L 6 R 230/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 RJ 5003/01 It
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 230/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. März 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Leistung einer Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsminderung ab Antragstellung bis Vollendung des 65. Lebensjahres.

Der 1940 geborene Kläger, ein in seiner Heimat lebender italienischer Staatsangehöriger, hat keinen Beruf erlernt. Er war in der Bundesrepublik Deutschland vom 27.05.1960 bis 31.12.1981 als Metallarbeiter (Schleifer) versicherungspflichtig beschäftigt, anschließend war er bis 16.01.1992 arbeitslos bzw. krank. Seinen am 25.09.1991 gestellten ersten Rentenantrag hat die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 19.01.1993 wegen mangelnder Mitwirkung am Verfahren und mit weiterem Bescheid vom 17.02.1993 abgelehnt, weil Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit nicht vorliege. In dem im Auftrag des italienischen Versicherungsträgers von Dr.C. erstatteten Gutachten nach Formblatt E 213 war eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 35 % angenommen worden, ebenso in dem von Dr.P. am 20.01.1996 anlässlich des Widerspruchsverfahrens erstatteten weiteren Gutachten. Nachdem die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.1996 als unzulässig (verspätet) zurückgewiesen hatte, schlossen die Beteiligten im anschließenden Klageverfahren beim Sozialgericht Augsburg (S 13 Ar 5051/96 It) einen Vergleich dahingehend, dass sich die Beklagte bereit erklärte, die Klageschrift vom 01.08.1996 als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu werten und einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erteilen.

Mit Bescheid vom 08.02.1998 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab mit der Begründung, beim Kläger liege weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit vor. Trotz seiner Gesundheitsstörungen (bescheidener Zustand nach früherer Fraktur der rechten Fessel; beginnende Spondylarthrose mit geringer funktioneller Beeinträchtigung) sei er noch in der Lage, leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten. Dem Bescheid war ein Merkblatt über die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beigefügt. Im anschließenden Widerspruchsverfahren zog die Beklagte ein im Auftrag des italienischen Versicherungsträgers in M. erstelltes weiteres Gutachten nach Formblatt E 213 bei, in dem die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf 60 % festgestellt wurde, der Kläger sei nicht invalide. Nach Einholung einer Stellungnahme von Dr.K. wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.1998 zurück. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen stehe fest, dass der Bescheid vom 17.02.1993 nicht zu beanstanden sei, weshalb der Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X keinen Erfolg haben könne. Da der Kläger nach den Ermittlungen im Widerspruchsverfahren noch in der Lage sei, leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten, bestehe kein Rentenanspruch. Der Kläger werde darauf hingewiesen, dass sein Versicherungsverlauf im Monat Dezember 1991 und ab Februar 1992 Lücken aufweise. Aufgrund der anhängig gewesenen Renten- und Streitverfahren sei er grundsätzlich nach § 198 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) noch berechtigt, ab dem Jahre 1991 freiwillige Beiträge zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes zu entrichten. Sofern er dies wünsche, müsse er sich umgehend mit der Beklagten in Verbindung setzen. Falls eine freiwillige Beitragsleistung zur Erhaltung des Versicherungsschutzes nicht erfolge, komme ohne Entrichtung weiterer Pflichtbeiträge eine vorzeitige Rentengewährung vor Vollendung des 65. Lebensjahres nicht mehr in Betracht. Dieser Bescheid wurde am 28.05.1998 an die seinerzeitigen, in Deutschland ansässigen Bevollmächtigten des Klägers (P. , A.) zur Post gegeben.

Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 30.12.1998, eingegangen am 04.01.1999, beantragte der Kläger erneut die Zahlung einer Rente bei der Beklagten.

Mit Bescheid vom 23.02.2000 lehnte diese den Antrag ab. Der Kläger sei weder berufsunfähig noch erwerbsunfähig, da er trotz seiner Gesundheitsstörungen, die die Beklagte dem Formblattgutachten vom 12.04.1999 entnahm, wonach eine Erwerbsminderung von 45 % bestehe, noch in der Lage sei, leichte Arbeiten zu verrichten. Den dagegen eingelegten Widerspruch hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2000 zurückgewiesen. Im Hinblick auf die auch im Widerspruchsverfahren festgestellte vollschichtige Einsatzfähigkeit des Klägers sei er nicht berufs- bzw. erwerbsunfähig. Eine vorzeitige Rentengewährung komme auch wegen der fehlenden besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht in Betracht.

