Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 10 U 110/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 110/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1952 geborene Kläger hat als angestellter Lehrer an verschiedenen Gymnasien die Fächer Musik, Deutsch und Philosophie unterrichtet. Er fühlt sich durch den Schuldienst überlastet und bemüht sich, die mit einer reduzierten Stundenzahl oder einem vorzeitigem Ruhestand verbundenen finanziellen Ausfälle dadurch zu kompensieren, dass er bei der Beklagten Rentenansprüche wegen verschiedener Berufskrankheiten (BK) geltend macht. Seine drei Klagen wegen der Berufskrankheiten nach Nr. 2108, 2102 und 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung hat er zurückgenommen, nachdem er vom Sozialgericht eindringlich über die mangelnde Erfolgsaussicht belehrt worden war. Mit dem vorliegenden Klageverfahren macht der Kläger ein "chronisches Erschöpfungssyndrom mit Tinnitus" als eine Erkrankung geltend, die gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII wie eine Berufskrankheit zu entschädigen sein soll.
Der Kläger war in den Jahren bis 2003 gelegentlich arbeitsunfähig wegen Infekten der Atemwege. Im ersten Halbjahr 2004 wurde er von dem H1 Neurologen S fast durchgehend arbeitsunfähig geschrieben wegen einer von diesem Arzt beim Kläger festgestellten Polyneuropathie. In dem Schuljahr 2004/2005 war er 5 mal arbeitsunfähig. Nach den Sommerferien 2005 nahm der Kläger wegen ärztlich attestierter Arbeitsunfähigkeit seinen Dienst nicht wieder auf.
Der Kläger stellte am 11.07.2004 auf einem 5 Seiten langen Schriftsatz mit 83 Blatt Anlagen einen Rentenantrag bei der Beklagten. Unter den Anlagen befand sich auch ein Aufsatz von Priv. Doz. X mit dem Titel "Das Burnout-Syndrom – Eine Berufskrankheit des 21. Jahrhunderts?" Der Verfasser kam abschließend zu dem Ergebnis, dass "beim heutigen medizinischen Wissensstand eine Aufnahme des Burnout-Syndroms in die Liste der Berufskrankheiten nicht erfolgen kann." Der praktische Arzt N bescheinigte dem Kläger unter dem 12.02.2003 das Vorhandensein eines chronischen Erschöpfungssyndroms. Der Internist C1 schloss in einem Bericht vom 01.04.2004 eine kardiale Grunderkrankung als Ursache des chronischen Erschöpfungssyndroms aus. Das Versorgungsamt H2 erkannte beim Kläger aufgrund der Befundberichte seiner behandelnden Ärzte mit Bescheid vom 30.08.2004 als Behinderungen u.a. chronisches Erschöpfungssyndrom, Polyneuropathie, Tinnitus und hirnorganisches Psychosyndrom an und stellte beim Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) um 40 v. H. fest. Die im anschließenden Klageverfahren S 00 SB 000/00 vom Sozialgericht durchgeführte Beweisaufnahme führte zu dem Ergebnis, dass beim Kläger weder die von S attestierte Polyneuropathie noch ein organisches Psychosyndrom besteht und dass der GdB richtigerweise nur mit 20 v. H. zu bewerten wäre. Zu dem hier streitigen Erschöpfungssyndrom schrieb der als Sachverständiger gehörte Neurologe C2:
"Bei der psychiatrischen Untersuchung erschien der Kläger bei der Schilderung seiner Befindensstörungen, seiner beruflich empfundenen Belastungen und seiner umweltbezogenen Befürchtungen unsicher und besorgt. Sonst war er affektiv ausgeglichen. Auch die übrigen psychischen Einzelfunktionen (Bewußtseinslage, Orientierung, Aufmerksamkeit, Auffassungsgabe, Konzentrationsfähigkeit, formales und inhaltliches Denken, Wahrnehmung, Gedächtnisleistungen, intellektuelle Fähigkeiten und Antriebsfunktionen) waren nicht krankheitswertig verändert.
Im Querschnitt ergaben sich somit keine Hinweise auf eine körperlich begründbare Störung der Geistestätigkeit (ein hirnorganisches Psychosyndrom), eine sog. endogene Psychose des schizophrenen Formenkreises oder des manisch- depressiven Typus, eine einfache oder neurotische erlebnisreaktive Störung von Krankheitswert oder eine gravierende Persönlichkeits- oder Charakteranomalie.
