S 6 KN 177/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 KN 177/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 22.08.2002 und der Widerspruchsbescheid vom 10.06.2003 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 26.08.1996 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger die Regelaltersrente unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Ersatzzeit vom 07.04.1947 bis zum 31.03.1950 ab dem 01.01.1997 zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger von der Beklagten die Gewährung der Regelaltersrente unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Ersatzzeit vom 07.04.1947 bis zum 31.03.1950 beanspruchen kann.

Im Rahmen der Familienrechtssache 00 F 000/00 des Amtsgerichts C gab der Kläger zur Klärung von Fehlzeiten in seiner Rentenversicherung in der nichtöffentlichen Sitzung des Amtsgerichts C am 10.03.1989 u. a. Folgendes zu Protokoll: " ...Am 07.04.1947 wurde ich wegen Waffenbesitzes verhaftet und von einem russischen Kriegsgericht zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt; ich habe diese Strafe aber nicht insgesamt verbüßt, ich wurde vielmehr am 08.02.1950 entlassen. Bei der Entlassung war ich unterernährt, ich blieb deshalb ca. sechs Wochen zu Hause. Etwa am 01.04.1950 fing ich dann beim Baugeschäft I1 in G als Hilfsarbeiter an ..." Eine Abschrift des Sitzungsprotokolls leitete das Amtsgericht C der Beklagten zu.

Im Rahmen eines am 21.03.1995 gestellten, später abgelehnten Antrags auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit überreichte der Kläger der Beklagten eine Mitteilung des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) vom 15.03.1995 nebst dieser beigefügten Unterlagen. Der DRK-Suchdienst teilte mit, dass er aus Archivbeständen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) Unterlagen mit den Namen von ehemaligen Inhaftierten der NKWD-Sonderlager auf dem Gebiet der früheren sowjetischen Zone (SBZ) erhalten habe. Weiter führte der DRK-Suchdienst aus:

"In diesen Unterlagen ist ein(e) T, I, geb.: 1931 Vatersname: aufgeführt, der/die im NKWD-Sonderlager Sachsenhausen (Oranienburg) verzeichnet ist und am 08.02.1950 entlassen wurde."

Unter dem 19.06.1996 beantragte der Kläger die Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung des Zeitraums vom 07.04.1947 bis zum 08.02.1950 wegen Internierung. Mit dem Bescheid vom 26.08.1996 gewährte die Beklagte die beantragte Regelaltersrente ab dem 01.10.1996. Sie lehnte die Anerkennung der Zeit vom 08.04.1947 bis zum 08.02.1950 als Ersatzzeit ab, weil insoweit keine Rehabilitierung oder Kassation erfolgt sei. Gegen diesen Bescheid richtete sich der am 27.09.1996 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch des Klägers. Zur Begründung trug er vor, dass sich der Widerspruch gegen die Ablehnung der Ersatzzeit vom 08.04.1947 bis zum 08.02.1950 richte. Er sei wegen unerlaubten Waffenbesitzes von einem russischen Militärgericht zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Bei Aufräumarbeiten sei eine Waffe gefunden worden. Er habe davon erfahren und diese Waffe einen Tag später mit einem Freund geholt. Einen Tag danach war die Verhaftung von ihm, seinem Bruder sowie zwei Freunden durch die deutsche Polizei erfolgt. Bei einem Telefongespräch mit dem Justizministerium Potsdam habe man ihm angeraten, die Rehabilitierung bei der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern zu beantragen. Am 20.11.1996 beantragte der Kläger die Rehabilitierung beim Landgericht Schwerin (Az.: 00 Rh 000/00). Zu seinem Rehabilitierungsantrag nahm die Staatsanwaltschaft Schwerin unter dem 03.03.1997 Stellung (Az.: 000 RHS 000/00). Hierin führte die Staatsanwaltschaft Schwerin aus, dass der Rehabilitierungsantrag unzulässig sei. Nach § 1 Abs. 1 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) könnten nur Urteile deutscher Gerichte im Beitrittsgebiet aus der Zeit vom 08. Mai 1945 bis zum 02. Oktober 1990 auf Antrag für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben werden. Die Rehabilitierung wegen Verurteilungen durch ausländische Gerichte sei aus völkerrechtlichen Erwägungen heraus vom Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz nicht vorgesehen. Der Antragsteller könne daher nur einen entsprechenden Antrag bei den zuständigen russischen Behörden stellen. Der Kläger übersandte diese Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Schwerin und ein Schreiben des Landgerichts Schwerin vom 17.03.1997, mit dem der Kläger um Erklärung gebeten wurde, ob er seinen Antrag auf strafrechtliche Rehabilitierung aufrecht erhalten wolle, der Beklagten. Diese teilte dem Kläger in einem erläuternden Schreiben vom 25.08.1997 mit, dass nach dem Inhalt der vorgelegten Unterlagen keine Rehabilitierung oder Kassation für die Inhaftierung in der Zeit vom 08.04.1947 bis zum 08.02.1950 zu erwarten sei, so dass dieser Zeitraum weiterhin nicht als Ersatzzeit bei seiner Regelaltersrente berücksichtigt werden könne. Die Beklagte fragte daher an, ob der Kläger bereit sei, seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 26.08.1996 zurückzunehmen. Mit der am 13.10.1997 bei der Beklagten eingegangenen Erklärung nahm der Kläger sodann seinen Widerspruch zurück.

