L 4 KR 85/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 KR 171/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 85/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 10. Oktober 2002 und der Bescheide der Beklagten vom 3. Mai 2001 und 7. Mai 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2001 verurteilt, der Klägerin die Kosten der Behandlung mit der laserinduzierten Thermotherapie (LITT) in Höhe von 5.604,57 Euro zu erstatten.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenerstattung für die Behandlung mit der laserinduzierten Thermotherapie (LITT) in Höhe von 5.604,57 Euro.

Die 1939 geborene und bei der Beklagten als Rentnerin versicherte Klägerin litt nach dem Befundbericht des praktischen Arztes P. vom 23.08.2001 unter anderem an einem hepatozellulären Karzinom.

Sie beantragte am 30.04.2001 bei der Beklagten unter Vorlage eines Berichts des Universitätsklinikums F. (Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Direktor Prof. Dr. V.) vom 27.04.2001 die Kostenübernahme für die Durchführung einer ambulanten laserinduzierten Thermotherapie (LITT) von Lebermetastasen; es handle sich hierbei um eine noch nicht in die allgemeine, vertragsärztliche Versorgung aufgenommene Behandlungsmethode, deren Kosten durch die Krankenkasse nur im Rahmen einer Einzelfallentscheidung gegebenenfalls unter Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) übernommen werden können. Die komplette LITT-Behandlung beinhalte die CT-gesteuerte Punktion, die MRT-gesteuerte LITT sowie eine MRT-Nachkontrolle 24 bis 48 Stunden nach dem Eingriff. Je nach Größe und Zahl der Metastasen sei die Einlage von 1 bis 4 Laserapplikatoren notwendig. Die voraussichtlichen Gesamtbehandlungskosten wurden mit 12.667,48 DM angegeben. Beigefügt war eine Liste der Krankenkassen, die derartige Behandlungskosten bereits übernommen hatten.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 03.05.2001 und mit dem weiteren Bescheid vom 07.05.2001 die Kostenübernahme ab. Qualität und Wirksamkeit neuer Behandlungsverfahren hätten nach dem Willen des Gesetzgebers dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse zu entsprechen. Dies schließe neue Verfahren aus, die nicht ausreichend erprobt seien. Nach den vorliegenden Erkenntnissen und ärztlichen Aussagen seien diese Voraussetzungen für die beantragte Methode nicht erfüllt.

Die Klägerin machte mit den Widerspruch vom 10.05.2001 geltend, nach der Chemotherapie sei die laserinduzierte Thermotherapie indiziert; sie werde seit 1992 erfolgreich angewandt und gehöre somit in den Bereich einer normalen Behandlungsmethode.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2001 den Widerspruch zurück. Eine Kostenübernahme für eine neue Behandlungsmethode komme nur infrage, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen für diese Behandlungsmethode eine Empfehlung über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens abgegeben habe. Bezüglich der LITT liege keine Entscheidung des Bundesausschusses vor. Unerheblich sei, dass andere Krankenkassen bzw. die Beklagte in anderen Fällen die Kosten der Therapie nach der Behandlungsmethode übernommen habe.

Die Klägerin hat hiergegen am 09.07.2001 beim Sozialgericht Augsburg (SG) Klage erhoben. Den beigefügten ärztlichen Bescheinigungen von Prof. Dr. S. und Dr. B. vom 02.07.2001 beziehungsweise 03.07.2001 sei zu entnehmen, dass alle bisherigen etablierten therapeutischen Methoden beim hepatozellulären Karzinom eine nur sehr begrenzte Wirksamkeit zeigten und der Befund inoperabel gewesen sei. Es sei besser, wenn der Tumor durch eine direkte, lokale Einwirkung zerstört werden könne. Eine derartige Therapie sei bei der Klägerin durchgeführt worden. Hierbei handle es sich nicht um ein Außenseiterverfahren, sondern um unter besten wissenschaftlichen Voraussetzungen durchgeführte kurative Medizin.

Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (Arbeitsausschuss ärztliche Behandlung) hat in der Auskunft vom 08.03.2001 mitgeteilt, es sei bisher noch kein Antrag gestellt worden, diese Behandlungsmethode einer Überprüfung zu unterziehen. Dem Arbeitsausschuss lägen auch keine Unterlagen vor, die erkennen lassen würden, ob es sich um eine medizinische Methode handelt, die die gesetzlich für die vertragsärztliche Versorgung vorgegebenen Kriterien diagnostischer oder therapeutischer Nutzen, medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit erfülle. Auch nach Auskunft der Geschäftsführung des Ausschusses Krankenhaus von 31.01.2001 liege auch dort bisher kein Antrag vor, den Nutzen, die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Therapie für den stationären Bereich zu überprüfen.

Die Klägerin hat am 17.05.2001 die Behandlung im Klinikum der J.-Universität F. durchführen lassen. Mit der Rechnung vom 06.07.2001 hat das Krankenhaus 10.961,59 DM gefordert. Im Arztbrief vom 20.08.2001 hat Prof. Dr. V. dem praktischen Arzt Dr. P. eine hepatische Vollremission mitgeteilt.

Die Beklagte hat demgegenüber auf ein Gutachten des MDK in Hessen vom 13.08.1999 verwiesen, wonach die LITT ein erfolgversprechendes Therapieverfahren sei, der Beweis der therapeutischen Wirksamkeit durch kontrollierte Studien stehe derzeit aber noch aus. In den vorliegenden Studien zu LITT ohne Kontrollgruppen seien die Einschlusskriterien und Erhebungsparameter nur unzureichend definiert, wodurch die Aussagekraft erheblich eingeschränkt sei.

Eine weitere Nachuntersuchung durch Prof. Dr. V. hat am 19.11.2001 eine Vollremission ergeben (Arztbrief an Dr. P. vom 20.11.2001). Prof. Dr. V. hat der Klägerin mit Schreiben vom 23.11.2001 mitgeteilt, die Wirksamkeit der LITT sei an einer statistisch relevanten Zahl von Fällen nachgewiesen (mehr als 2800 Metastasen bei 1000 Patienten). In der Klinik würden jährlich etwa 600 Eingriffe durchgeführt, an der Universitätsklinik F. im Vergleich dazu 50 bis 70 klassische offen-chirurgische Lebermetastasen-Operationen. Auch anlässlich der Nachuntersuchung vom 25.02.2002 und 21.05.2002 hat Prof. Dr. V. wieder eine hepatische Vollremission festgestellt. Demgegenüber hat die Beklagte auf ein Gutachten des MDK Nordrhein (Kompetenzzentrum Onkologie) vom 03.05.2002 hingewiesen, das eine Empfehlung für die LITT-Therapie wegen bislang fehlenden Wirksamkeitsnachweises ablehnte.

Das SG hat mit Urteil vom 10.10.2002 die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei zur Kostenerstattung für die neuartige Behandlungsmethode nicht verpflichtet; ein Verfahren vor den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen sei bislang noch nicht eingeleitet worden. Zur Prüfung, ob ein Verfahren einzuleiten sei, haben die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung am 18.01.2002 ein so genanntes HTA-Gutachten erstellen lassen, das sich eingehend mit den bisher vorliegenden Veröffentlichungen zur LITT befasst habe und zu dem Ergebnis gekommen sei, dass ein Wirksamkeitsnachweis doch nicht vorliegt und weitere kontrollierte Studien erforderlich sind. Nach den Ausführungen im HTA-Gutachten befinden sich die vorliegenden Studien zur Behandlung mittels LITT bei Lebertumoren beziehungsweise Lebermetastasen auf der Ebene von Fallserien, wobei Doppelpublikationen sowie die Vermischung von Lebermetastasen unterschiedlicher Genese häufig sind. In den Studien sind keine Kontrollgruppen vorgesehen, so dass Überlebenszeitergebnisse nur mit kollektiven anderen Studien verglichen werden können.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 28.03.2003, mit der sie geltend macht, dass zur Behandlung des Karzinoms eine Operation nicht in Frage gekommen sei und sie die Chemotherapie schlecht vertragen habe. Die LITT sei nach den vorliegenden Studienergebnissen bereits als eine wirksame Behandlungsmethode zur vorwiegend palliativen Behandlung von malignen Leberläsionen angesehen worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 10.10.2002 und die zugrundeliegenden Bescheide der Beklagten vom 03.05.2001 und 07.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 10.961,59 DM entsprechend in Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise ein Gutachten darüber einzuholen, ob eine Behandlung mit der schulmedizinischen Chemotherapie eine Alternative gewesen wäre.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 500,00 Euro (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung ist begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der Kosten der ambulanten Behandlung mit der laserinduzierten Thermotherapie (LITT). Anspruchsgrundlage ist § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V (SGB V, wonach die Krankenkasse bei einer rechtswidrigen Leistungsablehnung die Kosten der selbstbeschafften Leistung erstatten muss, soweit die Leistung notwendig war.

Bei der sogenannten "LITT" handelt es sich um ein Therapieverfahren zur minimal-invasiven Behandlung von Tumoren bzw. Metastasen der Leber. Bei dieser Behandlungsmethode wird eine Glasfaser direkt in den Tumor eingeführt. Der Tumor wird dann durch Laserlicht und die daraus entstehende Wärme zerstört. Das Verfahren wird meist ohne Operation in örtlicher Betäubung durchgeführt und gilt als eine schonende Behandlung (http://www. medizin.fu-berlin.de/chi/litt/). Es handelt sich hierbei nach den Ausführungen des MDK (gutachtliche Stellungnahme vom 18.09.2001) um ein neuartiges Therapiekonzept zur palliativen Zerstörung von Tumor- bzw. Metastasengewebe. Diese Behandlung unterliegt als neue Methode dem Vorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V. Nach dieser gesetzlichen Vorschrift dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zulasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen auf Antrag einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben haben über die Anerkennung des diagnostischen oder therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zulasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung. Diese Vorschrift steht im Zusammenhang mit den Grundsatznormen der §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 SGB V. Danach haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Die Leistungen der Krankenkassen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen aber nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Daraus ergibt sich, dass eine Behandlungsmethode, deren allgemeine Wirksamkeit im maßgebenden Zeitpunkt ihrer Anwendung (noch) nicht bewiesen ist, unzweckmäßig ist und insoweit ein Leistungs- bzw. Kostenerstattungsanspruch ausscheidet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) schließt § 135 Abs. 1 SGB V als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt die Leistungspflicht der Krankenkassen für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden so lange aus, bis diese vom zuständigen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen als zweckmäßig anerkannt sind. Hat der Bundesausschuss über die Anerkennung einer neuen Methode ohne sachlichen Grund nicht oder nicht zeitgerecht entschieden, kann ausnahmsweise ein Kostenerstattungsanspruch des Versicherten nach § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht kommen, wenn die Wirksamkeit der Methode festgestellt wird. Lässt sich die Wirksamkeit aus medizinischen Gründen nur begrenzt objektivieren, hängt die Einstandspflicht der Krankenkassen davon ab, ob sich die fragliche Methode in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion durchgesetzt hat. Der Grundsatz des § 12 Abs. 1 SGB V verbiete es, die Erprobung neuer Methoden oder die medizinische Forschung zu den Versicherungsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu rechnen. Der Ausschluss nicht anerkannter Untersuchungs- und Behandlungsmethoden aus der vertragsärztlichen Versorgung nach Maßgabe des § 135 Abs. 1 SGB V und die damit einhergehende Beschränkung des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung verletze kein Verfassungsrecht (z.B. BSG vom 05.07.1995, BSGE 76, 194; BSG vom 16.09.1997, BSGE 81, 54 m.w.N.). Das BSG hat an dieser Rechtsprechung festgehalten. Es hat mit Urteil vom 28.03.2000 (BSGE 86, 54) entschieden, dass das Verbot des § 135 Abs. 1 SGB V auch in Fällen eines Systemmangels nur überwunden werden kann, wenn zum Behandlungszeitpunkt ein ausreichender Wirksamkeitsnachweis vorlag, so dass eine positive Entscheidung durch den Bundesausschuss veranlasst gewesen wäre. Eine Erweiterung oder Leistungspflicht der Krankenkassen auf Behandlungsmethoden, die sich erst im Stadium der Forschung oder Erprobung befinden und (noch) nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, lasse das Gesetz auch bei schweren und vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheiten grundsätzlich nicht zu. Dem Einwand, in solchen Fällen müsse ein individueller Heilversuch zulasten der Krankenversicherung auch mit noch nicht ausreichend gesicherten Therapieverfahren möglich sein, kann in dieser allgemeinen Form nicht Rechnung getragen werden. Das BSG hat auch in dieser Entscheidung wieder die o.g. verfassungsrechtliche Beurteilung bekräftigt, dass aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) ein Anspruch auf Bereithaltung spezieller Gesundheitsleistungen nicht hergeleitet werden kann. Es hat ferner mit Beschluss in 20.03.2005 (B 1 KR 16/04 B, unveröffentlicht) entschieden, dass eine Leistungsgewährung für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden entsprechend der Konzeption des § 135 SGB V als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt regelmäßig eine positive Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) voraussetze und ein Systemversagen nur gerichtlich festgestellt werden könne.

Die Klägerin hat jedoch unter Beachtung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) einen Anspruch auf Kostenerstattung. In diesem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht unter Aufhebung der grundlegenden Entscheidung des BSG zu den nicht anerkannten Behandlungsmethoden (Urteil vom 16.09.1997 B 1 RK 28/95 in) entschieden, dass es mit der grundgesetzlich garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit, dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht auf Leben nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine dem allgemein anerkannten, medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

Das Bundesverfassungsgericht hat zur Begründung an seiner bisheriger Rechtsprechung festgehalten, dass aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) regelmäßig kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen folgt. Die Gestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich jedoch an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen. Insbesondere können diese Grundrechte in besonders gelagerten Fällen die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichten. Dies gilt insbesondere in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung. Das Bundesverfassungsgericht hat hierbei auch die Gesichtspunkte des Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 12 SGB V), das von dem behandelnden Arzt konkretisiert wird und die Gleichbehandlung der Versicherten bei der Zurverfügungstellung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden berücksichtigt.

Es hat die oben genannte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als verfassungswidrig bezeichnet, die eine Kostenübernahme neuer, vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nicht anerkannter Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auch für den Fall abgelehnt hat, dass bei einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Krankheit ein wissenschaftlich geführter Wirksamkeitsnachweise nicht vorliegt und die in Rede stehende Methode sich in der medizinischen Praxis auch nicht durchgesetzt hat. Damit wird die Übernahme von Kosten durch die gesetzlichen Krankenkassen auch in den Fällen einer lebensbedrohlichen oder vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheit ausgeschlossen, für die eine dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode nicht existiert, der behandelnde Arzt jedoch eine Methode zur Anwendung bringt, die nach seiner Einschätzung im Einzelfall den Krankheitsverlauf positiv zu Gunsten des Versicherten beeinflusst.

In diesem Fall ist es mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens sowie dem Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar, den einzelnen der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterwerfen und für die Zahlung der Beiträge die notwendige Krankheitsbehandlung zuzusagen, ihn andererseits aber, wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode durch die Krankenkasse auszuschließen und ihn auf eine Finanzierung der Behandlung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu verweisen. Bezüglich des Evidenznachweises der in Rede stehenden Behandlungsmethode fordert das Bundesverfassungsgericht eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.

Unter Beachtung dieser Rechtsprechung hat die Klägerin einen Anspruch auf Kostenerstattung, so dass auch der Senat an seiner früheren Rechtsprechung (Urteil vom 25.05.2005 - L 4 KR 120/03) nicht mehr festhält. Es handelt sich hier um einen vergleichbaren Sachverhalt wie bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, da auch im vorliegenden Fall im maßgebenden Zeitpunkt der Behandlung eine Entscheidung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen noch nicht vorgelegen hat. Das hepatozelluläre Karzinom der Leber hat nach den Angaben des behandelnden Internisten Dr. B. keine günstige Prognose, fällt also unter die Gruppe der lebensbedrohlichen Erkrankungen. Die Wirksamkeit der angewandten Behandlungsmethode ist durch den Rückgang des Karzinoms bis zu einer Vollremission nachgewiesen. Aber bereits vor Durchführung der LITT wurde diese Therapie von Prof. Dr. S. (Kreiskrankenhaus G.) im ärztlichen Zeugnis vom 02.07.2001 bezüglich krankheitsfreien Überlebens und Gesamtüberlebens als positiv gegenüber den etablierten Methoden bewertet. Damit ist im vorliegenden Fall eine Überprüfung der Wirksamkeit der angewandten Behandlungsmethode durch einen medizinischen Sachverständigen nicht erforderlich. Der Klägerin hat als Alternative auch keine zweckmäßige Standardtherapie der Schulmedizin zur Verfügung gestanden. Den ärztlichen Attesten des Onkologen Prof. Dr. S. (Kreiskrankenhaus G.) vom 02.07.2001 und des Internisten Dr. B. vom 03.07.2001 ist zu entnehmen, dass im Falle der Klägerin der Befund inoperabel war, wie der konsultierte Chirurg der Universität U. (Prof. Dr. B.) festgestellt hatte. Alle übrigen etablierten therapeutischen Methoden zeigen beim hepatozellulären Karzinom eine nur sehr begrenzte Wirksamkeit. Die Chemotherapie, auch in Form einer intra-arteriellen Anwendung, ist nur sehr gering effektiv. Nach dem neuesten Stand der medizinischen Erkenntnisse kann ein krankheitsfreies Überleben erreicht werden, wenn der Tumor durch eine direkte, lokale Einwirkung zerstört werden kann, wie dies bei der von der Universitätsklinik F. ambulant durchgeführten LITT der Fall ist. Hinzu kommt, dass diese Therapie nicht nur im Verhältnis zu den anderen theoretisch zur Verfügung stehenden herkömmlichen Behandlungsmethoden zweckmäßiger ist, sondern auch gegenüber diesen Verfahren kostengünstiger. Damit ist auch den besonderen Anforderungen des Wirtschaftlichkeitsgebots Genüge getan worden.

Der Antrag der Beklagten, ein Gutachten darüber einzuholen, ob die chemotherapeutische Behandlung eine Alternative gewesen wäre, war daher abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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