L 4 (18) RJ 84/97

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 J 144/93
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 (18) RJ 84/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.02.1997 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 09.03.1992 und 13.05.1993 verurteilt, dem Kläger auf den Antrag vom 09.06.1987 Altersruhegeld vorbehaltlich etwaiger Nachentrichtungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Altersruhegeld aus der deutschen Rentenversicherung, insbesondere die Berücksichtigung einer Beitragszeit von Juli 1935 bis März 1939.

Der am 00.00.1909 in X/Litauen geborene Kläger iraelischer Nationalität und jüdischer Religionszugehörigkeit lebte von 1935 bis März 1939 im Memelgebiet, flüchtete dann nach Litauen und wanderte aus der ehemaligen UdSSR 1972 nach Israel ein.

Am 09.06.1987 beantragte er Versichertenrente aus der deutschen Rentenversicherung unter Hinweis auf Beschäftigungszeiten von 1932 bis 1937. Am 18.12.1987 gab er an, sich von 1932 bis 1937 im Kibbutz Bemaaleh in Memel aufgehalten zu haben. Von Juli 1932 bis August bzw. September 1934 habe er landwirtschaftliche Arbeiten auf dem Gut L bei Memel verrichtet und von Juli 1935 bis September 1937 sei er als Mechaniker bei der Memeler Flachsexportgesellschaft tätig gewesen. Beiträge zur deutschen Rentenversicherung seien aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit im Rahmen einer "Hachsharah" entrichtet worden. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Gewährung von Altersruhegeld gemäß § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) ab, da der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei und angeforderte Unterlagen nicht vorgelegt habe (Bescheid vom 03.08.1988). Der Kläger legte Widerspruch ein und übersandte einen von ihm am 30.08.1988 unterzeichneten Antrag auf Hinterbliebenenrente. Darin gab er an, von 1932 bis 1939 seien für ihn in Memel Beiträge zur Arbeiter-, Angestellten- und Handwerkerversicherung der LVA Memel entrichtet worden. Ab 1932 sei er im Rahmen einer "Hachshara" im Kibbutz Bmaale in Memel beruflich ausgebildet worden. Von 1932 bis Dezember 1934 sei er landwirtschaftlich auf dem Gut L sowie von Juli 1935 bis September 1937 und von September 1937 bis 1939 als Mechaniker bei der Memeler Flachsgesellschaft beschäftigt gewesen. Nach der Zeit der Verfolgung von 1940 bis 1944 habe er Tätigkeiten in Willnar verrichtet. Angaben zu Entgelten und Sachbezügen erfolgten in dem Formular nicht.

In einem am 15.05.1989 vom Kläger unterzeichneten Vordruck gab er an, von 1932 bis 1934 in Memel in der Tstr., dann von 1935 bis 1937 und von 1937 bis 1939 in Memel in der Hstraße gewohnt zu haben. Vor 1933 sei er auf dem Gut L im Rahmen der Hachschara, ab 1935 sei er im "Kibbutz Maale Memel, Tstraße" tätig gewesen. Er wies darauf hin, dass "Memelzeiten" gemäß § 17 Abs. 1 b FRG angerechnet würden und somit die Frage der DSK-Zugehörigkeit entfalle. Der Kläger legte die Kopie einer Fahrerlaubnis vor, aus der eine in Memel im Mai 1938 abgelegte Prüfung ersichtlich ist. Herr N L erklärte am 22.07.1990 in einer eidesstattlichen Versicherung, er sei zusammen mit dem Kläger in der Zeit von 1932 bis 1937 "auf Hachsharah in Memel im Kibbutz Bemaala" gewesen, um die Landwirtschaft zu erlernen. Zusammen seien sie von 1932 bis 1934 im Gut L in der Landwirtschaft tätig gewesen. Der Kläger sei von Juni 1935 bis September 1937 in der Flachsexportgesellschaft in Memel als Mechaniker angestellt gewesen. Er selbst sei auf eine andere Arbeit geschickt worden. Für sie alle seien soziale Abgaben entrichtet worden. Frau N I gab in ihrer eidestattlichen Versicherung vom 22.07.1990 an, sie sei von 1932 bis 1934 zusammen mit dem Kläger im Gut L bei Memel wieder in der Landwirtschaft tätig gewesen, 1934 habe sie Memel verlassen, um nach Palästina auszuwandern. Auf Nachfragen der Beklagten ergänzte der Kläger durch seine Bevollmächtigten, er habe von 1932 bis 1937 auf Hachsharah die Grundlagen der Landwirtschaft erlernt. Gleichzeitig sei er jedoch von seiten des Kibbutzverbandes ab Juli 1935 an eine Flachsexportgesellschaft weitervermittelt worden, in der er ganztägig unter Erhalt eines Entgeltes beschäftigt worden sei. Das Entgelt sei ihm u.a. auch durch Kost und Logis durch den Kibbutz-Verband ausgezahlt worden (13.01.1992).

