L 9 EG 111/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 EG 63/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 111/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.02.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1968 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche seit 10.05.1991 im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung war, ist die Mutter der 1995 in M. geborenen Tochter D ... Sie lebte seither mit die- ser und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreute und erzog D. , für die ihr die Personensorge zustand und war daneben nicht erwerbstätig. Sie war bei der BKK A. AG krankenversichert. Am 31.07.1995 beantragte die Kläge- rin die Gewährung von Bundeserziehungsgeld. Mit Bescheid der Familienkasse beim Amt für Versorgung und Familienförderung W. vom 10.08.1995 erhielt sie für den 1. mit 6. Lebens- monat des Kindes je 600,00 DM Bundeserziehungsgeld (BErzG) für den 7. mit 12. Lebensmonat unter Anrechnung von Einkommen des Ehemannes je 297,00 DM.

Ebenfalls bereits am 31.07.1995 stellte die Klägerin einen wei- teren Antrag. Hierbei wurde das Antragsformular für Landeserziehungsgeld (LErzG) und Familienbeihilfe benutzt, welches unter Ziff. 1 ausdrücklich darauf hinwies, dass zwischen der Beantragung von LErzG und Familienbeihilfe gewählt werden müsse. In der entsprechenden Rubrik nahm die Klägerin jedoch keine Eintragung vor. Im weiteren füllte die Klägerin für beide Leistungen nur die Rubrik "5. Antragssteller" aus. Unterschrieben wurde lediglich der Antragsteil für Familienbeihilfe. BErzG für des zweite Lebensjahr des Kindes beantragte die Klägerin am 20.03.1996.

Mit Bescheid vom 22.04.1996 gewährte der Beklagte ab 19.07.1996 (13. mit 24. Lebensmonat) BErzG in Höhe von 355,00 DM monatlich. Ebenfalls mit Bescheiden jeweils vom 22.04.1996 lehnte der Beklagte die Gewährung von LErzG wie auch von Familienbeihilfe aufgrund fehlender deutscher bzw. EU-Staatsangehörigkeit ab. In den Rechtsbehelfsbelehrungen beider Bescheide war auf die Möglichkeit des Widerspruchs hingewiesen worden. Alle drei Bescheide wurden ausweislich des auf ihnen angebrachten und unterschriebenen Stempelvermerks am 30.04.1996 zur Post gegeben.

Am 19.04.2002 beantragte die Klägerin erneut - nunmehr rückwirkend - die Bewilligung von LErzG für ihr Kind D ... Der Antrag wurde mit Bescheid vom 25.04.2002, zur Post gegeben am 02.05.2002, im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, dass der erste Antrag auf LErzG bereits 1996 rechtskräftig abgelehnt worden sei. Auch aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 04.05.1999, Az.: C-262/96, bestehe damit kein Anspruch mehr, da Ansprüche auf Leistungen für Zeiträume vor dem Erlass dieses Urteils nicht geltend gemacht werden könnten. Der Leistungszeitraum für das am 19.07.1995 geborene Kind hätte spätestens am 18.07.1998 geendet, so dass LErzg nicht gewährt werden könne.

Nachdem die Klägerin vorgetragen hatte, den Ablehnungsbescheid vom 22.04.1996 nicht bekommen zu haben, übermittelte der Beklagte am 29.07.2002 eine Kopie. Am 08.08.legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 25.04.2002 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2002 wies der Beklagte den Widerspruch als zulässig, in der Sache jedoch unbegründet zurück.

Am 02.09.2002 erhob die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten Klage Zum Sozialgericht (SG) Würzburg. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Klägerin den Ablehnungsbescheid vom 22.04.1996 bezüglich des LErzG nie erhalten habe. Mangels Bekanntgabe sei damit von einem nach wie vor offenen Verfahren auszugehen.