Am 14.11.2001 beantragte der Kläger die Neufeststellung seiner Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Ersatzzeit für den Zeitraum vom 08.04.1947 bis zum 08.02.1950 sowie für den Zeitraum vom 09.02. bis zum 31.03.1950 wegen der anschließenden Arbeitsunfähigkeit. Mit seinem Antrag legte der Kläger ein Schreiben der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau vom 23.10.12001, ein Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation – Militärhauptstaatsanwaltschaft – vom 31.05.2001 und deren Rehabilitierungsbescheinigung vom selben Tag (Nr. 0ve-0000-00, jeweils das russische Original mit Übersetzung) vor. Die vorgenannten Dokumente der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation – Militärhauptstaatsanwaltschaft – wurden dem Kläger durch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau zugeleitet. Diese teilte dem Kläger mit, dass die beigefügten Übersetzungen vom Sprachendienst der Botschaft angefertigt worden seien. Die Militärhauptstaatsanwaltschaft führte in ihrem Schreiben vom 31.05.2001 aus, dass die Prüfung der Akte ergeben habe, dass H1 (I2) T unbegründet verurteilt worden sei. Daher sei eine Rehabilitierungsentscheidung getroffen worden. Die entsprechende Bescheinigung werde der Deutschen Botschaft in Moskau zur Aushändigung an die Betroffenen übersandt. Gegen das Urteil bzgl. T2, H2 (I3) T1 und F sei beim 3. Bezirksmilitärgericht ein Kassationsantrag zur Umqualifizierung ihrer Handlungen von Art. 58-14 StGB der RSFSR nach Art. 182 Abs. 1 StGB der RSFSR eingereicht worden, da sie illegal Schusswaffen erworben, besessen und mit ihnen gehandelt hätten. Nach der Rehabilitierungsbescheinigung vom 31.05.2001 sei der Kläger am 07.04.1947 inhaftiert worden und am 19.06.1947 durch das Militärtribunal der Sowjetischen Militäradministration in Mecklenburg gem. Art. 58-14 StGB der RSFSR zu sieben Jahren Freiheitsentzug im Arbeits- und Besserungslager ohne Einziehung des Vermögens verurteilt worden. Gem. Art. 3 Punkt "a " des Gesetzes der Russischen Föderation "über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen" vom 18.10.1991 sei Herr H1 (I2) T1 rehabilitiert worden. Auf den weiteren Inhalt der vorgenannten Unterlagen wird verwiesen.