Die Beklagte nahm den Bescheid vom 03.08.1988 gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurück und lehnte den Antrag auf Gewährung eines Altersruhegeldes ab (Bescheid vom 09.03.1992).

Mit seinem Widerspruch trug der Kläger vor, zum Beginn der Hachsharah-Zeit sei er bereits 23 Jahre alt gewesen. Bei der fraglichen Zeit werde es sich daher kaum um eine Erstausbildung, sondern eher um eine "Umschichtung" gehandelt haben. Für diese sei normalerweise von einem Zeitraum von bis zu 1 1/2 oder 2 Jahren auszugehen. Daher sei die Erklärung des Zeugen L glaubhaft, dass er ab Juli 1935 als Mechaniker in einer Flachsexportgesellschaft angestellt gewesen sei. Weshalb er in dieser Beschäftigung versicherungsfrei gewesen sein solle, sei nicht nachvollziehbar. Eidesstattlich versicherte der Kläger am 09.11.1992, er sei von 1932 bis 1937 im Kibbutz Bammaleh in Memel "aus Hachsharah" als Vorbereitungsarbeit für die Auswanderung nach Palästina gewesen. Von Juli 1935 an sei er auf Außenarbeit an die Flachsexportgesellschaft geschickt worden. Dort habe er ganztägig als Mechaniker gearbeitet. Ihm sei erinnerlich, dass für ihn Versicherungsbeiträge entrichtet worden seien. Gewohnt habe er in Kibbutz Bammaleh. Dieser habe für seine Arbeit sein Gehalt erhalten und habe mit dem Arbeitgeber einen diesbezüglichen Arbeitsvertrag gehabt. In der Memeler Flachsexportgesellschaft habe er bis zum September 1937 gearbeitet. Die Beklagte wies den Rechtsbehelf zurück (Widerspruchsbescheid vom 13.05.1993). Für die behauptete Beschäftigung von Juni 1935 bis September 1937 könne ein Übergang von Beiträgen im Sinne des § 17 Abs. 1 b FRG i.d.F. des RRG 1992 nicht festgestellt werden, da eine Beitragsleistung zum polnischen Versicherungsträger weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden sei. Von dem Bestehen eines rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses könne nicht ausgegangen werden. Über die Äntrage auf Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen und auf freiwillige Versicherung werde nach Beendigung des Rentenstreitverfahrens noch entschieden.

Mit der am 14.06.1993 erhobenen Klage hat der Kläger die Gewährung von Altersruhegeld unter Berücksichtigung von Fremdbeitragszeiten von Juli 1935 bis Juli 1937 begehrt. Er hat weiter vorgetragen, von Juli 1935 bis September 1937 als Mechaniker bei der Flachsexportgesellschaft in Memel gegen Entgelt versicherungspflichtig beschäftigt gewesen zu sein und Beiträge zur dortigen Rentenversicherung entrichtet zu haben, die über § 17 Abs. 1 b FRG in der deutschen Rentenversicherung berücksichtigungsfähig seien. Zwar sei richtig, dass er sich von 1932 bis 1937 in einer Hachsharah-Ausbildung im Kibbutz befunden habe. Diese Ausbildung sei jedoch mit dem Eintritt in die Flachsexportgesellschaft beendet worden, auch wenn er über den Kibbutz an diese Firma vermittelt worden sei. Dass der Lohn aus dem Arbeitsverhältnis direkt an den Kibbutz gezahlt worden sei, ändere nichts daran, dass er zu dem Arbeitgeber in einem abhängigen entgeltlichen und damit auch versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Durch die Regeln im Innenverhältnis im Kibbutz sei das Außenverhältnis zum Arbeitgeber nicht berührt worden.

Die Landesrentenbehörde Nordrhein-Westfalen hat dem Sozialgericht (SG) mitgeteilt, nach Auskunft der Bundeszentralkartei sei für den Kläger kein Entschädigungsvorgang registriert (08.09.1993). Die Claims Conference hat den Kläger betreffende Unterlagen übersandt. Auf Anfrage des SG hat die Jewish Agency mitgeteilt, eine den Kläger betreffende Kartei sei nicht gefunden worden (08.08.1994).

