L 15 VG 17/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 VG 32/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 17/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 18.09.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Anspruchs auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) wegen eines Ereignisses am 30.04.1993 streitig.

Der am 1941 geborene Kläger wurde 1945 Opfer einer Verzweiflungstat seines Vaters, durch die er eine schwere Schädel-Hirnverletzung erlitt, die zu einem Anfallsleiden führte und verschiedene sonstige Funktionsbeeinträchtigungen zur Folge hatte. Nach dem Schwerbehindertengesetz ist seit 1987 ein GdB von 100 festgestellt.

Am 16.09.1994 beantragte der Kläger Leistungen nach dem OEG, weil er am 30.04.1993 am K.-Weg in M. von Unbekannten überfallen worden sei. Er habe Schläge mit einer Stahlrute und einem Totschläger auf den Kopf erhalten und sei mit Tränengas besprüht worden. Es habe sich um einen Raubüberfall gehandelt. Er leide seitdem zeitweise unter Schmerzen in der linken Gesichts- bzw. Kopfhälfte. Aus den vom Beklagten beigezogenen Ermittlungsakten ergab sich, dass der Kläger nach dem Eindruck der beiden herbeigerufenen Polizisten stark angetrunken war und laut und wirr umherschrie. Von den angeblichen Tätern fanden die Polizisten keine Spur. Es waren lediglich zwei Anwohner anwesend, die auf die Hilferufe des Klägers herbeigeeilt waren und keine weiteren Angaben machen konnten. Die Polizisten stellten außer einer kleinen Schramme am Kopf des Klägers keinerlei Verletzungen fest. Die Schramme sei durch das BRK desinfiziert worden. Eine weitere Behandlung sei nach Ansicht der BRK-Besatzung nicht notwendig gewesen. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I stellte daraufhin am 18.10.1993 das Verfahren nach § 170 Abs.2 Strafprozessordnung ein, weil die Untersuchungen bisher nicht zur Ermittlung des Täters geführt hätten.

Erst am 07.03.1997 erließ der Beklagte einen Ablehnungsbescheid mit der Begründung, dass der geltend gemachte Raubversuch nicht nachgewiesen sei.

Kurz vorher hatte der Kläger zum Sozialgericht München Untätigkeitsklage erhoben (Schriftsatz vom 09.01.1997, eingegangen am 05.03.1997, Az.: S 28 Vg 8/97). Nachdem der Beklagte mit Schriftsatz vom 02.05.1997 ein Anerkenntnis abgegeben hatte, wonach die Untätigkeitsklage begründet sei und der Beklagte sich bereit erkläre, dem Kläger die im Klageverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten, der Kläger dieses Anerkenntnis jedoch nicht annahm, da die Folgelasten des Überfalls nicht abgegolten seien, erklärte das Sozialgericht mit Urteil vom 28.01.1998 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Auf die Berufung des Klägers zum Bayerischen Landessozialgericht hob der Senat mit Urteil vom 26.08.1999 das Urteil des Sozialgerichts München auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Das Sozialgericht habe versäumt, den Kläger auf die Möglichkeit einer Klageänderung hinzuweisen oder den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung am 28.01.1998 gestellten Antrag als Klageänderung im Sinne einer unechten Leistungsklage zu interpretieren. Der Kläger habe sich auch in der mündlichen Verhandlung am 26.08.1999 auf ein Attest von Frau Dr.K. vom 25.08.1999 berufen, wonach es denkbar sei, dass ein vom Kläger im Oktober 1994 mitgeteilter Schwindel in kausalem Zusammenhang mit dem Unfall am 30.04.1993 stehe.

Das Sozialgericht München hat daraufhin Ermittlungen zur Sache aufgenommen (Az.: S 28 VG 32/99). Es hat einen Befundbericht der Praxisnachfolgerin von Dr.K. , der Allgemeinärztin Dr.W. , eingeholt, wonach der Kläger seit dem Überfall im April 1993 vermehrt unter Kopfschmerzen und Krampfanfällen leide. Ein für den 10.05.2000 vorgesehener Termin zur mündlichen Verhandlung und zur Vernehmung von sieben Zeugen ist kurzfristig aufgehoben worden, weil Zweifel bezüglich des fehlenden Widerspruchsverfahrens aufgetaucht sind. Mit Schriftsatz vom 13.06.2000 hat der Beklagte mitgeteilt, dass der Kläger keinen Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt habe, aber seines Erachtens die Erteilung eines Widerspruchsbescheids nicht mehr erforderlich sei.

