L 11 AL 197/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 552/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 197/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 06.03.2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen. -

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab dem 21.03.1998.

Der am 1939 geborene Kläger war vom 01.02.1960 bis 28.02.1995 als Magaziner bei der F. in S. versicherungspflichtig beschäftigt. Beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis erhielt er eine Brutto-Abfindung in Höhe von 58.000,00 DM. Bis zum 20.03.1998 bezog der Kläger von der Beklagten Arbeitslosengeld (Alg).

Am 03.02.1998 beantragte er die Gewährung von Anschluss-Alhi. Er gab an, zusammen mit seiner Ehefrau über ein Sparguthaben in Höhe von 3.373,43 DM zu verfügen. Auf Rückfrage der Beklagten erklärte er, 1997 sein Sparbuch mit einem Wert von 43.833,90 DM seiner Tochter G. zum Bau eines Hauses überschrieben zu haben.

Mit Bescheid vom 31.03.1998 lehnte die Beklagte den Alhi-Antrag des Klägers ab dem 21.03.1998 ab. Zusammen mit seiner Ehefrau verfüge er über ein Vermögen von 47.207,33 DM. Unter Berücksichtigung der Freigrenze von 16.000,00 DM verblieben 31.207,33 DM. Bei Teilung des zu berücksichtigenden Vermögens durch das wöchentliche Arbeitsentgelt, nach dem sich die Höhe seiner Alhi richte (640,00 DM) sei er für einen Zeitraum von 48 Wochen nicht bedürftig iS des § 193 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III).

Hiergegen legte der Kläger am 15.04.1998 Widerspruch ein. Er und seine Ehefrau verfügten lediglich über ein Vermögen in Höhe von 3.373,43 DM. Bei Übergabe des Sparbuches im Jahr 1997 an seine Tochter G. sei man sich darüber einig gewesen, dass für ihn und seine Ehefrau in dem neuen Haus Räumlichkeiten geschaffen würden, in die sie im Falle der Pflege einziehen könnten.

Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.1998 als unbegründet zurückgewiesen. Dem Kläger hätte bewusst sein müssen, dass sein Anspruch auf Alg nicht bis zum Beginn der Rentenzahlung reichen würde. Auch wenn ein Grund für die Schenkung an seine Tochter in Höhe von 43.833,90 DM vorgelegen hätte, sei eine solche von ihm zu Lasten der Steuerzahler vorgenommen worden, um die eigene Bedürftigkeit vorsätzlich herbeizuführen. Dem Kläger müsse deshalb zugemutet werden, die verschenkten Beträge wieder von seiner Tochter zurückzufordern.

Dagegen hat der Kläger am 03.09.1998 Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben. Voraussetzung für die Übertragung des Sparbuches sei die Bereitschaft seiner Tochter gewesen, die Eltern im Alter bzw im Pflegefall im neuen Haus aufzunehmen. Zwei Zimmer seien in dem errichteten Gebäude extra hierfür vorgesehen worden. Eine schriftliche Abmachung bezüglich eines Wohnrechts bzw einer Pflegezusage habe es jedoch nicht gegeben.

Die in der mündlichen Verhandlung vor dem SG vom 06.03.2002 als Zeugin vernommene G. S. hat bestätigt, dass ihren Eltern im Pflegefall zwei separate Räume im neuen Haus zur Verfügung gestellt werden sollten. Sie habe die Zahlung des Vaters als Schenkung aufgefasst, wobei dahinter die moralische Verpflichtung gestanden habe, die Eltern zu pflegen. Die Versorgung der Eltern hätte sie auch ohne finanzielle Leistung als Verpflichtung angesehen.

Ihr ebenfalls als Zeuge vernommener Ehemann J. S. hat dies bestätigt.