Mit Bescheid vom 22.08.2002 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 14.11.2001 auf Neufeststellung der Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Ersatzzeit wegen Rehabilitierung ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Berücksichtigung einer Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 oder Nr. 5 a des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) für die Zeit vom 07.04.1947 bis zum 31.03.1950 ausgeschlossen sei. Die Anerkennung einer Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI setze voraus, dass die Versicherten zum Personenkreis nach § 1 des Häftlingshilfegesetzes gehörten. Leistungen nach diesem Gesetz erhielten Personen, wenn sie aus politischen und nach freiheitlich – demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen worden seien. Als politische Gründe seien zu verstehen die durch die politischen Verhältnisse in den Gewahrsamsgebieten bedingten Gründe, Ursachen und Formen des Freiheitsentzuges. Nicht vom Häftlingshilfegesetz erfasst würden u. a. Haftzeiten wegen unerlaubten Waffenbesitzes sowie unschuldig erlittener, nichtpolitischer Gewahrsam (vgl. hierzu BSG-Urteil vom 23.04.1980, 4 RJ 3/79). Da Haftzeiten wegen unerlaubten Waffenbesitzes sowie unschuldig erlittener, nichtpolitischer Gewahrsam vom Häftlingshilfegesetz nicht erfasst würden, komme eine Anerkennung der Haftzeit als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI nicht in Frage. Eine Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 a SGB VI sei für Zeiten des Freiheitsentzuges im Beitrittsgebiet anzuerkennen, wenn eine auf eine Rehabilitierung ergangene Entscheidung eines Gerichts vorliege. Aufgrund der Rehabilitierungsgesetze könnten Personen rehabilitiert werden, die Opfer einer politisch motivierten Strafverfolgungsmaßnahme oder sonst einer rechtsstaats- oder verfassungswidrigen gerichtlichen Entscheidung geworden seien. Die strafrechtlichen Entscheidungen eines staatlichen deutschen Gerichts im Beitrittsgebiet aus der Zeit vom 08.05.1945 bis zum 02.10.1990 seien auf Antrag für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben, soweit sie mit den wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen, demokratischen Ordnung unvereinbar seien, insbesondere weil die Entscheidungen politischer Verfolgung gedient hätten oder die angeordneten Rechtsfolgen rechtsstaatswidrig im groben Missverhältnis zu der zugrunde liegenden Tat stünden. Der Kläger sei durch das Sowjetische Militärtribunal wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Durch die Rehabilitierung vom 31. 05. 2001 sei nachgewiesen, dass es sich um eine zu Unrecht erlittene Strafhaft handele. Grund für die Verurteilung sei jedoch nicht eine politisch motivierte Strafverfolgung bzw. eine rechtsstaats- und verfassungswidrige gerichtliche Entscheidung gewesen. Daher sei auch die Rehabilitierung nach § 1 Abs. 1 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes durch die Staatsanwaltschaft Schwerin am 03.03.1997 abgelehnt worden. Damit sei auch die Anerkennung einer Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 a SGB VI ausgeschlossen.

