L 18 B 21/06 SB ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 SB 669/05 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 B 21/06 SB ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.12.2005 - Az: S 15 SB 669/05 ER - wird in Ziffer I und III aufgehoben.
II. Der Antrag vom 08.11./24.11.2005 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die 1998 geborene Beschwerdegegnerin (Bg) begehrt in der Hauptsache die Zuerkennung der Nachteilsausgleiche H und B. Bei ihr sind auf einen Antrag vom 18.03.2004 mit Bescheid vom 23.06.2004 mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt: "Teilleistungsstörungen, Störungen der Koordination, Verhaltensstörungen und Sprachentwicklungsstörung". Die Nachteilsausgleiche H und B gewährte der Beschwerdeführer (Bf) nicht. Im Widerspruchsverfahren trug die Mutter der Bg vor, ihre Tochter sei nicht fähig, sich selbst im Straßenverkehr zurechtzufinden. Krankheitsbedingt werde ihre Tochter in eine Förderschule eingeschult. Auf ihrem Schulweg befänden sich drei Straßen, die sie überqueren müsse. Eine davon sei eine viel befahrene Hauptstraße (F.straße). Sie müsse ihre Tochter in die Schule bringen und auch wieder abholen. Je nach Tagesstimmung sei ihre Tochter nicht in der Lage, sich selbstständig anzuziehen. Dies müsse sie dann für sie übernehmen. Auf Grund ihrer Koordinationsstörung sei es ihr stellenweise nicht möglich, leichteste Sachen wie Zähneputzen oder Haarekämmen ohne Hilfe zu erledigen. Auf Grund der Konzentrationsstörungen sei es wichtig, dass ihre Tochter das Merkzeichen H erhalte, da sie nirgends alleine hingelassen werden könne. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12.11.2004).

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg hat die Bg die Zuerkennung der Merkzeichen H und B begehrt. Der vom SG mit Gutachten vom 30.05.2005/07.09.2005 von Amts wegen gehörte Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.H. hat die Zuerkennung der Merkzeichen B und H zunächst begrenzt auf ein Jahr bejaht. Die Bg hat am 08.11./24.11.2005 beantragt, ihr im Wege der einstweiligen Anordnung mit Wirkung ab 08.11.2005 die Merkzeichen B und H bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zuzuerkennen. Der vom SG ebenfalls von Amts wegen mit Gutachten vom 08.12.2005 gehörte Diplom-Psychologe und Kinder-Jugendlichenpsychotherapeut Dr.R. hat die Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens B befristet bis zur Beendigung des zweiten Schuljahres bejaht, die für das Merkzeichen H ab dem Zeitpunkt seiner Begutachtung verneint. Das SG Nürnberg hat den Bf mit Beschluss vom 19.12.2005 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, mit Wirkung ab 08.11.2005 der Bg die Merkzeichen H und B zuzuerkennen. Die Zuerkennung sollte spätestens mit dem Ablauf des letzten Tages des zweiten Schuljahres der Bg enden. Die Entscheidung ist desweiteren unter dem Vorbehalt einer abweichenden Entscheidung in der Hauptsache ergangen. Im Übrigen hat es den Eilantrag abgewiesen. Zur Begründung hat das SG sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr.H. gestützt. Der Beweiswert des Gutachtens des Dr.H. sei durch das Gutachten des Dr.R. nicht so stark erschüttert, dass sich ein unterhalb der überwiegenden Wahrscheinlichkeit liegender Wahrscheinlichkeitsgrad für die Zuerkennung des Merkzeichens H ergebe. Dr.H. hat nach Kenntnisnahme des Gutachtens des Dr.R. mit ergänzender Stellungnahme vom 17.01.2006 die Voraussetzungen für das Vorliegen des Merkzeichens H ab 08.12.2005 nicht mehr für gegeben erachtet.