Das SG hat mit Urteil vom 06.03.2002 den angefochtenen Bescheid vom 31.03.1998 idG des Widerspruchsbescheides vom 30.07.1998 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Alhi zu gewähren. Nach den glaubwürdigen Zeugenaussagen von G. und J. S. habe es sich bei der Übergabe des Sparbuches um eine Schenkung gehandelt, die mit der Erwartung verbunden gewesen sei, dass die Eltern im Notfall im neu errichteten Haus der Kinder wohnen und von diesen gepflegt werden sollten. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger seine Bedürftigkeit vorsätzlich herbeigeführt habe, weil er damit rechnen musste, dass ein Alg-Anspruch nicht bis zum Renteneintritt reichen würde. Der Hausbau der Tochter sowie die Zusage späterer Pflege seien triftige Gründe für die Schenkung gewesen. Da diese ca. ein Jahr vor seinem Alhi-Antrag erfolgt sei, deute nichts auf eine Manipulationsabsicht des Klägers hin. Wenn die Beklagte aufgrund des Alters des Klägers von 58 Jahren davon ausgegangen sei, dass dieser nicht mehr vermittelbar gewesen wäre, hätte sie ihm mangels Verfügbarkeit keine Leistungen bewilligen dürfen.

Gegen das ihr am 23.04.2002 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 23.05.2002 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegten Berufung.

Im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung seien auch Rückforderungsansprüche gemäß § 528 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien erfüllt, da der Kläger durch die Schenkung an seine Tochter hilfsbedürftig geworden sei. Die Schenkung sei ausschließlich im Hinblick auf den Alhi-Bezug erfolgt (§ 516 BGB). Nachdem der Kläger nach Vollziehung der Schenkung außerstande sei, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, lägen die Voraussetzungen des § 528 Abs 1 BGB vor. Er sei deshalb nicht bedürftig iS des § 193 SGB III.

Soweit er bei subjektiver Betrachtung durch die Schenkung einen Betrag zu einer angemessenen Alterssicherung habe erbringen wollen, sei dies für die Privilegierung nach § 6 Abs 3 Satz 3 Nr 3 Arbeitslosenhilfeverordnung (AlhiVO) nicht ausreichend, da die subjektive Zweckbestimmung nicht durch objektive Begleitumstände nachgewiesen sei. Insbesondere habe der Kläger keinen rechtlich durchsetzbaren Anspruch gegenüber seiner Tochter mangels schriftlicher Vereinbarung.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 06.03.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen; hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die seiner Tochter und ihrem Ehemann geschenkten 43.833,90 DM seien diesen übergeben worden, um im Falle des Alters und in Notfällen gepflegt zu werden. Eine schriftliche Fixierung der Vereinbarung hätte lediglich zur Folge gehabt, dass er im Streitfall die getroffene Abmachung hätte besser beweisen können.

Auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakten des SG und des BayLSG wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).

In der Sache erweist sich die Berufung jedoch als unbegründet, denn das SG hat im angefochtenen Urteil vom 06.03.2002 zu Recht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31.03.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.1998 verpflichtet, dem Kläger ab 21.03.1998 Alhi zu zahlen.

Nicht bedürftig ist ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt ist (§ 193 Abs 2 SGB III).

Vermögen iS des § 193 Abs 2 SGB III und des auf der Rechtsgrundlage des § 206 SGB III erlassenen § 6 der Arbeitslosenhilfeverordnung (AlhiVO) ist dabei die Gesamtheit der dem Vermögensträger (hier dem Kläger) gehörenden Sachen und Rechte in Geldeswert (vgl die stRspr des BSG, zB BSGE 41, 187, 188; BSG in SozR 4100 § 138 Nr 5 mwN; BSG in SozR 3-4100 § 137 Nr 4). Das Vermögen des Klägers belief sich nach Übergabe seine Sparbuches lediglich auf 3.373,43 DM. Zwar war über die Schenkung an seine Tochter in Höhe von 43.833,90 DM keine notarielle Vereinbarung geschlossen und damit den Formvorschriften des § 518 Abs 1 BGB nicht genügt worden. Mit der Übergabe des Spar- buches hatte der Kläger jedoch die Schenkung bewirkt (§ 518 Abs 2 BGB). Das ihm verbliebene Vermögen überstieg danach nicht den Freibetrag des § 6 Abs 1 AlhiVO.

