Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 37 AL 570/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 335/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 16. April 2004 sowie der Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 2002 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über den Antrag der Klägerin vom 11. Januar 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation - Weiterbildungsmaßnahme zur Multi-Media-Producerin - streitig.
Die 1959 geborene Klägerin schloss am 06.03.1984 nach dem Wirtschaftsabitur den Studiengang Grafik-Design an der Fachhochschule H. - Fachbereich Kunst und Design - mit der Gesamt-Note "sehr gut" ab. Nach dem Examen arbeitete sie zunächst in B. , woran sich eine arbeitsfreie Zeit anschloss. Anfang der 90-er Jahre nahm sie eine Beschäftigung bei dem Sender "P." auf. Nach Auftreten von Anzeichen einer psychiotischen Krankheit wurde die Klägerin medikamentös eingestellt. Nachdem aber ihr Reaktionsvermögen subjektiv etwas eingeschränkt war, wechselte sie innerhalb des Senders und ist seit 1995 im Spielfilmarchiv tätig, wobei zu ihrem Aufgabengebiet die Verwaltung der wiederverwendbaren Filmbänder gehört.
Am 11.01.2001 beantragte die Klägerin Leistungen zur beruflichen Rehabilitation - Qualifizierung zur Multi-Media-Producerin -.
Mit Bescheid vom 23.01.2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Nach Auswertung der vorliegenden ärztlichen Gutachten sei die Durchführung von Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation nicht erforderlich. So habe das Gutachten vom 29.05.2001 eine Einschränkung des Leistungsbildes der Klägerin dahingehend ergeben, dass keine besonderen psychischen Belastungen sowie keine besonderen Anforderungen an das Reaktionsvermögen gestellt werden dürften. Ansonsten könne die Klägerin überwiegend leichte Tätigkeiten, zeitweise auch mittelschwere Tätigkeiten verrichten. Für kürzere berufliche Reha-Maßnahmen sei sie ausreichend belastbar. Sollten länger andauernde berufliche Reha-Maßnahmen zur Diskusion stehen, würden vorgeschaltete Maßnahmen der Arbeitserprobung und Berufsfindung empfohlen. Ein weiteres Gutachten vom 11.01.2002 habe zum Ergebnis gehabt, dass bei der Klägerin eine vielschichtige Belastungbarkeit für bis zu mittelschweren Arbeiten bestehe. Von ihrem Gesundheitszustand im Jahr 2002 ausgehend, sei nach Auffassung von Dr.H. eine ausreichende Belastbarkeit für die derzeitige Tätigkeit als Archivarin und auch für den erlernten Beruf als Grafikdesignerin (auch im Fernsehbereich) gegeben.
Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, es sei zwar prinzipiell richtig, dass sie wieder in der Lage sei, als Grafik-Designerin zu arbeiten; aufgrund der rasanten technischen Entwicklung in den letzten Jahren sei dies aber ohne entsprechende Qualifizierungsmaßnahme nicht möglich. Des Weiteren verwies die Klägerin auf ein Schreiben ihres Arbeitgebers vom 14.02.2002, der die Ansicht vertritt, dass die Klägerin aus Arbeitgebersicht nicht problemlos wieder in ihrem ursprünglichen Bereich als Grafik-Designerin eingesetzt werden könne. Nach einer Pause von acht Jahren habe die Klägerin den Anschluss in diesem Bereich komplett verloren, so dass man eine Nachqualifizierung zum Wiedereinstieg im Grafik-Bereich schon aus diesem Grund für unbedingt erforderlich halte. Ein erneuter Einstieg in die Abteilung Grafik sei in dem dortigen Unternehmen ohne intensive Nachqualifizierung undenkbar. Darüber hinaus stehe die Abteilung Archiv, in der die Klägerin seit 1994 arbeite, bedingt durch die aktuellen Fusionspläne der Unternehmensgruppe voraussichtlich vor Umstrukturierungen, die evtl. auch personelle Konsequenzen haben könnten. Bedingt durch die fehlende archivspezifische Ausbildung von der Klägerin würde eine Nachqualifizierung/berufliche Rehabilitation mit Sicherheit auch zu einem langfristigen Erhalt des Arbeitsplatzes beitragen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.03.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin sei keine Behinderte im Sinne des § 19 SGB III, weshalb die Voraussetzungen zur Förderung der Teilnahme am Arbeitsleben gemäß §§ 97 ff. SGB III nicht vorlägen. Zwar würden aus allgemeinmedizinischer sowie psychologischer Sicht im Hinblick auf die gesundheitliche Verfassung bzw. Belastbarkeit der Klägerin keine Einwände gegen eine Weiterbildung im Medienbereich bestehen. Auch möge eine derartige Weiterbildung den Wünschen und Neigungen der Klägerin entsprechen. Nach dem amtsärztlichen Gutachtens vom 11.01.2002 bestehe jedoch sowohl für die Ausübung der derzeitigen Tätigkeit als Archivarin, welche die Klägerin derzeit in ungekündigter Stellung ausübe, als auch für die Tätigkeit als Grafik-Designerin eine ausreichende Belastbarkeit. Ob die Klägerin aufgrund einer länger andauernden Arbeitsunfähigkeit in der Vergangenheit gegebenenfalls Wissensdefizite in ihrem ursprünglichen Beruf aufweise, sei nach der gesetzlichen Konzeption nicht erheblich.