Der Beklagte hat gegen den Beschluss vom 19.12.2005 am 05.01.2006 Beschwerde eingelegt und beantragt, diesen aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, nach der ergänzenden Stellungnahme des Dr.H. könne ein Anordnungsanspruch hinsichtlich des Merkzeichens H auch bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage keinesfalls mehr bejaht werden. Eine isolierte Feststellung des Merkzeichens B sei aus Rechtsgründen nicht möglich.

Die Bg hält einen Anordnungsgrund nach wie vor für gegeben.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die beigezogene Schwerbehindertenakte der Bf, die Akten des SG Nürnberg S 15 SB 777/04 und S 15 SB 669/05 ER sowie die LSG-Akte L 18 SB 8/06 ER (Vollstreckungsschutz) Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).

Die Beschwerde ist begründet, weil das SG den Bf zu Unrecht im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorübergehenden Gewährung der Merkzeichen H und B verpflichtet hat.

Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Regelungsanordnung) ist zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs 2 Satz 2 SGG). Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Aordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfGE 79, 69 [74]; 46, 166 [179]).

Eine solche Regelungsanordnung setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und zum Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den er sein Begehren stützt - glaubhaft machen kann (§ 86 b Abs 2 Sätze 2, 4 SGG iVm § 920 Abs 2, 294 Abs 1 Zivilprozessordnung; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Auflage 2005, § 86 b RdNr 41).

Bei der hier erforderlichen Überprüfung der Sach- und Rechtslage zeigt sich, dass der Bg kein Anordnungsanspruch zur Seite steht. Artikel 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) stellt besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 1.Senat 3.Kammer vom 12.05.2005, Breithaupt 2005, 803 - 808 mwN). Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht (aaO).

So ist es vorliegend. Ohne Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes könnten schwere Beeinträchtigungen der Bg durch die Nichtgewährung der Nachteilsausgleiche entstehen, vorausgesetzt der Bg steht ein Anordnungsanspruch zu. Das SG hätte die Ansprüche der Bg aber nicht nur summarisch, sondern abschließend würdigen müssen. Denn auf Grund der Ermittlungen von Amts wegen stand zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnung fest, dass der Bg das Merkzeichen H ab dem Antragszeitpunkt nicht zustand. Dabei geht der erkennende Senat davon aus, dass der Gesundheitszustand der Bg zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens durch Dr.R. am 08.12.2005 in etwa dem Zustand zum Zeitpunkt der Antragstellung am 08.11.2005 entsprochen hat. Dass dem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so gewesen ist, ergibt sich mit hinreichender Schlüssigkeit aus den gutachtlichen Feststellungen des Dr.R. und dem vorgelegten Jahreszeugnis der Bg für das Schuljahr 2004/2005.

Die Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens H lagen bei der Bg nicht vor. Im Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen H einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33 b Einkommensteuergesetz (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist (§ 3 Abs 1 Nr 2 der auf Grund von § 70 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) ergangenen Schwerbehindertenausweisverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.07.1991, BGBl I 1739, zuletzt geändert durch Artikel 4 a des Gesetzes vom 23.04.2004 (BGBl I 606). Gemäß § 33 b Abs 6 Satz 3 (früher Satz 2) EStG in der im Zeitpunkt der Antragstellung der Bg maßgeblichen, ab 20.12.2003 geltenden Fassung gemäß Art 1 Nr 13 Gesetz vom 15.12.2003 BGBl I S 2645 mWv 20.12.2003 ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 3 dieser Vorschriften genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33 b Abs 6 Satz 4 EStG). Bei den gemäß § 33 b Abs 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Berücksichtigungsfähig sind Verrichtungen zunächst in den auch von der Pflegeversicherung (vgl § 14 Abs 4 Sozialgesetzbuch [SGB] XI) erfassten Bereichen der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung) Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung); diese Verrichtungen in diesen Bereichen werden unter dem Begriff der sogenannten Grundpflege zusammengefasst (vgl. BSG, Urteil vom 24.11.2005, Az: B 9 a SB 1/05 R, SozR 4-00000). Hinzu kommen nach der Rechtsprechung des BSG jene Verrichtungen, die in den Bereichen der psychischen Erholung, geistigen Anregungen und der Kommunikation (hier insbesondere Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen) anfallen, während Verrichtungen im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung nicht eingeschlossen sind (aaO mwN). Hinsichtlich des Ausmaßes des in § 33 b EStG ansgesprochenen Hilfebedarfs im Bezug auf die genannten Verrichtungen geht das BSG davon aus, dass die tatbestandlich vorausgesetzte "Reihe von Verrichtungen" regelmäßig erst dann angenommen werden kann, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in e r h e b l i c h e m Umfang erforderlich machen (aaO mwN). Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Behinderten nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann (aaO). Einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebensablauf wiederholt vorgenommen werden, genügen nach den vom Senat zu beachtenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2004 Nr 21 Abs 4 nicht (z.B. Hilfe beim Anziehen einzelner Bekleidungsstücke, notwendige Bekleidung bei Reisen und Spaziergängen, Hilfe im Straßenverkehr). Gemessen an diesem Maßstab ist nicht hilflos, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Daraus ergibt sich jedoch nicht schon, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist; vielmehr sieht das BSG einen täglichen Zeitaufwand - für sich genommen - erst dann als hinreichend erheblich an, wenn dieser mindesten zwei Stunden erreicht (aaO mwN).