Insgesamt fanden sich psychopathologisch keine gravierenden Befunde, die die Befindensstörungen des Klägers einem definierten psychiatrischen Krankheitsbild zuordnen ließen.
Ermüdbarkeit, Erschöpfbarkeit und Vergeßlichkeit sind bei dem Kläger als sub- jektive Symptome ohne faßbare körperliche Ursache oder psychopathologisches Korrelat anzusehen. Das Störungsbild ist im Rahmen der psychiatrischen Klassifikationssysteme am ehesten als Neurasthenie (ICD F 48.0) einzordnen ...
Der Kläger fühlt sich zwar durch seine berufliche Tätigkeit beansprucht und belastet, ist daneben aber offensichtlich durchaus in der Lage, im Freizeitbereich (Wochenende, Schulferien) und auf nebenberuflichen Feldern (wissenschaftliche Publikationen) produktiv und kreativ zu werden (s. z.B. Bl. 11 SchwbG-Akte).
Illustriert wird die o.a. Einschätzung beispielsweise durch einen mit Prüfung und Bestnote bestandenen Studienkurs 2003 (Bl. 96 SchwbG-Akte). Mit einem organischen Psychosyndrom (z.B. Bl. 28 f. SchwbG-Akte) ist dieses kaum vereinbar.
Auch die selbständige, engagierte und sthenische Artikulation der eigenen Belange in beruflichen und rechtlichen Angelegenheiten mit profuser schriftlicher Produktion spricht für gut erhaltene Ressourcen und erhaltener Fähigkeit zur Überwindung der Versagensvorstellungen in motivationsbesetzten Bereichen. "
Der Sachverständige B führte in seinem Gutachten vom 16.04.2005 ergänzend aus: "Der Kläger berichtet über Erschöpfungszustände sowie über eine insbesondere nachmittäglich auftretene Müdigkeit, welche ihn veranlassen würde, sich nachmittags nach dem Schuldienst für einige Stunden hinzulegen. Bei der heutigen Untersuchung, welche am Nachmittag etwa zwischen 15:30 und 16:30 stattfand, konnte ein solcher Erschöpfungszustand nicht festgestellt werden. Die körperlichen Kräfte waren altersentsprechend normal und nicht erkennbar gemindert. Auch eine Erschöpfbarkeit der Reflexe, wie sie der behandelnde Neurologe beschreibt, konnte bei der heutigen Untersuchung nicht festgestellt werden. Der Neurologe und Psychiater Herr C2 ordnete in seinem Gutachten die angegebene Ermüdbarkeit, Erschöpfbarkeit und Vergeßlichkeit bei dem Kläger als subjektive Symptome ohne faßbare körperliche Ursache oder psychopathologisches Korrelat der Diagnose Neurasthenie zu. Dieser Meinung schließe ich mich an. Auch von meinem Fachgebiet her ergibt sich kein Anhalt für das Vorliegen einer faßbaren körperlichen Diagnose."
Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 25.05.2005 einen ablehnenden Bescheid unter Hinweis auf § 9 Abs. 2 SGB VII und das Fehlen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Den dagegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31.05.2005 zurück.
Mit der am 06.06.2005 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Rentenbegehren weiter.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente zu gewähren wegen eines chronischen Erschöpfungssyndroms mit Tinnitus, das wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten. Alle diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. In der Sache selbst ist sie jedoch nicht begründet. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung der Beklagten ist nicht rechtswidrig und der Kläger dadurch nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, da bei ihm keine BK vorliegt und auch keine Erkrankung, die wie eine BK gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII als Versicherungsfall anzuerkennen ist.
Beim Kläger liegt keine BK vor, da sich das vom Kläger geltend gemachte Krankheitsbild unter keine der Nummern in der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung einordnen lässt. Ein Erschöpfungssyndrom infolge der schädigenden Einwirkung von Schülern oder sonstiger Eigentümlichkeiten des Schulbetriebs wird in der Anlage nicht aufgeführt. Der Tinnitus wird zwar von der medizinischen Wissenschaft als Berufskrankheit angesehen, aber nur dann, wenn er im Zusammenhang mit einer Lärmschwerhörigkeit im Sinne der BK Nr. 2301 auftritt. Für eine Lärmschwerhörigkeit beim Kläger gibt es jedoch nicht den geringsten Anhalt.