Gegen diesen Bescheid richtete sich der am 16.09.2002 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch des Klägers. Er machte geltend, dass die Berücksichtigung einer Ersatzzeit gem. § 250 SGB VI zu Unrecht abgelehnt worden sei. Für die Anerkennung sei nicht erforderlich, dass ein Anerkennungsverfahren nach dem Häftlingshilfegesetz durchlaufen worden sei. Vielmehr genüge eine auf Rehabilitierung oder Kassation erkennende Entscheidung. Die entsprechende Entscheidung der russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft vom 31.05.2001 habe er vorgelegt. Die Entscheidung eines Gerichts sei dabei nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht gefordert. Es müsse sich lediglich um die zuständige Stelle handeln. Das Landgericht Schwerin habe bereits mit Beschluss vom 15.05.1997 entschieden, dass deutsche Gerichte im Fall des Klägers nicht zuständig seien. Zuständig sei vielmehr, da es sich um Taten in der damaligen sowjetisch besetzten Zone handele, die vom NKWD geahndet worden seien, die russische Militärhauptstaatsanwaltschaft. Mit Bescheid vom 10.06.2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Mit seiner am 09.07.2003 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, dass seine Verurteilung durch das sowjetische Militärtribunal nach dem politischen Strafrecht (Art. 58-14 des Strafgesetzbuches der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik – RSFSR -) wegen "gegenrevolutionärer Sabotage" erfolgt sei. Art. 58-14 des StGB der RSFSR habe ausschließlich der politischen Verfolgung gedient. Im Gegensatz zu den Mitverurteilten sei bei ihm auch keine Umqualifizierung seiner Handlungen von einem politischen Straftatbestand in einen Straftatbestand nach Art. 182 Abs. 1 StGB der RSFSR wegen illegalen Waffenbesitzes erfolgt. Die Beklagte könne daher nicht entgegen der Rehabilitierungsentscheidung der russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft behaupten, dass er doch Schusswaffen erworben, besessen oder mit solchen gehandelt habe. Die Beklagte müsse daher ihrer Entscheidung die Rehabilitierungsentscheidung der russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft zugrunde legen. Entgegen der Annahme der Beklagten sei die Ablehnung seiner Rehabilitierung durch die Staatsanwaltschaft Schwerin am 03.03.1997 nur deshalb erfolgt, da nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes nur Entscheidungen staatlicher deutscher Gerichte und nicht etwa sowjetischer Militärtribunale aufgehoben werden dürften. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 und 5 a SGB VI seien erfüllt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 22.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilten, den Bescheid vom 26.08.1996 teilweise zurückzunehmen und die Regelaltersrente unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Ersatzzeit vom 07.04.1947 bis zum 31.03.1950 ab dem 01.01.1997 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf die Begründung der angefochtenen Bescheide. Ergänzend trägt sie vor, dass die Haft des Klägers aus kriminellen Gründen und nicht aus politischen Gründen erfolgt sei. Vor dem Hintergrund der Verurteilung des Klägers wegen illegalen Schusswaffenbesitzes könne nicht von einem politisch motivierten Gewahrsam ausgegangen werden, da die Haftzeit auch unter rechtsstaatlichen Grundsätzen zu verbüßen gewesen wäre.

Auf Anforderung des Gerichts hat der Kläger ein Schreiben der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau vom 04.10.2004, den russischen Text des russischen Gesetzes über die Rehabilition von Opfern politischer Repressionen vom 18.10.1991, die Texte der Art. 58-14 und 182 des StGB der RSFSR in russischer und deutscher Sprache sowie aus der Reihe "Gesprächskreis Geschichte" der Friedrich-Ebert-Stiftung das Heft 29 von Günther Wagenlehner mit dem Titel "Die russischen Bemühungen um die Rehabilitierung der 1941 – 1956 verfolgten deutschen Staatsbürger" mit dem deutschen Text des Gesetzes der Russischen Föderation über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen beigebracht. Auf den Inhalt der genannten Dokumente wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid vom 22.08.2002 und der Widerspruchsbescheid vom 10.06.2003 sind rechtswidrig und beschweren den Kläger somit im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 SGB. Denn er hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung der Regelaltersrente unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Ersatzzeit vom 07.04.1947 bis zum 31.03.1950.

Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI i. V. m. § 44 Abs. 1, 4 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X).

Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind erfüllt.

Denn es ergibt sich, dass bei Erlass des Bescheides vom 26.08.1996 von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Zum Zeitpunkt des Erlasses des vorgenannten Verwaltungsaktes war davon ausgegangen worden, dass die Verurteilung des Klägers durch das sowjetische Militärtribunal aufgrund illegalen Waffenbesitzes erfolgt war. Dieser Sachverhalt trifft jedoch nicht zu. Der Kläger wurde nach seiner Inhaftierung am 07.04.1947 am 19.06.1947 durch das Militärtribunal der Sowjetischen Militäradministration in Mecklenburg gem. Art. 58-14 StGB der RSFSR zu sieben Jahren Freiheitsentzug im Arbeits- und Besserungslager verurteilt. Damit erfolgte die Verurteilung des Klägers nicht wegen illegalen Waffenbesitzes, die nach Art. 182 Abs. 1 StGB der RSFSR hätte erfolgen müssen. Art. 182 Abs. 1 des StGB der RSFSR lautet wie folgt:

"Herstellung, Aufbewahrung, Kauf und Absatz von Sprengstoffen oder Geschossen sowie von Schusswaffen (außer Jagdwaffen) ohne die erforderliche Erlaubnis zieht nach sich Freiheitsentziehung bis zu fünf Jahren, verbunden mit Einziehung der genannten Stoffe, Geschosse und Waffen."