Das SG hat Herrn N L im Wege der Rechtshilfe in Israel als Zeugen vernehmen lassen. Der Zeuge hat bekundet, von 1932 bis 1937 zusammen mit dem Kläger im Kibbutz in der T-Straße 0 in Memel gewohnt zu haben. Von 1932 und bis ein oder einige Jahre danach habe der Kläger in einem landwirtschaftlichen Betrieb des Kibbutzes außerhalb der Stadt in Karlsberg gearbeitet, anschließend bis 1937 in einem Hanfexportbetrieb in der T-Straße in der Stadt Memel. Er erinnere sich nicht, in welchem Monat und Jahr der Kläger mit der Arbeit bei der Hanf-Exportfirma angefangen habe, wohl aber, dass er dort längere Zeit gearbeitet habe. Die Hanf-Exportfirma habe den Lohn direkt an die Leitung der Hachscharah des Kibbutzes weiterzuleiten gepflegt. Der Kibbutz habe sich darum gekümmert, dass alle Mitglieder ihr Notwendigstes bekamen, wie z.B. Essen, Trinken, Unterkunft usw ... Die Kibbutzleitung habe die Mitglieder an die verschiedenen Arbeitsplätze vermittelt. Der Vertrag sei zwischen der Kibbutzleitung und der Firma, in der der Kläger gearbeitet habe, gewesen. Ob Beiträge zur Rentenversicherung für den Kläger entrichtet worden seien, wisse er nicht.

Das SG hat die Verordnung betreffend die Umgestaltung der sozialen Sicherung im Memelgebiet vom 18.11.1922 beigezogen und die Klage abgewiesen (Urteil vom 28.02.1997, zugestellt am 03.06.1997). Maßgeblich seien die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Der Kläger habe die in § 1248 Abs. 7 RVO aufgeführten Wartezeiten nicht erfüllt. Insbesondere sei die Zeit von Juli 1935 bis Juli 1937 nicht als Beitragszeit anzuerkennen. § 17 Abs. 1 b FRG sei anzuwenden, weil gemäß der Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung im Memelland vom 17.08.1939 (RGBl. I Seite 1426) für die nach Reichsrecht festzustellenden Renten die bei der LVA des Memelgebietes zurückgelegten Beitragszeiten anzurechen gewesen seien. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass für die Zeit zwischen Juli 1935 und Juli 1937 Rentenversicherungsbeiträge an die LVA des Memelgebietes entrichtet worden sein. Einzelheiten über die nach der Verordnung vom 18.11.1922 im Markenverfahren erfolgten Beitragsentrichtung habe der Kläger nicht angegeben. Nach den Angaben des Klägers und der Zeugen sei davon auszugehen, dass zwischen ihm und der Flachsexportgesellschaft keine vertragliche Regelung existiert habe. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Flachsexportgesellschaft Beiträge abgeführt habe, weil sie nicht als Arbeitgeberin des Klägers einzustufen gewesen sei. Auch sei der Kibbutz nicht als beitragspflichtiger Arbeitgeber des Klägers anzusehen gewesen. Zwischen dem Kibbutz und dem Kläger habe kein entgeltliches Arbeitverhältnis vorgelegen. Zudem habe der unmittelbare Bezug zwischen der erhaltenen Verköstigung und Unterkunft sowie der geleisteten Arbeit gefehlt, weil der Kibbutz auch den Kläger in der Zeit versorgt habe, wo er noch nicht bei der Flachexportgesellschaft gearbeitet habe. Mangels Entgeltlichkeit habe auch ein versicherungspflichtiges Lehrverhältnis nicht bestanden. Zudem sei eine Beitragsentrichtung durch den Kibbutz im Hinblick auf die Vorbereitung zur Auswanderung deshalb nicht wahrscheinlich, weil kein Interesse daran bestanden habe, Rentenanwartschaften dort zu begründen. Da das Memelland außerhalb des Gebietes des deutschen Reiches nach dem Stand vom 31.12.1937 gelegen habe, könne die streitige Zeit auch unter Berücksichtigung des am 01.01.1987 in Kraft getretenen Änderungsabkommens vom 07.01.1986 zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über soziale Sicherheit nicht als Beitragszeit angesehen werden. Mangels anrechenbarer Beitragszeiten stellten auch die Zeiten der Verfolgung keine Ersatzzeiten dar.