Der Auffassung der Beklagten, der Kläger müsse sich den zivilrechtlichen Rückforderungs- bzw Rückübertragungsanspruch nach § 528 BGB als fiktives Vermögen anrechnen lassen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Alhi dient grundsätzlich der Sicherstellung des Lebensunterhaltes des Arbeitslosen. Mit dieser Leistung sollen Personen, die keinen Anspruch auf Alg haben, Arbeitnehmer iS des SGB III sind und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen, im Falle ihrer Arbeitslosigkeit mit in den Kreis der durch SGB III finanziell gesicherten Personen einbezogen werden und nicht auf Sozialhilfe angewiesen sein (vgl bereits zur alten Rechtslage BSG vom 04.09.1997 - 7 RAr 63/78 in SozR 4100 § 134 AFG Nr 16 mwN). Auch die mit bedingtem Vorsatz erfolgte Herbeiführung der Bedürftigkeit schloss deshalb nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) den Anspruch auf Alhi nicht aus, denn nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck des § 137 Abs 2 AFG kam es nicht auf die Gründe der Bedürftigkeit an (BSG vom 07.09.1988 - 11/7 RAr 81/87 in SozR 4100 § 138 AFG Nr 22).

Weder im SGB III noch in der AlhiVO findet sich seit dem 01.01.1998 ein Ansatz für die Berücksichtigung von im Bezugszeitpunkt (= der Antragstellung auf Alhi) nicht vorhandenem, also fiktivem Vermögen bei der Prüfung der Bedürftigkeit in Zusammenhang mit der Gewährung von Alhi. Da nach § 8 Satz 1 AlhiVO der Bezugszeitpunkt für die Vermögensberücksichtigung grundsätzlich der Tag der Antragstellung sein soll, sind vor diesem Zeitpunkt liegende Vermögensdispositionen, die - wie hier - zur Vermögensminderung führen, anzuerkennen (vgl dazu auch Ebsen in Gagel, Kommentar zum SGB III, § 193 Rdnr 76 ff, 130). Dem zivilrechtlichen Rückforderungsanspruch des Klägers gegen seine Tochter für den Fall des Notbedarfes nach § 528 BGB kommt deshalb nach Auffassung des Senats kein Recht in Geldeswert und damit kein Vermögenswert iS des § 193 Abs 2 SGB III zu. Ob er den Rückforderungsanspruch nach § 528 BGB wegen Notbedarfs geltend machen will, bleibt dem bedürftig gewordenen Schenker grundsätzlich selbst überlassen (vgl dazu Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 25.04.2001 - XZR 205/99 in Medizinrecht 2001, S 364 mwN). Eine Verpflichtung des Schenkers zur Geltendmachung dieses Anspruches besteht dagegen nicht.

Selbst wenn dem Anspruch nach § 528 BGB ein Vermögenswert zukäme, ist nach § 6 Abs 3 AlhiVO in der hier anwendbaren Fassung des Rentenreformgesetzes 1999 (BGBl I S 2998) die Verwertung eines Vermögens nur dann zumutbar, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich ist und unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens und seiner Angehörigen billigerweise nicht erwartet werden kann. Im vorliegenden Fall hatte der Kläger sein späteres Wohnrecht im Hause der Tochter G. zwar nicht dinglich abgesichert, doch kann aufgrund der genauen Planungen und der glaubhaften Zeugenaussagen der Tochter und des Schwiegersohnes des Klägers davon ausgegangen werden, dass er dort zusammen mit seiner Ehefrau im Alter und für den Fall der Pflege Aufnahme finden konnte. Da nach dem Willen des Verordnungsgebers in § 6 Abs 3 AlhiVO auch Vermögen geschützt werden sollte, das für eine angemessene Altersicherung bestimmt war, konnte vom Kläger die Geltendmachung des zivilrechtlichen Rückforderungsanspruchs nach § 528 BGB im vorliegenden Fall nicht billigerweise erwartet werden (§ 6 Abs 3 Satz 1 AlhiVO). Sein Anspruch auf Alhi wurde entgegen der Auffassung der Beklagten nicht dadurch ausgeschlossen, dass er die Bedürftigkeit mit bedingtem Vorsatz herbeigeführt hatte, denn die von ihm glaubhaft vorgetragenen Gründe für die Schenkung stehen in Übereinstimmung mit den vom Gesetz geschützten privaten Dispositionen für eine angemessene Alterssicherung.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Würzburg vom 06.03.2002 war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache war die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) zuzulassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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