeldbezug im Antrag auf Arbeitslosenhilfegewährung vom Dezember 2003 von ihr stammen würden. Es handele sich nicht um ihre Schrift, diese schaue ganz anders aus. Sie habe auch keine Erinnerung, ob die Eintragung der Korrektur bereits erfolgt war, als sie den Antrag unterschrieb. Sie sei der Auffassung, dass sie Änderungen in ihren Verhältnissen nur insoweit mitteilen müsse, als die Beklagte davon nichts wissen könne. Das Geburtsdatum ihrer Tochter sei von ihr aber immer wieder korrekt mitgeteilt worden. Wegen der Leistungshöhe sei sie davon ausgegangen, dass alles richtig gewesen sei. Sie habe keine Vorstellung gehabt, dass die Leistungen fehlerhaft bewilligt worden sein könnten. Unter dem 27. Oktober 2004 erließ die Beklagte zwei neue Bescheide. Mit einem Bescheid hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 1. Mai 2002 bis 19. Dezember 2003 teilweise auf und verlangte die Erstattung von 1.623,03 EUR. Mit dem anderen Bescheid hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 20. Dezember 2003 bis 31. März 2004 teilweise auf und verlangte die Erstattung von 162,38 EUR.
Während der mündlichen Verhandlung erkannte die Beklagte insoweit an, als sie an der Aufhebung der Bewilligung für das Arbeitslosengeld nicht mehr festhalte und die Erstattungsforderung hinsichtlich der Arbeitslosenhilfe auf einen Betrag von 113,40 EUR reduziere. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
den Bescheid der Beklagten vom 1. April und vom 5. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2004 in der Form des Bescheides vom 27. Oktober 2004 aufzuheben, soweit nicht das Anerkenntnis der Beklagten greift.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kammer haben außer den Prozessakten die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze, das Protokoll und den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte durfte die Arbeitslosenhilfebewilligungen nicht rückwirkend aufheben, weil die Voraussetzungen nach § 45 SGB X über die Aufhebung von rechtswidrigen Verwaltungsakten nicht vorlagen. Die Klägerin hatte durch fehlerhafte Angaben keine wesentliche Ursache für die Rechtswidrigkeit der Entscheidungen der Beklagten über die Leistungshöhe gesetzt. Der angefochtene Bescheid war deshalb rechtswidrig.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt aufgehoben werden, soweit er (von Anfang an) rechtswidrig ist. Die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe war rechtswidrig, weil der Klägerin seit Beginn des Arbeitslosenhilfe-Bezuges der erhöhte Leistungssatz nicht mehr zustand. Die Tochter der Klägerin hatte bereits deutlich früher das 27. Lebensjahr vollendet und erfüllte nicht die Ausnahmetatbestände, die auch nach Vollendung des 27. Lebensjahres für das unterhaltspflichtige Elternteil den erhöhten Leistungssatz rechtfertigen. Dies ist zwischen den Beteiligten zutreffend unstreitig.
Gemäß § 330 Abs. 2 SGB III ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für eine Rücknahme vorliegen. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hatte (Nr. 2) oder soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakte kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 letzter Teilsatz SGB X). Die erforderliche Sorgfalt verletzt in besonders schwerem Maße, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSGE 42, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSGE 62, 32, 35 = SozR 4100 § 71 Nr. 2; BSG Urt. v. 08.02.2001 B 11 AL 21/00 R); dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: BSGE 35, 108, 112; 44, 264, 273 = SozR 5870 § 13 Nr. 20; BSG Urt. v. 08.02.2001 B11AL21/00R).
Im Falle der Klägerin kann die Kammer weder feststellen, dass der Verwaltungsakt auf falschen Angaben beruht hat, noch dass zumindest grobe Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bei der Klägerin vorlag.