Mit der am 25.06.1997 eingelegten Berufung trägt der Kläger vor, er sei von Juli 1935 bis März 1939 in der Memeler Flachsexportgesellschaft gegen Entgelt abhängig versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Entgegen der Auffassung des SG habe zur fraglichen Zeit an seinem Heimatort polnisches Recht gegolten, dem Versicherungskarten fremd gewesen seien. Ein vom SG angenommenes Leiharbeitsverhältnis sei nach memelländischem Recht unzulässig gewesen. Maßgeblich sei auf das faktische Arbeitsverhältnis abzustellen. Er sei in den Betrieb der Flachsexportgesellschaft eingebunden gewesen und diese habe hierfür ein Entgelt gezahlt. Es komme nicht darauf an, dass das Entgelt nicht an ihn zu zahlen gewesen sei. Bis 1934 sei er im Rahmen der sog. Hachsharah beschäftigt, danach als normaler Angestellter tätig gewesen. Er sieht sich durch die Ermittlungen im Berufungsverfahren bestätigt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Düsseldorf vom 28.02.1997 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 09.03.1992 und 13.05.1993 zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag vom 09.06.1987 Altersruhegeld vorbehaltlich etwaiger Nachentrichtungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil in vollem Umfang für zutreffend und hat mitgeteilt, der Antrag auf Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge und zur freiwilligen Versicherung sei noch nicht beschieden worden. Sie sieht es auch nach den weiteren Zeugenerklärungen und dem im Berufungsverfahren geänderten Sachvortrag des Klägers weiterhin nicht als überwiegend wahrscheinlich an, dass für diesen zwischen 1935 und 1937 aufgrund seiner Tätigkeit bei der Flachsexportgesellschaft in Memel Rentenversicherungsbeiträge entrichtet worden seien.

Der Kläger hat zwei Zeugenerklärungen vorgelegt. Herr E S hat am 22.02.1999 erklärt, der Kläger habe ab 1933 als Mechaniker in der Flachexport-Gesellschaft gearbeitet, zunächst noch als Mitglied in einer sog. Hachsharah-Gruppe. Nach einer gewissen Zeit habe er diesen Rahmen verlassen und die Betätigung bei der Firma als Direktarbeitnehmer fortgesetzt. Er selbst habe von 1930 bis August 1937 in der Firma gearbeitet, den Kläger aber auch bei späteren Besuchen dort noch angetroffen, zuletzt im Februar 1939. Bei einem späteren Treffen habe ihm der Kläger erzählt, dass er am Tage des Anschlusses am 22.03.1939 aus Memel geflohen sei. Als Mitarbeiter im Büro habe er selbst 250 Lit monatlich verdient, Mechaniker wie der Kläger hätten ein weit höheres Gehalt bezogen. Ebenfalls am 22.02.1999 hat Frau Q M angegeben, sie sei im Juli 1935 nach Memel gezogen. In einem Sportverein habe sie den Kläger kennengelernt. Dadurch könne sie bezeugen, dass dieser bei der Memeler Flachsexportgesellschaft beschäftigt gewesen sei. Von Zeit zu Zeit hätten sie sich am Ausgang der Anlage der Firma in der Borsenstraße an dem Fluß Danje verabredet, um zusammen zum Verein zu gehen. Sie wisse genau, dass der Kläger bis zum Tages des Anschlusses von Memel am 22.03.1939 dort gearbeitet habe.

Das Gericht hat eine Vernehmung der Zeugen in Israel veranlasst. Der Zeuge E S hat ausgesagt, der Kläger habe von 1932 bis zur Flucht vor den Deutschen in 1939 als Maschinentechniker bei der Flachsexportgesellschaft GmbH gearbeitet. Er wisse, dass der Kläger Sozialversicherung und Krankenversicherung bekommen habe. Dies sei vom Gesetz vorgeschrieben gewesen. Ein Teil habe der Arbeitnehmer, den anderen Teil der Arbeitgeber bezahlt. Er wisse nicht, wieviel der Kläger verdient habe. Von 1932 bis 1934 habe dieser im Rahmen eines Berufsausbildungsverhältnisses bei der Firma gearbeitet. Danach habe er als normaler Angestellter bei der Firma weitergearbeitet, offensichtlich weil er nicht an die Auswanderung nach Palästina gedacht habe. Nach dem Ende des Berufsausbildungsverhältnisses sei der Kläger in die Stadt umgezogen und habe sich bei anderen Leuten ein Zimmer gemietet. Der Kläger habe dann verschiedene Unterkünfte in dieser Stadt gehabt, an die genauen Adressen und Straßen könne er sich nicht erinnern. Nach Ende des Berufsbildungsverhältnisses sei der Lohn an den Kläger bezahlt worden.

Die Zeugin Q M hat angegeben, Kontakt zum Kläger habe von 1935 bis 1939 bestanden. Während der gesamten Zeit habe er als Angestellter bei der Flachsexportgesellschaft GmbH gearbeitet. Der Kläger habe ihr erzählt, dass er bis 1934 in der Ausbildung gewesen sei. Als sie ihn kennengelernt habe, sei er nicht mehr bei der Ausbildung gewesen. Sie wisse, dass der Kläger eine Mietwohnung gehabt habe, aber keine Einzelheiten darüber.

Das Gericht hat eine Anhörung des Klägers in Israel veranlasst. Dieser hat dort am 25.07.2001 angegeben, er habe von 1933 bis 1935 in Memel im Kibbutz in der Tstraße gewohnt und im Rahmen seiner Zugehörigkeit zum Kibbutz in der Memeler Flachsexportgesellschaft gearbeitet. Von 1933 bis 1935 habe der Kibbutz sein Gehalt für seine Arbeit in der Firma bekommen. Ansprüche auf Sozialleistungen seien auf seinen Namen eingetragen worden. 1935 habe er das Kibbutz verlassen und sich zunächst in Memel in der Hstraße, später in der G-Straße eingemietet. Den Kibbutz habe er 1935 verlassen, nachdem er gesehen habe, dass er über den Kibbutz die Genehmigung zur Einwanderung nach Israel nicht bekäme. Ab 1935 habe er als Angestellter/lohnabhängiger Arbeitnehmer ohne Beziehung zum Kibbutz für die Flachsexportgesellschaft gearbeit und dann selbst das Gehalt für die Arbeit mit allen Ansprüchen auf Sozialleistungen erhalten. In der Firma habe er bis 1939 gearbeitet. Die Zeugen S und M irrten, soweit sie gesagt hätten, er sei nur bis 1934 in Kibbutz gewesen. Richtig sei, dass er dort bis 1935 gewesen sei.

Die Botschaft der BRD in Wilna/Litauen hat auf Nachfrage des Gerichts auch zu Versicherungsunterlagen eine Auskunft des Litauischen Zentralen Staatsarchiv (28.06.2002) übersandt, der Kopien aus der Akte "B N und T K. Flachs-, Hede- und Leinsaatexport" beigefügt waren. Demnach wurden den Kläger oder sonstige Mitarbeiter dieser Gesellschaft betreffende Daten in den unvollständig erhalten gebliebenen Archivdokumenten nicht gefunden. Nach den Unterlagen zur Gewerbesteuerveranlagung für 1935 bis 1937 befand sich die Firma in der Cstraße Nr. 0. In der Gewerbesteuer-Veranlagung für 1938 ist als Betriebsstätte die Xtstraße 1 und als Firmenanschrift die Pr. T. Allee 1 genannt.

Der Kläger hat eine Zeugenerklärung des Advocaten Dr. F N vorgelegt. Daraufhin hat das Gericht eine Vernehmung als Zeuge in Israel veranlasst. Herrn N hat erklärt, er habe 1935 die Stadt Memel verlassen, als er ca. 14 Jahre alt gewesen sei. In der Stadt habe es eine Firma mit dem Namen B und T gegeben, die ihren Betriebssitz in der Cstraße gehabt habe. Seine Eltern seien mit den Eigentümern der Firma befreundet und er sei oft in den Büros der Firma zu Besuch gewesen. Die Firma habe sich mit Stoffen und deren Erzeugnissen aus Flachsfasern befasst.

Der Kläger hat mitgeteilt, Zeiten vor Juli 1935 würden nicht mehr geltend gemacht und die Klage werde insoweit zurückgenommen (18.11.2003).

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakten und die beigezogenen Akten der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen und die angefochtenen Bescheide nicht aufgehoben, denn diese sind rechtswidrig und beschweren den Kläger daher im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Anspruch des Klägers auf Anerkennung der streitigen Beitrags- und Ersatzzeiten richtet sich noch nach den Vorschriften der bis zum 31.12.1991 geltenden und zum 01.01.1992 außer Kraft getretenen RVO. Der Antrag auf Versichertenrente aus der deutschen Rentenversicherung ist bereits im Juni 1987 gestellt worden und der geltend gemachte - hier allein für die Zeit ab Juli 1935 streitige - Anspruch auf Anerkennung von Beitrags- und Ersatzzeiten bezieht sich auf die Zeit vor dem 01.01.1992 (vergleiche § 300 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI -).

Gemäß § 1248 Abs. 5 RVO erhält Altersruhegeld auch der Versicherte, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach Abs. 7 Satz 3 erfüllt hat. Der Kläger hat das 65. Lebensjahr bereits 1974 vollendet und entgegen den Auffassungen der Beklagten und des SG auch die Wartezeit für das Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 5 RVO erfüllt, weil eine Versicherungszeit von sechzig Kalendermonaten zurückgelegt ist, § 1248 Abs. 7 Satz 3 RVO. Anrechnungsfähige Versicherungszeiten liegen für ihn in Form von Beitragszeiten (§ 1250 Abs. 1 a RVO) und von Ersatzzeiten (§ 1250 Abs. 1 b RVO) vor.

Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung Beiträge wirksam entrichtet sind oder als entrichtet gelten, nicht jedoch die Zeiten nach den §§ 1385 a und 1385 b RVO. Diese Voraussetzungen sind für die Zeit der Beschäftigung des Klägers in der Memeler Flachsexportgesellschaft von Juli 1935 bis März 1939 erfüllt. Rechtlich zutreffend hat das SG in dem angefochtenen Urteil dargelegt, dass eine Berücksichtigung dieser Zeit nach § 17 Abs. 1 b FRG in der hier noch anwendbaren Fassung bis zum 31.12.1991 in Verbindung mit §§ 15 und 4 Abs. 1 Satz 1 FRG im Mindestmaß voraussetzt, dass die behauptete Beitragszeit glaubhaft gemacht worden ist. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, § 4 Abs. 1 Satz 2 FRG. Die "bloße Möglichkeit" des Vorliegens der zu beweisenden Tatsache reicht für die Glaubhaftmachung nicht aus, jedoch können durchaus noch gewisse Zweifel bestehen bleiben. Besteht dagegen eine "gute Möglichkeit", dass sich ein Vorgang wie vorgebracht zugetragen hat, so hat dies das Bundessozialgericht (BSG) für die Annahme einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausreichen lassen (BSG vom 17.12.1980 - 12 RK 42/80 -).

Unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses der Ermittlungen sieht der Senat es als überwiegend wahrscheinlich an, dass der Kläger von Juli 1935 bis März 1939 in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat, für das Rentenversicherungsbeiträge an die Landesversicherungsanstalt des Memelgebietes entrichtet worden sind.

Zwar sind sowohl die Angaben des Klägers selbst als auch die Aussagen der Zeugen insgesamt nicht ohne Widersprüche. Jedoch stehen die Angaben des Klägers bei seiner Vernehmung am 25.07.2001 in Israel weitgehend in Einklang mit den Aussagen der im Berufungsverfahren gehörten Zeugen. Danach geht der Senat davon aus, dass der Kläger bis Mitte 1935 in dem Kibbutz in Memel gelebt und bis dahin Tätigkeiten im Rahmen einer Hachscharah sowie möglicherweise einem - wie vom SG angenommen - Leiharbeitsverhältnis verrichtet hat. Der Zeitraum bis einschließlich Juni 1935 ist allerdings nach der insoweit ausdrücklich erklärten Klagerücknahme nicht mehr Streitgegenstand.