Der Wortlaut des Art. 58 Abs. 14 des StGB des RSFSR lautet wie folgt:

"Gegenrevolutionäre Sabotage, d. h. bewusste Nichterfüllung bestimmter Verpflichtungen oder deren vorsätzlich unzulängliche Erfüllung in der speziellen Absicht, die Macht der Regierung oder das Funktionieren des Staatsapparates zu beeinträchtigen, zieht nach sich Freiheitsentziehung nicht unter einem Jahr, verbunden mit völliger oder teilweiser Vermögenskonfiskation; bei Vorliegen besonders erschwerender Umstände: Erhöhung bis zur schwersten Maßnahme des sozialen Schutzes – Erschießung, verbunden mit Vermögenskonfiskation."

Vor dem Hintergrund des Wortlautes der vorgenannten russischen Vorschriften und des Inhalts der vom Kläger beigebrachten Rehabilitierungsbescheinigung der russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft vom 31.05.2001 und dessen Schreiben vom 31.05.2001 lässt sich die von der Beklagten weiter geäußerte Behauptung, die Haft des Klägers sei wegen illegalen Waffenbesitzes und damit aus kriminellen Gründen erfolgt, nicht aufrecht erhalten. Damit geht die Beklagte nach wie vor von einem unzutreffenden Sachverhalt aus. Dies ist umso weniger nachvollziehbar, als sie hierfür keine tatsächlichen Anknüpfungspunkte hat. Denn mit der Beibringung der genannten Dokumente der russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft vom 31.05.2001 ist nachgewiesen, dass der Kläger eben nicht wegen illegalen Waffenbesitzes (Art. 182 StGB der RSFSR) sondern wegen gegenrevolutionärer Sabotage (Art. 58-14 des StGB der RSFSR) verurteilt worden war. Der Nachweis ist auch durch die Vorlage der Dokumente der russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft vom 31.05.2001 ausreichend zuverlässig geführt. Denn die russische Militärhauptstaatsanwaltschaft verfügt über die zur Beurteilung der Einzelheiten der Verurteilung des Klägers durch das Militärtribunal der Sowjetischen Militäradministration erforderliche Aktenkenntnis. Sie hat auch vor dem Hintergrund dessen, dass die drei Mitverurteilten des Klägers nicht rehabilitiert wurden, eine differenzierte Beurteilung vorgenommen, was dafür spricht, dass sie eine sorgfältige Einzelfallprüfung vorgenommen hat. Da bezüglich der drei Mitverurteilten durch die russische Militärhauptstaatsanwaltschaft beim Bezirksmilitärgericht ein Kassationsantrag zur Umqualifizierung ihrer Handlungen von Art. 58-14 StGB der RSFSR nach Art. 182 Abs. 1 StGB der RSFSR eingereicht wurde, da diese illegal Schusswaffen erwarben, besaßen und mit ihnen handelten, ein solcher Antrag den Kläger betreffend jedoch nicht gestellt wurde, ist nachgewiesen, dass die der russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft vorliegenden Akten keine tatsächlichen Ansatzpunkte für eine Verurteilung des Klägers nach Art. 182 Abs. 1 StGB der RSFSR enthalten. Eine weitere Aufklärung in Bezug auf den Inhalt der russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft vorliegenden Akten ist nicht möglich, da ausweislich der Mitteilung der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau vom 04.10.2004 an den Bevollmächtigten des Klägers zu weiteren aussagekräftigen Unterlagen aus dem Rehabilitierungsverfahren von der Militärhauptstaatsanwaltschaft keine weiteren Informationen zu erhalten sind. Rechtlich irrelevant ist, dass der Kläger sich möglicherweise tatsächlich verbotenerweise in Besitz einer Waffe gebracht hatte. Entscheidend ist vielmehr aus welchen Gründen die Verurteilung des Klägers und damit die Aufrechterhaltung der Inhaftierung erfolgt ist.