Ein Beruhen im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X lässt sich nur dann feststellen, wenn die fehlerhaften Angaben bei normativer Betrachtung ursächlich für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes waren. Maßstab für die Prüfung ist die im Sozialrecht geltende Theorie des wesentlichen Zusammenhangs. Danach ist ein Umstand dann als Ursache anzusehen, wenn er bei normativer Betrachtung unter Abwägung seines Wertes mit den Werten anderer Umstände wegen seiner besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat. Tritt eine Ursache gegenüber den anderen Ursachen deutlich in den Hintergrund, so bleibt sie als rechtlich unwesentlich außer Betracht (st. Rspr.). Unter Anwendung dieser Kriterien konnte die Kammer offen lassen, ob die Angaben zum Kindergeld im Arbeitslosenhilfe-Antrag von der Klägerin stammten oder nicht. Selbst wenn sie nämlich von der Klägerin stammen würden, wären sie nicht wesentliche Ursache für die Rechtswidrigkeit der Entscheidung gewesen. Wesentliche Ursache dafür war das fehlerhafte Vorgehen der Beklagten. Korrekt war das Geburtsdatum der Tochter der Klägerin angegeben. Allein wegen dieser Angabe, die sich wiederholt im Verwaltungsvorgang findet, musste die Bewilligung des erhöhten Leistungssatzes bei korrekter Fallbearbeitung ausgeschlossen sein. Voraussetzung der Gewährung des erhöhten Leistungssatzes ist nicht der Bezug von Kindergeld, sondern dass der Arbeitslose ein Kind im Sinne von § 32 Abs. 1, 3 bis 5 EStG hat (§ 129 SGB III). Auch § 32 EStG bezieht sich nicht auf den Kindergeldbezug, sondern schließt die Berücksichtigungsfähigkeit von Kindern ab vollendetem 27. Lebensjahr aus (Abs. 4 Nr. 2), wenn nicht eine besondere Ausnahmesituation vorliegt. Bei ganz normaler Anwendung des Gesetzes auf den bekannten Sachverhalt, war deshalb ausgeschlossen, dass der Klägerin der erhöhte Leistungssatz gewährt wird. Die Frage nach dem Kindergeldbezug ist daher überflüssig gewesen; ihre Beantwortung hätte wegen des Erreichens der Altersgrenze für die Beklagte völlig unbeachtlich sein müssen. Überdies stellt sich insoweit die Frage, ob die Beklagte überhaupt nach dem Bezug von Kindergeld fragen darf und wegen dieser Frage nicht eine Verletzung der Vorschriften über den Sozialdatenschutz des SGB X vorliegt. Die Angabe ist für Leistungsbezug und Leistungshöhe irrelevant (Kindergeld ist nicht anzurechnen; sofern es bei Unterhaltsverpflichtungen im Rahmen von Einkommensanrechung eine Rolle spielen kann, muss insofern gefragt werden). Selbst wenn man der Beklagten für die Bearbeitung von Massenverfahren die Frage nach dem Kindergeld zugestehen wollte, weil der Bezug von Kindergeld ein Indiz (und nur Indiz!) für die Berechtigung nach § 129 SGB III ist, entbindet dies die Beklagte nicht von der Pflicht, das Indiz im Hinblick auf den bekannten weiteren Sachverhalt zu würdigen. Dies hat sie hier unterlassen und die zutreffende Mitteilung des Geburtsdatums für ihre Fallentscheidung nicht relevant werden lassen. Weil die Klägerin das Geburtsdatum zutreffend mitgeteilt hatte, kann ihr auch eine besonders schwerwiegende Sorgfaltspflichtverletzung nicht vorgeworfen werden, sollte man davon ausgehen, die Kindergeldangabe stamme von ihr. Im Verhältnis beider Angaben lässt sich schon eine objektiv als erheblich zu beurteilende Pflichtverletzung nicht feststellen. Damit kommt es auf das eigentlich subjektive Element nicht mehr an.
Angesichts ihrer über Jahre hinweg korrekten Angaben durfte die Klägerin auf die Rechtmäßigkeit der Bewilligungen vertrauen. Nichts anderes gilt für die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe. Ihr musste sich die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides nicht aufdrängen. Grobe Fahrlässigkeit kann ihr (im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X) nicht vorgeworfen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung. Gründe zur Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die teilweise Aufhebung der Bewilligungen von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe nach dem erhöhten statt nach dem allgemeinen Leistungssatz sowie über die entsprechende Erstattung.