Zur Begründung der zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ausgeführt, sie sei gelernte Graf-Designerin. Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung habe sie in den vergangenen Jahren bei ihrem Arbeitgeber aber nur als Archivarin, d.h. unterhalb ihres Ausbildungsniveaus, tätig sein können. Sie habe einen Anspruch auf Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation, obwohl sie einen Arbeitsplatz innehabe (§ 101 Abs.5 Nr.1 SGB III). Dieser nicht ihrer Qualifikation entsprechende Arbeitsplatz sei ausschließlich krankheitsbedingt eingenommen worden. Nachdem es ihr besser gehe, könne sie wieder in ihren alten Beruf zurückkehren, benötige aber diesbezüglich die begehrte Qualifikationsmaßnahme. Die Weiterbildungsmaßnahme diene der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit in ihrem erlernten und bis zum Beginn ihrer Krankheit ausgeübten Beruf als Grafik-Designerin. Dieser Beruf sei als der bisherige Beruf anzusehen und daher maßgeblich für das Ziel der Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Entgegen der Ansicht der Beklagten könne nicht auf ihre jetzige Berufstätigkeit abgestellt werden, weil der mit der jetzigen Berufstätigkeit verbundene soziale Abstieg Folge der psychischen Erkrankung und damit behinderungsbedingt sei.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass keine ermessensfehlerhafte Entscheidung erfolgt sei. Bei der Feststellung der Behinderteneigenschaft handle es sich um die Definition eines Tatbestandsmerkmales, wobei ihr kein Ermessensspielraum gegeben sei. Tatsache sei, dass die Klägerin sowohl aus gesundheitlichen Gründen ihre derzeitige Tätigkeit als Archivarin ausüben könne als auch ihren erlernten Beruf der Grafik-Designerin. Auch ergebe sich aus §§ 97 ff. SGB III keinesfalls, dass die Klägerin aufgrund eines, wenngleich unter Umständen mit einer psychischen Erkrankung zusammenhängenden, beruflichen Abstieges in den letzten Jahren nun ein Anspruch auf eine Weiterbildung bzw. auf Aufstiegsfortbildung zur erneuten Qualifizierung für die Ausübung ihres Ausbildungsberufes geltend machten könne. Es komme allein darauf an, ob die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen ihre derzeitige Tätigkeit sowie ihren Ausbildungsberuf wieder ausüben könne, was definitiv zu bejahen sei.
Eine Empfehlung des SG im Termin der mündlichen Verhandlung vom 07.11.2003 an die Parteien, sich dahingehend zu einigen, dass die Klägerin zunächst eine Berufsfindungs- oder Erprobungsmaßnahme absolviert, hat zu keinem Erfolg geführt. Erneut hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Klägerin keine Behinderte sei. Die Klägerin hat auf einen ärztlichen Entlassungsbericht der BfA betreffend eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme vom 02.08. bis 24.09.2002 verwiesen. Auch aus diesem Bericht ergebe sich eine Befürwortung von Teilhabemaßnahmen, damit sie wieder Anschluss in ihrem erlernten Beruf als Grafik-Designerin finden könne.
