L 8 AL 310/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 40 AL 476/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 310/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 7. Juni 2002 und der Bescheid vom 18. Januar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 1999 ganz aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger dem Grunde nach bereits ab 01.01.1999 Arbeitslosengeld zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 01.01. bis 13.05.1999 wegen Erhalts einer Abfindung streitig.

Der 1942 geborene, als Schwerbehinderter anerkannte Kläger, meldete sich am 12.11.1998 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Vom 29.03.1971 bis 31.12.1998 war er als Anlagen-Monteur bei der Firma M. AG beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Arbeitgebers vom 13.05.1998 zum 31.12.1998. Die ordentliche Kündigungsfrist betrug sieben Monate zum Monatsende. Für den Verlust des Arbeitsplatzes erhielt der Kläger eine Abfindung in Höhe von 83.000,00 DM bei 27-jähriger Betriebszugehörigkeit. Nach Angaben des Arbeitgebers erfolgte die Kündigung wegen Teilbetriebsstilllegung im Geschäftsbereich Technische Gebäudeausrüstung im Zusammenhang mit einem Interessenausgleich/Sozialplan. Gemäß Bescheid vom 09.04.1998 hatte die Regierung von Oberbayern - Hauptfürsorgestelle - der Kündigung zugestimmt.

Mit Bescheid vom 18.01.1999 stellte die Beklagte fest, dass der Leistungsanspruch des Klägers wegen der Abfindung in Höhe von 83.000,00 DM bis zum 09.06.1999 ruhe. Da die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber zeitlich unbegrenzt ausgeschlossen gewesen sei, gelte eine Kündigungsfrist von 18 Monaten. Diese Frist sei bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht eingehalten worden, so dass der Anspruch solange ruhe, bis 30 v.H. der gezahlten bzw. zu beanspruchenden Beträge dem kalendertäglichen Arbeitsentgelt entsprechen würden.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er aus gesundheitlichen Gründen ohnehin nicht hätte weiterarbeiten können. Der tarifvertragliche Kündigungsschutz sei entfallen, weil die Arbeitgeberin eine Teilbetriebsstilllegung durchgeführt habe, durch die der aus 35 Mitarbeitern bestehende gesamte Bereich der Montage weggefallen und den darin beschäftigten Arbeitnehmern mit Ausnahme der Montagemeister und Obermonteure gekündigt worden sei. Da er selbst weder Obermeister noch Obermonteur gewesen sei, habe er im verbleibenden Tätigkeitsbereich, der Betreuung und Aufsicht großer Baustellen, nicht eingesetzt werden können, so dass für ihn keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit mehr bestanden habe. Im Übrigen verwies er auf ein Attest des Allgemeinsarztes Dr.W. , wonach er wegen einer aufgrund eines Magenkarzinoms im Mai 1996 erfolgten Magenteilresektion regelmäßig kleinere Mahlzeiten über den Tag verteilt zu sich nehmen müsse, so dass aus ärztlicher Sicht eine Arbeit auf Monatage nicht zu empfehlen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.1999 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es habe keine Betriebsstilllegung stattgefunden, sondern ein Personalabbau auf ca. 20 Mitarbeiter, denn eine Auflösung der die Einheit des Betriebs gestaltenden Organisation sei nicht erfolgt. Doch selbst wenn eine Betriebsänderung vorgelegen habe, hätte diese nicht ausgereicht, die ordentliche Kündigung eines tarifrechtich "Unkündbaren" wieder zu ermöglichen.

Zur Begründung seiner zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt und zum Beweis dafür, dass für ihn keine weitere Beschäftigungsmöglichkeit mehr in der Firma M. bestanden habe, den Betriebsratsvorsitzenden Herr G. als Zeugen benannt.

Auf Hinweis des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung am 07.06.2002 hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass der Anspruch nicht über den 13.05.1999 hinaus ruhe.

Mit Urteil vom 07.06.2002 hat das SG die Klage abgewiesen und dem Kläger Mutwillenskosten in Höhe von 50,00 EUR auferlegt. Dem Kläger sei mit einer sozialen Auslauffrist von sieben Monaten und einer Abfindung von 83.000,00 DM gekündigt worden. Damit sei die tatbestandliche Voraussetzung des § 117 Abs.2 Satz 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) a.F. erfüllt. Zwar sei die Anwendung dieser Bestimmung ausgeschlossen, wenn eine Arbeitgeberkündigung aus wichtigem Grund zulässig sei, bei der die ohne den Ausschluss der ordentlichen Kündigung maßgebende 7-monatige Kündigungsfrist gegolten hätte, jedoch sei dies hier nicht der Fall. Es würden keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der langjährig als Heizungsbauer im Montagebereich tätige und im Rahmen des Direktionsrechts der Arbeitgeberin vielfältig einsetzbare Kläger nur mittels einer Änderungskündigung oder überhaupt nicht mehr mit sinnvoller Arbeit hätte beschäftigt werden können. Das im Verwaltungsverfahren vorgelegte Attest des Dr.W. vom 04.02.1999 habe keine relevanten gesundheitlichen Einschränkungen bestätigt, sondern nur aufgrund des Erfordernisses, regelmäßig kleinere Mahlzeiten über den Tag verteilt, zu sich zu nehmen, Arbeiten auf Montage als nicht empfehlenswert bezeichnet. Dagegen spreche auch, dass die Arbeitgeberin die geltend gemachte Möglichkeit, dem Kläger ohne Zahlung einer Abfindung aus dem Sozialplan zu kündigen, nicht ergriffen habe. Die Kammer habe sich nicht gedrängt gesehen, den Betriebsratsvorsitzenden Herrn G. als Zeugen für eine fehlende Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung des Klägers einzu- vernehmen. Vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung eines nicht mehr ordentlich kündbaren Arbeitnehmers seien verschärfte Anforderungen an die Pflicht des Arbeitgebers zu stellen, mit allen zumutbaren Mitteln eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb bzw. im Unternehmen zu versuchen, ggf. unter Umsetzung oder Freisetzung anderer, sozial weniger schutzbedürftiger Mitarbeiter. Diese Aufgabe sei vom Arbeitgeber im Rahmen seines Organisations- und Direktionsrechts und innerhalb seiner Zumutbarkeitsgrenze zu lösen. Es handle sich damit weitestgehend um unternehmerische Entscheidungen und Bewertungen, über die der benannte Zeuge keine tatsächliche Auskunft geben könne. Die Kammer habe es für angebracht angesehen, dem Kläger nach § 192 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die durch die Fortführung des Rechtsstreits verursachten Kosten aufzuerlegen.