Dagegen hat der Kläger zum Sozialgericht Augsburg Klage erhoben und vorgebracht, aufgrund seiner Erkrankungen sei er nicht mehr in der Lage, eine vollschichtige Arbeitsleistung zu erbringen.

Das Sozialgericht holte einen Befundbericht des praktischen Arztes Dr.C. vom 11.04.2001 ein und wies die Klage mit Urteil vom 11.0.2003 ab. Im Hinblick auf seinen Rentenantrag vom 04.01.1999 erfülle der Kläger die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr, da im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 04.01.1994 bis 03.01.1999 kein Kalendermonat mit Pflichtbeiträgen zurückgelegt worden sei. Freiwillige Beiträge habe der Kläger trotz Hinweises der Beklagten in ihrem Widerspruchsbescheid vom 27.05.1998 nicht entrichtet.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er sei im Jahre 1960 nach Deutschland eingereist und bei mehreren medizinischen Untersuchungen als völlig gesund befunden worden. Im Jahre 1981 habe er verschiedene Störungen bemerkt und sei dann zur Kur geschickt worden. Dies sei bis 1991 wiederholt worden und er habe auf Anraten seines Hausarztes einen Rentenantrag gestellt.

Auf Anfrage des Senats mit der Bitte, eine Bestätigung der zuständigen italienischen Behörde über die Dauer seiner Arbeitslosmeldung zu übersenden, erklärte der Kläger, er sei seit dem 05.01.1991 arbeitslos gewesen. Das Arbeitsamt S. teilte dem Senat mit Schreiben vom 13.10.2003 mit, es sei nicht mehr möglich, über die Zeit der Arbeitslosigkeit des Klägers in Deutschland Angaben zu machen, da keinerlei Unterlagen mehr vorhanden seien.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 30.10.2003 darauf hingewiesen, dass die Frist zur Entrichtung freiwilliger Beiträge durch die Renten-, Widerspruchs- und Klageverfahren gemäß § 198 SGB VI unterbrochen worden sei. Im Widerspruchsbescheid vom 27.05.1998 sei der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass es ihm noch möglich sei, ab 1991 freiwillige Beiträge zur Erhaltung des Versicherungsschutzes zu entrichten. Trotz dieses Hinweises habe er keine Beiträge gezahlt. Zum Zeitpunkt des Rentenantrags vom 04.01.1999 seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente nicht mehr erfüllt und auch die Zahlung freiwilliger Beiträge nicht mehr möglich gewesen, da die Frist zur Zahlung (drei Monate nach Ende des Unterbrechungstatbestandes) bereits verstrichen gewesen sei.

Eine Aufforderung des Senats, von seinem zuständigen Rentenversicherungsträger in Italien eine Bescheinigung vorzulegen, ob die Möglichkeit für die Entrichtung freiwilliger Beiträge für etwaige zurückliegende Zeiträume bestehe, hat der Kläger, der zuletzt ärztliche Unterlagen neueren Datums zu den Akten gegeben hat, nicht beantwortet.

Mit Bescheid vom 24.08.2005 bewilligte ihm die Beklagte die Regelaltersrente.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 11.03.2003 sowie des Bescheides vom 23.02.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2000 zu verpflichten, ihm aufgrund des Antrags vom 04.01.1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise Berufsunfähigkeit, weiter hilfsweise wegen Erwerbsminderung (ab 01.01.2001) zu leisten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Tatbestandes wird im Übrigen Bezug genommen auf den Inhalt der Akten des Gerichts, des Sozialgerichts Augsburg und der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und somit zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11.03.2003 ist nicht zu beanstanden, weil der Kläger gegen die Beklagte bis Beginn der Regelaltersrente keinen Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und - ab 01.01.2001 - auch keinen solchen auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Wegen der Antragstellung vor dem 31.03.2001 (04.01.1999) ist der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente an den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung zu messen, da geltend gemacht ist, dieser Anspruch bestehe bereits seit einem Zeitpunkt vor dem 01.01.2001 (vgl. § 300 Abs.2 SGB VI). Der Anspruch des Klägers ist aber auch nach den Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung zu messen, soweit sinngemäß (auch hilfsweise) vorgetragen ist, dass ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung jedenfalls zu einem Zeitpunkt nach dem 31.12.2000 gegeben ist (§ 300 Abs.1 SGB VI).

Einen Rentenanspruch hätte der Kläger nur dann, wenn der Leistungsfall der Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit noch bis spätestens Ende des Jahres 1993 eingetreten wäre, weil der Kläger nur bis dahin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 43 Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGB VI in der bis 31.12.2000 gültigen Fassung erfüllt hat. Bei einem späteren Leistungsfall hätte der Kläger nämlich in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung keine drei Jahre Pflichtbeiträge mehr aufzuweisen gehabt. Es liegen keine Tatbestände vor, die den maßgeblichen Fünfjahreszeitraum verlängern könnten (§ 43 Abs.3 SGB VI a.F.), auch ist kein Tatbestand ersichtlich, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt gewesen wäre (§ 43 Abs.4 SGB VI a.F.). Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen der Übergangsvorschriften der §§ 240 Abs.2, 241 Abs.2 SGB VI a.F. Danach sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit - wie der Kläger - erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit den dort genannten Zeiten belegt ist.

Der Senat geht mit der Beklagten davon aus, dass der Kläger im Zeitpunkt des ersten Rentenantrags vom 25.09.1991 und auch in den Folgejahren (bis 1996) weder berufs- noch erwerbsunfähig gewesen ist.

Ob im Anschluss an seine letzte versicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland bzw. die sich daran anschließende Arbeitslosigkeit beim Kläger wenigstens Berufsunfähigkeit vorgelegen hat, beurteilt sich danach, welche seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeiten dem Kläger unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und den besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden konnten. Der Kläger hat in seiner Heimat Italien, ohne einen Beruf erlernt zu haben, lediglich im Jahre 1957 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet. Während seiner anschließenden Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland war er nach seinen Angaben als ungelernter Arbeiter (Metallschleifer) tätig. Ob diese Beschäftigung aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben wurde, ist ohne Belang. Von Bedeutung ist lediglich das Ergebnis der im Dezember 1992 erfolgten Untersuchung in Italien, wonach er an Verschleißerscheinungen der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäule gelitten hat, wofür der begutachtende Arzt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von lediglich 35 % angenommen und das Vorliegen von Invalidität verneint hat. Dementsprechend kam auch die Beklagte zu der Auffassung, dass der Kläger noch in der Lage sei, leichte Arbeiten vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten (im Bescheid vom 17.02.1993). Auch im Formblattgutachten (E 213) vom 20.01.1996 wurde weiterhin ein Erwerbsminderungsgrad von 35 % angenommen. Ausgehend von dem letzten Pflichtbeitrag nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) im Januar 1992 und den davor bereits bestehenden Lücken (nach den Angaben der Beklagten im Dezember 1991; nach dem vorliegenden Versicherungsverlauf ist aber eine weitere Lücke zwischen Oktober 1990 und Dezember 1990 vorhanden) hätte der Kläger die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Leistung einer Rente nur mehr bis September bzw. Dezember 1993 erfüllt. Wenngleich der Kläger als Schleifer bereits seit seiner Rückkehr in die Heimat nicht mehr arbeiten hatte können, war er dennoch nicht berufsunfähig. Für die Annahme von Berufsunfähigkeit reicht es nämlich nicht aus, wenn Versicherte ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können, vielmehr sind sie nur dann berufsunfähig, wenn ihnen auch die Verweisung auf andere Berufstätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen oder sozial nicht mehr zumutbar ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. u.a. SozR 2200 § 1246 Nr.138). Nach dem vom Bundessozialgericht entwickelten Mehrstufenschema ist zugunsten des Klägers allenfalls von einer Zuordnung zur Stufe der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters, und zwar des unteren Bereichs (Ausbildungs- und Anlernzeit von drei Monaten bis zu einem Jahr, vgl. BSG-Urteil vom 29.03.1994 - SozR 3-2200 § 1246 Nr.45) auszugehen. Als angelernter Arbeiter des unteren Bereichs ist dem Kläger die Verweisung auf praktisch alle - auch ungelernte - Berufstätigkeiten sozial zumutbar gewesen, denen er körperlich, geistig und seelisch gewachsen gewesen ist. Der Benennung eines konkreten Verweisungsberufs bedarf es dabei grundsätzlich nicht; es hat beim Kläger bis Ende des Jahres 1993 (und auch weiterhin) weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorgelegen, die ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit auch bei einem Versicherten erforderlich machen würde, der der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters des unteren Bereichs zuzuordnen ist. Ob dem Kläger ein Arbeitsplatz auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich hätte vermittelt werden können, ist rechtlich unerheblich, da bei vollschichtig einsatzfähigen Versicherten der Arbeitsmarkt als offen anzusehen ist und das Risiko der Arbeitsvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen ist bzw. war.

Weil der Kläger bis Ende 1993 (und weiter bis jedenfalls 2000) nicht einmal berufsunfähig gewesen ist, war er erst recht nicht erwerbsunfähig gewesen im Sinne der bis 31.12.2000 in Kraft befindlichen noch strengeren Bestimmung des § 44 Abs.2 SGB VI a.F.

Bei einem späteren Eintritt des Leistungsfalls (also nach 1993) sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentenzahlung nicht mehr erfüllt und auch nicht mehr erfüllbar. Zunächst liegen keine Tatbestände vor, die den maßgeblichen Fünfjahreszeitraum verlängern könnten. So kommen insbesondere die in §§ 58, 252 SGB VI genannten Anrechnungszeiten wegen Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Rentenbezugs nicht in Betracht, worunter auch Leistungen in einem Mitgliedstaat der EU fallen würden (vgl. Art.9a der Verordnung - EWG - Nr.1408/71). So hat der Kläger in Italien weder eine Rente bezogen noch wurde ihm eine Leistung wegen Krankheit bzw. Arbeitslosigkeit gezahlt. Zwar hat er angegeben, er sei seit seiner Rückkehr in seine Heimat arbeitslos gewesen, auf eine entsprechende Anforderung des Senats, eine amtliche Bestätigung über bezogene Leistungen vorzulegen, hat er lediglich seine eigenen Angaben bestätigt.

Auch die Übergangsvorschriften der §§ 240 Abs.2 241 Abs.2 SGB VI a.F. führen nicht zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Nach dieser Vorschrift sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit mit den dort genannten Zeiten belegt ist.

Beitragszeiten vom 01.01.1984 fortlaufend bis zu einem möglichen Leistungsfall nach dem Jahre 1993 liegen beim Kläger nicht in ausreichendem Umfang vor und die bestehenden Lücken sind auch nicht mehr zu schließen. Nach den vorliegenden deutschen und italienischen Versicherungsverläufen sind jedenfalls der Monat Dezember 1991 sowie die Monate ab Februar 1992 nicht belegt. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob auch das Jahr 1990 (Oktober bis Dezember) nicht voll belegt ist, da eine nachträgliche Belegung mit Beiträgen, wobei nur freiwillige in Betracht kommen, für den Kläger nicht mehr zulässig ist. Nach der Vorschrift des § 197 Abs.2 SGB VI sind freiwillige Beiträge nur wirksam, wenn sie bis zum 31.03. des Jahres, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen, gezahlt werden. Die in § 197 Abs.2 SGB VI genannte Frist wird gemäß § 198 Satz 1 SGB VI durch ein Verfahren über einen Rentenanspruch, vorliegend also für die Zeit ab September 1991 bis zur Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 27.05.1998 unterbrochen. Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass zum damaligen Zeitpunkt eine Entrichtung freiwilliger Beiträge ab dem Jahre 1991 (innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Widerspruchsbescheides) noch möglich gewesen wäre. Nachdem jedoch erst am 04.01.1999 ein erneuter Rentenantrag gestellt wurde und der Kläger dem eindringlichen Hinweis im Widerspruchsbescheid nicht gefolgt ist, sich wegen der im Zusammenhang mit dem Erhalt der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erforderlichen Entrichtung freiwilliger Beiträge an die Beklagte zu wenden, hat er das Recht, freiwillige Beiträge für die zurückliegenden Zeiträume zu entrichten, verloren. Der Senat geht mit der Beklagten davon aus, dass ein Versicherter innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Beendigung der Unterbrechung tätig werden muss (vgl. KassKomm-Peters § 198 SGB VI Rdnr.9), zumindest in Form einer Anfrage beim Versicherungsträger. Der erneute Rentenantrag vom Januar 1999 hat zwar wiederum eine Unterbrechung von Zahlungsfristen bewirkt, die frühere Lücke (jedenfalls die im Dezember 1991) blieb dadurch jedoch unberührt und es folgt hieraus, dass ein Rentenanspruch wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsminderung nicht mehr ohne weitere drei Jahre Pflichtbeiträge entstehen kann. Eine Füllung der Lücken mit etwa in Italien zu zahlenden freiwilligen Beiträgen (auch rückwirkend) kommt offenbar nicht in Betracht, nachdem der Kläger einer zumutbaren Auflage des Senats, eine entsprechende Bestätigung des zuständigen italienischen Rentenversicherungsträgers vorzulegen, nicht nachgekommen ist.