Mit Urteil vom 16.04.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe die Sach- und Rechtslage im Widerspruchsbescheid vom 27.03.2002 sachlich und rechtlich zutreffend und ausführlich dargestellt, so dass das Gericht von einer weiteren Begründung seiner Entscheidung absehe und die Begründung des Widerspruchsbescheides zum Inhalt seiner eigenen Entscheidung mache (§ 136 Abs.3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, das Ergebnis des Urteils des SG München und die Entscheidungsgründe seien für sie insoweit überraschend gewesen, als ausweislich der Niederschrift über die mündlichen Verhandlung vom 07.11.2003 das SG festgestellt gehabt habe, dass nach dem Akteninhalt eher eine positive Entscheidung für sie zu erwarten sei. Allerdings habe zwischen den Parteien Einverständnis bestanden, dass aufgrund der bestehenden Gutachtenslage weder eine stationäre Begutachtung in Betracht komme, noch eine weitere Erprobungsmaßnahme. Ergänzend weise sie darauf hin, dass die angestrebte Maßnahme bei der Firma M. in der vergangenen Woche mangels ausreichender Teilnehmer abgesagt worden sei, so dass sie sich nunmehr wiederum um eine neue Maßnahme bemühen müsse.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 16.04.2004 sowie den Bescheid vom 23.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über ihren Antrag vom 11.01.2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, die Klägerin sei keine Behinderte im Sinne des § 19 SGB III, weshalb die Voraussetzungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 97 ff. SGB III nicht vorliegen würden.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG); ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
Das Rechtsmittel erweist sich auch in der Sache als begründet. Die Entscheidung der Beklagten, die Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation abzulehnen, ist rechtswidrig, weshalb sie verpflichtet ist, über den Antrag der Klägerin vom 11.01.2001 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Nach § 97 Abs.1 SGB III können behinderten Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, die wegen Art und Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wieder herzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern.
Gemäß § 19 Abs.1 SGB III sind behindert im Sinne des SGB III Menschen, deren Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung im Sinne von § 2 Abs.1 SGB IX nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind und die deshalb Hilfen zur Teilnahme am Arbeitsleben benötigen.
Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob die Klägerin behindert im Sinne von § 19 Abs.1 SGB II ist, ist neben den medizinischen Feststellungen auch die berufliche Situation. Unstreitig steht fest, dass die Klägerin aufgrund einer psychiotischen Erkrankung seit 1995 nicht mehr in ihrem Beruf als Grafik-Designerin tätig ist, sondern vielmehr als Archivarin bei dem Sender "P.". Allein durch die Art und Schwere der (seinerzeit) vorliegenden Behinderung wurde die Aufgabe der Tätigkeit als Grafik-Designerin verursacht. Zwar ist zwischenzeitlich aufgrund der vorliegenden Gutachten eine Beschäftigung der Klägerin in ihrem ursprünglichen Beruf aus medizinischen Gründen grundsätzlich wieder möglich, doch ist aufgrund der rasanten technischen Entwicklung in den letzten Jahren ohne eine entsprechende Qualifizierungsmaßnahme die tatsächliche Ausübung des erlernten Berufes nicht möglich. Dies folgt aus den Angaben des Arbeitgebers der Klägerin vom 14.02.2002. Nach dessen Auffassung hat die Klägerin nach einer Pause von acht Jahren den Anschluss in dem Bereich Grafik-Design komplett verloren, so dass er eine Nachqualifizierung zum Wiedereinstieg in diesen Bereich schon aus diesem Grund für unbedingt erforderlich hält. Ein erneuter Einstieg in die Abteilung Grafik sei bei ihm ohne intensive Nachqualifizierung undenkbar. Bedeutend ist auch der weitere Hinweis des Arbeitgebers, dass der langfristige Erhalt des Arbeitsplatzes der Klägerin erst nach erfolgter Nachqualifizierung/beruflicher Rehabilitation gesichert sei.
Zielsetzung einer jeden Weiterbildungsmaßnahme ist es aber gerade, dass Arbeitslosigkeit beseitigt werden bzw. gar nicht erst entstehen soll.
Dem steht auch nicht entgegen, dass sich die Klägerin in einem Beschäftigungsverhältnis befindet. Denn nach § 101 Abs.5 Nr.1 SGB III kann eine berufliche Weiterbildung auch gefördert werden, wenn behinderte Menschen nicht arbeitslos sind.
Unschädlich ist es auch, dass die Klägerin über einen Berufsabschluss als Grafik-Designerin verfügt, da nach § 77 Abs.2 Nr.2 SGB III (auch) die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt wird, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund einer mehr als sechs Jahre ausgeübten Beschäftigung in an- oder ungelernter Tätigkeit eine entsprechende Beschäftigung voraussichtlich nicht mehr ausüben kann.
