Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
27
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 27 AY 18/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller ab Dezember 2005 Leistungen nach § 3 Abs 1 S 4 Asylbewerberleistungsgesetz nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften – längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren – zu zahlen. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz – AsylbLG – statt der bewilligten Leistungen nach § 1 a AsylbLG.
Der 1965 geborene Antragsteller hat die marokkanische Staatsangehörigkeit. Erstmals reiste er im Jahr 1981 im Rahmen einer Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland ein. Aufgrund etlicher strafgerichtlicher Verurteilungen in den Jahren 1990 bis 2001 erhielt er eine Ausweisung unter Androhung der Abschiebung. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 14.07.2003 (23 L 2860/02) abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht für das Land NRW mit Beschluss vom 08.02.2004 (19 B 1634/03) rechtskräftig zurück. Auf den Beschluss wird Bezug genommen. Ein im Februar 2004 gestellter Asylantrag blieb erfolglos. Der Asylfolgeantrag vom 04.08.2004 wurde ebenfalls rechtskräftig negativ beschieden.
Wohl aufgrund eines Antrages an die Härtefallkommission des Landes NRW wurde die Abschiebung ausgesetzt.
Der Antragsteller ist im Besitz einer Duldung nach § 60 a Abs 2 Aufenthaltsgesetz.
Erstmals im März 2004 beantragte der Antragsteller bei dem Antragsgegner Leistungen nach dem AsylbLG, die bewilligt wurden. Auf den Folgeantrag vom 07.09.2005 bewilligte der Antragsgegner Leistungen nach § 1 a AsylbLG. Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2005 führte der Antragsgegner aus, eine Einschränkung des Leistungsanspruchs komme bei Ausländern mit einer Duldung nach § 60 a Aufenthaltsgesetz in Betracht, da in diesen Fällen davon auszugehen sei, dass die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich beeinflusst werde. Wäre dies nicht der Fall, sei seitens der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 Aufenthaltsgesetz ausgesprochen worden. Aus diesem Grunde erfolge eine Leistungsgewährung nach § 1 a AsylbLG.
Hiergegen hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Duisburg unter dem Aktenzeichen S 27 AY 19/05 Klage erhoben und gleichzeitig den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Zur Begründung führt er aus, der Antragsgegner habe keine Einzelfallprüfung vorgenommen, die aber im Rahmen einer Leistungseinschränkung nach § 1 a AsylbLG erforderlich sei. In seinem Fall seien die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt, da es nicht an ihm liege, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten.
Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihm ab Dezember 2005 Leistungen nach § 3 Abs 1 S 4 AsylbLG zu zahlen.
Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Antrag abzuweisen.
Zur Begründung vertritt er die Ansicht, die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nur nach § 1 a AsylbLG lägen vor. Eine Einzelfallprüfung habe ergeben, dass dem Antragsteller aufgrund verschiedener strafrechtlicher Verurteilungen die ihm bis dahin erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis entzogen und die Ausweisung verfügt worden sei. Insoweit sei sein derzeitiger ausländerrechtlicher Status allein in seinem Verhalten begründet. Das die Ausländerbehörde dem Antragsteller keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 Aufenthaltsgesetz erteilt habe, werde dahingehend gewertet, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen im vorliegenden Falle durch das Verschulden des Antragstellers nicht durchgeführt werden könnten, obwohl einer Ausreise keine tatsächlichen Gründe entgegen stünden.