Unter Zugrundelegung dieses vorstehend beschriebenen, nachgewiesenen Sachverhalts ist der Zeitraum vom 07.04.1947 bis zum 31.03.1950 als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI anzuerkennen. Nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI sind Ersatzzeiten Zeiten vor dem 01. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach Vollendung des 14. Lebensjahr in Gewahrsam genommen worden sind oder im Anschluss daran wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitlos gewesen sind, wenn sie zum Personenkreis des § 1 des Häftlingshilfegesetzes (HHG) oder nur deshalb nicht gehören, weil sie vor dem 03. Oktober 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen haben. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG erhalten deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige Leistungen nach Maßgabe der folgenden Vorschriften, wenn sie nach der Besetzung ihres Aufenthaltsortes oder nach dem 08. Mai 1945 in der sowjetischen Besatzungszone oder im sowjetisch besetzten Sektor von Berlin oder in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes genannten Gebieten aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen wurden. Nach § 1 Abs. 5 Satz 1 HHG ist Gewahrsam im Sinne des Absatzes 1 ein Festgehaltenwerden auf eng begrenztem Raum unter dauernder Bewachung.

Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 HHG sind erfüllt. Der Kläger war vom 07.04.1947 bis zum 08.02.1950 im NKWD-Sonderlager Sachsenhausen inhaftiert, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist. Nachgewiesen ist die Haft durch die vom Kläger beigebrachten Dokumente der russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft vom 31.05.2001 sowie die Bestätigung des DRK-Suchdienstes vom 25.03.1995 über die Inhaftierung im NKWD-Sonderlager Sachsenhausen. Der Kläger befand sich damit im Gewahrsam im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG. Die Ingewahrsamnahme erfolgte sowohl aus politischen, als auch aus nach freiheitlich-demokratischer Auffassung vom Kläger nicht zu vertretenden Gründen. Denn die Haft des Klägers beruhte entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf kriminellen Gründen. Auf die oben stehenden Ausführungen des Gerichts kann hierzu Bezug genommen werden. Die Haft des Klägers erfolgte hingegen aus politischen Gründen. Denn der Kläger ist am 19.06.1947 durch das Militärtribunal der Sowjetischen Militäradministration in Mecklenburg gemäß Art. 58-14 StGB der RSFSR zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Bei dem Art. 58-14 StGB der RSFSR handelte es sich um einen Vorschrift des politischen Strafrechts, die allein der politischen Verfolgung diente. So erfolgte auch die Rehabilitierung des Klägers gemäß Art. 3 a) des Gesetzes der Russischen Föderation über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen vom 18.10.1991. Im Übrigen wäre auch eine Inhaftierung aufgrund einer Verurteilung wegen illegalen Waffenbesitzes rechtsstaatswidrig gewesen. Denn die vom Kläger beigebrachten Dokumente der russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft vom 31.05.2001 belegen, dass dem Kläger eine entsprechende Straftat nicht hätte nachgewiesen werden können. Ohne dass einem Beschuldigen eine Straftat nachgewiesen werden kann, kommt eine Verurteilung wegen dieser Straftat in einem Rechtsstaat ersichtlich nicht in Betracht.