Die 1950 geborene Klägerin ist Mutter einer im April 1975 geborene Tochter. Sie beantragte am 28. Februar 2002 Arbeitslosengeld und meldete sich bei der Beklagten persönlich arbeitslos. Im Leistungsantrag gab sie das Geburtsdatum ihrer Tochter, die Familienkasse für das Kindergeld sowie die Kindergeldnummer an. Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 5. März 2002 Arbeitslosengeld nach dem erhöhten Leistungssatz. Die Klägerin bezog die Leistung bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 19. Dezember 2003. Während des Leistungsbezuges erfolgte am 3. Juni 2002 eine Bearbeitung wegen eines Datenabgleichs mit der Kindergeldkasse. Dort war zum April 2002 die Zahlungseinstellung vermerkt. Im September 2002 und im März 2003 forderte die Beklagte die Klägerin auf, die für die Prüfung der Voraussetzungen des erhöhten Leistungssatzes erforderlichen Unterlagen einzureichen. Die Klägerin kam diesen Aufforderungen jeweils in vollem Umfange und zeitnah nach. Mit Schreiben vom 16. September 2003 reichte die Klägerin (noch ohne dazu aufgefordert zu sein) die entsprechenden Unterlagen ein und teilte der Beklagten mit, dass das Studium der Tochter voraussichtlich im Februar 2004 ende. Sie reichte dazu eine Immatrikulationsbescheinigung ihrer Tochter ein.
Die Klägerin beantragte am 4. Dezember 2003 die Gewährung von Arbeitslosenhilfe. Im Antrag gab sie zutreffend das Geburtsdatum ihrer Tochter an. Die Frage, ob für das Kind Kindergeld gezahlt werde, wurde bejaht. Es ist erkennbar, dass der Eintrag korrigiert wurde. Die Beklagte bewilligte der Klägerin Arbeitslosenhilfe nach dem erhöhten Leistungssatz (Verfügung vom 10. Dezember 2003).
Mit Schreiben vom 16. März 2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass diese in der Zeit vom 1. Mai 2002 bis 29. Februar 2004 Arbeitslosengeld in Höhe von 1.736,43 EUR zu Unrecht bezogen habe. Der Klägerin habe in diesem Zeitraum Leistung nur nach dem allgemeinen Leistungssatz zugestanden, da die Tochter im April 2002 das 27. Lebensjahr vollendet habe. Leistungen seien jedoch nach dem erhöhten Leistungssatz gezahlt worden. Die Klägerin habe die Überzahlung verursacht, weil sie eine für den Leistungsanspruch erhebliche Änderung in ihren Verhältnissen nicht richtig angezeigt habe. Die Klägerin erhalte Gelegenheit zur Äußerung. Bereits für März 2004 wurde der Klägerin Arbeitslosenhilfe nur nach dem allgemeinen Leistungssatz gezahlt.
Die Klägerin teilte der Beklagten mit Schreiben vom 26. März 2004 mit, dass die Tochter am 26. Januar 2004 das Studium abgeschlossen habe. Es solle nicht mehr der erhöhte Leistungssatz gezahlt werden. Mit Schreiben vom 30. März 2004 wandte sich die Klägerin gegen die beabsichtigte Aufhebung und begründete dies damit, dass der Beklagten das Geburtsdatum ihrer Tochter seit Gewährung des erhöhten Leistungssatzes, von vornherein bekannt gewesen sei. Die Beklagte habe im März 2003 die Voraussetzungen für die Anwendung des erhöhten Leistungssatzes geprüft und sei in der Folgezeit davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen vorliegen würden. Es sei deshalb nicht erkennbar, welche erhebliche Änderung in den Verhältnissen die Klägerin nicht angezeigt haben sollte.
Die Beklagte hob mit Bescheid vom 1. April 2004 die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 1. Mai 2002 bis 29. Februar 2004 auf. Die Klägerin habe gewusst bzw. hätte wissen müssen, dass der ihr zuerkannte Anspruch zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen sei. Wenn sie dies nicht gewusst habe, weil sie das ihr ausgehändigte Merkblatt nicht gelesen habe, so sei dies als grob fahrlässig anzusehen. Im Aufhebungszeitraum sei der Klägerin Leistung in Höhe von 1.736,43 EUR zu Unrecht gezahlt worden. Dieser Betrag sei von der Klägerin zu erstatten.
Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 19. April 2004. Sie verwies darin auf ihr Schreiben vom 30. März 2004. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2004 zurück. Die Klägerin habe nicht mitgeteilt, dass das Kindergeld nur befristet gewährt worden sei und auch nicht, dass es weggefallen sei.
Die Klägerin verfolgt ihr Begehren mit ihrer am 17. Juni 2004 erhobenen Klage weiter. Die Klägerin bestreitet, dass die Eintragungen zum Kindergeldbezug im Antrag auf Arbeitslosenhilfegewährung vom Dezember 2003 von ihr stammen würden. Es handele sich nicht um ihre Schrift, diese schaue ganz anders aus. Sie habe auch keine Erinnerung, ob die Eintragung der Korrektur bereits erfolgt war, als sie den Antrag unterschrieb. Sie sei der Auffassung, dass sie Änderungen in ihren Verhältnissen nur insoweit mitteilen müsse, als die Beklagte davon nichts wissen könne. Das Geburtsdatum ihrer Tochter sei von ihr aber immer wieder korrekt mitgeteilt worden. Wegen der Leistungshöhe sei sie davon ausgegangen, dass alles richtig gewesen sei. Sie habe keine Vorstellung gehabt, dass die Leistungen fehlerhaft bewilligt worden sein könnten. Unter dem 27. Oktober 2004 erließ die Beklagte zwei neue Bescheide. Mit einem Bescheid hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 1. Mai 2002 bis 19. Dezember 2003 teilweise auf und verlangte die Erstattung von 1.623,03 EUR. Mit dem anderen Bescheid hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 20. Dezember 2003 bis 31. März 2004 teilweise auf und verlangte die Erstattung von 162,38 EUR.
Während der mündlichen Verhandlung erkannte die Beklagte insoweit an, als sie an der Aufhebung der Bewilligung für das Arbeitslosengeld nicht mehr festhalte und die Erstattungsforderung hinsichtlich der Arbeitslosenhilfe auf einen Betrag von 113,40 EUR reduziere. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
den Bescheid der Beklagten vom 1. April und vom 5. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2004 in der Form des Bescheides vom 27. Oktober 2004 aufzuheben, soweit nicht das Anerkenntnis der Beklagten greift.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kammer haben außer den Prozessakten die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze, das Protokoll und den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte durfte die Arbeitslosenhilfebewilligungen nicht rückwirkend aufheben, weil die Voraussetzungen nach § 45 SGB X über die Aufhebung von rechtswidrigen Verwaltungsakten nicht vorlagen. Die Klägerin hatte durch fehlerhafte Angaben keine wesentliche Ursache für die Rechtswidrigkeit der Entscheidungen der Beklagten über die Leistungshöhe gesetzt. Der angefochtene Bescheid war deshalb rechtswidrig.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt aufgehoben werden, soweit er (von Anfang an) rechtswidrig ist. Die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe war rechtswidrig, weil der Klägerin seit Beginn des Arbeitslosenhilfe-Bezuges der erhöhte Leistungssatz nicht mehr zustand. Die Tochter der Klägerin hatte bereits deutlich früher das 27. Lebensjahr vollendet und erfüllte nicht die Ausnahmetatbestände, die auch nach Vollendung des 27. Lebensjahres für das unterhaltspflichtige Elternteil den erhöhten Leistungssatz rechtfertigen. Dies ist zwischen den Beteiligten zutreffend unstreitig.
Gemäß § 330 Abs. 2 SGB III ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für eine Rücknahme vorliegen. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hatte (Nr. 2) oder soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakte kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 letzter Teilsatz SGB X). Die erforderliche Sorgfalt verletzt in besonders schwerem Maße, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSGE 42, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSGE 62, 32, 35 = SozR 4100 § 71 Nr. 2; BSG Urt. v. 08.02.2001 B 11 AL 21/00 R); dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: BSGE 35, 108, 112; 44, 264, 273 = SozR 5870 § 13 Nr. 20; BSG Urt. v. 08.02.2001 B11AL21/00R).
Im Falle der Klägerin kann die Kammer weder feststellen, dass der Verwaltungsakt auf falschen Angaben beruht hat, noch dass zumindest grobe Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bei der Klägerin vorlag.