Das Gericht hat eine Auskunft des Ausländeramts des Kreis Wesel vom 03.02.2006 eingeholt, auf die Bezug genommen wird.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Vorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Nach § 86 b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Anordnungsanspruch – die Rechtsposition deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung - sind glaubhaft zu machen ( §§ 86 Abs 2 SGG, 920 Abs 3 Zivilprozessordnung – ZPO - ). Steht dem Antragsteller ein von ihm geltend gemachter Anspruch voraussichtlicht zu und ist ihm nicht zuzumuten, den Ausgang des Verfahrens abzuwarten, ist die einstweilige Anordnung zu erlassen. Bei offener Hauptsachlage ist eine Interessenabwägung erforderlich. Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ggfs. ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 b vR 569/05).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Gericht es unter Berücksichtigung der für den Antragsteller eintretenden Folgen für geboten erachtet, dem Antrag stattzugeben, da die Hauptsache voraussichtlich erfolgreich sein wird und die Einschränkung der Regelleistung nach § 3 AsylbLG von 212,15 EUR auf 159,64 EUR eine besonders schwere Beeinträchtigung darstellt. Insoweit schließt sich das Gericht dem Verwaltungsgericht Bremen (Beschluss vom 28. Juli 2005, Az: S 4 V 1256/05 in SAR 2005, 117-120 sowie in Juris) an, das ausgeführt hat, eine Reduktion der Grundleistungen auf das unabweisbar Gebotene begründe einen wesentlichen und irreversiblen Nachteil, der den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertige.
Zudem ist der Sachverhalt weitgehend geklärt und die Rechtslage eindeutig.
Die Voraussetzungen für die vom Antragsgegner vorgenommene Leistungskürzung nach § 1a Nr 2 AsylbLG liegen bei summarischer Prüfung nicht vor.
Nach dieser Vorschrift erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs 1 Nr 4 u. 5 AsylbLG, zu denen der Antragsteller wegen der Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes gehört, bei denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von ihnen zu vertretenen Gründen nicht vollzogen werden können, Leistungen nach dem AsylbLG nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist.
Im Ergebnis zutreffend geht der Antragsgegner davon aus, dass in den Fällen, in denen der Tatbestand des § 1a Nr 2 AsylbLG erfüllt ist, die Barleistungen nach § 3 Abs 1 Satz 4 AsylbLG gekürzt werden können. Insoweit führt Birk (in LPK-SGB XII, 7. Auflage 2005, zu § 1a AsylbLG Rz 8) aus, dass die unabweisbar gebotene Hilfe sich nach den Umständen des Einzelfalles bestimmt. Es handele sich um eine Anspruchseinschränkung, nicht um einen Anspruchsausschluss. In der Regel sei nur die Streichung des Taschengeldbetrages im Sinne des § 3 Abs 1 Satz 4 in Höhe von 40,90 Euro bzw. 20,45 EUR zulässig.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners liegen jedoch die Voraussetzungen nach § 1a Nr 2 AsylbLG nicht vor. Bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift folgt, dass die bloße Ausreiseunwilligkeit bei Ausreisepflicht bzw. die fehlende Ausreisebereitschaft nicht den Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet. Denn in § 1a Nr 2 AsylbLG wird gefordert, dass der Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen aus vom Leistungsberechtigten zu vertretenen Gründen nicht möglich ist. Der Vollzug von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen setzt jedoch bereits dem Wortlaut nach ein aktives Tätigwerden einer Behörde voraus. Denn der Vollzug oder die Vollziehung einer Maßnahme ist ein juristischer Fachbegriff, der sich auf ein hoheitliches Tätigwerden einer Behörde bezieht und nicht für ein freiwilliges Tätigwerden (hier die freiwillige Ausreise) einer natürlichen Person verwandt wird.
Unabhängig von – oder gerade wegen - dieser sich bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift aufdrängenden Auslegung, wird nach ganz herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung für den Tatbestand nach § 1a Nr 2 AsylbLG vorausgesetzt, dass unter aufenthaltsbeendenden Maßnahmen alle rechtlichen und tatsächlichen Handlungen zu verstehen sind, die von der Ausländerbehörde oder einer anderen Behörde ergriffen werden müssen, um die (zwangsweise) Ausreise des Ausländers zu erreichen (z. b. Herbst in Mergler/Zink, Kommentar zum SGB II, 2. Lieferung August 2004, § 1a Rz 14 mit weiteren Nachweisen; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf Kommentar zum SGB XII, zu § 1a AsylbLG Rz 6). Aufenthaltsbeendende Maßnahmen sind die Ausweisung, die Abschiebung und die Zurückschiebung nach §§ 53, 58 und 57 Aufenthaltsgesetz. Auf die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise kommt es nach dem Tatbestand des AsylbLG § 1a nicht an (VG Bremen, aaO). Sie wird, soweit ersichtlich, von niemandem als aufenthaltsbeendende Maßnahme im Sinne des § 1a AsylbLG gesehen.
