L 14 R 431/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 3 RJ 535/01 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 431/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 9. April 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1947 geborene, in ihrer Heimat Kroatien lebende Klägerin war in Deutschland zwischen 1968 und 1980 als Maschinenarbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt. In ihrer Heimat erwarb sie Versicherungszeiten bis März 1999 und bezieht seitdem dort eine Rente.

Ihren im Oktober 2000 bei der Beklagten gestellten Rentenantrag lehnte diese mit Bescheid vom 07.11.2000 ab mit der Begründung, die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig Arbeiten verrichten. Grundlage war eine Untersuchung am 20.04.2000 durch die Ärztekommission in Z. sowie eine prüfärztliche Stellungnahme des Dr.D. dazu vom 27.10.2000. Die Invalidenkommission hatte die Auffassung vertreten, der Klägerin seien nurmehr unter zweistündige Tätigkeiten täglich zumutbar, Dr.D. kam dagegen nach Auswertung zahlreicher weiterer medizinischer Befunde zu dem Ergebnis, dass noch vollschichtige Arbeitsfähigkeit für leichte Arbeiten bestehe.

Der Widerspruch der Klägerin, mit dem diese auf nicht ausreichend berücksichtigte Gesundheitsstörungen bei der Untersuchung und einen nicht erwähnten, im August 1999 erlittenen Gehirninsult mit nachfolgender Halbseitenschwäche hinwies, blieb erfolglos (zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 28.03.2001).

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG), in dem die Klägerin eine Vielzahl teilweise bereits bekannter ärztlicher Unterlagen vorlegte, kam es zur Einholung von Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem und allgemeinärztlich-sozialmedizinischem Gebiet. In seinem Gutachten vom 07.04.2003 erhob der Allgemeinarzt Dr.Z. aufgrund persönlicher Untersuchung der Klägerin die Diagnosen: "Herzleistungsminderung bei Bluthochdruck und Verdacht auf Herzdurchblutungsstörungen, Wirbelsäulensyndrom bei Abnutzungserscheinungen ohne neurologische Ausfallserscheinungen, leichtergradige depressive Störung". Er legte dazu dar, dass die festgestellten Gesundheitsstörungen das Leistungsvermögen der Klägerin zwar beeinträchtigten, allerdings nur in qualitativer Hinsicht, nicht auch in zeitlichem Umfang. Er hielt leichte körperliche Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, ohne Zwangshaltungen, Bücken und ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit für vollschichtig möglich.

Der Neurologe Dr.P. und die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.S. diagnostizierten bei der Klägerin eine leichtgradige posttraumatische Belastungsstörung, eine leichtgradige Depression sowie einen chronischen Wirbelsäulenschmerz ohne Nervenwurzelbeteiligung. Sie vertraten ebenfalls die Auffassung, dass der Klägerin noch leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Zwangshaltungen sowie ohne Schicht- und Akkordarbeit bei üblicher nervlicher Belastung vollschichtig möglich seien (Gutachten vom 07.04.2003).

Das SG wies die Klage, gestützt auf diese Gutachten, mit Urteil vom 09.04.2003 ab. Es führte aus, die Klägerin sei weiterhin in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten mit den von den Gutachtern aufgezeigten Anforderungen zu verrichten. Dies entspreche auch dem persönlichen Eindruck des Gerichts von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung. Auch wenn sie ihren letzten in Deutschland ausgeübten Beruf einer Werkarbeiterin wegen der Schwere der damaligen Arbeit nicht mehr ausüben könne, sei sie dennoch nicht berufsunfähig im Sinne von § 43 Abs.2 Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) a.F., da sie nach ihrem Berufsbild auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei und hier alle gesundheitlich und sozialverträglichen Tätigkeiten auch außerhalb ihrer bisherigen Berufstätigkeit verrichten könne. Wegen des verbliebenen vollschichtigen Leistungsvermögens ergebe sich auch kein Rentenanspruch nach § 43 Abs.1 oder 2 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung. Die Tatsache, dass sie in ihrer Heimat bereits eine Invalidenrente beziehe, sei nicht geeignet, einen Anspruch auf eine deutsche Rente zu begründen. Dieser richte sich ausschließlich nach den deutschen Rechtsvorschriften, während die Rente in Kroatien nach dortigem, in den Anspruchsvoraussetzungen mit dem deutschen Recht nicht identischen kroatischen Recht geleistet werde.

Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, entgegen den bisher eingeholten Gutachten bestehe volle Erwerbsminderung, auch habe sich ihr Gesamtzustand verschlechtert.