Nach allem gehört der Kläger zum Personenkreis des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG. Eine Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI setzt nach dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht die Durchführung eines Verwaltungs- bzw. Feststellungsverfahrens nach dem HHG voraus. Die übrigen Voraussetzungen der genannten Vorschrift sind unstreitig erfüllt. Die Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI sind auch im Hinblick auf den Zeitraum vom 09.02. bis 31.03.1950 erfüllt. Denn im Anschluss an seine Inhaftierung war der Kläger in dem genannten Zeitraum arbeitunfähig. Für die Kammer steht aufgrund ihrer Kenntnis von den Bedingungen einer Haft in den NKWD-Lagern in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone fest, dass der Kläger aufgrund der von ihm angegebenen Unterernährung bis Ende März 1950 keiner Erwerbstätigkeit nachgehen konnte.

Von dem oben dargelegten Sachverhalt ist die Beklagte bei dem Erlass des Rentenbescheides vom 26.08.1996 nicht ausgegangen, so dass sie von einem Sachverhalt ausgegangen war, der sich als unrichtig erweist. Der Bescheid vom 26.08.1996 ist daher gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X insoweit zurückzunehmen, als die Regelaltersrente ohne Berücksichtigung einer Ersatzzeit vom 07.04.1947 bis zum 31.03.1950 gewährt wurde. Nach § 44 Abs. 4 SGB X werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (vgl. § 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (vgl. § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X). Da der Kläger den Antrag auf Neufeststellung seiner Regelaltersrente am 14.11.2001 stellte, wird der 4-Jahreszeitraum von Beginn des Jahres 2001 an gerechnet. Damit ist die Regelaltersrente unter Berücksichtigung der Ersatzzeit vom 07.04.1947 bis zum 31.03.1950 ab dem 01.01.1997 zu gewähren.

Zudem wird das Begehren des Klägers teilweise auch von § 48 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 250 Abs. 1 Nr. 5 a SGB VI gestützt.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderungen zugunsten des Betroffenen erfolgt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. In den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bescheides vom 26.08.1996 vorgelegen haben, ist eine wesentliche Änderung eingetreten. Diese Änderung besteht darin, dass der Kläger durch die Entscheidung der russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft vom 31.05.2001 rehabilitiert wurde und seitdem die Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 5 a SGB VI erfüllt sind.

Nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 a SGB VI sind Ersatzzeiten Zeiten vor dem 01. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr im Beitrittsgebiet in der Zeit vom 08. Mai 1945 bis zum 30. Juli 1990 einen Freiheitsentzug erlitten haben, soweit eine auf Rehabilitierung oder Kassation erkennende Entscheidung ergangen ist, oder im Anschluss an solche Zeiten wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind.

Auch die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Bezüglich der Inhaftierung des Klägers vom 07.04.1947 bis zum 08.02.1950 ist eine auf Rehabilitierung erkennende Entscheidung ergangen. Denn der Kläger ist durch die Entscheidung der russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft vom 31.05.2001 rehabilitiert. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift verlangt diese keine Rehabilitierung durch ein deutsches Gericht oder eine deutsche Behörde. Unschädlich ist auch, dass eine Rehabilitierung nach § 1 Abs. 1 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) nicht erfolgt ist. Denn nach § 1 Abs. 1 StrRehaG können nur Urteile deutscher Gerichte im Beitrittsgebiet aus der Zeit vom 08.05.1945 bis zum 02.10.1990 auf Antrag für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben werden. Die Rehabilitierung wegen Verurteilungen durch ausländische Gerichte ist aus völkerrechtlichen Erwägungen heraus vom StrRehaG nicht vorgesehen. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der an das Landgericht Schwerin gerichtete Antrag auf Rehabilitierung nach dem StrRehaG auch nicht deshalb abgelehnt worden, weil der Kläger aus kriminellen Gründen verurteilt worden wäre. Der Antrag des Klägers hatte allein deshalb keinen Erfolg, weil – wie bereits dargelegt worden ist - die Aufhebung einer ausländischen Entscheidung nach § 1 Abs. 1 StrRehaG nicht erfolgen konnte. Für den Zeitraum vom 09.02. bis 31.03.1950 liegen die Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 5 a SGB VI aufgrund der Arbeitsunfähigkeit des Klägers infolge der Haftbedingungen vor. Das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen der genannten Vorschrift ist ebenfalls gegeben und zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183,193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved