L 5 R 195/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 25 RJ 1306/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 195/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Strittig ist die Anerkennung von Beitragszeiten vom 01.01.1943 bis 08.05.1945.

Die 1923 in Polen geborene Klägerin ist laut dem am 16.09.1944 ausgestellten Arbeitsbuch für Ausländer vom 28.02.1940 bis 26.04.1941 bei dem Landwirt D. in R. und anschließend ab 27.04.1941 bei dem Landwirt K. in S. als landwirtschaftliche Arbeiterin beschäftigt gewesen. Im Februar 1950 ist sie nach Australien ausgewandert, wo sie 1966 die australische Staatsangehörigkeit erworben hat.

Am 05.11.1997 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Altersrente. Dabei gab sie an, im Anschluss an die Zwangsarbeit in Niederbayern bis Februar 1950 als Küchenhilfe im DP-Camp in W. und Bad R. gearbeitet zu haben. Ob Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden seien und wie hoch ihr wöchentliches Entgelt gewesen sei, wisse sie nicht. Jedenfalls habe sie Kost und Wohnung erhalten. Auf Anfragen teilten die AOK S. , die Landwirtschaftliche Krankenkasse Niederbayern-Oberpfalz, die AOK L. und die AOK Bad R. mit, eine Mitgliedschaft sei nicht feststellbar. Laut Auskunft der Städte W. , Bad R. und L. sind dort keine Aufzeichnungen über die Ausstellung bzw. Aufrechnung einer Versicherungskarte vorhanden. Die Gemeinde R. übersandte Arbeitsbescheinigungen von Frau H. S. , geborene D. , vom 03.02.1998 und Herrn H. K. vom 15.01.1998. Beide gaben an, dass die Klägerin bei den jeweiligen Eltern von Februar 1940 bis April 1941 (H. S.) und von Mai 1941 bis Mai 1945 (H. K.) gegen freie Kost und Wohnung beschäftigt gewesen sei. Zur Höhe des Barlohns sei nichts bekannt. Ebensowenig sei bekannt, ob Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden seien. Mit Bescheid vom 20.02.1998 lehnte die Beklagte die Gewährung von Regelaltersrente ab. Die Zeit von Februar 1940 bis Februar 1950 könne nicht als Beitragszeit anerkannt werden, weil weder in den vorhandenen Versicherungsunterlagen Beiträge bescheinigt seien, noch die Beitragzahlung nach dem Ergebnis der Ermittlungen glaubhaft erscheine und Beiträge auch nicht als gezahlt gälten. Den Widerspruch vom 25.03.1998 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.1999 als unbegründet zurück. Für Zeiten vor dem 01.01.1943 habe für polnische Arbeitskräfte Versicherungsfreiheit bestanden. Die Beitragspflicht ab 01.01.1943 sei erfahrungsgemäß sehr uneinheitlich angewandt worden, so dass eine Entrichtung nur durch entsprechende Nachweise (Versicherungskarte oder Krankenkassenbescheinigung) belegt werden könne. Derartige Nachweise seien nicht vorhanden. Dagegen hat die Klägerin am 26.07.1999 Klage erhoben und geltend gemacht, die Beitragszeit vom 01.01.1943 bis 08.05.1945 sei als glaubhaft anzuerkennen. Allen anderen Versicherungsanstalten genüge ein Arbeitsbuch zur Glaubhaftmachung von Beitragszeiten. Dass die zuständigen Krankenkassen Unterlagen vernichtet hätten und deswegen keine Nachweise mehr vorgelegt werden könnten, dürfe sicherlich nicht zum Nachteil der Versicherten gereichen. Die Beklagte hat dazu ausgeführt, eine Glaubhaftmachung von Beitragszeiten käme nur in Betracht, wenn die Krankenkasse oder Gemeindeverwaltung wegen Ende der Aufbewahrungsfrist oder durch Vernichtung der Unterlagen keine Aussagen mehr machen könne. Eine Anfrage bei der AOK R. habe jedoch ergeben, dass trotz vorhandender Unterlagen eine Mitgliedschaft nicht feststellbar sei. Die Arbeitsbescheinigungen enthielten keine Angaben zur Barlohnhöhe und Beitragseinziehung. Nur beim Überschreiten des Grenzbetrags des § 1228 Abs.1 Nr.2 RVO sei Versicherungspflicht eingetreten. Die Klägerin hat ein an sie gerichtetes Schreiben des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen von 22.01.2001 vorgelegt, wonach sie entsprechend den Kriegszeitunterlagen des Internationalen Suchdienstes zu einem nicht genannten Zeitpunkt während des Krieges bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse R. versichert und von einem nicht genannten Zeitpunkt bis 15.08.1945 in P. , Landkreis R. gemeldet war. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 17.12.2002 abgewiesen. Mangels Erfüllung der Wartezeit von 60 Monaten seien die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Regelaltersrente nicht erfüllt. Die Beitragszeit vom 28.02.1940 bis 08.05.1945 sei nicht glaubhaft gemacht. Gegen das der Klägerin am 21.01.2003 zugestellte Urteil hat diese am 24.03.2003 Berufung eingelegt. Sie hat erneut auf das Vorhandensein des Arbeitsbuchs sowie die Auskunft des Internationalen Suchdienstes hingewiesen und geltend gemacht, die Umstände der Zwangsarbeit und die Verpflichtung zur Beitragsleistung seien unberücksichtigt geblieben. Demgegenüber hat die Beklagte wiederholt, entscheidend sei, dass bei der AOK R. trotz vollständiger Unterlagen eine Mitgliedschaft nicht feststellbar sei.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 17.12.2002 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 20.02.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.06.1999 zu verurteilen, ihr unter Anrechnung von glaubhaft gemachten Beitragszeiten vom 01.01.1943 bis 08.05.1945 auf der Basis des deutsch-australischen Rentenabkommens eine Rente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 17.12.2002 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts München sowie der Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Streitgegenstand ist die Gewährung einer Rente auf der Grundlage des am 01.01.2003 in Kraft getretenen Sozialversicherungsabkommens zwischen Australien und Deutschland vom 13.12.2000 (BGBl 2002 II S.2307). In diesem Zusammenhang ist die Anerkennung von Beitragszeiten vom 01.01.1943 bis 08.05.1945 strittig.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 17.12.2002 ist ebensowenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten vom 20.02.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.06.1999. Die Klägerin hat auch unter Berücksichtigung des deutsch-australischen Sozialversicherungsabkommens keinen Anspruch auf eine Rentengewährung. Sie hat in der deutschen Rentenversicherung keine Beitragszeiten erworben. Voraussetzung für einen Rentenanspruch ist, dass der Anspruch- steller zum versicherten Personenkreis gehört. Leistungsansprüche hängen grundsätzlich von der tatsächlichen Beitragszahlung ab (BSG SozR 3-5800 § 1 Nr.1). Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs.1 Satz 1 und 2 SGB VI). Bundesgebietsbeitragszeiten sind gemäß § 271 Satz 1 SGB VI auch Zeiten, für die nach den vor dem 08.05.1945 geltenden Reichsversicherungsgesetzen Beiträge gezahlt wurden. Unstreitig ist nicht nachgewiesen, dass für die hier streitigen Zeiträume vom 01.01.1943 bis 08.05.1945 Beiträge wirksam entrichtet worden sind. Nachgewiesen ist eine Beschäftigung der Klägerin in der Zeit vom Februar 1940 bis Mai 1945. Dies geht aus dem Arbeitsbuch und den übereinstimmenden Erklärungen der Kinder der ehemaligen Arbeitgeber hervor. Versicherungspflichtig war diese Beschäftigung in der Landwirtschaft ab 01.01.1943. Mit der Bekanntmachung des Reichsarbeitsministers über die Beitragspflicht der polnischen landwirtschaftlichen Arbeiter in der Invalidenversicherung vom 19.12.1942 wurde die Befreiung von Ausländern von der Versicherungspflicht nach dem Invalidenversicherungsgesetz mit Wirkung zum 01.01.1943 aufgehoben und für alle im deutschen Reich beschäftigten polnischen Arbeitskräfte einschließlich der polnischen landwirtschaftlichen Arbeiter aus dem Generalgouvernement bestimmt, dass diese Beiträge zur Invalidenversicherung nach den allgemeinen Vorschriften zu entrichten hatten (Dr.Franz Wischer, Soziale Versicherung, Stand 1943, Band 4 S.V 4a). Die Versicherungspflicht nach den allgemeinen Vorschriften knüpfte hingegen gemäß § 1226 Abs.1 Satz 2 RVO daran an, dass die Personen gegen Entgelt beschäftigt wurden. § 1227 RVO alte Fassung bestimmte, dass eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, versicherungsfrei war. Nachdem die Klägerin selbst keine Angaben über einen Barlohn machen konnte und auch die Kinder des Arbeitgebers hierüber keine Auskunft geben konnten, ist nicht nachgewiesen, dass die Klägerin versicherungspflichtig beschäftigt war. Tatsächlich sind keine Beiträge entrichtet worden. Dies geht aus den Auskünften der Stadt L. und der AOK L. hervor, wonach weder eine Versicherungskarte ausgestellt wurde bzw. trotz vollständigen Kartenarchivs keine Mitgliedschaft festgestellt werden konnte.

Die Klägerin hat auch keine Beitragszeiten glaubhaft gemacht. Fehlen für Zeiten vor dem 01.01.1950 die Versicherungsunterlagen, die von einem Träger der Rentenversicherung aufzubewahren gewesen sind, und wären diese in einem vernichteten oder nicht erreichbaren Teil des Karten- oder Kontenarchivs aufzubewahren gewesen oder ist glaubhaft gemacht, dass die Versicherungskarten bei dem Arbeitgeber oder Versicherten oder nach den Umständen des Falles auf dem Weg zum Träger der Rentenversicherung verloren gegangen, unbrauchbar geworden oder zerstört worden sind, sind die Zeiten der Beschäftigung oder Tätigkeit als Beitragszeit anzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Versicherte eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat und dass dafür Beiträge gezahlt worden sind (§ 286a Abs.1 Satz 1 SGB VI). Die Klägerin hat jedoch nicht einmal behauptet, sie habe Barlohn erhalten und es seien Beiträge vom Lohn abgezogen worden. Zudem sind die Unterlagen der zuständigen AOK L. sowie der Stadt L. vollständig. Die Voraussetzungen für eine Glaubhaftmachung der Beitragszahlung sind daher nicht gegeben. Das gilt auch im Hinblick auf § 286 Abs.5 SGB VI und § 286 Abs.6 i.V.m. § 203 Abs.2 SGB VI. Eine Beitragszahlung bzw. ein Beitragsabzug ist nicht glaubhaft gemacht, nachdem die Klägerin selbst behauptet, lediglich Kost und Unterkunft erhalten zu haben. Dies erscheint angesichts der Umstände, unter denen die Klägerin damals nach Deutschland verbracht und beschäftigt worden ist, durchaus nachvollziehbar.

Die Klägerin gilt auch nicht als während der streitigen Zeiträume nachversichert. Die Voraussetzungen des Art.6 § 23 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG Bundesgesetzblatt I S.93), der eigens zur Wiedergutmachung der durch die Diskriminierung in der Sozialversicherung bei ehemaligen Zwangsarbeitern entstandenen Schäden in der Rentenversicherung geschaffen wurde, liegen bei der Klägerin nicht vor. Sie hatte am Stichtag (30.06.1950) keinen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin und auch nicht den Status einer heimatlosen Ausländerin im Sinn des § 1 des Gesetzes über die Rechtstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25.04.1951 (Bundesgesetzblatt Teil I S.269).

Nicht zu entscheiden war, ob in verfassungskonformer Auslegung geltenden Rechts allen sogenannten "Ostarbeitern" ein Recht zur Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen für die Zeit ihrer Tätigkeit als Zwangsarbeiter zusteht. Hierzu hat das Bundessozialgericht (Urteil vom 23.05.1995 in SozR 2200 § 1251 Abs.1 Nr.7) ausgeführt, die Nichteinbeziehung der "Ostarbeiter" in die deutsche Sozialversicherung sei von Anfang an als nichtig anzusehen, so dass die Dienstpflichtverordnung auf Ostarbeiter wie auf alle anderen Gruppen zwangsverpflichteter Arbeiter entsprechend anzuwenden sei. Ostarbeitern müsste daher ein Recht zur Nachentrichtung von Beiträgen zugestanden werden. Diese Rechtsfrage ist derzeit nach abweichender Entscheidung des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 25.02.2005, L 4 RJ 16/04) wieder am Bundessozialgericht anhängig (BSG B 12 RJ 1/05 R). Über ein Recht zur Nachentrichtung hat die Beklagte mangels entsprechenden Antrags bislang nicht entschieden.

Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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