Das SG hat in der mündlichen Verhandlung vom 24.02.2005 den Ehemann der Klägerin als Zeugen vernommen. Dieser gab an, dass sich um die behördlichen Angelegenheiten alleine seine Frau gekümmert hat, da er kein Deutsch verstehe. Mit Urteil gleichen Datums wies das SG die Klage mit der Begründung ab, zwar könnten nach dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 und der anschließenden Rechtsprechung des BSG neben Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den EWR auch türkische Staatsangehörige LErzG erhalten, wenn sie in den persönlichen Anwendungsbereich des Beschlusses Nr.3/80 des Assoziationsrates (ARB Nr.3/80) vom 19.09.1980 fallen. Jedoch könne die Klägerin daraus keine Rechte herleiten. Denn der EuGH habe im Rahmen seiner Kompetenzen verbindlich für die nationalen Gerichte Ansprüche auf Leistungen für die Zeit nach dem Erlass seiner Entscheidung vom 04.05.1999 beschränkt und eine Ausnahme hierfür nur zugelassen, wenn vor diesem Zeitpunkt bereits eine Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor. Der Beklagte könne zwar die ordnungsgemäße Bekanntgabe des Bescheids vom 22.04.1996 nicht nachweisen. Ein offenes Verwaltungsverfahren liege jedoch schon mangels wirksamen Antrags auf LErzG nicht vor. Zudem sei der Anspruch verwirkt, da die Klägerin trotz angeblich offenem Antragsverfahren über sechs Jahre untätig gewesen sei.

Mit der am 04.05.2005 zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung trägt die Klägerin vor, dass ihr Antrag vom 31.07.1995 trotz fehlender Angaben und Unterschrift als wirksamer Antrag auf LErzG auszulegen sei. Dementsprechend habe der Beklagte auch über den Antrag entschieden. Eine Anhörung der Klägerin sei hierbei nicht erfolgt. Rechtsmittelfristen bezüglich der Ablehnung vom 22.04.1996 hätten mangels Bekanntgabe erst mit Zusendung der Kopie am 29.07.2002 zu laufen begonnen, so dass der Widerspruch vom 08.08.2002 rechtzeitig erfolgt sei. Verwirkung könne durch bloße Untätigkeit nicht eintreten.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.02.2005 sowie die Bescheide des Beklagten vom 22.04.1996 und 25.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2002 aufzuheben und der Klägerin Landeserziehungsgeld für das 3. Lebensjahr des am 19.07.1995 geborenen Kindes D. zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält entgegen, dass, wie vom SG festgestellt, kein offenes Antragsverfahren vorliege. Die fehlende Bekanntmachung des Bescheids vom 22.04.1996 sei eine bloße Schutzbehauptung. So sei beim erneuten Antrag im Jahr 2002 nicht auf ein offenes Verfahren Bezug genommen worden. Aber selbst bei noch offenem Antrag sei dieser nach sechs Jahren als verbraucht anzusehen.

Der Senat hat neben der Erziehungsgeldakte des Beklagten die Streitakte des ersten Rechtszuges beigezogen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt. Sie erweist sich in der Sache je- doch als nicht begründet. Im Ergebnis zutreffend hat das SG die zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage abgewiesen.

Unmittelbar streitgegenständlich ist vorliegend entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten ausschließlich der Be- scheid vom 25.04.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2002, da mit dem Widerspruch vom 08.08.2002 ausdrücklich dieser Bescheid angefochten wurde. Unbeachtlich ist hierbei, dass der Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.04.2002 (zur Post gegeben am 02.05.2002) nicht fristgerecht erfolgt ist. Da die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2002 in der Sache entschieden hat, ist die Fristverletzung geheilt (BSG vom 12.10.1979, 12 Rk 19/78; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, Rdnr.7 zu § 84 SGG).

Ein Anspruch der Klägerin scheitert jedoch an den einschlägigen Vorschriften des Gesetzes zur Gewährung eines LErzG und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) in der Ausprägung, die sie durch die sog. Sürül-Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999, Az.: C-262/96, erlangt haben.

Rechtsgrundlage für die Gewährung von LErzG ist vorliegend das BayLErzGG vom 12.06.1989 (GVBl.1989 S.206) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16.11.1995 (GVBl.1995 S.818), da das Kind der Klägerin nach dem 01.07.1993 geboren wurde. Anspruch auf LErzG hatte gemäß Art.1 Abs.1 BayLErzGG, wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr.1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr.2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr.3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr.4) und schließlich die deutsche Staatsangehörigkeit oder diejenige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder des EWR besaß (Nr.5).

Nach Art.3 des Gesetzes wurde LErzG ab dem in § 4 Abs.1 BErzGG für das Ende des Bezuges von BErzG festgelegten Zeitpunkt bis zur Vollendung von weiteren zwölf Lebensmonaten des Kindes ge- währt (Abs.1). Vor dem Ende des zwölften Bezugsmonates endete der Anspruch mit dem Ablauf des Lebensmonats, in dem eine der Anspruchsvoraussetzungen entfallen war. Im Fall der Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit endete der Anspruch mit dem Be- ginn der Erwerbstätigkeit (Abs.3). Nach Art.5 betrug das LErzg DM 500,00 monatlich. Bei einer Überschreitung der nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Einkommensgrenzen wurde es auf den Be- trag von fünf Sechstel des Betrages des maßgeblichen BErzG ge- kürzt (Abs.1 Satz 1, 2).

In der vorliegenden Streitsache erfüllte die Klägerin im Bewilligungszeitraum unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nrn.1 mit 4 BayLErzGG, denn sie hatte nach Aktenlage ihren Wohnsitz seit 1980 in Bayern, lebte im An- spruchszeitraum mit ihrem Kind D. , für das ihr die Personen- sorge zustand, und mit ihrem Mann in einem Haushalt, betreute das Kind selbst und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Nicht erfüllt wurde aber die Vorraussetzung Nr.5 der Vorschrift, da die Klägerin im streitigen Zeitraum weder die deutsche Staatsangehörigkeit noch die eines Mitgliedstaates der EU oder eines anderen Vertragsstaates des EWR besaß. Diese Bestimmung verstößt jedoch gegen übergeordnetes europäisches Gemeinschaftsrecht. Nach der genannten Sürül-Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 (SozR 3-6935 Alg Nr.4) verbietet es Art.3 Abs.1 des Beschlusses Nr.3/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 einem Mitgliedstaat, den Anspruch eines türkischen Staatsangehörigen u.a. auf Familienleistungen nach Art.4 Abs.1 des Beschlusses von anderen Voraussetzungen abhängig zu machen als für Staatsangehörige des Mitgliedstaates. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 10.07.1997 das Bundeserziehungsgeld in Anwendung des Urteils des EuGH vom 10.10.1996 (Az.: C-245/94 und C-312/94) zur Familienleistung erklärt. Diese Auffassung hat das BSG mit Urteil vom 29.01.2002 (Az: B 10 EG 2/01 R) auch hinsichtlich des Bayer. Landeserziehungsgeld vertreten.