Ein Beruhen im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X lässt sich nur dann feststellen, wenn die fehlerhaften Angaben bei normativer Betrachtung ursächlich für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes waren. Maßstab für die Prüfung ist die im Sozialrecht geltende Theorie des wesentlichen Zusammenhangs. Danach ist ein Umstand dann als Ursache anzusehen, wenn er bei normativer Betrachtung unter Abwägung seines Wertes mit den Werten anderer Umstände wegen seiner besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat. Tritt eine Ursache gegenüber den anderen Ursachen deutlich in den Hintergrund, so bleibt sie als rechtlich unwesentlich außer Betracht (st. Rspr.). Unter Anwendung dieser Kriterien konnte die Kammer offen lassen, ob die Angaben zum Kindergeld im Arbeitslosenhilfe-Antrag von der Klägerin stammten oder nicht. Selbst wenn sie nämlich von der Klägerin stammen würden, wären sie nicht wesentliche Ursache für die Rechtswidrigkeit der Entscheidung gewesen. Wesentliche Ursache dafür war das fehlerhafte Vorgehen der Beklagten. Korrekt war das Geburtsdatum der Tochter der Klägerin angegeben. Allein wegen dieser Angabe, die sich wiederholt im Verwaltungsvorgang findet, musste die Bewilligung des erhöhten Leistungssatzes bei korrekter Fallbearbeitung ausgeschlossen sein. Voraussetzung der Gewährung des erhöhten Leistungssatzes ist nicht der Bezug von Kindergeld, sondern dass der Arbeitslose ein Kind im Sinne von § 32 Abs. 1, 3 bis 5 EStG hat (§ 129 SGB III). Auch § 32 EStG bezieht sich nicht auf den Kindergeldbezug, sondern schließt die Berücksichtigungsfähigkeit von Kindern ab vollendetem 27. Lebensjahr aus (Abs. 4 Nr. 2), wenn nicht eine besondere Ausnahmesituation vorliegt. Bei ganz normaler Anwendung des Gesetzes auf den bekannten Sachverhalt, war deshalb ausgeschlossen, dass der Klägerin der erhöhte Leistungssatz gewährt wird. Die Frage nach dem Kindergeldbezug ist daher überflüssig gewesen; ihre Beantwortung hätte wegen des Erreichens der Altersgrenze für die Beklagte völlig unbeachtlich sein müssen. Überdies stellt sich insoweit die Frage, ob die Beklagte überhaupt nach dem Bezug von Kindergeld fragen darf und wegen dieser Frage nicht eine Verletzung der Vorschriften über den Sozialdatenschutz des SGB X vorliegt. Die Angabe ist für Leistungsbezug und Leistungshöhe irrelevant (Kindergeld ist nicht anzurechnen; sofern es bei Unterhaltsverpflichtungen im Rahmen von Einkommensanrechung eine Rolle spielen kann, muss insofern gefragt werden). Selbst wenn man der Beklagten für die Bearbeitung von Massenverfahren die Frage nach dem Kindergeld zugestehen wollte, weil der Bezug von Kindergeld ein Indiz (und nur Indiz!) für die Berechtigung nach § 129 SGB III ist, entbindet dies die Beklagte nicht von der Pflicht, das Indiz im Hinblick auf den bekannten weiteren Sachverhalt zu würdigen. Dies hat sie hier unterlassen und die zutreffende Mitteilung des Geburtsdatums für ihre Fallentscheidung nicht relevant werden lassen. Weil die Klägerin das Geburtsdatum zutreffend mitgeteilt hatte, kann ihr auch eine besonders schwerwiegende Sorgfaltspflichtverletzung nicht vorgeworfen werden, sollte man davon ausgehen, die Kindergeldangabe stamme von ihr. Im Verhältnis beider Angaben lässt sich schon eine objektiv als erheblich zu beurteilende Pflichtverletzung nicht feststellen. Damit kommt es auf das eigentlich subjektive Element nicht mehr an.
Angesichts ihrer über Jahre hinweg korrekten Angaben durfte die Klägerin auf die Rechtmäßigkeit der Bewilligungen vertrauen. Nichts anderes gilt für die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe. Ihr musste sich die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides nicht aufdrängen. Grobe Fahrlässigkeit kann ihr (im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X) nicht vorgeworfen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung. Gründe zur Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.
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