S 2 SO 109/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 109/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für den Zeitraum vom 22.08.2005 längstens bis zum Ende des Schuljahrs 2005/2006 Eingliederungshilfe für den zu ihrer schulischen Betreuung eingesetzten Integrationshelfer in Höhe von 8,50 Euro pro tatsächlich geleisteter bzw. betreuter Unterrichtsstunde zu gewähren. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L aus F bewilligt. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Gründe:

Die am 00.00.1997 geborene Antragstellerin ist hochgradig körperlich behindert mit Blindheit und Lähmung aller Gliedmaßen (Tetraplegie). Beim Schulbesuch bedarf sie der Hilfe bei der Fortbewegung im Gebäude im Rollstuhl, bei der Nahrungsaufnahme und zum Windelwechsel. Sie besucht seit dem 01.08.2004 die D Schule in C und wurde während des letzten Schuljahrs betreut durch einen vom Förderverein der Schule vorfinanzierten Helfer. Für das zum 1.8.2005 beginnende neue Schuljahr kann der Förderverein die Kosten nicht mehr übernehmen. Die Antragsgegnerin lehnte mit Bescheid vom 18.08.2004 und Widerspruchsbescheid vom 13.12.2004 Eingliederungshilfe mit der Begründung ab, dass hier pflegerische Aspekte im Vordergrund ständen und die Antragstellerin bei der zuständigen Pflegekasse einen Antrag auf Sachleistung nach § 36 SGB XI stellen könne. Die dagegen erhobene Klage ist unter dem Aktenzeichen 00 L 000/00 beim Verwaltungsgericht anhängig. Zum Beginn des neuen Schuljahrs hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Beiden Anträgen war zu entsprechen.

Gemäß § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86 b Abs. 3 SGG).

Voraussetzung der einstweiligen Anordnung ist demnach, dass der Antragsteller hinreichend glaubhaft macht (§§ 920 Abs. 2, 294 ZPO), dass ihm der geltend gemachte Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und es der sofortigen Durchsetzung seines Anspruchs zur Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage mittels der begehrten gerichtlichen Entscheidung bedarf, weil ihm ansonsten unzumutbare und anders nicht wieder gutzumachende Nachteile entstehen (Anordnungsgrund)

Im vorliegenden Fall sind sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Der Anspruch der Antragstellerin auf Integrationsleistungen folgt aus §§ 53 Abs.1, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII. Durch die ständige Betreuung im Bereich der Schule wird der Antragstellerin erst der Besuch der Schule ermöglicht. Die Antragsgegnerin kann den Anspruch nicht unter Hinweis auf den Nachrang der Eingliederungshilfe ablehnen. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch gegen den Schulträger, weil § 92 des neuen Schulgesetzes für Nordrhein-Westfalen vom 27.01.2005 einen Anspruch gegen den Schulträger ausschließt. Die Antragstellerin kann auch nicht auf die Pflegekasse verwiesen werden. Die Pflegeversicherung muss nicht für einen Integrationshelfer aufkommen. Dies gehört nicht zu den in § 28 SGB XI aufgezählten Leistungen der Pflegeversicherung. Der Integrationshelfer kommt auch nicht als Sachleistung nach § 36 SGB XI in Betracht, denn es ist nicht Aufgabe der Pflegeversicherung, Behinderten eine angemessene schulische Ausbildung zu ermöglichen und dadurch die Integration eines Behinderten zu fördern.

Es besteht auch ein Anordnungsgrund, denn ohne entsprechende Verpflichtung der Antragsgegnerin ist ein weiterer Schulbesuch der Antragstellerin nicht möglich. Die Eltern der Antragstellerin können den Betreuungsbedarf weder durch eigene Tätigkeit noch durch eigene finanzielle Mittel sicherstellen und auch eine Unterstützung von dritter Seite (Förderverein) ist für das neue Schuljahr nicht mehr gegeben.

Da der Unterricht nach den Sommerferien erst am 22.08.2005 beginnt, muss auch erst ab diesem Zeitpunkt die Betreuung durch einen Integrationshelfer finanziell abgesichert sein. Das Gericht hat die einstweiligen Anordnung abweichend von der üblichen Praxis nicht auf das Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung befristet, weil es keinen Anhaltspunkt für eine in Kürze zu erwartende Verbesserung der finanziellen Verhältnisse der Antragstellerin gibt, die zu einer anderen Beurteilung des Anspruchs im Verlauf des Schuljahrs Anlass geben könnte.

Dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L war ebenfalls stattzugeben, da der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz aus den oben dargelegten Gründen Aussicht auf Erfolg hat (§ 73 a SGG in Verbindung mit § 114 ZPO) und die Antragstellerin die Kosten der Prozessführung nicht tragen kann.

Die Kostenentscheidung erfolgt entsprechend §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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