Für den Zeitraum von Juli 1935 bis zur Flucht im März 1939 geht der Senat davon aus, dass der Kläger als Mechaniker in der Flachsexport GmbH beschäftigt war. Seine - auch durch die Angaben der Zeugen S und M bestätigte - Schilderung im Berufungsverfahren, er habe das Kibbutz 1935 verlassen, entspricht die bereits im Mai 1989 gegenüber der Beklagten erfolgte Angabe einer Wohnanschrift in der Großwasserstraße. Demgegenüber befand sich der Kibbutz, bestätigt durch die Aussage des Zeugen L, in der Tstraße bzw. Tstraße 0. Schlüssig und nachvollziehbar erscheint dem Senat auch die vom Kläger dargelegte Begründung, er habe den Kibbutz 1935 verlassen, ausgehend davon, dass er über diesen die Genehmigung zur Einwanderung nach Israel nicht bekäme. Eine Dauer der Hachschara, wie sie vom Kläger ursprünglich bis 1937 angegeben worden ist, erscheint dem Senat völlig unwahrscheinlich. Zum einen dauerte diese selbst selten länger als zwei Jahre. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits 1909 geboren war und die Schulausbildung 1924 abgeschlossen hatte. Im Einklang mit der Eidesstattlichen Versicherung von Frau I steht die spätere Angabe des Klägers, im Zeitraum von 1932 bis 1934 eine landwirtschaftliche Ausbildung auf dem Gut L absolviert zu haben. Dazu passt auch die Äußerung des Herrn L, er habe nach der Tätigkeit in der Landwirtschaft ebenso wie der Kläger eine andere Arbeit verrichtet, für die dann auch Sozialversicherungsbeiträge geleistet worden sei. Jedenfalls mit dem Auszug aus dem Kibbutz Mitte 1935 ist kein Raum mehr für die Argumentation, dieser habe den Kläger durch Unterkunft und Verköstigung noch versorgt, was einem Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt mit der Flachsexport GmbH entgegenstehe. Vielmehr muss dem Kläger mit dem Bezug einer Privatunterkunft eigenes Geld zur Verfügung gestanden haben. Mit dem Verlassen des Kibbutz ist auch der Argumentation des SG die Grundlage entzogen, bei dem Kläger habe kein Interesse daran bestanden, in Memel Rentenanwartschaften zu begründen. Vielmehr lässt die Tatsache, dass er dort im Mai 1938 den Führerschein erlangt hat, sowohl den Schluss zu, dass ihm für den Führerscheinerwerb Geld zur Verfügung gestanden, als er sich auch dort auf einen dauerhaften Aufenthalt eingerichtet hat. Die entsprechenden Angaben des Klägers werden bestätigt durch die Aussage des Zeugen S, der sowohl eine Beschäftigung als "Direktarbeitnehmer" bis März 1939 als auch den Erhalt von Lohn bestätigt und dabei nachvollziehbar differenziert zwischen der Zeit seiner eigenen Tätigkeit im Büro in dieser Firma bis September 1937 und der Zeit danach, in der er schlüssig gelegentliche Besuche bei seinen alten Mitarbeitern erwähnt. Im übrigen hatte der Kläger bereits im August 1988 Mechanikertätigkeiten in der Beschäftigungsfirma von Juli 1935 bis 1939 behauptet. Eine Tätigkeit in der Firma an der Borsenstraße und den Erhalt von Gehalt bestätigt auch die Zeugin M. Ihre Angaben zu der Firma an der Cstraße am Fluß Danja passen zu den Anschriftenangaben in der Gewerbesteuer-Veranlagung von 1935 bis 1937, die sich aus der Auskunft des Litauischen Staatsarchivs aus Juni 2002 ergeben. Die Existenz der Firma wird neben der Erklärung des Zeugen N bestätigt durch die aus Litauen übersandten Unterlagen, die im übrigen schon für 1922 mit fünf Gehilfen und dreiunddreißig Arbeitern Hinweise auf eine größere Anzahl von Beschäftigten enthalten. Den Firmensitz in der Nähe der Brücke am Fluss Danja bestätigt auch der Zeuge S.

Nach allem sieht der Senat ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis des Klägers von Juli 1935 bis März 1939 als glaubhaft gemacht an. Ebenso geht er davon aus, dass ein rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis und die Abführung von Versicherungsbeiträgen glaubhaft gemacht sind. Bei der behaupteten Beschäftigung handelte es sich um eine Tätigkeit, die nach dem damals geltenden Recht im Memelgebiet versicherungspflichtig in der Rentenversicherung war. Gemäß § 10 der Verordnung betreffend Umgestaltung der sozialen Versicherung im Memelgebiet vom 18.11.1922 unterlagen nach Vollendung des 14. Lebensjahres der Versicherungspflicht unter anderem Arbeiter, Angestellte, Gehilfen, Gesellen und auch Lehrlinge. Die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen hat der Kläger durchgehend behauptet, dabei ausdrücklich auch die Landesversicherungsanstalt Memel bereits im August 1988 erwähnt. Seine Behauptungen werden durch die Angaben der Zeugen S und L bestätigt. Insbesondere dem Zeugen S kann aufgrund seiner Tätigkeit als Büroangestellter durchaus die von ihm behauptete Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen bekannt gewesen sein. Im Übrigen kann nicht unterstellt werden, dass der Arbeitgeber nicht ordnungsgemäß gehandelt und Beiträge abgeführt hätte. Vielmehr lässt sich den aus dem Litauischen Staatsarchiv übersandten Unterlagen entnehmen, dass die Beschäftigungsfirma jedenfalls hinsichtlich der Gewerbesteuer- Veranlagung ihren Verpflichtungen nachgekommen ist. Entgegen der Auffassung des SG läßt sich aus fehlenden Angaben des Klägers zu Einzelheiten der Beitragsentrichtung durch Marken nicht schließen, dass keine Beiträge entrichtet worden seien. Zu den Einzelheiten des Beitragsverfahrens ist der Kläger weder im Verwaltungs- noch im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich befragt worden. Zutreffend weist dieser im übrigen darauf hin, dass bei abhängig Beschäftigten die Marken durch den Arbeitgeber eingeklebt und von diesem später zur Aufrechnung weitergeleitet wurden (vergleiche § 7 der Verordnung betreffend Umgestaltung der sozialen Versicherung im Memelgebiet). Weitere Unterlagen aus Litauen waren nicht zu erlangen. Als Beweismittel für die Glaubhaftmachung nach § 4 FRG standen demnach nur die Zeugenaussagen und eidesstattlichen Erklärungen zur Verfügung.

