S 13 KR 53/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 53/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beitragsbescheid vom 24.08.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2005 wird aufgehoben. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die Beklagten. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagten berechtigt sind, vom Kläger rückwirkend für die Zeit vom 01.03.-30.09.2005 den monatlichen Höchstbeitrag (507,60 EUR) statt des Mindestbeitrags (115,92 EUR) zur Krankenversicherung (KV) und Pflegeversicherung (PV) zu verlangen, für die 7 Monate also 3553,20 EUR statt 811,44 EUR (Differenz: 2741,76 EUR).

Der am 00.00.1971 geborene Kläger ist Student der Sozialwissenschaften im 21. Fachsemester. Er ist verheiratet, hat ein Kind und ist freiwilliges Mitglied der Beklagten. Auf Grund seines geringen Einkommens zahlte er die Mindestbeiträge zur KV (102,24 EUR) und PV (13,68 EUR), insgesamt monatlich 115,92 EUR. Grundlage waren seine Angaben in einem Fragebogen zur Beitragseinstufung, den er im Februar 2004 bei den Beklagten eingereicht hatte.

Mit Schreiben vom 15.06. und 20.07.2005 baten die Beklagten den Kläger, im Rahmen der jährlich durchzuführenden Einkommensanfrage zur Berechnung der freiwilligen KV-/PV-Beiträge einen Fragebogen auszufüllen und entsprechende Einkommensnachweise einzureichen. Sie wiesen den Kläger darauf hin, dass seine Beiträge rückwirkend ab 01.03.2005 (Beginn des 13. Monats nach dem letzten Einkommensnachweis) nach der Höchststufe bemessen werden müssten, wenn die Einkommensanfrage nicht beantwortet würde. Dem Kläger wurde zuletzt eine Frist bis zum 12.08.2005 gesetzt. Als der Kläger die Einkommensnachweise bis zu diesem Datum nicht vorgelegt hatte, setzte der Beklagte zu 1) durch Bescheid vom 24.08.2005 rückwirkend ab 01.03.2005 die Monatsbeiträge nach der Höchststufe fest, zur KV 447,68 EUR, zur PV 59,92 EUR, insgesamt 507,60 EUR. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei der Bitte, die aktuellen Einnahmen mitzuteilen, nicht bzw. nicht vollständig nachgekommen; deshalb müssten die Beiträge aus der Höchststufe berechnet werden.

Dagegen legte der Kläger am 12.09.2005 Widerspruch ein. Er trug vor, sein Einkommen und das seiner Frau liege weit unter der Bemessungsgrenze. Der Kläger legte verschiedene Einkommensnachweise vor. Danach hatte er im Jahre 2004 Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in Höhe von 4.847,00 EUR und seine Ehefrau aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von 145,00 EUR. Für das laufende Jahr 2005 gab der Kläger seine eigenen Einkünfte bis zum August des Jahres mit 5.299,60 EUR, die seiner Ehefrau mit 704,00 EUR an.

Aufgrund dieser Angaben und Belege setzten die Beklagten durch Bescheid vom 27.09.2005 mit Wirkung ab 01.10.2005 die Beiträge wieder nach der Mindeststufe fest, und zwar zur KV 102,23 EUR, zur PV 13,68 EUR, insgesamt 115,91 EUR monatlich.

Im übrigen wiesen die Beklagten den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 04.11.2005 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 11.11.2005 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, für eine rückwirkende Beitragsfestsetzung nach der Höchststufe fehle es an einer rechtlichen Grundlage, da sich seine tatsächlichen Verhältnisse gegenüber 2004 nicht wesentlich geändert hätten.

Der Kläger beantragt,

den Beitragsbescheid vom 24.08.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2005 aufzuheben.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie tragen vor, bei der Beitragsbelastung des freiwilligen Mitglieds sei die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Der Versicherte habe auf Verlangen über alle für die Feststellung der Beitragspflicht erforderlichen Tatsachen unverzüglich Auskunft zu erteilen; Veränderungen in den Verhältnissen seien sofort mitzuteilen. § 19 Abs. 4 der Satzung der Beklagten zu 1) bestimme, dass, sofern und solange Einkommensnachweise nicht erbracht würden, monatliche beitragspflichtige Einnahmen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze zu Grunde zu legen seien. Die Prüfdienste des Bundes und der Länder würden den gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen der Durchführungsbestimmungen zum Risikostrukturausgleich vorschreiben, dass, sofern ein freiwilliges Mitglied den Einkommenserhebungsbogen nicht zurückschicke, für den Ansatz des satzungsmäßig vorgegebenen höheren Beitrages der 13. Monat nach der Erstellung des letzten Einkommensnachweises maßgeblich sei. Da der Kläger im Februar 2004 einen Fragebogen zur Beitragseinstufung eingereicht habe, seien seine Beiträge, nachdem er im Jahre 2005 die Einkommensnachweise nicht fristgerecht eingereicht habe, rückwirkend ab 01.03.2005, dem Beginn des 13. Monats nach dem letzten Einkommensnachweis, aus der Höchststufe zu berechnen. Die Beklagten gehen davon aus, dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erfüllt waren und der Verwaltungsakt über die Beitragsfestsetzung am 01.03.2004 mit Wirkung zum 01.03.2005 aufgehoben werden konnte mit der Folge, dass ab 01.03.2005 eine neue Beitragsfestsetzung nach der Höchststufe möglich war.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akte S 00 KR 00/0ß ER (SG Aachen), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtene Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie rechtswidrig sind. Die Beklagten sind nicht berechtigt, für die vom 01.03.-30.09.2005 Beiträge nach der Höchststufe zu verlangen. Auch für diesen Zeitraum bleibt es bei der Erhebung der Mindestbeiträge.

Nach § 240 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und § 57 Abs. 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) ist die Beitragsbemessung zur KV und PV freiwilliger Mitglieder durch die Satzung zu regeln. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Versicherte haben auf Verlangen über alle für die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht erforderlichen Tatsachen unverzüglich Auskunft zu erteilen; Änderungen in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht erheblich sind und nicht durch Dritte gemeldet werden, sind unverzüglich mitzuteilen (§ 206 Abs. 1 SGB V). Nach § 19 Abs. 4 Satz 2 der Satzung der Beklagten zu 1) und § 8 Abs. 5 Satz 2 der Satzung der Beklagten zu 2) sind monatliche beitragspflichtige Einnahmen in der Höhe der Beitragsbemessungsgrenze zu Grunde zu legen, sofern und solange Einkommensnachweise nicht erbracht werden. § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V ("Veränderungen der Beitragsbemessung auf Grund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 können nur zum 1. Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden.") gilt nach § 19 Abs. 4 Satz 3 der Satzung der Beklagten zu 1) bzw. § 8 Abs. 5 Satz 3 der Satzung der Beklagten zu 2) entsprechend.

Da der Kläger im September 2005 aktuelle Einkommensnachweise vorgelegt hat, die die Erhebung nur der Mindestbeiträge rechtfertigen, haben die Beklagten zutreffend durch Bescheid vom 27.09.2005 (wieder) die Mindestbeiträge zur KV und PV festgesetzt.

Die vorgelegten Unterlagen belegen ein Einkommen des Klägers und seiner Ehefrau, das auch für die Zeit vom 01.03.-30.09.2005 nur die Erhebung für Mindestbeiträge rechtfertigt. Insofern hat sich in den Verhältnissen, die für die Beitragsfestsetzung bis 28.02.2005 maßgeblich waren, nichts Wesentliches geändert. Die Bescheide, durch die die Beiträge seit 2004 festgesetzt worden waren, sind auch nicht ursprünglich rechtswidrig gewesen. Beiträge über die Festsetzung der beitragspflichtigen Einnahmen sind – wie Beitragsbescheide – Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, die nur unter den Voraussetzungen der §§ 45, 48 SGB X mit entsprechender Begründung zurückgenommen und aufgehoben werden können (Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Loseblatt-Kommentar, Stand: 51. Erg.-Lief. April 2005, § 240 Rn. 48). Dem Beitragsbescheid vom 24.08.2005 fehlt jeglicher Hinweis auf eine Grundlage für die Aufhebung bzw. Rücknahme der bis dahin geltenden Beitragsbemessungsentscheidung. Entgegen der Annahme der Beklagten sind – wie oben dargelegt – weder die Voraussetzungen nach § 48 SGB X noch die nach § 45 SGB X erfüllt. Darüber hinaus ermächtigten weder die Vorschriften des SGB V zur Beitragserhebung bei freiwilligen Mitgliedern noch die Satzungen der Beklagten, die Beiträge aus der Höchststufe wegen fehlender Mitwirkung rückwirkend zu erheben. Erst recht sind von den Beklagten behaupteten, jedoch nicht näher substanziierten Vorschriften der "Prüfdienste des Bundes und der Länder", wonach für den Ansatz des satzungsmäßig vorgegebenen höheren Beitrages der 13. Monat nach der Erstellung des letzten Einkommensnachweises maßgeblich sein soll, sofern ein freiwilliges Mitglied den Einkommenserhebungsbogen nicht zurückschickt, keine rechtstaatlichen Anforderungen genügende Rechtsgrundlage für die rückwirkende Erhebung von Höchstbeiträgen an Stelle der nach den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen maßgeblichen Mindestbeiträge. Eine derart rechtswidrige Praxis lässt sich auch nicht mit – der Kammer nicht bekannten – "Durchführungsbestimmungen zum Risiko- strukturausgleich" rechtfertigen.

Die Vorgehensweise der Beklagten, bei unveränderten Einkommensverhältnissen die Mitgliedsbeiträge rückwirkend von der Mindest- auf die Höchststufe anzuheben, nur weil Versicherte Anfragen nicht innerhalb einer gesetzten Frist beantwortet haben, beinhaltet nach Ansicht der Kammer nichts Anderes als die "Bestrafung" unbotmäßigen Verhaltens. Dass die Höhe dieser "Strafe" nicht zuletzt auch dadurch beeinflusst werden kann, wie spät die Beklagten Nachfrage halten (im vorliegenden Fall erging die erste Aufforderung erst im 4. Monat nach dem Zeitpunkt, für den das Einkommen neu nachzuweisen war), verstärkt die rechtsstaatlichen Bedenken gegen diese Praxis.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Kammer hat die Sprungrevision zugelassen, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 161 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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