Ein erneuter Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.06.2002 ist vertagt worden, um einen Befundbericht des behandelnden Arztes Dr.W. L. einzuholen. Dieser, ein Nervenarzt und Psychiater, bei dem der Kläger seit Juni 1994 in Behandlung stehe, hat in seinem Befundbericht vom 28.06.2002 mitgeteilt, bei den Beschwerden des Klägers handle es sich im Grunde stets um das Gleiche. Er klage über ständige Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit. Bei ihm stehe das Gefühl der sozialen Diskriminierung und Benachteiligung im Vordergrund. Daneben leide er unter einer mangelnden Kraft in der linken Hand und ein ständiges Schwindelgefühl. Er habe folgende Diagnosen gestellt: "partielle Epilepsie mit Bewusstseinstörung, hirnorganisches Psychosyndrom, Zustand nach Nervus-medianus-Schädigung links, vordiagnostizierte Polytoxikomanie, zentraler Schwindel, Zustand nach schwerem Schädel-Hirntrauma in der Kindheit mit parieto-occipitaler Hirnsubstanzschädigung links". Neben weiteren radiologischen und Laborbefunden sowie einem Arztbrief hat Dr.L. auch einen Bericht des Bezirkskrankenhauses H. vom 07.03.2001 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 18.12.2000 bis 12.01.2001 wegen Phenytoin-Überdosierung beigefügt. In einem aufklärenden Schreiben vom 23.07.2002 hat das Sozialgericht den Kläger darauf hingewiesen, dass der Befundbericht keinerlei spezielle Beschwerden, die mit dem Ereignis vom 30.04.1993 in Verbindung zu bringen wären, ergebe. Ein medizinischer Kausalzusammenhang sei seines Erachtens nach fast neun Jahren nicht zu begründen. Es scheine daher auch entbehrlich zu sein, erneut in eine Beweiserhebung zu dem Geschehen vom 30.04.1993 einzutreten. Es werde empfohlen, die Klage zurückzunehmen. Andernfalls sei beabsichtigt, durch Gerichtsbescheid im schriftlichen Verfahren über die Klage zu entscheiden. Der Kläger hat daraufhin in einer Reihe von Schriftsätzen im August 2002 umfangreiche Ausführungen gemacht, die jedoch im Wesentlichen nicht auf die Fragestellung bezogen worden sind, sondern auf ein Parallelverfahren (S 30 VG 8/02 bzw. L 15 VG 10/02 WA).

Am 18.09.2002 hat dann das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Klage sei unbegründet, weil der Nachweis nicht habe erbracht werden können, dass auf den Kläger am 30.04.1993 ein bewaffneter Überfall in räuberischer Absicht verübt worden sei. Insbesondere könne der Nachweis wesentlicher Gesundheitsstörungen auf Grund des Ereignisses für die Folgezeit und die Gegenwart nicht geführt werden. Eine im Befundbericht von Dr.W. angedeutete Zuordnung von Symptomen zum fraglichen Angriff finde sich nicht im Befundbericht von Dr.L ... Angesichts dieser Lage habe das Gericht von der Einvernahme von Zeugen zu einem inzwischen neun Jahre zurückliegenden Geschehen abgesehen.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger mit Schriftsatz vom 31.10., eingegangen am 04.11.2002, Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Darin wirft der Kläger u.a. der am Ermittlungsverfahren beteiligten Staatsanwältin sowie den beteiligten Polizisten, der Regierung von Oberbayern, dem Bayerischen Landtag, der CSU, den in seinen Streitverfahren beteiligten Richtern des Sozialgerichts München und des Landessozialgerichts bewusste Fehlentscheidungen vor. Auch hat er immer wieder Ausführungen zu dem Parallelverfahren, in dem es um einen Streit mit seinem Vermieter am 03.08.1991 geht, gemacht.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts München vom 18.09.2002 und des Bescheids vom 07.03.1997 zu verurteilen, ihm aus Anlass der Gewalttat vom 30.04.1993 Versorgung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 18.09.2002 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten nach dem OEG, die Akte der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht München I (263 UJs 217179/93 a), die erledigten Klage- und Berufungsakten (S 28 VG 8/97 und L 15 VG 7/98) sowie den Inhalt des vorangegangenen Klageverfahrens beim Sozialgericht München (S 28 VG 32/99) und den Inhalt der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143,151 SGG). Sie ist zulässig, sachlich jedoch unbegründet.

Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage gegen den einen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 07.03.1997 abgewiesen. Aufgrund der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen anlässlich des Ereignisses vom 30.04.1993 kann nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad der "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" (Vollbeweis) festgestellt werden, dass der Kläger an diesem Tag Opfer einer Gewalttat im Sinne des § 1 Abs.1 OEG geworden ist.

Nach dieser Bestimmung erhält derjenige Versorgung für gesundheitliche und wirtschaftliche Schäden, der Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist.

Zwar behauptet der Kläger nach wie vor, am 30.04.1993 um ca. 22.30 Uhr Opfer eines Raubüberfalls geworden zu sein. Die zweimal von Nachbarn (um 23.12 Uhr und 23.37 Uhr) alarmierten Funkstreifenbesatzungen (Polizisten E. , H. , S. und S.) konnten laut staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsakte jedoch lediglich feststellen, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt stark angetrunken war, teilweise die wegen seiner Hilferufe herbeigeeilten Nachbarn als Täter beschuldigte und außer einer geringfügigen Schramme am Kopf keine Spuren eines Raubüberfalls festzustellen gewesen seien. Ein Arztbrief des Klinikums rechts der Isar vom 01.05.1993, wo sich der Kläger an diesem Tag in der chirurgischen Poliklinik vorgestellt habe, weil er gestern in eine Schlägerei verwickelt worden sei, stellte dementsprechend als Befunde lediglich einen Druckschmerz über beiden Jochbeinen und eine kleine Prellmarke links temporal fest. Dem Senat erscheint es folgerichtig, dass die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 18.10.1993 das Verfahren gegen die unbekannten Täter nach § 170 Abs.2 StPO eingestellt hat. Es wurde auch nicht mehr aufgenommen, obwohl sich der Kläger darum auf vielfältige Weise, u.a. durch Strafanzeige gegen einen Polizeibeamten wegen Falschaussage bemüht hat.

Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts, etwa durch Einvernahme von Zeugen war auch nach Auffassung des Senats nicht erforderlich und erfolgversprechend, da nach den aktenkundigen bisherigen Feststellungen keiner der vom Kläger genannten Zeugen die angebliche Gewalttat miterlebt hat.

Hinzukommt, dass auch eine vom Kläger geltend gemachte am 30.04.1993 erlittene schwerwiegendere Kopfverletzung nicht nachgewiesen ist. Das im vorhergehenden Berufungsverfahren vorgelegte Attest der Ärztin Dr.K. vom 25.08.1999 sowie die Beschwerdeschilderung der Praxisnachfolgerin Dr.W. in ihrem Befundbericht vom 08.03.2000 ergeben in Zusammenschau mit dem Befundbericht des den Kläger seit Juni 1994 behandelnden Nervenarztes Dr.L. vom 28.06.2002 keine Bestätigung dafür, dass die geltend gemachten Schmerzen im Bereich der linken Kopfhälfte sowie der Schwindel und die Anfälle sich seit dem 30.04.1993 wesentlich verschlimmert hätten. Auch ein in der OEG-Akte des Beklagten befindliches nervenfachärztliches Gutachten vom 23.06.1982 aufgrund eines Erstantrags auf Entschädigung nach Bundesversorgungsgesetz belegt, dass der Kläger aufgrund des 1945 erlittenen Schädel-Hirn-Traumas bereits seit 1973 unter Anfällen, Schwindelgefühlen und gelegentlichen Kopfschmerzen leidet.

Aufgrund dieser Beweislage konnten die gegenteiligen Aussagen des Klägers nicht nach § 6 Abs.3 OEG i.V.m. § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegopferversorgung (KOV-VfG) als glaubhaft unterstellt werden. Danach sind Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen sind, der Entscheidung zugrunde zulegen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Dies ist hier aber nicht der Fall. Denn die polizeilichen Ermittlungsergebnisse stützen die Aussagen des Klägers nicht. Außerdem besteht im Sozialrecht nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R -) keine Beweiserleichterung zu Gunsten des Antragstellers in Analogie zu dem im strafgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz "in dubio pro reo" (im Zweifel für den Angeklagten). Vielmehr gilt hier der Grundsatz der objektiven Beweislast, wonach eine verbleibende Unsicherheit über das Vorliegen von Anspruchsvoraussetzungen zu Lasten dessen geht, der den Anspruch geltend gemacht hat, d.h. hier zu Lasten des Klägers.

Somit war im vorliegenden Fall die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs.2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved