L 16 B 35/03 KR ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 KR 56/03 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 B 35/03 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den ihr einstweiligen Rechtsschutz versagenden Beschluss des Sozialgerichts (SG) Aachen vom 6. Mai 2003 wird zurückgewiesen, nachdem das SG der Beschwerde nicht abgeholfen hat (Entscheidung vom 4.6.2003). Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Senat weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidungen zurück. Das Vorbringen der Antragstellerin konnte demgegenüber nicht überzeugen:

I.

1. Das SG geht aaO davon aus, daß zZt keine hinreichende Wahrscheinlich keit dafür besteht, daß die intravenöse Verabreichung von Immunglobulinen (IVIG) zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei schubförmig remittierend verlaufender Erkrankung an MS im Wege eines nur ausnahmsweise zulässigen off-label-use (Bundessozialgericht (BSG) Urt.v. 19.3.02 B 1 KR 37/00 R = BSGE 89,184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 - "Sandoglobulin gegen chronisch progrediente MS") bei einer Entscheidung der Hauptsache (hier wohl anhängig unter dem Aktenzeichen S 6 KR 61/03 SG Aachen) für zulässig erklärt werden kann. Das SG fußt dabei wesentlich auf einer Auskunft, die ihm das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Anfrage vom 9.9.2002 mit Datum des 22.1.2003 in einer anderen Streitsache erteilt hat (S 6 KR 105/02 SG Aachen).

2. Die Interpretation dieser Auskunft des BfArM durch die Bevollmächtig ten der Antragstellerin ist falsch, soweit diese ausführen, das BfArM habe ausdrücklich bestätigt, daß in den einschlägigen Fachkreisen Konsens bestehe, daß die Therapie mit Immunglobulinen als Heilversuch (also unter den Voraus setzungen der off-label-use-Rechtsprechung) einzusetzen sei, wenn Kontraindi kationen für Interferone und Glatimeracetat (Copaxone) vorlägen. Wenn das BfArM aaO erklärt, aus regulatorischer Sicht könne eine Behandlung dann al lerdings nur im Rahmen eines Heilversuchs erfolgen, dann konnte damit nach den vorangegangenen und auch nach den späteren Ausführungen ersichtlich nur gemeint sein, daß die streitige Behandlung nur als von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossener "individueller Heilversuch" (vgl. BSGE 81,182 = SozR 3-2500 § 109 Nr 5) in Betracht kommt. Das BfArM hat auch aaO keinen "Konsens in den einschlägigen Fachkreisen" im Sinne des o.a. Sandoglobulin- Urteils des BSG bestätigt, sondern nur, daß "klinische Experten" die streitige Behandlung "für gerechtfertigt" halten bei Kontraindikation zugelassener Mittel und bei einem Erfolg im Einzelfall (wie er für die Frage der Lei stungspflicht der GKV ohne Belang ist). Konsens im hier maßgeblichen Sinn spricht auch der die Antragstellerin behandelnde Nervenarzt Dr. D ... nicht an, wenn er mit Schreiben vom 3.7.2002 erklärt, er habe die Behandlung für notwendig erachtet entsprechend den neuen Empfehlungen der Konsensusgruppe (immunmodulatorische Stufentherapie der MS - neue Aspekte und praktische Um setzung - 2. Ergänzung März 2002) - will wohl heißen entsprechend dem von den Bevollmächtigten der Antragstellerin erwähnten "Konsensuspapier" der Deutschen Multiple-Sklerose-Gesellschaft, abgedruckt in "Der Nervenarzt", 1999, S. 371-386 sowie 2001, S. 150-157). Konsens im hier maßgeblichen Sinn aus drücklich verneint hat sogar der Arzt, der die Klägerin in einem beim erken nenden Senat zur Hauptsache anhängigen gleichgelagerten Fall (dort mit Kon traindikation wegen Kinderwuchs) behandelt (L 16 KR 96/03 LSG NW). Es recht fertigt schließlich nicht schon die Kontraindikation zugelassener Mittel den an sich ausgeschlossenen off-label-use, sie ist dafür vielmehr nach dem o.a. Sandoglobulin-Urteil weitere Voraussetzung neben u.a. der aaO unter Nummer 3 vom BSG geforderten Datenlage zur Frage der Wirksamkeit und Unschädlichkeit des zulassungsfremden Einsatzes des Mittels.

3. Es stimmt überdies die Auskunft des BfArM vom 22.1.2003 aus der Streitsache S 6 KR 105/02 in wesentlichen Dingen überein mit einer Auskunft, die das für die Zulassung von Immunglobulinen zuständige ...- ...-Insti tut (PEI) dem SG Düsseldorf in dem beim Senat anhängigen Hauptsacheverfahren (L 16 KR 96/03 LSG NW = S 4 KR 182/01 SG Düsseldorf) auf Anfrage vom 5.9.2001 mit Datum des 28.9.2001 gegeben hat, in der es abschließend heißt, es bleibe festzustellen, daß die derzeitig vorliegenden Studien und Fallberichte noch nicht die Anforderungen erfüllten, die an Studien zum Nachweis der Wirksam keit und Sicherheit der Immunglobulin-Anwendung bei MS gestellt würden; eine Vielzahl von Fragen sei noch offen, zu deren Klärung kontrollierte Studien durchgeführt würden.

II.

Zu Unrecht lasten die Bevollmächtigten der Antragstellerin dem SG an, es habe die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in seiner Ilomedin- Entscheidung (v. 22.11.2002 1 BvR 1586/02 = NZS 2003,253 = NJW 2003,1236) außeracht gelassen. Es habe vielmehr die Bevollmächtigten im Anordnungsver fahren hinreichend weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, daß hier die vom BVerfG aaO vorausgesetzten tatsächlichen Gegebenheiten wie das Vorliegen ei ner lebensbedrohlichen Situation anzunehmen wären, zu denen das Bundesinsti tut für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM auf Befragung durch das SG aaO u.a. mitgeteilt hat, es könne heute nicht mehr davon ausgegangen werden, daß die schubförmig remittierend verlaufende Erkrankung an MS lebensverkürzend sei und (nur) in einem Drittel der Fälle komme es zu einem ungünstigen Ver lauf mit deutlichen Behinderungen im privaten und beruflichen Umfeld. Die Folge der Entscheidung des BVerfG ist, wäre sie einschlägig, auch nicht die, daß dem Versicherten ggf. trotz Fehlens einer entsprechenden Datenlage zur Wirksamkeit bei Kontraindikation zugelassener Mittel der Einsatz gebräuchli cher, aber vom maßgeblichen Konsens einschlägiger Fachkreise (noch ?) nicht erfaßter nichtzugelassener Mittel zu Lasten der GKV zugebilligt werden müßte. Das BVerfG verlangt vielmehr aaO im wesentlichen lediglich (und nur, wenn die Gerichte sich im Verfahren wegen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, wie hier das SG, an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren) eine besonders intensive anstatt der sonst im Eilverfahren gebotenen summarischen Betrachtung und die Beachtung bestimmter Grundsätze.

III.

Wollte man insoweit allen Hinweisen zu Erkenntnissen über die Wirksamkeit und Unschädlichkeit des streitigen off-label-use nachgehen, würde dies den Erlaß einer einstweiligen Anordnung auf nicht absehbare Zeit unmöglich ma chen. Was dem Senat insoweit bislang an Erkenntnisquellen vorliegt, erlaubt es hingegen nicht, die eindeutig ablehnende Sicht d e r beiden Institute in Frage zu stellen, die am ehesten dazu aufgerufen sind, sich einen Überblick über den Datenstand im Sinne der Forderungen des BSG zu Nummer 3 im Sando globulin-Urteil zu verschaffen.

So ist durchaus nicht offensichtlich, was die Bevollmächtigten der Antrag stellerin ohne nähere Darlegungen mutmaßen, daß in die Bewertung des BfArM vom 22.1.2003 die im November 2002 veröffentlichen Ergebnisse einer randomi sierten und kontrollierten Studie von Lewanska et al. zum Einsatz von Immun globulinen nicht eingeflossen seien.

So gründet der Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 12.9.2002 (L 4 KR 148/02 ER = S 11 KR 492/02 ER SG Hannover) auf der aaO nichtspezifi zierten Behauptung des vom SG hinzugezogenen Sachverständigen vom 24.7.2002, es lägen umfangreiche Studienergebnisse vor, die eindeutig belegten, einen Benefit der intravenösen Behandlung mit Immunglobulin bei Müttern in der Postpartalphase und auch in der Stillzeit, daß während der Stillzeit andere Therapien zur Schubprophylaxe nicht zur Verfügung ständen, daß nach allen in ternational und national konzipierten Studien ein Wirksamkeitsnachweis er bracht sei, und daß die zur Zeit laufende GAMPP-Studie zur Zulassung von Im munglobulinen in der Postpartalzeit führen würden.

So scheinen sich das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht, das die streitige Behandlung zu Lasten der GKV in seinem Urteil vom 8. Oktober 2002 L 1 KR 5/02 für zulässig erachtet, und der von ihm am 10.7.2001 als Sachver ständige gehörte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K ... auf eben die Studie von F ... u.a. in Österreich zu beziehen, die das BfArM in seiner Antwort vom 22.1.2003 ausführlich gewichtet und für zu "leicht" befunden hat.

Die Entscheidung über die Kosten folgt § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Beschwerde zum BSG ist nicht gegeben (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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