Soweit der Kläger eine Berentung des bei ihm von mehreren Ärzten diagnostizierten und von Versorgungsamt als Behinderung anerkannten Erschöpfungssyndroms wie eine BK gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII begehrt, ist die Klage ebenfalls unbegründet. Denn weder ist das Vorliegen einer derartigen Erkrankung mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen, noch sind die besonderen Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII erfüllt.
Das chronische Erschöpfungssyndrom ist von den behandelnden Ärzten des Klägers unkritisch allein aufgrund der subjektiven Beschwerdeschilderungen des Klägers diagnostiziert worden. Der Internist C1 konnte ein Herzleiden als Ursache der vom Kläger angegebenen Beschwerden ausschließen. Aus den aktenkundigen Arztberichten ergibt sich nicht, dass von den anderen behandelnden Ärzten jemals der Versuch unternommen wurde, die Eigenangaben des Klägers durch gezielte Untersuchungen der Leistungsfähigkeit und der Fitness des Klägers zu verifizieren. Diagnosen, die allein auf der Selbstbeurteilung eines Patienten beruhen, hält das Sozialgericht nicht für geeignet zum Nachweis des Vorliegens einer bestimmten Krankheit. Dies gilt besonders dann, wenn sich aus dem Verhalten des Patienten objektive Hinweise dafür ergeben, dass seine Angaben nicht den Tatsachen entsprechen können. Die Sachverständigen C2 und B haben in ihren Gutachten im Parallelrechtsstreit 00 SB 000/00 nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass es für eine vorzeitige Erschöpfbarkeit des Klägers keine Anhaltspunkte gibt. Die beiden Gutachten des Neurologen C2 vom 03.03.3005 und des Orthopäden B vom 16.04.2005 aus dem Klageverfahren S 00 SB 000/00 konnten gemäß § 411 a ZPO auch in diesem Klageverfahren als Sachverständigengutachten verwertet werden (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage § 117, Rdn.6)
Bei den von den unabhängigen Sachverständigen aufgrund der gerichtlichen Beweisanordnung durchgeführten Untersuchungen zeigte der Kläger keine Anzeichen eines Erschöpfungszustands oder einer Verminderung der körperlichen Kräfte. Die Ärzte haben für das Sozialgericht nachvollziehbar dargelegt, dass sich der Kläger in seinem Privatleben und bei der Verfolgung seiner Rechtsansprüche außergewöhnlich aktiv und in keiner Weise behindert zeigt. Für die unbeeinträchtigte Handlungsfähigkeit des Klägers sprechen neben den in den Gutachten erwähnten Freizeitaktivitäten des Klägers auch die ungewöhnlich umfangreichen Schriftsätze des Klägers an die Beklagte und an das Gericht. Seine Schreiben sind immer mit zahlreichen Anlagen und mit Zitaten versehen, die nur durch äußerst zeitraubende Recherchen ausfindig gemacht und dann ausgewertet worden sein können. Das Sozialgericht hat dem Kläger am 06.10.2005 ein Päckchen zurückgesandt, das mit zahlreichen Veröffentlichungen über kranke Lehrer gefüllt war. Er hatte diese Literatur zusammen mit der 14 Seiten umfassenden Klageschrift übersandt. Die Kammer hält es für eine völlig normale körperliche Reaktion, dass man nach derartig belastenden Literaturrecherchen erschöpft ist. Sie kann darin keinen krankhaften körperlichen Zustand erkennen.
Aber selbst wenn man mit dem Kläger davon ausgeht, dass bei ihm ein Erschöpfungszustand als eigenständige Erkrankung vorliegt, so sind doch die speziellen Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII nicht erfüllt. Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK zu entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 SGB VII vorliegen. Zu diesen Voraussetzungen gehören der ursächliche Zusammenhang und die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neueren Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen. Das Tatbestandsmerkmal der gruppentypischen Risikoerhöhung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen eine generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es muss sich um gesicherte Erkenntnisse handeln; nicht erforderlich ist, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner sind. Andrerseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger nicht aus (BSG Urteil vom 21.01.1997 in 2 RU 7/96 und vom 04.06.2002 in B 2 U 20/01 R). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Der Kläger, der die Beklagte und das Gericht mit Unmengen von Veröffentlichungen zu den Belastungen im Lehrerberuf geradezu überschüttet hat, war nicht in der Lage, auch nur eine einzige wissenschaftliche Veröffentlichung vorzulegen oder zu benennen, in der sich ein Arzt dafür ausgesprochen hat, dass die Berufsgruppe der Lehrer durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die ein chronisches Erschöpfungssyndrom verursachen. Mit der Frage, ob das chronische Erschöpfungssyndrom bzw. Burnout-Syndrom eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit darstellen könnte, hat sich allein X in der vom Kläger vorgelegten Veröffentlichung aus dem Jahr 2000 befasst. Dieser Autor, auf den sich der Kläger zur Begründung seines Rentenbegehrens ausdrücklich beruft, hat bereits am Anfang seines Aufsatzes festgestellt, dass das Vorkommen dieses Syndroms nicht auf bestimmte Berufsgruppen beschränkt ist. Später hat er das Fazit gezogen (Bl. 75 der BG-Akte), dass die Aufnahme des Burnout-Syndroms in die Liste der Berufskrankheiten nicht erfolgen kann und dass auch § 9 Abs. 2 SGB VII nicht in Betracht kommt. Diese Veröffentlichung stützt also das Klagebegehren gerade nicht.
Das Gericht war daher nicht gehalten, Ermittlungen im Hinblick auf § 9 Abs. 2 SGG durchzuführen. Dies gilt um so mehr, als erfahrungsgemäß nicht nur Lehrer, sondern Angehörige aller Berufsgruppen heutzutage erheblichem beruflichen Stress ausgesetzt sind, auf den viele dann mit körperlichen Symptomen reagieren. Die Tatsache, dass Lehrer ihre Beschwerden besser verbalisieren können und sie daher in der Vergangenheit häufig Frühpensionierungen erreichen konnten, kann nach Ansicht der Kammer nicht als Beleg für eine weit überdurchschnittliche Erkrankungshäufigkeit bei Lehrern infolge beruflicher Überlastung gewertet werden.
Die Kostenentscheidung der nach alledem unbegründeten Klage beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Der 1952 geborene Kläger hat als angestellter Lehrer an verschiedenen Gymnasien die Fächer Musik, Deutsch und Philosophie unterrichtet. Er fühlt sich durch den Schuldienst überlastet und bemüht sich, die mit einer reduzierten Stundenzahl oder einem vorzeitigem Ruhestand verbundenen finanziellen Ausfälle dadurch zu kompensieren, dass er bei der Beklagten Rentenansprüche wegen verschiedener Berufskrankheiten (BK) geltend macht. Seine drei Klagen wegen der Berufskrankheiten nach Nr. 2108, 2102 und 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung hat er zurückgenommen, nachdem er vom Sozialgericht eindringlich über die mangelnde Erfolgsaussicht belehrt worden war. Mit dem vorliegenden Klageverfahren macht der Kläger ein "chronisches Erschöpfungssyndrom mit Tinnitus" als eine Erkrankung geltend, die gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII wie eine Berufskrankheit zu entschädigen sein soll.
Der Kläger war in den Jahren bis 2003 gelegentlich arbeitsunfähig wegen Infekten der Atemwege. Im ersten Halbjahr 2004 wurde er von dem H1 Neurologen S fast durchgehend arbeitsunfähig geschrieben wegen einer von diesem Arzt beim Kläger festgestellten Polyneuropathie. In dem Schuljahr 2004/2005 war er 5 mal arbeitsunfähig. Nach den Sommerferien 2005 nahm der Kläger wegen ärztlich attestierter Arbeitsunfähigkeit seinen Dienst nicht wieder auf.
Der Kläger stellte am 11.07.2004 auf einem 5 Seiten langen Schriftsatz mit 83 Blatt Anlagen einen Rentenantrag bei der Beklagten. Unter den Anlagen befand sich auch ein Aufsatz von Priv. Doz. X mit dem Titel "Das Burnout-Syndrom – Eine Berufskrankheit des 21. Jahrhunderts?" Der Verfasser kam abschließend zu dem Ergebnis, dass "beim heutigen medizinischen Wissensstand eine Aufnahme des Burnout-Syndroms in die Liste der Berufskrankheiten nicht erfolgen kann." Der praktische Arzt N bescheinigte dem Kläger unter dem 12.02.2003 das Vorhandensein eines chronischen Erschöpfungssyndroms. Der Internist C1 schloss in einem Bericht vom 01.04.2004 eine kardiale Grunderkrankung als Ursache des chronischen Erschöpfungssyndroms aus. Das Versorgungsamt H2 erkannte beim Kläger aufgrund der Befundberichte seiner behandelnden Ärzte mit Bescheid vom 30.08.2004 als Behinderungen u.a. chronisches Erschöpfungssyndrom, Polyneuropathie, Tinnitus und hirnorganisches Psychosyndrom an und stellte beim Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) um 40 v. H. fest. Die im anschließenden Klageverfahren S 00 SB 000/00 vom Sozialgericht durchgeführte Beweisaufnahme führte zu dem Ergebnis, dass beim Kläger weder die von S attestierte Polyneuropathie noch ein organisches Psychosyndrom besteht und dass der GdB richtigerweise nur mit 20 v. H. zu bewerten wäre. Zu dem hier streitigen Erschöpfungssyndrom schrieb der als Sachverständiger gehörte Neurologe C2:
"Bei der psychiatrischen Untersuchung erschien der Kläger bei der Schilderung seiner Befindensstörungen, seiner beruflich empfundenen Belastungen und seiner umweltbezogenen Befürchtungen unsicher und besorgt. Sonst war er affektiv ausgeglichen. Auch die übrigen psychischen Einzelfunktionen (Bewußtseinslage, Orientierung, Aufmerksamkeit, Auffassungsgabe, Konzentrationsfähigkeit, formales und inhaltliches Denken, Wahrnehmung, Gedächtnisleistungen, intellektuelle Fähigkeiten und Antriebsfunktionen) waren nicht krankheitswertig verändert.
Im Querschnitt ergaben sich somit keine Hinweise auf eine körperlich begründbare Störung der Geistestätigkeit (ein hirnorganisches Psychosyndrom), eine sog. endogene Psychose des schizophrenen Formenkreises oder des manisch- depressiven Typus, eine einfache oder neurotische erlebnisreaktive Störung von Krankheitswert oder eine gravierende Persönlichkeits- oder Charakteranomalie.
Insgesamt fanden sich psychopathologisch keine gravierenden Befunde, die die Befindensstörungen des Klägers einem definierten psychiatrischen Krankheitsbild zuordnen ließen.
Ermüdbarkeit, Erschöpfbarkeit und Vergeßlichkeit sind bei dem Kläger als sub- jektive Symptome ohne faßbare körperliche Ursache oder psychopathologisches Korrelat anzusehen. Das Störungsbild ist im Rahmen der psychiatrischen Klassifikationssysteme am ehesten als Neurasthenie (ICD F 48.0) einzordnen ...
Der Kläger fühlt sich zwar durch seine berufliche Tätigkeit beansprucht und belastet, ist daneben aber offensichtlich durchaus in der Lage, im Freizeitbereich (Wochenende, Schulferien) und auf nebenberuflichen Feldern (wissenschaftliche Publikationen) produktiv und kreativ zu werden (s. z.B. Bl. 11 SchwbG-Akte).
Illustriert wird die o.a. Einschätzung beispielsweise durch einen mit Prüfung und Bestnote bestandenen Studienkurs 2003 (Bl. 96 SchwbG-Akte). Mit einem organischen Psychosyndrom (z.B. Bl. 28 f. SchwbG-Akte) ist dieses kaum vereinbar.
Auch die selbständige, engagierte und sthenische Artikulation der eigenen Belange in beruflichen und rechtlichen Angelegenheiten mit profuser schriftlicher Produktion spricht für gut erhaltene Ressourcen und erhaltener Fähigkeit zur Überwindung der Versagensvorstellungen in motivationsbesetzten Bereichen. "
Der Sachverständige B führte in seinem Gutachten vom 16.04.2005 ergänzend aus: "Der Kläger berichtet über Erschöpfungszustände sowie über eine insbesondere nachmittäglich auftretene Müdigkeit, welche ihn veranlassen würde, sich nachmittags nach dem Schuldienst für einige Stunden hinzulegen. Bei der heutigen Untersuchung, welche am Nachmittag etwa zwischen 15:30 und 16:30 stattfand, konnte ein solcher Erschöpfungszustand nicht festgestellt werden. Die körperlichen Kräfte waren altersentsprechend normal und nicht erkennbar gemindert. Auch eine Erschöpfbarkeit der Reflexe, wie sie der behandelnde Neurologe beschreibt, konnte bei der heutigen Untersuchung nicht festgestellt werden. Der Neurologe und Psychiater Herr C2 ordnete in seinem Gutachten die angegebene Ermüdbarkeit, Erschöpfbarkeit und Vergeßlichkeit bei dem Kläger als subjektive Symptome ohne faßbare körperliche Ursache oder psychopathologisches Korrelat der Diagnose Neurasthenie zu. Dieser Meinung schließe ich mich an. Auch von meinem Fachgebiet her ergibt sich kein Anhalt für das Vorliegen einer faßbaren körperlichen Diagnose."
Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 25.05.2005 einen ablehnenden Bescheid unter Hinweis auf § 9 Abs. 2 SGB VII und das Fehlen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Den dagegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31.05.2005 zurück.
Mit der am 06.06.2005 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Rentenbegehren weiter.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente zu gewähren wegen eines chronischen Erschöpfungssyndroms mit Tinnitus, das wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten. Alle diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. In der Sache selbst ist sie jedoch nicht begründet. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung der Beklagten ist nicht rechtswidrig und der Kläger dadurch nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, da bei ihm keine BK vorliegt und auch keine Erkrankung, die wie eine BK gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII als Versicherungsfall anzuerkennen ist.
Beim Kläger liegt keine BK vor, da sich das vom Kläger geltend gemachte Krankheitsbild unter keine der Nummern in der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung einordnen lässt. Ein Erschöpfungssyndrom infolge der schädigenden Einwirkung von Schülern oder sonstiger Eigentümlichkeiten des Schulbetriebs wird in der Anlage nicht aufgeführt. Der Tinnitus wird zwar von der medizinischen Wissenschaft als Berufskrankheit angesehen, aber nur dann, wenn er im Zusammenhang mit einer Lärmschwerhörigkeit im Sinne der BK Nr. 2301 auftritt. Für eine Lärmschwerhörigkeit beim Kläger gibt es jedoch nicht den geringsten Anhalt.
Soweit der Kläger eine Berentung des bei ihm von mehreren Ärzten diagnostizierten und von Versorgungsamt als Behinderung anerkannten Erschöpfungssyndroms wie eine BK gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII begehrt, ist die Klage ebenfalls unbegründet. Denn weder ist das Vorliegen einer derartigen Erkrankung mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen, noch sind die besonderen Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII erfüllt.
Das chronische Erschöpfungssyndrom ist von den behandelnden Ärzten des Klägers unkritisch allein aufgrund der subjektiven Beschwerdeschilderungen des Klägers diagnostiziert worden. Der Internist C1 konnte ein Herzleiden als Ursache der vom Kläger angegebenen Beschwerden ausschließen. Aus den aktenkundigen Arztberichten ergibt sich nicht, dass von den anderen behandelnden Ärzten jemals der Versuch unternommen wurde, die Eigenangaben des Klägers durch gezielte Untersuchungen der Leistungsfähigkeit und der Fitness des Klägers zu verifizieren. Diagnosen, die allein auf der Selbstbeurteilung eines Patienten beruhen, hält das Sozialgericht nicht für geeignet zum Nachweis des Vorliegens einer bestimmten Krankheit. Dies gilt besonders dann, wenn sich aus dem Verhalten des Patienten objektive Hinweise dafür ergeben, dass seine Angaben nicht den Tatsachen entsprechen können. Die Sachverständigen C2 und B haben in ihren Gutachten im Parallelrechtsstreit 00 SB 000/00 nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass es für eine vorzeitige Erschöpfbarkeit des Klägers keine Anhaltspunkte gibt. Die beiden Gutachten des Neurologen C2 vom 03.03.3005 und des Orthopäden B vom 16.04.2005 aus dem Klageverfahren S 00 SB 000/00 konnten gemäß § 411 a ZPO auch in diesem Klageverfahren als Sachverständigengutachten verwertet werden (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage § 117, Rdn.6)
Bei den von den unabhängigen Sachverständigen aufgrund der gerichtlichen Beweisanordnung durchgeführten Untersuchungen zeigte der Kläger keine Anzeichen eines Erschöpfungszustands oder einer Verminderung der körperlichen Kräfte. Die Ärzte haben für das Sozialgericht nachvollziehbar dargelegt, dass sich der Kläger in seinem Privatleben und bei der Verfolgung seiner Rechtsansprüche außergewöhnlich aktiv und in keiner Weise behindert zeigt. Für die unbeeinträchtigte Handlungsfähigkeit des Klägers sprechen neben den in den Gutachten erwähnten Freizeitaktivitäten des Klägers auch die ungewöhnlich umfangreichen Schriftsätze des Klägers an die Beklagte und an das Gericht. Seine Schreiben sind immer mit zahlreichen Anlagen und mit Zitaten versehen, die nur durch äußerst zeitraubende Recherchen ausfindig gemacht und dann ausgewertet worden sein können. Das Sozialgericht hat dem Kläger am 06.10.2005 ein Päckchen zurückgesandt, das mit zahlreichen Veröffentlichungen über kranke Lehrer gefüllt war. Er hatte diese Literatur zusammen mit der 14 Seiten umfassenden Klageschrift übersandt. Die Kammer hält es für eine völlig normale körperliche Reaktion, dass man nach derartig belastenden Literaturrecherchen erschöpft ist. Sie kann darin keinen krankhaften körperlichen Zustand erkennen.
Aber selbst wenn man mit dem Kläger davon ausgeht, dass bei ihm ein Erschöpfungszustand als eigenständige Erkrankung vorliegt, so sind doch die speziellen Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII nicht erfüllt. Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK zu entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 SGB VII vorliegen. Zu diesen Voraussetzungen gehören der ursächliche Zusammenhang und die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neueren Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen. Das Tatbestandsmerkmal der gruppentypischen Risikoerhöhung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen eine generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es muss sich um gesicherte Erkenntnisse handeln; nicht erforderlich ist, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner sind. Andrerseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger nicht aus (BSG Urteil vom 21.01.1997 in 2 RU 7/96 und vom 04.06.2002 in B 2 U 20/01 R). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Der Kläger, der die Beklagte und das Gericht mit Unmengen von Veröffentlichungen zu den Belastungen im Lehrerberuf geradezu überschüttet hat, war nicht in der Lage, auch nur eine einzige wissenschaftliche Veröffentlichung vorzulegen oder zu benennen, in der sich ein Arzt dafür ausgesprochen hat, dass die Berufsgruppe der Lehrer durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die ein chronisches Erschöpfungssyndrom verursachen. Mit der Frage, ob das chronische Erschöpfungssyndrom bzw. Burnout-Syndrom eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit darstellen könnte, hat sich allein X in der vom Kläger vorgelegten Veröffentlichung aus dem Jahr 2000 befasst. Dieser Autor, auf den sich der Kläger zur Begründung seines Rentenbegehrens ausdrücklich beruft, hat bereits am Anfang seines Aufsatzes festgestellt, dass das Vorkommen dieses Syndroms nicht auf bestimmte Berufsgruppen beschränkt ist. Später hat er das Fazit gezogen (Bl. 75 der BG-Akte), dass die Aufnahme des Burnout-Syndroms in die Liste der Berufskrankheiten nicht erfolgen kann und dass auch § 9 Abs. 2 SGB VII nicht in Betracht kommt. Diese Veröffentlichung stützt also das Klagebegehren gerade nicht.
Das Gericht war daher nicht gehalten, Ermittlungen im Hinblick auf § 9 Abs. 2 SGG durchzuführen. Dies gilt um so mehr, als erfahrungsgemäß nicht nur Lehrer, sondern Angehörige aller Berufsgruppen heutzutage erheblichem beruflichen Stress ausgesetzt sind, auf den viele dann mit körperlichen Symptomen reagieren. Die Tatsache, dass Lehrer ihre Beschwerden besser verbalisieren können und sie daher in der Vergangenheit häufig Frühpensionierungen erreichen konnten, kann nach Ansicht der Kammer nicht als Beleg für eine weit überdurchschnittliche Erkrankungshäufigkeit bei Lehrern infolge beruflicher Überlastung gewertet werden.
Die Kostenentscheidung der nach alledem unbegründeten Klage beruht auf § 193 SGG.
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