Zwar erfüllt der Kläger mit der Beitragszeit für den Zeitraum von Juli 1935 bis März 1939 noch nicht die Wartezeit gemäß § 1248 Abs. 7 Satz 3 RVO. Jedoch liegen darüber hinaus im erforderlichen Umfang Ersatzzeiten gemäß § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO vor. Dessen tatbestandsmäßige Voraussetzungen sind gegeben, weil sich der Kläger anschließend an die Zeit seiner Beschäftigung verfolgungsbedingt im Ausland aufgehalten hat. Er war Verfolgter im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Nach dieser Vorschrift sind Verfolgte im Sinne des Gesetzes die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, die aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden sind und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in ihrem beruflichen oder wirtschaftlichen Fortkommen erlitten haben (Verfolgte). Der Anwendung des § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO steht nicht entgegen, dass ein Versicherter nicht als Verfolgter nach BEG anerkannt ist. Die Feststellung der Verfolgteneigenschaft ist vom Rentenversicherungsträger bzw. von den Gerichten in eigener Zuständigkeit und unabhängig von den Entschädigungsbehörden durchzuführen (vergleiche BSG, Urteil vom 14.08.2003 - B 13 RJ 27/02 R - mit weiteren Nachweisen). Als Jude zählte der Kläger zu der Gruppe von Verfolgten, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft aus Gründen der Rasse verfolgt wurde. Der Verweis in § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO, dass ein Versicherter "Verfolgter" im Sinne des § 1 BEG sein müsse, ist nicht so verstehen, dass es sich ausschließlich um nach dem BEG entschädigungsberechtigte Verfolgte handeln müsse. Die Feststellung der Verfolgteneigenschaft im Sinne der RVO ist nicht vom Bestehen eines Entschädigungsanspruchs nach dem BEG abhängig. Für die im Rentenrecht zu entscheidende Frage, ob ein Versicherter Verfolgter im Sinne des § 1 BEG ist, kommt es auf die Entschädigungsberechtigung nach § 1 BEG nicht an. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang vielmehr darauf abzustellen, ob der Betroffene einen Schaden in der Rentenversicherung erlitten hat, für den die Rentenversicherungsgesetze einen Ausgleich vorsehen. Im Rahmen der Anerkennung einer verfolgungsbedingten Ersatzzeit geht es gerade um den Ausgleich rentenrechtlicher Nachteile für die infolge einer verfolgungsbedingten Flucht nicht zurückgelegten (weiteren) Beitragszeiten (vergleiche BSG, a. a. O.).

Der Anerkennung der verfolgungsbedingten Ersatzzeit steht auch nicht entgegen, dass der Kläger nicht vom Inland, das heißt vom Gebiet des damaligen Deutschen Reiches, in das Ausland geflohen ist. Ausnahmsweise ist auch das verlassene Einflussgebiet des Deutschen Reiches als "Inland" anzusehen, wenn ein Versicherter ein Einflussgebiet des Deutschen Reiches wegen der drohenden Verfolgungsmaßnahme verlassen hatte und in ein anderes Ausland ging (vergleiche BSG, a. a. O. mit weiteren Nachweisen). Mit dem Memelgebiet hatte der Kläger nach der Besetzung durch Deutschland im März 1939 ein Einflussgebiet des Deutschen Reiches verlassen und mit Litauen dann ein anderes (Aus-)Land aufgesucht, wobei nachvollziehbares Motiv drohende Verfolgungsmaßnahmen waren. Wenn sich ein Versicherter dem nationalsozialistischen Einflussbereich bzw. der kurz bevorstehenden Ausdehnung dieses Einflussbereichs und damit der drohenden Verfolgung durch eine Flucht aus diesem Einflussbereich entzog, muss dies einer Flucht aus dem Inland ins Ausland gleichgestellt werden, unabhängig davon, ob noch eine Staatsgrenze zu überschreiten war oder nicht (vergleiche BSG, a. a. O.). Dieser "Auslandsaufenthalt", das heißt der Aufenthalt des Klägers in dem dem nationalsozialistischen Einflussbereich entzogenen Gebiet, dauerte auch durch die Verfolgungsmaßnahmen jedenfalls in dem Umfang an, dass Ersatzzeiten vorliegen, die zusammen mit den Beitragszeiten eine Versicherungszeit von mindestens 60 Kalendermonaten im Sinne von § 1248 Abs. 7 Satz 3 RVO ergibt, weshalb dem Grunde nach Anspruch auf Altersruhegeld besteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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