Auch § 197 Abs.3 SGB VI greift nicht zugunsten des Klägers ein (vgl. hierzu BSG-Urteil vom 11.05.2000 - B 13 RJ 85/88 R in SozR 3-2750 Art.2 § 6 Nr.18). Nach Satz 1 dieser Bestimmung ist in Fällen besonderer Härte, insbesondere bei drohendem Verlust der Anwartschaft auf eine Rente auf Antrag des Versicherten die Zahlung von Beiträgen auch nach Ablauf der in § 197 Abs.1 und 2 SGB VI genannten Fristen zuzulassen, wenn der Versicherten an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert war. Selbst wenn man eine etwaige Unkenntnis der §§ 240 Abs.2, 241 Abs.2 SGB VI in der bis 31.12.2000 gültigen Fassung, die auf unzureichende Informationsmöglichkeiten am ausländischen Wohnsitz des Versicherten zurückzuführen ist, als unverschuldetes Hindernis der Beitragszahlung anerkennen würde, so könnte sich der Kläger jedoch nicht mehr auf mangelndes Verschulden berufen. Er hat nämlich jedenfalls hinsichtlich der Beiträge ab 1992 die in § 27 Abs.3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geregelte Jahresfrist, die auch im Rahmen des § 197 Abs.3 SGB VI entsprechend gilt, versäumt. Eine Nachzahlung wäre demnach allenfalls noch zuzulassen, wenn diese - anders als im vorliegenden Fall - zuvor infolge höherer Gewalt unmöglich gewesen wäre. Nicht als höhere Gewalt anzusehen ist beispielsweise das finanzielle Unvermögen des Klägers zur Zahlung etwaiger Beiträge.

Auch ein Fehlverhalten der Beklagten in Gestalt eines Verstoßes gegen ihre Beratungspflicht nach § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), das Grundlage für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch wäre, liegt nicht vor. Der Kläger wurde rechtzeitig in den angefochtenen Bescheiden bzw. im Widerspruchsbescheid vom 27.05.1998 auf die Erforderlichkeit der Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes und die Möglichkeit hingewiesen, sich etwa bei der Beklagten beraten zu lassen.

Die Zeit ab Januar 1984 ist auch nur zum Teil mit Anrechnungszeiten belegt. Eine Zurechnungszeit im Sinne des § 59 SGB VI scheidet schon deshalb aus, weil sie erst mit dem Eintritt der Erwerbsminderung beginnen kann, vgl. § 59 Abs.2 Nr.1 SGB VI.

Da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bzw. Minderung der Erwerbsfähigkeit beim Kläger nicht mehr vorliegen und auch nicht hergestellt werden können, steht ihm ein Rentenanspruch nicht zu. Die Durchführung einer gerichtsärztlichen Untersuchung zur Feststellung des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers war auch nicht mehr erforderlich, da ein etwaiger nunmehriger Eintritt von Erwerbsminderung nicht zu einem Rentenanspruch hätte führen können. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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