S 14 KA 31/06 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
14
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KA 31/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 B 13/06 KA ER
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird für die Dauer des Widerspruchsverfahren gegen den Prüfbescheid vom 09.01.2006 verpflichtet, die monatlichen Abschlagszahlungen an den Antragsteller ohne Kürzung aufgrund des mit diesem Bescheid verhängten Regresses auszuzahlen und ggfs. bereits einbehaltene Beträge an den Antragsteller auszukehren. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Streitig ist die Höhe der monatlichen Abschlagszahlungen an den Antragsteller.

Der Antragsteller ist Arzt für Innere Medizin und zur vertragsärztlichen Versorgung in F zugelassen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller in der Vergangenheit Abschlagszahlungen von monatlich zwischen 17.800,00 und 18.400,00 Euro als Vorauszahlung auf das vertragsärztliche Honorar zugestanden.

Der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein führte bei dem Antragsteller für die Quartale I/02 bis IV/02 eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Arzneiverordnungstätigkeit durch. Mit Bescheid vom 09.01.2006 setzte er Regresse für diese Quartale in Höhe von insgesamt 53.703,26 Euro fest. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 24.01.2006 Widerspruch ein. Der Widerspruch ist noch nicht beschieden.

Die Antragsgegnerin unterrichtete den Antragsteller mit Schreiben vom 09.01.2006 darüber, dass aufgrund des ausgesprochenen Regresses die Abschlagszahlung reduziert werde. Hierzu berief sie sich auf § 11 Abs. 2 des Honorarverteilungsvertrages in der ab 01.01.2006 geltenden Fassung (Rhein. Ärzteblatt 1/2006, S. 63ff (HVV)). Für den Monat Januar 2006 wurden dem Antragsteller demgemäß 10.700,00 Euro angewiesen.

Der Antragsteller hat am 03.02.2006 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Hierzu trägt er vor, dass die von der Antragsgegnerin vorgenommene Kürzung der Abschlagszahlungen rechtswidrig sei. Nach § 106 Abs. 5 Satz 4 SGB V entfalte der Widerspruch gegen eine vom Prüfungsausschuss im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung festgesetzten (Arznei-)Regress aufschiebende Wirkung. Deshalb dürften die vom Prüfungsausschuss ausgesprochenen Regresse nicht vollzogen werden. Bei der zum 01.01.2006 eingeführten Regelung des § 11 Abs. 2 HVV handele es sich um eine untergesetzliche Norm, die dem eindeutigen Wortlaut des § 106 Abs. 5 Satz 4 SGB V und damit höherrrangigem Recht widerspreche. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich aus der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der vorgenommenen Kürzung. Darüber hinaus entstünden für ihn durch die auch für die Folgemonate zu erwartendenen Kürzungen schwere und unzumutbare, auf andere Weise nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung eine Entscheidung im Klageverfahren nicht mehr in der Lage wäre.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 09.01.2006 anzuordnen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Abschlagszahlung für den Monat Januar 2006 ungekürzt auszuzahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. Weder das Gesetz noch die Bundesmantelverträge sähen einen Anspruch auf Abschlagszahlungen vor. Eine Rechtsgrundlage hierfür finde sich allein im HVV. Dort sei geregelt, dass die Abschlagszahlung in Höhe von bis zu 25% geleistet werden könne, was jedoch nicht gelte, wenn ein Verordnungsregress verhängt worden sei. Es sei bereits mehrfach höchstrichterlich entschieden worden, dass ein Vertragsarzt noch nicht einmal einen Anspruch auf ein Honorar in bestimmter Höhe habe. Auch ein Anordnungsgrund liege nicht vor, da keine wesentlichen Nachteile oder eine wesentliche Erschwernis bzgl. der Verwirklichung eines Rechts substantiiert dargelegt worden seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

II. Zunächst ist der Antrag des Antragstellers, mithin sein Antragsbegehren, auszulegen. Unter Einbeziehung der Klarstellung mit Schriftsatz vom 07.02.2006 ist das Begehren des Antragstellers erkennbar, für die Dauer des Widerspruchsverfahrens gegen den Prüfbescheid vom 09.01.2006 ungekürzte Abschlagszahlungen von der Antragsgegnerin zu erhalten sowie bereits einbehaltene Beträge ausgezahlt zu bekommen.

Der diesbezügliche Antrag des Antragstellers ist in der Form des Erlasses einer einstweiligen Anordnung begründet.

Die Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes sind in § 86b Sozialgerichtsgesetz (SGG) geregelt. § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG enthält eine Subsidiaritätsklausel. Eine einstweilige Anordnung ist nur statthaft, wenn einstweiliger Rechtsschutz nach Abs. 1 nicht in Betracht kommt. Das ist hier der Fall, denn der einstweilige Rechtsschutz nach Maßgabe des § 86b Abs. 1 SGG setzt voraus, dass bereits ein Verwaltungsakt seitens der Behörde ergangen ist (vgl. auch Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 8. Auflage, § 86b Rz. 7). Insoweit hat die Antragsgegnerin zutreffend darauf hingewiesen, dass die Reduzierung der monatlichen Abschlagszahlung auf schlichtem Verwaltungshandeln beruht. Doch selbst wenn man dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 09.01.2006 die Rechtsqualität eines Bescheides zumessen würde, wären die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG nicht gegeben. Gegenstand des Antrages des Antragstellers ist ein Verpflichtungsbegehren, nämlich das Begehren auf ungekürzte Auszahlung der Abschlagszahlungen. Deshalb kann der Antragsteller sein Begehren nur im Wege einer einstweiligen Anordnung im Sinne des § 86 b Abs. 2 SGG durchsetzen.

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind hiernach auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Danach ist zwischen einer Sicherungs- (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG) und einer Regelungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG) zu unterscheiden. Unter eine Regelungsanordnung fallen die praktisch häufigen Fälle eines Verpflichtungs- oder eines Leistungsbegehrens, in denen es um die vorläufige Begründung oder Erweiterung einer Rechtsposition geht (vgl. LSG NRW Beschluss vom 09.07.2004 – L 10 B 6/04 KA ER). Sowohl für die Sicherungs- als auch für die Regelungsanordnung entspricht es einer verfassungsrechtlich unbedenklichen verwaltungsgerichtlichen Praxis, die Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes davon abhängig zu machen, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft macht (LSG NRW a.a.O.).

Ein streitiges Rechtsverhältnis ist unstreitig begründet. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin stehen als Vertragsarzt und Kassenärztliche Vereinigung in einer Rechtsbeziehung, die sich durch die Gegenseitigkeit von Leistungserbringung und Vergütung vertragsärztlicher Leistungen auszeichnet. Diese Rechtsbeziehung hat eine Konkretisierung erfahren, als die Antragsgegnerin die Abschlagszahlung des Antragstellers unter Hinweis auf die Regelung des § 11 Abs. 2 HVV um etwa 40% reduzierte. Mit der Reduzierung hat die Antragsgegnerin in die Rechtssphäre des Antragstellers eingegriffen.

Dies hat sie in rechtswidriger Weise getan, weswegen das Vorliegen eines Anordnungsanspruches zu bejahen ist. Die Regelung des § 11 Abs. 2 HVV trägt das Handeln der Antragsgegnerin nicht. In § 11 Abs. 2 Satz 2 HVV ist geregelt, dass die an der Honorarverteilung Teilnehmenden auf das Vierteljahreshonorar monatliche Abschlagszahlungen erhalten, deren Höhe mindestens 20%, höchstens jedoch 30% des anerkannten Gesamthonorars der letzten durch die KVNo fertiggestellten Quartalsabrechnung betragen soll. Abweichend hiervon wird nach § 11 Abs. 2 Satz 3 HVV nach Erlass eines Bescheides des Prüfungsausschusses über einen Regress von mindestens Euro 1.000,00 pro Quartal die nächste und ggf. jede weitere Abschlagszahlung eines noch nicht abgerechneten Quartals um 10%-Punkte reduziert, bis der, ggfs. von der Restzahlung abzuziehende, Regressbetrag erreicht ist. Durch diese Reduzierung kann der Wert von 20% des anerkannten Gesamthonorars unterschritten werden, § 11 Abs. 2 Satz 4 HVV.

Aufgrund der Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 2 HVV haben die Vertragspartner zunächst eine Rechtsgrundlage für die Zahlung von monatlichen Abschlagszahlungen als Vorauszahlungen auf das vertragsärztliche Honorar geschaffen. Dahinter ist das Bestreben zu erkennen, dem Vertragsarzt mit einem monatlichen Grundbetrag den laufenden Betrieb der Praxis zu ermöglichen und nicht in Gänze für einen Abrechnungszeitraum von drei Monaten in Vorleistung treten zu müssen. Wird das Recht auf Abschlagszahlungen durch die Vertragspartner des HVV begründet, so obliegt es grundsätzlich auch ihrer Gestaltungsfreiheit, dieses Recht zu modifizieren. Das gilt jedoch nur insoweit, als sie mit etwaigen Modifizierungen nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Im konkreten Fall des Antragstellers bedeutet die Anwendung des § 11 Abs. 2, Sätze 3 und 4 HVV, dass die Antragsgegnerin sich in Widerspruch zu einer – höherrangigen – gesetzlichen Regelung setzt. Denn § 106 Abs. 5 Satz 4 SGB V bestimmt, dass die Anrufung des Beschwerdeausschusses aufschiebende Wirkung hat. Demgemäss hat der von dem Antragsteller gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 09.01.2006 eingelegte Widerspruch aufschiebende Wirkung. Das hat zur Folge, dass die mit diesem Bescheid festgesetzten Regresse für die Dauer des Widerspruchsverfahrens nicht realisiert werden können. Wenn die Antragsgegnerin jedoch gemäß der Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 3 HVV die festgesetzten Regresse zum Anlass nimmt, die Abschlagszahlungen des Antragstellers zu kürzen, setzt sie sich über diese Rechsfolgen hinweg. Das liegt an den Besonderheiten des Arzneikostenregresses. Im Gegensatz zur Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungstätigkeit stellt der Arzneikostenregress wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise eine Art Schadensersatzanspruch der Krankenkassen dar (vgl. Spellbrink, Wirtschaftlichkeitsprüfung im Kassenarztrecht, Rz. 69). Von dem Vertragsarzt wird demnach bereits festgesetztes Honorar zurückgefordert. Insoweit wird mit der Festsetzung des Regresses in eine bestehende Rechtsposition eingegriffen, weswegen ein Widerspruch gegen den Prüfbescheid in diesen Fällen tatsächlich aufschiebende Wirkung entfalten kann. Im Gegensatz dazu steht die Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungstätigkeit, vor allem dann, wenn der Prüfbescheid zeitgleich zur Honorarfestsetzung ergeht. Dann macht der Vertragsarzt mangels endgültig festgesetzten Honorars einen Leistungsanspruch geltend, weswegen eine aufschiebende Wirkung in diesen Fällen nicht eintreten kann (vgl. SG Düsseldorf, Beschluss vom 12.01.1995, S 2 Ka 174/94). Der Unterschied zum vorliegenden Fall wird darüber hinaus daran deutlich, dass völlig verschiedene Abrechnungszeiträume betroffen sind. Ausgesprochen wurden die Regresse für die Quartale I/02 bis IV/02. Reduziert wurden die Abschlagszahlungen für den Abrechnungszeitraum des Quartals I/06.

Stellt die Reduzierung der Abschlagszahlungen im Ergebnis damit letztlich eine Aufrechnung von gegenseitigen Forderungen dar, so ist die Antragsgegnerin an einer Aufrechnung mit Einlegung des Widerspruchs und der dadurch eintretenden aufschiebenden Wirkung gehindert. Die Reduzierung der Abschlagszahlungen aufgrund der verhängten Regresse war mithin rechtswidrig.

Vor dem Hintergrund der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der erfolgten Reduzierung ist das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach Ansicht des Gerichts vorliegend ausreichend dargelegt. Angesichts des Regresses in Höhe von ingesamt 53.703,26 Euro ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin die Abschlagszahlungen der Folgemonate weiterhin kürzen wird. Demnach steht für den Antragsteller zu befürchten, dass auf Basis einer um 40% reduzierten Abschlagszahlung die wirtschaftliche Existenz der Praxis in Frage steht. Dies vor allem auch im Hinblick auf die nicht unerhebliche Unterdeckung, die auf dem Konto des Antragstellers bei der Dbank B besteht. Angesichts der vorstehend geschilderten Umstände und angesichts der oben dargestellten Rechtslage ist dem Antragsteller nicht zuzumuten, die Folgen der reduzierten Abschlagszahlungen zu tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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