Die Anwendung von § 77 Abs.2 Nr.2 SGB III folgt aus § 99 SGB III, wonach sich die allgemeinen und besonderen Leistungen nach den Vorschriften des 1. bis 6. Abschnitts, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, richten.
Dass die Klägerin mehr als sechs Jahre in ihrem erlernten Beruf krankheitsbedingt nicht tätig war, ist unstreitig. Im Übrigen steht aufgrund der Arbeitgeberauskunft auch fest, dass die Klägerin ohne eine Qualifizierungsmaßnahme im erlernten Beruf wegen der rasanten technischen Entwicklung in den letzten Jahren keine Chance hat, beschäftigt zu werden.
Der diesbezügliche Vortrag der Beklagten, dass es nach der gesetzlichen Konzeption nicht erheblich sei, ob die Klägerin aufgrund der länger andauernden Arbeitsunfähigkeit in der Vergangenheit "gegebenenfalls" Wissensdefizite in ihrem ursprünglichen Beruf aufweise, vermag nicht zu überzeugen. Gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit sind qualifizierte Arbeitnehmer erforderlich, um die Zahl der Arbeitslosen nicht weiter zu erhöhen bzw. um weitere potentielle Arbeitslose zu vermeiden. Qualifizierungsmaßnahmen im überwiegenden Maße Arbeitgebern aufzuerlegen, scheint in diesem Zusammenhang wenig sinnvoll, insbesondere wenn, wie bei der Klägerin ein Arbeitgeber vorhanden ist, der bei entsprechender Qualifizierung an einer Weiterbeschäftigung der Klägerin interessiert ist. Der Solidargemeinschaft würden letztlich mehr Kosten entstehen, wenn die Klägerin insbesondere wegen Fehlens der Qualifizierung arbeitslos werden würde.
Somit ist die Beklagte zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 97 Abs.1 Nr.1 SGB III hier nicht gegeben sind. Sie hat deshalb erneut über den Antrag zu entscheiden und dabei davon auszugehen, dass diese tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, und auf dieser Grundlage das ihr eingeräumte Ermessen auszuüben.
Folglich war die Beklagte zu verurteilen, über den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation - Weiterbildungsmaßnahme zur Multi-Media-Producerin - streitig.
Die 1959 geborene Klägerin schloss am 06.03.1984 nach dem Wirtschaftsabitur den Studiengang Grafik-Design an der Fachhochschule H. - Fachbereich Kunst und Design - mit der Gesamt-Note "sehr gut" ab. Nach dem Examen arbeitete sie zunächst in B. , woran sich eine arbeitsfreie Zeit anschloss. Anfang der 90-er Jahre nahm sie eine Beschäftigung bei dem Sender "P." auf. Nach Auftreten von Anzeichen einer psychiotischen Krankheit wurde die Klägerin medikamentös eingestellt. Nachdem aber ihr Reaktionsvermögen subjektiv etwas eingeschränkt war, wechselte sie innerhalb des Senders und ist seit 1995 im Spielfilmarchiv tätig, wobei zu ihrem Aufgabengebiet die Verwaltung der wiederverwendbaren Filmbänder gehört.
Am 11.01.2001 beantragte die Klägerin Leistungen zur beruflichen Rehabilitation - Qualifizierung zur Multi-Media-Producerin -.
Mit Bescheid vom 23.01.2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Nach Auswertung der vorliegenden ärztlichen Gutachten sei die Durchführung von Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation nicht erforderlich. So habe das Gutachten vom 29.05.2001 eine Einschränkung des Leistungsbildes der Klägerin dahingehend ergeben, dass keine besonderen psychischen Belastungen sowie keine besonderen Anforderungen an das Reaktionsvermögen gestellt werden dürften. Ansonsten könne die Klägerin überwiegend leichte Tätigkeiten, zeitweise auch mittelschwere Tätigkeiten verrichten. Für kürzere berufliche Reha-Maßnahmen sei sie ausreichend belastbar. Sollten länger andauernde berufliche Reha-Maßnahmen zur Diskusion stehen, würden vorgeschaltete Maßnahmen der Arbeitserprobung und Berufsfindung empfohlen. Ein weiteres Gutachten vom 11.01.2002 habe zum Ergebnis gehabt, dass bei der Klägerin eine vielschichtige Belastungbarkeit für bis zu mittelschweren Arbeiten bestehe. Von ihrem Gesundheitszustand im Jahr 2002 ausgehend, sei nach Auffassung von Dr.H. eine ausreichende Belastbarkeit für die derzeitige Tätigkeit als Archivarin und auch für den erlernten Beruf als Grafikdesignerin (auch im Fernsehbereich) gegeben.
Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, es sei zwar prinzipiell richtig, dass sie wieder in der Lage sei, als Grafik-Designerin zu arbeiten; aufgrund der rasanten technischen Entwicklung in den letzten Jahren sei dies aber ohne entsprechende Qualifizierungsmaßnahme nicht möglich. Des Weiteren verwies die Klägerin auf ein Schreiben ihres Arbeitgebers vom 14.02.2002, der die Ansicht vertritt, dass die Klägerin aus Arbeitgebersicht nicht problemlos wieder in ihrem ursprünglichen Bereich als Grafik-Designerin eingesetzt werden könne. Nach einer Pause von acht Jahren habe die Klägerin den Anschluss in diesem Bereich komplett verloren, so dass man eine Nachqualifizierung zum Wiedereinstieg im Grafik-Bereich schon aus diesem Grund für unbedingt erforderlich halte. Ein erneuter Einstieg in die Abteilung Grafik sei in dem dortigen Unternehmen ohne intensive Nachqualifizierung undenkbar. Darüber hinaus stehe die Abteilung Archiv, in der die Klägerin seit 1994 arbeite, bedingt durch die aktuellen Fusionspläne der Unternehmensgruppe voraussichtlich vor Umstrukturierungen, die evtl. auch personelle Konsequenzen haben könnten. Bedingt durch die fehlende archivspezifische Ausbildung von der Klägerin würde eine Nachqualifizierung/berufliche Rehabilitation mit Sicherheit auch zu einem langfristigen Erhalt des Arbeitsplatzes beitragen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.03.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin sei keine Behinderte im Sinne des § 19 SGB III, weshalb die Voraussetzungen zur Förderung der Teilnahme am Arbeitsleben gemäß §§ 97 ff. SGB III nicht vorlägen. Zwar würden aus allgemeinmedizinischer sowie psychologischer Sicht im Hinblick auf die gesundheitliche Verfassung bzw. Belastbarkeit der Klägerin keine Einwände gegen eine Weiterbildung im Medienbereich bestehen. Auch möge eine derartige Weiterbildung den Wünschen und Neigungen der Klägerin entsprechen. Nach dem amtsärztlichen Gutachtens vom 11.01.2002 bestehe jedoch sowohl für die Ausübung der derzeitigen Tätigkeit als Archivarin, welche die Klägerin derzeit in ungekündigter Stellung ausübe, als auch für die Tätigkeit als Grafik-Designerin eine ausreichende Belastbarkeit. Ob die Klägerin aufgrund einer länger andauernden Arbeitsunfähigkeit in der Vergangenheit gegebenenfalls Wissensdefizite in ihrem ursprünglichen Beruf aufweise, sei nach der gesetzlichen Konzeption nicht erheblich.
Zur Begründung der zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ausgeführt, sie sei gelernte Graf-Designerin. Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung habe sie in den vergangenen Jahren bei ihrem Arbeitgeber aber nur als Archivarin, d.h. unterhalb ihres Ausbildungsniveaus, tätig sein können. Sie habe einen Anspruch auf Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation, obwohl sie einen Arbeitsplatz innehabe (§ 101 Abs.5 Nr.1 SGB III). Dieser nicht ihrer Qualifikation entsprechende Arbeitsplatz sei ausschließlich krankheitsbedingt eingenommen worden. Nachdem es ihr besser gehe, könne sie wieder in ihren alten Beruf zurückkehren, benötige aber diesbezüglich die begehrte Qualifikationsmaßnahme. Die Weiterbildungsmaßnahme diene der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit in ihrem erlernten und bis zum Beginn ihrer Krankheit ausgeübten Beruf als Grafik-Designerin. Dieser Beruf sei als der bisherige Beruf anzusehen und daher maßgeblich für das Ziel der Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Entgegen der Ansicht der Beklagten könne nicht auf ihre jetzige Berufstätigkeit abgestellt werden, weil der mit der jetzigen Berufstätigkeit verbundene soziale Abstieg Folge der psychischen Erkrankung und damit behinderungsbedingt sei.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass keine ermessensfehlerhafte Entscheidung erfolgt sei. Bei der Feststellung der Behinderteneigenschaft handle es sich um die Definition eines Tatbestandsmerkmales, wobei ihr kein Ermessensspielraum gegeben sei. Tatsache sei, dass die Klägerin sowohl aus gesundheitlichen Gründen ihre derzeitige Tätigkeit als Archivarin ausüben könne als auch ihren erlernten Beruf der Grafik-Designerin. Auch ergebe sich aus §§ 97 ff. SGB III keinesfalls, dass die Klägerin aufgrund eines, wenngleich unter Umständen mit einer psychischen Erkrankung zusammenhängenden, beruflichen Abstieges in den letzten Jahren nun ein Anspruch auf eine Weiterbildung bzw. auf Aufstiegsfortbildung zur erneuten Qualifizierung für die Ausübung ihres Ausbildungsberufes geltend machten könne. Es komme allein darauf an, ob die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen ihre derzeitige Tätigkeit sowie ihren Ausbildungsberuf wieder ausüben könne, was definitiv zu bejahen sei.
Eine Empfehlung des SG im Termin der mündlichen Verhandlung vom 07.11.2003 an die Parteien, sich dahingehend zu einigen, dass die Klägerin zunächst eine Berufsfindungs- oder Erprobungsmaßnahme absolviert, hat zu keinem Erfolg geführt. Erneut hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Klägerin keine Behinderte sei. Die Klägerin hat auf einen ärztlichen Entlassungsbericht der BfA betreffend eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme vom 02.08. bis 24.09.2002 verwiesen. Auch aus diesem Bericht ergebe sich eine Befürwortung von Teilhabemaßnahmen, damit sie wieder Anschluss in ihrem erlernten Beruf als Grafik-Designerin finden könne.
Mit Urteil vom 16.04.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe die Sach- und Rechtslage im Widerspruchsbescheid vom 27.03.2002 sachlich und rechtlich zutreffend und ausführlich dargestellt, so dass das Gericht von einer weiteren Begründung seiner Entscheidung absehe und die Begründung des Widerspruchsbescheides zum Inhalt seiner eigenen Entscheidung mache (§ 136 Abs.3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, das Ergebnis des Urteils des SG München und die Entscheidungsgründe seien für sie insoweit überraschend gewesen, als ausweislich der Niederschrift über die mündlichen Verhandlung vom 07.11.2003 das SG festgestellt gehabt habe, dass nach dem Akteninhalt eher eine positive Entscheidung für sie zu erwarten sei. Allerdings habe zwischen den Parteien Einverständnis bestanden, dass aufgrund der bestehenden Gutachtenslage weder eine stationäre Begutachtung in Betracht komme, noch eine weitere Erprobungsmaßnahme. Ergänzend weise sie darauf hin, dass die angestrebte Maßnahme bei der Firma M. in der vergangenen Woche mangels ausreichender Teilnehmer abgesagt worden sei, so dass sie sich nunmehr wiederum um eine neue Maßnahme bemühen müsse.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 16.04.2004 sowie den Bescheid vom 23.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über ihren Antrag vom 11.01.2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, die Klägerin sei keine Behinderte im Sinne des § 19 SGB III, weshalb die Voraussetzungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 97 ff. SGB III nicht vorliegen würden.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG); ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
Das Rechtsmittel erweist sich auch in der Sache als begründet. Die Entscheidung der Beklagten, die Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation abzulehnen, ist rechtswidrig, weshalb sie verpflichtet ist, über den Antrag der Klägerin vom 11.01.2001 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Nach § 97 Abs.1 SGB III können behinderten Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, die wegen Art und Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wieder herzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern.
Gemäß § 19 Abs.1 SGB III sind behindert im Sinne des SGB III Menschen, deren Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung im Sinne von § 2 Abs.1 SGB IX nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind und die deshalb Hilfen zur Teilnahme am Arbeitsleben benötigen.
Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob die Klägerin behindert im Sinne von § 19 Abs.1 SGB II ist, ist neben den medizinischen Feststellungen auch die berufliche Situation. Unstreitig steht fest, dass die Klägerin aufgrund einer psychiotischen Erkrankung seit 1995 nicht mehr in ihrem Beruf als Grafik-Designerin tätig ist, sondern vielmehr als Archivarin bei dem Sender "P.". Allein durch die Art und Schwere der (seinerzeit) vorliegenden Behinderung wurde die Aufgabe der Tätigkeit als Grafik-Designerin verursacht. Zwar ist zwischenzeitlich aufgrund der vorliegenden Gutachten eine Beschäftigung der Klägerin in ihrem ursprünglichen Beruf aus medizinischen Gründen grundsätzlich wieder möglich, doch ist aufgrund der rasanten technischen Entwicklung in den letzten Jahren ohne eine entsprechende Qualifizierungsmaßnahme die tatsächliche Ausübung des erlernten Berufes nicht möglich. Dies folgt aus den Angaben des Arbeitgebers der Klägerin vom 14.02.2002. Nach dessen Auffassung hat die Klägerin nach einer Pause von acht Jahren den Anschluss in dem Bereich Grafik-Design komplett verloren, so dass er eine Nachqualifizierung zum Wiedereinstieg in diesen Bereich schon aus diesem Grund für unbedingt erforderlich hält. Ein erneuter Einstieg in die Abteilung Grafik sei bei ihm ohne intensive Nachqualifizierung undenkbar. Bedeutend ist auch der weitere Hinweis des Arbeitgebers, dass der langfristige Erhalt des Arbeitsplatzes der Klägerin erst nach erfolgter Nachqualifizierung/beruflicher Rehabilitation gesichert sei.
Zielsetzung einer jeden Weiterbildungsmaßnahme ist es aber gerade, dass Arbeitslosigkeit beseitigt werden bzw. gar nicht erst entstehen soll.
Dem steht auch nicht entgegen, dass sich die Klägerin in einem Beschäftigungsverhältnis befindet. Denn nach § 101 Abs.5 Nr.1 SGB III kann eine berufliche Weiterbildung auch gefördert werden, wenn behinderte Menschen nicht arbeitslos sind.
Unschädlich ist es auch, dass die Klägerin über einen Berufsabschluss als Grafik-Designerin verfügt, da nach § 77 Abs.2 Nr.2 SGB III (auch) die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt wird, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund einer mehr als sechs Jahre ausgeübten Beschäftigung in an- oder ungelernter Tätigkeit eine entsprechende Beschäftigung voraussichtlich nicht mehr ausüben kann.
Die Anwendung von § 77 Abs.2 Nr.2 SGB III folgt aus § 99 SGB III, wonach sich die allgemeinen und besonderen Leistungen nach den Vorschriften des 1. bis 6. Abschnitts, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, richten.
Dass die Klägerin mehr als sechs Jahre in ihrem erlernten Beruf krankheitsbedingt nicht tätig war, ist unstreitig. Im Übrigen steht aufgrund der Arbeitgeberauskunft auch fest, dass die Klägerin ohne eine Qualifizierungsmaßnahme im erlernten Beruf wegen der rasanten technischen Entwicklung in den letzten Jahren keine Chance hat, beschäftigt zu werden.
Der diesbezügliche Vortrag der Beklagten, dass es nach der gesetzlichen Konzeption nicht erheblich sei, ob die Klägerin aufgrund der länger andauernden Arbeitsunfähigkeit in der Vergangenheit "gegebenenfalls" Wissensdefizite in ihrem ursprünglichen Beruf aufweise, vermag nicht zu überzeugen. Gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit sind qualifizierte Arbeitnehmer erforderlich, um die Zahl der Arbeitslosen nicht weiter zu erhöhen bzw. um weitere potentielle Arbeitslose zu vermeiden. Qualifizierungsmaßnahmen im überwiegenden Maße Arbeitgebern aufzuerlegen, scheint in diesem Zusammenhang wenig sinnvoll, insbesondere wenn, wie bei der Klägerin ein Arbeitgeber vorhanden ist, der bei entsprechender Qualifizierung an einer Weiterbeschäftigung der Klägerin interessiert ist. Der Solidargemeinschaft würden letztlich mehr Kosten entstehen, wenn die Klägerin insbesondere wegen Fehlens der Qualifizierung arbeitslos werden würde.
Somit ist die Beklagte zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 97 Abs.1 Nr.1 SGB III hier nicht gegeben sind. Sie hat deshalb erneut über den Antrag zu entscheiden und dabei davon auszugehen, dass diese tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, und auf dieser Grundlage das ihr eingeräumte Ermessen auszuüben.
Folglich war die Beklagte zu verurteilen, über den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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