Sie legt zu ihrem Vorbringen eine Vielzahl neuer internistisch-kardiologischer, orthopädisch-chirurgischer, radiologischer und neurologisch-psychiatrischer Befunde aus ihrer Heimat aus der Zeit ab Juli 2003 vor, darunter eine zusammenfassende Beurteilung der Arbeitsmedizinerin Dr. T. vom 21.10.2003. Diese vertritt die Auffassung, es bestehe wegen der internistisch-kardiologischen Befunde und der psychoorganischen Veränderungen bei der Klägerin Arbeitsunfähigkeit auf Dauer.

Für die Beklagte nahm der Chirurg und Sozialmediziner Dr. L. dazu dahingehend Stellung, dass sich im Vergleich zu der bereits umfangreich vorhandenen Dokumentation kein grundsätzlich neuer Sachverhalt ergebe, die Klägerin sei für leichte Arbeiten weiterhin als vollschichtig einsatzfähig anzusehen.

Der Senat bewilligte der Klägerin mit Beschluss vom 08.03.2005 Prozesskostenhilfe und ordnete die bisherige Bevollmächtigte bei. Er erhob Beweis über den Gesundheitszustand und die Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch Einholung von Gutachten auf internistischem, orthopädischem und nervenärztlichem Gebiet.

Der Neurologe und Psychiater Dr. K. diagnostizierte in seinem nervenfachärztlichen Gutachten vom 24.06.2005 auf Grund einer Untersuchung der Klägerin ein gering ausgeprägtes ängstlich-depressives Syndrom bei einer neurasthenischen, wenig durchsetzungsfähigen Persönlichkeitsstruktur sowie einen Zustand nach zu unterstellender transitorisch ischämischer Attacke im Jahre 1999 ohne verbliebene Residuen, insbesondere ohne Hinweis auf eine derzeit noch vorliegende neurologische Fokalsymptomatik. Ein hirnorganisches Psychosyndrom konnte er ebenso wie die Vorgutachter in Landshut nicht feststellen. Auch ergaben sich bei der Untersuchung keine neurologischen Ausfallserscheinungen von Seiten der Wirbelsäule. Nach Auffassung des Gutachters können der Klägerin seit Antragstellung leichte und einfache Arbeiten in zeitlichem Umfang von acht Stunden täglich zugemutet werden. Dabei sollte es sich nicht um geistig anspruchsvolle Arbeiten, Tätigkeiten mit Zwangshaltungen sowie im Akkord- und Schichtdienst handeln. Die Umstellungsfähigkeit für solche Tätigkeiten wurde bejaht.

Der Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. L. stellte in seinem Gutachten vom 23.06.2005 folgende Diagnosen: "Chronisches HWS- und LWS- Syndrom leichter, allenfalls mittelschwerer Prägung mit sich daraus ergebendem Funktionsdefizit ohne Zeichen eines peripher-neurogenen Defektes,beginnende Coxarthrose rechts bei Fuß- und Zehenfehlform und leichtgradig verminderter Geh- und Stehfähigkeit, Periarthropathie rechtes Schultergelenk sowie beginnende Arthrose rechtes Ellenbogengelenk mit sich daraus ergebendem Funktionsdefizit bei Ausübbarkeit der Grob- und Feingriffformen sowie glaubwürdig subjektiven Beschwerden".

Der Gutachter legte dar, die Klägerin könne auf Grund seiner Erhebungen noch ein achtstündiges Leistungsvolumen erbringen, und zwar bei Arbeiten ohne Heben und Tragen mittelschwerer und schwerer Lasten (über 10 kg), ohne Zwangshaltungen im Sinne von Vorhebehaltungen, ohne überwiegendes Gehen und Stehen, häufige Überkopfarbeit, ohne Kälte-, Nässe- und Staubdisposition sowie ohne besondere Anforderungen an Kraft und Geschicklichkeit beider Hände. In der letzten Tätigkeit als Maschinen-/Werkarbeiterin könne sie nur noch unter drei Stunden täglich tätig sein. Eine relevante Einschränkung der Wegefähigkeit verneinte er.

Der Internist Dr. P. (Gutachten vom 05.08.2005) erhob bei der Klägerin nach klinischer und technischer Untersuchung (Röntgen-Thorax in zwei Ebenen, Ruhe-EKG, Belastungs-EKG, Echokardiogramm, Lungenfunktionsuntersuchung, Oberbauchsonogramm, Schilddrüsensonogramm, Laboruntersuchungen) die Diagnosen "Seit den 80er Jahren bekannte und medikamentös behandelte essentielle arterielle Hypertonie mit leichter hypertensiver Herzkrankheit, ausgeprägte Obesitas, kombinierte Hyperlipoproteinomie, kleine Zyste im rechten Schilddrüsenlappen, euthyreote Schilddrüsenfunktion, bekannte Unterschenkelvarikosis beidseits, Zustand nach Cholcystektomie 1995 bei Cholecystolithiasis ohne Residuen, Zustand nach passagerer Halbseitenlähmung rechts 1999 und 2003 ohne bleibende Residuen".

In seiner sozialmedizinischen Stellungnahme dazu legte Dr. P. - nach detaillierter Erörterung der in den vorgelegten ärztlichen Unterlagen festgehaltenen Vorbefunde seines Fachgebiets - dar, dass sich die sozialmedizinische Leistungsfähigkeit der Klägerin mangels einer wirklichen Verschlechterung nicht entscheidend geändert habe. Sie könne leichte und mittelschwere Arbeiten aus internistischer Sicht vollschichtig verrichten, vorzugsweise im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, ohne häufiges Stehen und Sitzen (wegen der Varikosis). Im übrigen solle es sich um Tätigkeiten ohne hohe Stressbelastung und ohne Akkord, Nacht- und Schichtarbeit handeln. Sonstige Einschränkungen sah der Gutachter nicht. Die letzte, körperlich schwere Tätigkeit als Metallarbeiterin hielt auch Dr. P. mit diesen Einschränkungen nicht für vereinbar.

Die Beklagte nahm zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme dahin Stellung, dass noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen vorliege, eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen nicht gegeben sei und ein Rentenanspruch nicht bestehe.

Die Klägerin hat sich - nach Hinweisschreiben des Senats vom 30.08.2005, dass nach der umfangreichen Beweisaufnahme ein Rentenanspruch bei Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht bestehe - nicht mehr geäußert.

Sie beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 09.04.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 07.11.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.03.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente wegen Erwerbsminderung nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die beigezogene Rentenakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich aber nicht als begründet.

Zutreffend hat das Erstgericht, gestützt auf die in erster Instanz erhobenen Gutachten des Dr. Z. und der Drs. P. und S. , die Klage abgewiesen. Es besteht weder ein Rentenanspruch wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nach den bis 31.12.2000 geltenden Vorschriften der §§ 43, 44 SGB VI noch wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 43 Abs. 1 oder 2 SGB VI n.F. i.V.m. § 240 SGB VI n.F. Das SG hat die von ihm im einzelnen genannten Voraussetzungen dieser Bestimmungen aus zutreffenden Erwägungen verneint.

Die weitere umfangreiche Beweisaufnahme im Berufungsverfahren hat das Ergebnis der Vorgutachten im wesentlichen bestätigt. Das verbliebene Leistungsvermögen stellt sich bei zusammenfassender Würdigung der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilungen durch Dr. K. , Dr. L. und Dr. P. nunmehr lediglich noch etwas differenzierter dar: Möglich sind der Klägerin seit Antragstellung leichte und geistig einfache Tätigkeiten in wechselnder Körperposition, ohne überwiegendes bzw. zu langes Gehen, Stehen oder Sitzen, ohne Zwangshaltungen im Sinne von "Vorhebehaltungen", ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, häufige Überkopfarbeiten, besondere Anforderungen an Kraft und Geschicklichkeit der Hände (begründet von Dr. L. mit Schulterbeschwerden rechts und beginnender Arthrose rechtes Ellbogengelenk), ohne hohe Stressbelastung, Akkord-, Schicht- und Nachtdienst sowie ohne Kälte-, Nässe- und Staubexposition.

Trotz dieser Vielzahl von Einschränkungen liegt eine sogenannte Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, die die Benennung einer noch in Betracht kommenden konkreten Tätigkeit für die breit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbare Klägerin erforderlich machen würde, nicht vor. Die genannten Merkmale schränken den Bereich körperlich leichter Arbeiten nicht wesentlich weiter ein bzw. sind - wie z.B. Stress und Zeitdruck - nicht grundsätzlich mit solchen Tätigkeiten verbunden. Auch die Gebrauchsfähigkeit der Hände ist nur für besondere Anforderungen an Kraft und Geschicklichkeit eingeschränkt. Der notwendige Wechsel der Körperpositionen ist nicht so konkret vorgegeben, dass unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes eine leichte Tätigkeit nicht mehr möglich wäre. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erübrigt sich daher (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.1999 in NZS 2000, S.96). Ob der Klägerin allerdings ein Arbeitsplatz tatsächlich vermittelt werden könnte, ist rechtlich unerheblich, weil vollschichtig einsetzbaren Versicherten der Arbeitsmarkt offen steht und das Risiko der Arbeitsplatzvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen ist (vgl. u.a BSG, SozR 3-2200 § 1246 Nr.50).

Bei dieser Sachlage kann die Berufung keinen Erfolg haben. Sie war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen. Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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