Damit hat die Klägerin zwar grundsätzlich unter denselben Voraussetzungen wie Deutsche oder Angehörige der EU oder des EWR Anspruch auf LErzG. Jedoch kann sie sich auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 des ARB Nr.3/80 für den Anspruchszeit- raum nicht berufen. Nach Ansicht des EuGH kann die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB nämlich nicht zur Begründung von Ansprüchen auf Leistungen für Zeiten vor Erlass dieses Urteils am 04.05.1999 geltend gemacht werden, soweit die Betroffenen nicht vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben. Wie das Bundessozialgericht (u.a. Urteil vom 27.05.2004, Az.: B 10 EG 11/03 R) darlegt, bezieht sich die im Urteil vom EuGH ausgesprochene zeitliche Beschrän- kung nicht nur auf Verfahren über Kindergeld, sondern auf alle Verfahren, in denen es, wie auch beim Landeserziehungsgeld, um die Geltendmachung von Sozialleistungsansprüchen geht, die auf eine unmittelbare Anwendbarkeit des Art.3 Abs.1 ARB gestützt werden. Ebenso wie die Hauptaussage des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit des assoziationsrechtlichen Diskriminierungsverbots ist auch die von ihm verfügte zeitliche Beschränkung, wie das Bundessozialgericht darlegt, verbindlich. An der Rechtmäßigkeit dieser "Neben"-Entscheidung bestehen laut BSG (a.a.O.) keine Zweifel. Voraussetzung für eine wie vom EuGH angenommene zeitliche Beschränkung ist es laut BSG (a.a.O.), dass Unklarheiten des anzuwendenden Rechts oder das Verhalten der Gemeinschaftsorgane einen Zustand der Rechtsunsicherheit geschaffen haben, der es nicht angemessen erscheinen lässt, in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse rückwirkend in Frage zu stellen (Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes). Darüber hinaus muss die Gefahr unerwarteter und erheblicher finanzieller Auswirkungen bestehen. Es ist laut BSG nicht ersichtlich, dass der EuGH in der Rechtssache Sürül diese Voraussetzungen zu Unrecht bejaht hat. Der EuGH hat dargelegt, dass sich aus seinem Urteil vom 10.09.1996, Az.: C-277/94, Ungewissheit über eine unmittelbare Anwendbarkeit des Art.3 Abs.1 ARB ergeben konnte, unter diesen Umständen durften die Mitgliedstaaten davon ausgehen, sie könnten die Anpasssung ihres innerstaatlichen Rechts bis zum Erlass entsprechender Umsetzungsakte zurückstellen. Daraus hat der EuGH den Schluss gezogen, dass abschließend geregelte Rechtsverhältnisse durch sein Urteil vom 05.05.1999 nicht wieder in Frage gestellt werden sollten. Überdies war zu berücksichtigen, dass die Frage, ob Erziehungsgeld eine Familienleistung im Sinne des Europarechts ist, erst durch das Urteil des EuGH vom 10.10.1996 geklärt wurde. Bei der Einsetzung der finanziellen Auswirkungen musste der EuGH schon aus Gründen der Gleichbehandlung alle Sozialleistungen in Betracht ziehen, die europaweit vom ARB erfasst werden.

Die vom EuGH angeordnete zeitliche Beschränkung hindert die Klägerin, ihre Ansprüche auf Landeserziehungsgeld für Zeiten vor dem Erlass des Urteils geltend zu machen. Die vom EuGH vorgesehene Ausnahme für Betroffene, die "vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben", kommt ihr nicht zugute. Nach der Begründung der Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 soll diese Ausnahmeregelung verhindern, dass der Schutz der Rechte, die die Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht herleiten, durch die verfügte zeitliche Beschränkung in nicht gerechtfertigter Weise eingeschränkt wird. Aus der Bezugnahme auf einen effektiven Rechtsschutz ergibt sich, dass mit den vom EuGH an- gesprochenen "Rechtsbehelfen" nur solche gemeint sind, die bei Erlass des Urteils vom 04.05.1999 noch rechtshängig, also offen waren. Denn bei abgeschlossenen Verfahren stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit des Rechtsschutzes von vornherein nicht. Als Rechtsbehelf sind in diesem Zusammenhang auch erstmalige Leistungsanträge zu verstehen, denn auch sie dienen der Geltendmachung von Rechten und unterbrechen z.B. die Verjährung von Ansprüchen (§ 45 Abs.3 SGB I). Dabei stellt der EuGH nicht darauf ab, aus welchen Gründen entsprechende Anträge nicht gestellt oder nach abschlägigen Entscheidungen nicht weiterverfolgt worden sind.

Danach ist der Antrag der Klägerin vom 31.07.1995 nicht an- spruchsauslösend. Unabhängig davon, ob dieser vor dem 21. Lebensmonat des Kindes (Art.3 Abs. 2 BayLErzGG i.V.m. § 2 Abs.2 Satz 2 BerzGG) gestellte Antrag ein Rechtsbehelfsverfahren im Sinne des EuGH überhaupt wirksam begründen konnte, ist das Verfahren jedenfalls mit dem LErzG-Ablehnungsbescheid vom 22.04.1996 rechtskräftig abgeschlossen. Der Senat hat inso- weit keine Zweifel daran, dass der Bescheid 22.04.1996 der Klägerin vor dem 04.05.1999 bekanntgegeben worden war. Wird der Zugang eines Verwaltungsaktes bestritten und bestehen deshalb Zweifel an der Bekanntgabe, trägt grundsätzlich die Behörde die Beweislast, § 37 Abs.2 Satz 2 , 2. Halbsatz SGB X (vgl. BSG vom 03.06.04, B 11 AL 71/03 R). Der Beklagte genügt seiner Beweislast vorliegend mit dem auf dem Ablehnungsbescheid vom 22.04.1996 angebrachten und vom Sachbearbeiter abgezeichneten Vermerk, aus dem sich zweifelsfrei ergibt, dass der Bescheid am 30.04.1996 zur Post gegeben wurde. Dem Beklagten kommt damit die Fiktion des § 37 Abs.2 Satz 1 SGB X zugute, wonach der Verwaltungsakt am dritten Tage nach der Aufgabe als bekanntgegeben gilt. Denn außer dem unsubstantiierten Bestreiten der Klägerin sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die daran zweifeln lassen, dass der Bescheid tatsächlich in den Machtbereich der Klägerin gelangt ist (vgl. hierzu: von Wulffen, SGB X, Rdnr.13 zu § 37 m.w.N.; LSG Sachsen, Beschluss vom 07.04.2005, L3 B 188/02 AL). Die tatsächliche Kenntnisnahme des Bescheides durch die Klägerin ist hierbei nicht Voraussetzung der Bekanntgabe und daher vom Beklagten auch nicht zu beweisen. Gestützt wird die Fiktion des § 37 Abs.2 Satz 1 SGB X auch durch weitere Umstände. So ist der mit gleichem Datum versehene und am gleichen Tage zur Post gegebene Bewilligungsbescheid (BErzG für das zweite Lebensjahr) der Klägerin offensichtlich zugegangen. Angesichts des identischen (ungehinderten) Postlaufs ist nicht plausibel, warum der Ablehnungsbescheid nicht in den Machtbereich der Klägerin gelangt sein sollte. Auch hat die Klägerin nicht etwa anlässlich ihres zweiten Antrags am 19.04.2002 auf das vermeintlich offenen Verfahren hingewiesen, sondern erst nachdem der Beklagte mit Bescheid 25.04.2002 auf die rechtlichen Konsequenzen des abgeschlossenen Verfahrens hingewiesen hat. Das unsubstantiierte Bestreiten eines mehr als sechs Jahre zurückliegenden Ereignisses hat zwangsläufig nicht mehr die Qualität, ernsthafte Zweifel an der Fiktion des § 37 Abs.2 SGB X auszulösen. Es entspricht nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Klägerin, die im Übrigen ihre Ansprüche auf BErzG zielstrebig realisiert hat, einen ihrer Ansicht nach offenen Antrag auf LErzG ohne Nachfrage über sechs Jahre lang nicht weiterbetreibt.

Ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.04.1996 wurde im Übrigen zu keiner Zeit erhoben. Auch eine Überprüfung der rechtskräftigen Ablehnung gemäß § 44 SGB X wurde ausdrücklich nicht beantragt. Soweit der erneute Antrag vom 19.04.2002 als Überprüfungsantrag auszulegen ist, kann ein solcher, nach dem 04.05.1999 mit der alleinigen Rüge der assoziationsrechtlichen Diskriminierung gestellter Antrag auch rückwirkend nicht zu einem offenen Rechtsbehelfsverfahren führen. Insoweit greift uneingeschränkt der vom EuGH statuierte zeitliche Ausschluss. Zwar war der Ablehnungsbescheid vom 22.04.1996 im Licht der Entscheidung des BSG vom 29.01.2002 (BSGE 89, 129) objektiv falsch gewesen, auch wenn er der damaligen Rechtsprechung entsprochen hatte. Denn eine unrichtige Entscheidung liegt auch dann vor, wenn der Leistungsträger ohne Verschulden von der Richtigkeit seiner Rechtsansicht ausgehen durfte. Entscheidend ist insoweit die damalige Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht. Das BSG weist aber ausdrücklich auf Folgendes hin (Urteil vom 27.05.2004, a.a.O.): Zur Begründung der Fehlerhaftigkeit des behördlichen Handelns bedarf es gerade der Berufung auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB für einen Zeitraum vor Erlass der Sürül-Entscheidung des EuGH. Es greift hier somit ebenfalls die in diesem Urteil ausgesprochene zeitliche Beschränkung ein. Da die Klägerin wie bereits dargestellt am 04.05.1999 kein offenes Verfahren über die Gewährung des LErzG mehr hatte, kann sie die objektive Unrichtigkeit der Ablehnung auch nicht über § 44 SGB X unter Zuhilfenahme eines Wiedereinsetzungsantrags geltend machen. Anderenfalls würde niemals Rechtskraft eintreten. Der Ablehnungsbescheid vom 22.04.1996 ist vorliegend auch nicht aus anderen Gründen rechtswidrig. Soweit klägerseits das Fehlen einer Anhörung gerügt wird, wird übersehen, dass für Bescheide, mit denen ein Antrag auf Sozialleistungen abgelehnt wird, keine Anhörungs- pflicht existiert, da keine bestehende Rechtsposition entzogen wird (von Wulffen, Rdnr.3 zu § 24 SGB X).

Auch aufgrund des richterrechtlich entwickelten Rechtsinstituts eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs steht der Kläge- rin kein Landeserziehungsgeld für ihr Kind zu. Die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruchs sind vorliegend nicht erfüllt. Dessen Tatbestand fordert zunächst das Vorliegen einer Pflichtverletzung. Das Bundessozialgericht (a.a.O.) hält wegen des Ausspruchs der zeitlichen Beschränkung in der Sürül-Entscheidung einen auf die objektiv fehlerhafte Beratung durch den Beklagten gestützten Herstellungsanspruch für nicht gegeben. Dies muss erst recht für den vorliegenden Fall einer rechtskräftigen Ablehnung gelten. Soweit der Beklagte - mit aus seiner Sicht zutreffender Begründung - den Anspruch der Klägerin objektiv zu unrecht abgelehnt hat, ist der Herstellungsanspruch naturgemäß subsidiär zum Widerspruch bzw. Antrag nach § 44 SGB X. Ebenso- wenig ist vorliegend die Verletzung einer Pflicht des Beklagten anzunehmen, die Klägerin nach der Ablehnung auf einen sich ab- zeichnenden Wandel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bzw. entsprechende anhängige Verfahren hinzuweisen. Eine solche Hinweispflicht könnte allenfalls dann entstehen, wenn es aufgrund gravierender Umstände wahrscheinlich erscheint, dass ein Wandel in der Rechtsprechung eintreten wird. Vor dem 04.05.1999 kann eine solche Hinweispflicht sicher nicht bejaht werden (BSG a.a.O.).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und be- rücksichtigt das Unterliegen der Klägerin.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Weder wirft dieses Urteil nämlich eine entscheidungserhebliche höchstrichterlich bisher ungeklärte Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf, noch weicht es ab von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts und beruht hierauf.
Rechtskraft
Aus
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