Hiergegen richtet die Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.

Am 09.05.2003 erfolgte die Einvernahme des ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden. Wegen Einzelheiten seiner Bekundungen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 09.05.2003 verwiesen.

Der Kläger vertritt die Auffassung, dass sich aus der Zeugenaussage ergebe, dass eine Teilbetriebsstilllegung vorgelegen habe. So habe der Zeuge bekundet, dass lediglich bauleitende Monteure und Service-Monteure in der Firma verblieben seien, diese Tätigkeiten jedoch von ihm nicht hätten ausgeführt werden können. Die Annahme des sozialgerichtlichen Urteils, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 117 Abs.2 Satz 4 AFG a.F. erfüllt seien, sei daher unrichtig.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts München vom 07.06.2002 und den Bescheid vom 18.01.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.1999 ganz aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm dem Grunde nach bereits ab 01.01.1999 Arbeitslosengeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, eine Kündigung des Klägers aus wichtigem Grund unter Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Frist und ohne Abfindung sei nicht vereinbart bzw. ausgesprochen worden. Nach § 117 Abs.4 Satz 4 AFG gelte eine Kündigungsfrist von einem Jahr, wenn dem Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Abfindung (siehe Sozialplan) ordentlich gekündigt werden könne.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG); ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als begründet. Zu Unrecht hat das SG München mit Urteil vom 07.06.2002 die Klage abgewiesen, da dem Kläger dem Grunde nach bereits ab 01.01.1999 Alg zu zahlen ist, weshalb der Bescheid vom 18.01.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.1999 ganz aufzuheben war.

Entgegen der Auffassung des SG liegen nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 117 Abs.2 Satz 4 AFG, sondern die des § 117 Abs.2 Satz 3 Nr.2 AFG vor. Denn der Arbeitgeber war berechtigt, dem - nach dem Tarifvertrag grundsätzlich unkündbaren - Kläger ordentlich zu kündigen, da ein wichtiger Grund vorlag. So ist die außerordentliche Kündigung gegenüber einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen ausnahmsweise unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zulässig, wenn der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers weggefallen ist und der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch unter Einsatz aller zumutbaren Mittel, ggf. durch Umorganisation seines Betriebes nicht weiterbeschäftigen kann (vgl. BAG, Urteil vom 05.02.1998, Az.: 2 AZR 227/97). Die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ist insbesondere dann unzumutbar, wenn eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit ausgeschlossen ist und der Arbeitgeber deshalb dem Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum hin Gehalt weiterzahlen müsste, obwohl er für dessen Arbeitskraft keine Verwendung mehr hat.

So verhält es sich hier. Aufgrund der Bekundungen des ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden steht fest, dass für den Kläger keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr im Betrieb des Arbeitgebers gegeben war. So hat der Zeuge ausgeführt, dass der Kläger im Bereich der Haustechnik tätig gewesen sei, wo ursprünglich 120 Beschäftigte gewesen seien. Dieser Bereich habe sich aufgegliedert in die Gebäudetechnik (Kälte-, Heizungs- und Sanitäranlagen) und in den Bereich Belüftungstechnik mit 120 Beschäftigten. Zunächst habe aus dem Bereich die Beschäftigtenzahl von 120 auf 40 reduziert werden sollen, und zwar innerhalb einer Zeitspanne von 1 1/2 Jahren. Letztlich habe eine Reduzierung von 120 auf 27 gewerblich Beschäftigte stattgefunden. Von den 27 gewerblich Beschäftigten seien 20 bauleitende Monteure gewesen, die also eine Tätigkeit ausgeübt hätten, die der Kläger nicht habe ausüben können. Die restlichen sieben gewerblich Beschäftigten seien als Service-Monteure zum einen auf Sprinkler-Baustellen und im Servicebereich der A. in U. untergebracht worden. Auch im Servicebereich handle es sich um Tätigkeiten, die nicht hätten vom Kläger ausgeführt werden können. Die Tätigkeit, die der Kläger ausgeübt habe, sei gänzlich weggefallen, wobei es auch keine vergleichbaren Beschäftigungsmöglichkeiten gegeben habe, da insbesondere alle gewerblichen Arbeitsplätze weggefallen seien.

Somit waren auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG München vom 07.06.2002 und der Bescheid vom 18.01.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.1999 ganz aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger dem Grunde nach bereits ab 01.01.1999 Als zu zahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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