Zudem müssen die Gründe, die dazu führen, dass der Aufenthalt des Ausländers nicht beendet werden kann, von ihm nicht zu vertreten sein. Sie sind von ihm zu vertreten, wenn sie ihre ausschließliche Ursache in dem Verantwortungsbereich des Ausländers haben und ihm vorgeworfen werden kann, durch sein Verhalten die Ausreise verhindert oder verzögert zu haben (Grube/Wahrendorf, aaO, Rz 7; Mergler/Zink, aaO, Rz 15, jeweils mit weiteren Nachweisen). Insofern ist eine umfassende Einzelfallprüfung erforderlich (Grube/Wahrendorf, aaO, Rz 7).
Der Antragsgegner hat im Bescheid vom 07.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 keine Einzelfallprüfung erkennen lassen. Das Gericht lässt dahingestellt, welche rechtlichen Konsequenzen dieser Begründungsmangel hat. Selbst unter Berücksichtigung der innerhalb des Verfahrens gegebenen Begründung lassen sich die Voraussetzungen nach § 1a Nr 2 AsylbLG nicht feststellen. Der Antragsgegner hat zwar zutreffend ausgeführt, dass der Antragsteller seinen derzeitigen aufenthaltsrechtlichen Status selbst zu verantworten hat. Im Rahmen der Leistungseinschränkungen nach § 1a AsylbLG geht es jedoch nicht um die Gründe für einen bestimmten aufenthaltsrechtlichen Status, sondern um die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen, die der Betroffene zu vertreten haben muss. Für das Vertretenmüssen iSd Vorschrift ist es erforderlich, dass die die Vollziehung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme hindernden Gründe im Verantwortungsbereich des Leistungsberechtigten liegen (st. Rspr. vgl GK-AsylbLG, § 1a, Rz 101 mwN). Das setzt unter anderem ein dem Leistungsberechtigten zurechenbares und vorwerfbares Verhalten voraus (GK-AsylbLG, aaO, Rz 102 mwN). In diesem Sinn ist es kein zurechenbar vorwerfbares Verhalten, wenn der Leistungsberechtigte lediglich ihm von der Rechtsordnung eröffnete Möglichkeiten in Anspruch nimmt (GK-AsylbLG, aaO, Rz 130 f mwN).
Nach der Mitteilung der zuständigen Ausländerbehörde, soll die Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung erst nach Abschluss der noch anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren des Klägers erfolgen. Individuelle Abschiebehindernisse hat die Ausländerbehörde trotz Nachfrage nicht mitgeteilt. Um welche Verfahren es sich im Einzelnen handelt und aus welchem Grund diese Verfahren einer Abschiebung entgegenstehen, hat die Ausländerbehörde nicht mitgeteilt. Insoweit ist offen, ob der Kläger erkennbar aussichtslose und ggf rechtsmissbräuchliche Verfahren betreibt oder ob die Ausländerbehörde aus anderen Gründen von einer Abschiebung absieht, obwohl sie die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen betreiben könnte. Das sehr zögerliche Verhalten der Ausländerbehörde in der Auskunftserteilung gegenüber dem Gericht spricht für letzteres, was nicht in den Verantwortungsbereich des Antragstellers fiele.
Die oben genanten Zweifel gehen jedoch zu Lasten des Antragsgegners. Diesen trifft die Darlegungspflicht und die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 1a AsylbLG (GK-AsylbLG, aaO, Rz 132 mwN).
Dem Antrag war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung erfolgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz – AsylbLG – statt der bewilligten Leistungen nach § 1 a AsylbLG.
Der 1965 geborene Antragsteller hat die marokkanische Staatsangehörigkeit. Erstmals reiste er im Jahr 1981 im Rahmen einer Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland ein. Aufgrund etlicher strafgerichtlicher Verurteilungen in den Jahren 1990 bis 2001 erhielt er eine Ausweisung unter Androhung der Abschiebung. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 14.07.2003 (23 L 2860/02) abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht für das Land NRW mit Beschluss vom 08.02.2004 (19 B 1634/03) rechtskräftig zurück. Auf den Beschluss wird Bezug genommen. Ein im Februar 2004 gestellter Asylantrag blieb erfolglos. Der Asylfolgeantrag vom 04.08.2004 wurde ebenfalls rechtskräftig negativ beschieden.
Wohl aufgrund eines Antrages an die Härtefallkommission des Landes NRW wurde die Abschiebung ausgesetzt.
Der Antragsteller ist im Besitz einer Duldung nach § 60 a Abs 2 Aufenthaltsgesetz.
Erstmals im März 2004 beantragte der Antragsteller bei dem Antragsgegner Leistungen nach dem AsylbLG, die bewilligt wurden. Auf den Folgeantrag vom 07.09.2005 bewilligte der Antragsgegner Leistungen nach § 1 a AsylbLG. Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2005 führte der Antragsgegner aus, eine Einschränkung des Leistungsanspruchs komme bei Ausländern mit einer Duldung nach § 60 a Aufenthaltsgesetz in Betracht, da in diesen Fällen davon auszugehen sei, dass die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich beeinflusst werde. Wäre dies nicht der Fall, sei seitens der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 Aufenthaltsgesetz ausgesprochen worden. Aus diesem Grunde erfolge eine Leistungsgewährung nach § 1 a AsylbLG.
Hiergegen hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Duisburg unter dem Aktenzeichen S 27 AY 19/05 Klage erhoben und gleichzeitig den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Zur Begründung führt er aus, der Antragsgegner habe keine Einzelfallprüfung vorgenommen, die aber im Rahmen einer Leistungseinschränkung nach § 1 a AsylbLG erforderlich sei. In seinem Fall seien die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt, da es nicht an ihm liege, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten.
Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihm ab Dezember 2005 Leistungen nach § 3 Abs 1 S 4 AsylbLG zu zahlen.
Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Antrag abzuweisen.
Zur Begründung vertritt er die Ansicht, die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nur nach § 1 a AsylbLG lägen vor. Eine Einzelfallprüfung habe ergeben, dass dem Antragsteller aufgrund verschiedener strafrechtlicher Verurteilungen die ihm bis dahin erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis entzogen und die Ausweisung verfügt worden sei. Insoweit sei sein derzeitiger ausländerrechtlicher Status allein in seinem Verhalten begründet. Das die Ausländerbehörde dem Antragsteller keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 Aufenthaltsgesetz erteilt habe, werde dahingehend gewertet, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen im vorliegenden Falle durch das Verschulden des Antragstellers nicht durchgeführt werden könnten, obwohl einer Ausreise keine tatsächlichen Gründe entgegen stünden.
Das Gericht hat eine Auskunft des Ausländeramts des Kreis Wesel vom 03.02.2006 eingeholt, auf die Bezug genommen wird.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Vorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Nach § 86 b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Anordnungsanspruch – die Rechtsposition deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung - sind glaubhaft zu machen ( §§ 86 Abs 2 SGG, 920 Abs 3 Zivilprozessordnung – ZPO - ). Steht dem Antragsteller ein von ihm geltend gemachter Anspruch voraussichtlicht zu und ist ihm nicht zuzumuten, den Ausgang des Verfahrens abzuwarten, ist die einstweilige Anordnung zu erlassen. Bei offener Hauptsachlage ist eine Interessenabwägung erforderlich. Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ggfs. ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 b vR 569/05).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Gericht es unter Berücksichtigung der für den Antragsteller eintretenden Folgen für geboten erachtet, dem Antrag stattzugeben, da die Hauptsache voraussichtlich erfolgreich sein wird und die Einschränkung der Regelleistung nach § 3 AsylbLG von 212,15 EUR auf 159,64 EUR eine besonders schwere Beeinträchtigung darstellt. Insoweit schließt sich das Gericht dem Verwaltungsgericht Bremen (Beschluss vom 28. Juli 2005, Az: S 4 V 1256/05 in SAR 2005, 117-120 sowie in Juris) an, das ausgeführt hat, eine Reduktion der Grundleistungen auf das unabweisbar Gebotene begründe einen wesentlichen und irreversiblen Nachteil, der den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertige.
Zudem ist der Sachverhalt weitgehend geklärt und die Rechtslage eindeutig.
Die Voraussetzungen für die vom Antragsgegner vorgenommene Leistungskürzung nach § 1a Nr 2 AsylbLG liegen bei summarischer Prüfung nicht vor.
Nach dieser Vorschrift erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs 1 Nr 4 u. 5 AsylbLG, zu denen der Antragsteller wegen der Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes gehört, bei denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von ihnen zu vertretenen Gründen nicht vollzogen werden können, Leistungen nach dem AsylbLG nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist.
Im Ergebnis zutreffend geht der Antragsgegner davon aus, dass in den Fällen, in denen der Tatbestand des § 1a Nr 2 AsylbLG erfüllt ist, die Barleistungen nach § 3 Abs 1 Satz 4 AsylbLG gekürzt werden können. Insoweit führt Birk (in LPK-SGB XII, 7. Auflage 2005, zu § 1a AsylbLG Rz 8) aus, dass die unabweisbar gebotene Hilfe sich nach den Umständen des Einzelfalles bestimmt. Es handele sich um eine Anspruchseinschränkung, nicht um einen Anspruchsausschluss. In der Regel sei nur die Streichung des Taschengeldbetrages im Sinne des § 3 Abs 1 Satz 4 in Höhe von 40,90 Euro bzw. 20,45 EUR zulässig.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners liegen jedoch die Voraussetzungen nach § 1a Nr 2 AsylbLG nicht vor. Bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift folgt, dass die bloße Ausreiseunwilligkeit bei Ausreisepflicht bzw. die fehlende Ausreisebereitschaft nicht den Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet. Denn in § 1a Nr 2 AsylbLG wird gefordert, dass der Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen aus vom Leistungsberechtigten zu vertretenen Gründen nicht möglich ist. Der Vollzug von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen setzt jedoch bereits dem Wortlaut nach ein aktives Tätigwerden einer Behörde voraus. Denn der Vollzug oder die Vollziehung einer Maßnahme ist ein juristischer Fachbegriff, der sich auf ein hoheitliches Tätigwerden einer Behörde bezieht und nicht für ein freiwilliges Tätigwerden (hier die freiwillige Ausreise) einer natürlichen Person verwandt wird.
Unabhängig von – oder gerade wegen - dieser sich bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift aufdrängenden Auslegung, wird nach ganz herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung für den Tatbestand nach § 1a Nr 2 AsylbLG vorausgesetzt, dass unter aufenthaltsbeendenden Maßnahmen alle rechtlichen und tatsächlichen Handlungen zu verstehen sind, die von der Ausländerbehörde oder einer anderen Behörde ergriffen werden müssen, um die (zwangsweise) Ausreise des Ausländers zu erreichen (z. b. Herbst in Mergler/Zink, Kommentar zum SGB II, 2. Lieferung August 2004, § 1a Rz 14 mit weiteren Nachweisen; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf Kommentar zum SGB XII, zu § 1a AsylbLG Rz 6). Aufenthaltsbeendende Maßnahmen sind die Ausweisung, die Abschiebung und die Zurückschiebung nach §§ 53, 58 und 57 Aufenthaltsgesetz. Auf die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise kommt es nach dem Tatbestand des AsylbLG § 1a nicht an (VG Bremen, aaO). Sie wird, soweit ersichtlich, von niemandem als aufenthaltsbeendende Maßnahme im Sinne des § 1a AsylbLG gesehen.
Zudem müssen die Gründe, die dazu führen, dass der Aufenthalt des Ausländers nicht beendet werden kann, von ihm nicht zu vertreten sein. Sie sind von ihm zu vertreten, wenn sie ihre ausschließliche Ursache in dem Verantwortungsbereich des Ausländers haben und ihm vorgeworfen werden kann, durch sein Verhalten die Ausreise verhindert oder verzögert zu haben (Grube/Wahrendorf, aaO, Rz 7; Mergler/Zink, aaO, Rz 15, jeweils mit weiteren Nachweisen). Insofern ist eine umfassende Einzelfallprüfung erforderlich (Grube/Wahrendorf, aaO, Rz 7).
Der Antragsgegner hat im Bescheid vom 07.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 keine Einzelfallprüfung erkennen lassen. Das Gericht lässt dahingestellt, welche rechtlichen Konsequenzen dieser Begründungsmangel hat. Selbst unter Berücksichtigung der innerhalb des Verfahrens gegebenen Begründung lassen sich die Voraussetzungen nach § 1a Nr 2 AsylbLG nicht feststellen. Der Antragsgegner hat zwar zutreffend ausgeführt, dass der Antragsteller seinen derzeitigen aufenthaltsrechtlichen Status selbst zu verantworten hat. Im Rahmen der Leistungseinschränkungen nach § 1a AsylbLG geht es jedoch nicht um die Gründe für einen bestimmten aufenthaltsrechtlichen Status, sondern um die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen, die der Betroffene zu vertreten haben muss. Für das Vertretenmüssen iSd Vorschrift ist es erforderlich, dass die die Vollziehung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme hindernden Gründe im Verantwortungsbereich des Leistungsberechtigten liegen (st. Rspr. vgl GK-AsylbLG, § 1a, Rz 101 mwN). Das setzt unter anderem ein dem Leistungsberechtigten zurechenbares und vorwerfbares Verhalten voraus (GK-AsylbLG, aaO, Rz 102 mwN). In diesem Sinn ist es kein zurechenbar vorwerfbares Verhalten, wenn der Leistungsberechtigte lediglich ihm von der Rechtsordnung eröffnete Möglichkeiten in Anspruch nimmt (GK-AsylbLG, aaO, Rz 130 f mwN).
Nach der Mitteilung der zuständigen Ausländerbehörde, soll die Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung erst nach Abschluss der noch anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren des Klägers erfolgen. Individuelle Abschiebehindernisse hat die Ausländerbehörde trotz Nachfrage nicht mitgeteilt. Um welche Verfahren es sich im Einzelnen handelt und aus welchem Grund diese Verfahren einer Abschiebung entgegenstehen, hat die Ausländerbehörde nicht mitgeteilt. Insoweit ist offen, ob der Kläger erkennbar aussichtslose und ggf rechtsmissbräuchliche Verfahren betreibt oder ob die Ausländerbehörde aus anderen Gründen von einer Abschiebung absieht, obwohl sie die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen betreiben könnte. Das sehr zögerliche Verhalten der Ausländerbehörde in der Auskunftserteilung gegenüber dem Gericht spricht für letzteres, was nicht in den Verantwortungsbereich des Antragstellers fiele.
Die oben genanten Zweifel gehen jedoch zu Lasten des Antragsgegners. Diesen trifft die Darlegungspflicht und die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 1a AsylbLG (GK-AsylbLG, aaO, Rz 132 mwN).
Dem Antrag war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung erfolgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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