Entgegen der Auffassung des SG kennt das Schwerbehindertenrecht für den steuerrechtlich bedeutsamen Nachteilsausgleich H keinen besonderen Begriff der Hilflosigkeit bei Kindern, so dass eine gesetzliche Grundlage für die Verwaltungspraxis fehlt, nach der in Übereinstimmung mit den Anhaltspunkten im Kindesalter Hilflosigkeit unter erleichterten Voraussetzungen zugebilligt wird (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 1 und BSG, Urteil vom 12.11.1996, Az: 9 RVs 18/94 [Juris Recherche]). Aber auch die Anhaltspunkte berücksichtigen stets nur den Teil der Hilfsbedürftigkeit, der wegen der Behinderung den Umfang der Hilfsbedürftigkeit eines gesunden gleichaltrigen Kindes überschreitet. Zudem muss der Umfang der wegen der Behinderung notwendigen zusätzlichen Hilfeleistung erheblich sein (Nr 22 Abs 2). Bei Behinderungen die in Nr 22 nicht ausdrücklich genannt sind, ist die Frage der Hilflosigkeit unter Berücksichtigung des im Einzelfall erforderlichen Hilfebedarfs zu beurteilen (Abs 5).

Der Begriff der Hilflosigkeit umschreibt nicht einen medizinischen, sondern einen rechtlichen Begriff. Seine Feststellung kann nicht Aufgabe von Sachverständigen sein; er beruht auch nicht auf medizinischer Erfahrung, sondern auf einer rechtlichen Wertung von Tatsachen. Diese Tatsachen sind allerdings mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen; zu diesen Tatsachen gehört neben dem Krankheitsbild auch das Leistungsvermögen bzw. die Beschreibung der Funktionsstörung (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 1 mwN). In welchem Umfang das körperliche und geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist, inwieweit aus diesem Grund Hilfen bei der Verrichtung des täglichen Lebens erforderlich sind, unterliegt in erster Linie einer medizinischen Beurteilung. Wie sich diese Tatsachen und die Funktionsbeeinträchtigungen im Schwerbehindertenrecht sowohl im Erwerbsleben als auch im gesellschaftlichen Bereich auswirken, verlangt eine rechtliche Beurteilung (BSG aaO). Auch der Begriff der Hilflosigkeit kann nur mittels rechtlicher Wertung ausgefüllt werden (aaO mwN).

Gemessen an diesen Voraussetzungen liegt im Falle der Bg Hilflosigkeit offensichtlich nicht (mehr) vor, weil es im hier anhängigen Eilverfahren auf Grund der Ermittlungen des SG hinreichend feststeht, dass ab 08.12.2005 die Bg nicht hilflos ist. Der von den vom SG gehörten Sachverständigen festgestellte Umfang der Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit der Bg ist weit davon entfernt, eine Hilflosigkeit im Sinne des Schwerbehindertenrechts zu begründen. Nach den Feststellungen des Dr.R. besteht bei der Bg eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung. Die Bg verfügt über eine gut durchschnittliche intellektuelle Gesamtbefähigung. Sie erreicht im Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder (HAWIK-III) einen Intelligenzquotienten von 107 entsprechend einem Prozentrang von 68. Situationen, in denen ein intelligentes Umgehen mit nicht sprachlichem Material gefordert ist, kann sie besser bewältigen als theoretisch-sprachliche Aufgaben. Dabei liegt ihre Leistungskompetenz im Bezug auf nicht sprachliches, mehr praktisches Handeln im überdurchschnittlichen Bereich (Intelligenzquotient 112 - Prozentrang 79) zusammenfassend erzielt sie überdurchschnittliche Ergebnisse bezüglich ihrer Wahrnehmungssituation (Intelligenzquotient 111 - Prozentrang 77) und ihrer Arbeitsgeschwindigkeit (Intelligenzquotient 114 - Prozentrang 82). Im Hinblick auf ihr Sprachverständnis (Intelligenzquotient 103 - Prozentrang 58) und ihre Unablenkbarkeit (Intelligenzquotient 95 - Prozentrang 39) zeigen sich durchschnittliche Resultate. Eine Störung des Sozialverhaltens konnte der Sachverständige Dr.R. nicht diagnostizieren. Die Kommentare und Ausführungen im Jahreszeugnis der Bg vom 29.07.2005 ergeben hierfür keine Anhaltspunkte. Dort wird das Sozialverhalten der Bg wie folgt beschrieben: "Das freundliche, lustige Mädchen kümmerte sich unaufgefordert und eigenverantwortlich um Andere. Es half Schwächeren und unterstützte Mitschüler/innen in ihrem Lernen durch aktive Hilfe. T. hielt sich einsichtig an vereinbarte Regeln und machte andere auf Verletzungen aufmerksam, ohne dabei besserwisserisch aufzutreten. Sie schloss rasch und problemlos Kontakte zu Mitschüler/innen und arbeitete meist freudig und zielorientiert mit anderen Kindern zusammen. Sie konnte sowohl im Klassenverband als auch in der Gruppe aufmerksam zuhören. Kritik äußerte sie in höflich angemessener Form; bei Streitigkeiten versuchte sie, vermittelnd und ausgleichend zu wirken."

Die bei der Bg bestehende einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung erfordert ganz offensichtlich keine den Umfang der Hilfsbedürftigkeit eines gesunden gleichaltrigen Kindes erheblich überschreitende Hilfe. Bezüglich der von der Mutter der Bg angeführten Gefahren auf dem Schulweg weist der Senat darauf hin, dass Kinder nach allgemeiner Erfahrung erst mit ca. zehn Jahren zu Fußgängern werden, deren Verhalten im Straßenverkehr für den Autofahrer berechenbar ist. Erst in diesem Alter können Kinder Geschwindigkeiten richtig einschätzen und vorbeugende Verhaltensweisen bewusst einsetzen, um Gefahren zu reduzieren. Die erforderliche Konzentrationsfähigkeit für die Gesamtdauer des Schulweges ist erst mit acht Jahren erreicht, voll ausgebildet ist diese Fähigkeit jedoch erst mit ca. 14 Jahren (Internet Recherche www.uni-essen.de/traffic education/alt/texte.ml/Saar.html).

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens B liegen ebenfalls nicht vor. Unentgeltlich zu befördern sind nach dem unmissverständlichen Wortlaut des Gesetzes nur die Begleitpersonen eines Schwerbehinderten, der infolge seiner Behinderung u.a. hilflos ist, § 145 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Nr 1 SGB IX (ebenso BSG SozR 3870 § 58 Nr 2).

Nach alledem war der Beschwerde des Bf stattzugeben und die einstweilige Anordnung des SG aufzuheben soweit dieses dem Antrag der Bg stattgegeben hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved