L 5 RJ 431/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 RJ 279/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 431/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RJ 114/03 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 18. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen. -

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Wirksamkeit einer Klagerücknahme.

Der am 1934 geborene Kläger hat in den zurückliegenden 20 Jahren mehr als 20 Sozialgerichtsverfahren geführt. Ab 01.04.1999 bewilligte ihm die Beklagte Regelaltersrente in Höhe von 846,37 DM monatlich und behielt die Nachzahlung für April 1999 vorläufig ein; davon überwies sie in Ausführung des Bescheids vom 21.04.1999 423,18 DM an das Landesarbeitsamt Nordbayern, das wegen einer Forderung über 1.002,75 DM am 11.01.1996 an die Beklagte ein Verrechnungsersuchen gerichtet hatte. Den Widerspruch gegen diese Regelung wies die Beklagte am 03.08.1999 zurück. Dagegen hat der Kläger unter dem Az. S 7 RJ 470/99 am 09.08. 1999 Klage erhoben. In der von 9.30 Uhr bis 10.35 Uhr dauernden mündlichen Verhandlung am 19.03.2002 hat der Kläger zu seinen persönlichen Verhältnissen Angaben gemacht und schließlich die Klage zurückgenommen. Dies ist dem Kläger vorgelesen und von ihm genehmigt worden. Am 27.03.2002 ist beim Sozialgericht ein Schreiben des Klägers vom 24.03.2002 eingegangen, worin er behauptet hat, dass der Sachverhalt am 19.03.2002 vom Richter falsch dargestellt worden sei. Der Richter habe drohend gesagt, er verhindere eine Berufung und erlege ihm einige 100 Euro auf, wenn er die Klage nicht zurücknehme. Er habe deshalb keine andere Möglichkeit gehabt, als die Klage mit Bedingungen zurückzunehmen. Er beantrage deshalb, die Sache an einen anderen Richter zu übertragen oder an das LSG weiterzuleiten. Nach Aufklärung über die Erledigung des Rechtsstreits hat er in einem weiteren Schreiben vom 02.04.2002 geltend gemacht, dass er niemals einer Klagerücknahme zugestimmt habe. Wenn ein Richter das anders darstelle, entspreche das nicht der Wahrheit und sei gesetzeswidrig. Mit Gerichtsbescheid vom 18.07.2002 hat das Sozialgericht festgestellt, dass der Rechtsstreit S 7 RJ 470/99 erledigt sei. Der Kläger habe die Rücknahme selbst zu Protokoll erklärt und diese Erklärung sei vorgelesen und genehmigt worden. Hinweise für einen die Prozessfähigkeit beeinträchtigenden oder ausschließenden Zustand hätten sich nicht ergeben. Gegen den am 25.07.2002 zugstellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12.08.2002 Berufung eingelegt. Er habe die Klage niemals zurückgenommen und bitte um Auszahlung des Geldes, das unrechtmäßig einbehalten worden sei. Mit seiner Familie und zwei schulpflichtigen Kindern sei er auf das Geld dringend angewiesen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erneut bestritten, die Klage zurückgenommen zu haben.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 18.07.2002 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21.04.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 03.08.1999 zu verurteilen, 423,18 DM an ihn auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 18.07.2002 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Regensburg sowie der Berufungsakten Bezug genommen. -

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 18.07.2002 ist nicht zu beanstanden. Der Rechtsstreit S 7 RJ 470/99 ist durch Klagerücknahme erledigt worden. Die Klagerücknahme stellt eine Prozesshandlung dar, deren Wirksamkeit nur unter eng begrenzten Voraussetzungen beseitigt werden kann. Zunächst bestehen keine Zweifel, dass der Kläger die Klagerücknahme tatsächlich erklärt hat. Wenngleich der Kläger wiederholt behauptet hat, die Klage niemals zurückgenommen zu haben, spricht die Beweiskraft des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 19.03.2002 doch für das Gegenteil. Darin ist die ausdrückliche Erklärung des Klägers über die Klagerücknahme ebenso festgehalten wie die Tatsache, dass diese Erklärung dem Kläger vorgelesen und von diesem genehmigt worden ist. Schließlich hat der Kläger in seiner ersten Einlassung vier Tage nach der mündlichen Verhandlung mit Schreiben vom 24.03.2002 selbst angegeben, die Rücknahme erklärt zu haben. Dass diese Erklärung unter einer Bedingung abgegeben worden ist, ist nicht nachgewiesen. Willensmängel bei prozessualen Erklärungen wie der Klagerücknahme hat der Gesetzgeber mit speziellen Vorschriften über die Prozessunfähigkeit und die Wiederaufnahme des Verfahrens unter eng begrenzten Voraussetzungen (§§ 71, 179, 180 SGG) erfasst und so bestimmt, dass die Vorschriften des materiellen Rechts über die Anfechtung von Willenserklärungen auf Prozesshandlungen auch nicht entsprechend anwendbar sind. Die Rücknahmeerklärung kann auch grundsätzlich nicht widerrufen werden. Ausnahmsweise wäre dies unter den Voraussetzungen der Wiederaufnahme zulässig, wofür aber keine Anhaltspunkte bestehen. Insbesondere erscheint es ausgeschlossen, dass sich der Richter einer straf- baren Amtspflichtverletzung schuldig gemacht haben sollte (§ 580 Nr.5 ZPO). So hat er zutreffend darauf hingewiesen, dass die Berufung bei einer Klage mit einem Beschwerdegegenstand unter 1.000,00 DM der Zulassung bedarf (§ 144 I Ziffer 1 SGG) und den Beteiligten Kosten nach § 192 SGG auferlegt werden können. Die letztgenannte Entscheidung obliegt dem Ermessen des Gerichts, das - korrekt - offensichtlich erst nach der gebotenen umfangreichen Anhörung des Klägers ausgeübt worden ist. Auch nach Anhörung des Klägers ist nicht erwiesen, dass auf ihn von Seiten des Richters unangemessener Druck ausgeübt worden ist. Ein solcher kann in Extremfällen zum Verlust der Prozessfähigkeit führen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, Rdnr.7c zu § 102). Vorübergehende Prozessunfähigkeit liegt nur vor, wenn eine Erklärung im Zustand der Bewusstlosigkeit oder der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird (§ 105 Abs.2 BGB). Nachdem der Kläger über umfangreiche Pro- zesserfahrung aus zahlreichen Klageverfahren vor Sozialgerichten und Landessozialgericht verfügt, erscheint es ausgeschlossen, dass er sich bis zum Zustand der Willensunfähigkeit unter Druck setzen lässt. Nicht nachvollziehbar ist auch, weshalb der Kläger die Androhung von Mutwillenskosten als Drohung empfunden hat, wenn er doch laut seinen eigenen wiederholten Angaben über keinerlei finanzielle Mittel verfügt. Schließlich sind die Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Einlassung durch seine undifferenzierte Angabe in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, das Protokoll stimme nicht, lediglich verstärkt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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