L 20 RJ 89/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 924/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 89/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 RJ 100/03 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.12.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am 1962 geborene Kläger hat nach seinen Angaben den Beruf eines Rohrnetzbauers erlernt (Prüfung 1981) und bis 1988 in diesen Beruf bei der Stadt N. gearbeitet. Mit Wirkung ab 01.07.1988 wurde er bei demselben Arbeitgeber in den Bereich Bauhof/Kläranlage versetzt und war in der Folgezeit überwiegend betraut mit der Pflege von Grünanlagen, Tätigkeiten in der Stadtreinigung, des Gebäude- und Kanalunterhalts, bei Transportarbeiten und beim Winterdienst. Am 30.07.1995 erlitt der Kläger einen (privaten) Motorradunfall, bei dem er sich u.a. ein Schädel-Hirn-Trauma sowie eine Verletzung der Armplexusnerven rechts zuzog. Im Wesentlichen wegen der Unfallfolgen bezog der Kläger in der Zeit vom 01.02.1996 bis 31.07.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit (festgestellt mit Bescheid vom 15.11.1996). Die Weitergewährung der Rente über diesen Zeitpunkt hinaus lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04.09.1997 und Widerspruchsbescheid vom 18.12.1997 ab, da der Kläger nach neurologischer und sozialmedizinischer Begutachtung wieder für fähig erachtet wurde, leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Anforderungen an die grobe Kraft beider Arme vollschichtig zu verrichten. Dieser Bescheid ist rechtsverbindlich geworden.

Am 07.04.1998 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte ließ ihn untersuchen durch die Sozialmedizinerin Dr.D. , die im Gutachten vom 24.04.1998 die Auffassung vertrat, der Kläger könne als Rohrnetzbauer und Bauhofarbeiter nicht mehr eingesetzt werden; die Verrichtung körperlich leichter Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, möglichst in wechselnder Körperhaltung, ohne besondere Anforderungen an Heben und Halten der rechten Hand sei jedoch ohne zeitliche Einschränkungen möglich.

Die Beklagte lehnte diesen Rentenantrag mit Bescheid vom 19.05.1998 ab. Der Kläger erhob dagegen Widerspruch unter Vorlage von Attesten des Neurologen Dr.R. und des Orthopäden Dr.U ... Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 10.09.1998 zurück, da der Kläger nach seinem beruflichen Werdegang auch hinsichtlich der Berufsunfähigkeit an der Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu messen sei.

Dagegen hat der Kläger am 09.10.1998 Klage beim Sozialgericht Nürnberg erhoben. Er ließ vortragen, die Beklagte habe die Wertigkeit seines bisherigen Berufs verkannt. Die zuletzt vor dem Unfall verrichtete Tätigkeit, nämlich der Einsatz im Straßen- und Wegebau im Bauhof sei von den Anforderungen her dem Lehrberuf eines Rohrnetzbauers gleichwertig zu erachten. Durch die Gewährung finanzieller Zulagen sei er sogar besser gestellt worden als vorher. Es müsse sich auf ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht verweisen lassen. Im Übrigen sei er aufgrund seiner Gesundheitsstörungen für ganztägige Arbeitseinsätze nicht mehr belastbar. Das SG hat Befundberichte des Allgemeinarztes P. und des Nervenarztes Dr.R. eingeholt. Auf Antrag des Klägers (§ 109 SGG) hat der Nervenarzt Dr.R. des Gutachten vom 08.06.1999 erstattet. Auf Veranlassung des Gerichts hat die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.O. das Gutachten vom 08.03.2000 mit Zusatzbegutachtung durch Frau Prof.S. (testpsychologisches Gutachten) vom 16.03.2000 erstellt. Während Dr.R. die Auffassung vertrat, der Kläger sei nur noch im Umfang bis unterhalbschichtig belastbar, hielten Dr.O. wie auch Prof.S. eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens für nicht gerechtfertigt. Sie konnten weder psychiatrische Krankheitsbilder beim Kläger noch Störungen der Konzentrations- oder Gedächtnisleistung in einem rentenerheblichen Ausmaß bestätigen. Gegen die Begutachtung hat der Kläger durch Dr.R. am 13.06.2000 Einwendungen erhoben, die von Dr.O. und Prof.Dr.S. in ergänzenden Stellungnahmen beantwortet wurden. Die Beklagte hat als konkret zumutbare Verweisungstätigkeiten für den Kläger benannt: Telefonist, Kontrolleur und Prüfer, Büro- und Registraturhilfskraft, einfacher Tagespförtner.

Mit Urteil vom 12.12.2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat sich in der Leistungseinschätzung den Gutachten von Dr.O. und Prof.Dr.S. angeschlossen, nach denen keine quantitative Leistungsminderung beim Kläger zu begründen war. Dem Kläger stehe auch kein besonderer Berufsschutz zu, denn er sei nach seinem maßgeblichen bisherigen Beruf allenfalls als angelernter Arbeiter im unteren Bereich des Mehrstufenschemas anzusehen. Seinen erlernten Fachberuf als Rohrnetzbauer habe der Kläger lange vor dem Unfallereignis nicht gesundheitsbedingt aufgegeben. Der Kläger könne auch unter Beachtung der Gebrauchseinschränkung des rechten Armes zumutbar auf Tätigkeiten eines einfachen Tagespförtners verwiesen werden. Im Übrigen stehe der Kläger weiterhin in vollschichtiger Beschäftigung bei der Stadt N. , was einem Rentenanspruch aus rechtlichen Gründen entgegenstehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 16.02.2001 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers. Dieser verlangt weiterhin die Gewährung von Rente wegen Erwerbs-, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit. Es sei aufgrund seines Gesundheitszustandes zeitlich keinesfalls uneingeschränkt einsetzbar und nicht belastbar. Der Senat hat einen Befundbericht des Orthopäden Dr.U. zum Verfahren beigenommen, der im Wesentlichen unveränderte Befunde seit 1998 bestätigte und auch Arztbriefe der Orthopädischen Klinik in R. vorlegte. Der Senat hat den Orthopäden Dr.H. zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat das Gutachten vom 24.10.2001 nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstattet. Er hielt den Kläger in Vollschicht belastbar für überwiegend leichte Arbeiten, mittelschwere Arbeiten sollten nur bis etwa halbschichtig abverlangt werden. In seinem Beruf als Straßenreinigungsvorarbeiter könne er weiterhin eingesetzt werden. Auf Antrag des Klägers hat die Orthopädin Dr.M. von der Orthopädischen Klinik der Stadt F. das weitere Gutachten vom 14.08.2002 erstattet. Auch sie hielt den Kläger für vollschichtig belastbar mit leichten körperlichen Arbeiten. Der Kläger sollte möglichst in warmen geschlossen Räumen arbeiten können; eine Pförtnertätigkeit sei ihm zumutbar. Die Beklagte hat sich zu dem Gutachten geäußert: Die Funktionsfähigkeit der rechten Hand und des rechten Armes sei beim Kläger zwar erheblich eingeschränkt, einem Einarmigen sei er aber dennoch nicht gleichzusetzen. Nach Rechtsprechung des BSG seien selbst Versicherte, die den Verlust des gesamten rechten Armes zu beklagen hatten, auf Tätigkeiten als Telefonisten, Fahrstuhlführer oder Pförtner verwiesen worden.

Der Kläger beantragt, weitere Sachaufklärung im Sinne des Schriftsatzes vom 11.11.2002 durchzuführen, beschränkt auf die Einholung eines weiteren neurologisch-psychiatrischen Gutachtens. In der Hauptsache beantragt er, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.12.2000 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.05.1998 idF des Widerspruchsbescheides vom 10.09.1998 zu verurteilen, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten, die Prozessakte des SG Nürnberg und die Schwerbehinderten-Akte des AVF Nürnberg (GdB = 70) vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG) und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger auch nur Rente wegen Berufsunfähigkeit im Sinne des § 43 Abs 2 SGB VI (in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung) nicht zusteht. Der Kläger ist im sozialgerichtlichen Verfahren insbesondere auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet umfangreich untersucht und begutachtet worden. Psychiatrische Störungen von Krankheitswert waren beim Kläger nach den Gutachten von Dr.O. und Prof.S. nicht festzustellen. Die von dem Unfallereignis herrührenden Nervenschädigungen des rechten Armes sind ausführlich diskutiert und leistungsmäßig bewertet worden. Der Kläger kann die rechte Hand und den Arm nur noch für Stütz- und Hilfsfunktionen nützen und praktiziert dies auch so. Im Berufungsverfahren haben orthopädische Begutachtungen von Amts wegen durch Dr.H. und auf Antrag des Klägers durch Dr.M. stattgefunden. Diese haben im Ergebnis ein vollschichtiges Leistungsvermögen des Klägers für zumindest leichte Tätigkeiten aufgezeigt, zeitweise auch für mittelschwere Tätigkeiten. Wenn von Dr.M. gefordert wird, dass der Kläger möglichst in warmen, geschlossenen Räumen arbeiten sollte, ist dies mit dem Berufsbild eines Stadtbildpflegers/Straßenreinigers zwar nicht vereinbar. Das SG hat jedoch zutreffend herausgestellt, dass sich der Kläger schon frühzeitig im Jahre 1988 von seinem erlernten Beruf des Rohrnetzbauers gelöst hat, danach verschiedene Arbeiten als Bauhofmitarbeiter verrichtet hat und erst nach Wegfall der Zeitrente überwiegend in der Straßenreinigung eingesetzt wurde. In der mündlichen Verhandlung am 13.11.2002 hat der Kläger nochmals eingeräumt, dass die Umsetzung im Jahre 1988 von den Stadtwerken in den Bereich Bauhof/Kläranlagen nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern aus kollegialen Überlegungen erfolgt ist. Der "bisherige Beruf" des Klägers im Sinne des § 43 Abs 2 SGB VI ist deshalb der eines Bauhofmitarbeiters (gemischtförmige Tätigkeiten ohne Facharbeitscharakter), wie auch das SG zu Recht herausgestellt hat. Der Kläger ist als einfach angelernter Arbeiter auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Sieht man - wie das SG - die Behinderung der Funktionsfähigkeit des rechten Armes als "schwere spezifische Behinderung" an, hat das SG (wie auch die Beklagte) eine zumutbare Verweisungstätigkeit genannt, nämlich den Einsatz als einfacher Tagespförtner. Einer derartigen Tätigkeit ist der Kläger nach seiner körperlichen, wie auch seiner geistigen Leistungsfähigkeit durchaus gewachsen, da er über eine durchschnittliche Intelligenz verfügt und auch in der Lage ist, diese beruflich und privat einzusetzen. Da dem Kläger zumindest eine geeignete und zumutbare Verweisungstätigkeit zur Verfügung steht, ist er nicht berufsunfähig. Er erfüllt noch weniger die strengeren Anforderungen an die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 SGB VI (in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung). Im Übrigen steht einem Rentenanspruch wegen Erwerbsunfähigkeit schon die vom Kläger derzeit noch ausgeübte Beschäftigung bei der Stadt N. entgegen. Der Kläger hat zumindest bis Dezember 1999 keine Lohneinbuße gegenüber seinen früheren Tätigkeiten erlitten (vgl Niederschrift vor dem SG vom 07.12.1999). Auch derzeit steht der Kläger noch in vollschichtiger Beschäftigung und erzielt entsprechendes Einkommen. Selbst wenn sich der Kläger durch diese Arbeit gesundheitlich überfordert fühlt, bleibt dennoch die Tatsache, dass er am Erwerbsleben teilnimmt und seiner Leistung entsprechenden Arbeitslohn erzielt; für die Gewährung von Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist dann regelmäßig kein Raum (vgl dazu Urteile des BSG vom 14.09.1978, Az: 11 RA 86/77 und vom 18.03.1982, Az: 11 RA 26/81).

Dem weiteren Beweisantrag des Klägers auf Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens war nicht stattzugeben. Die nach Auffassung des Klägers noch zu stellende Frage nach einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist durch die vom SG wie auch im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr.O. , Prof.S. und Dr.H. , Dr.M. hinreichend deutlich beanwortet. In den Gutachten sind sowohl die Gebrauchsbehinderung des rechten Armes, wie auch die augenärztlichen Befunde (Seite 14 des Gutachtens Dr.O.) und schließlich auch die Konzentrations- und Gedächtnisleistungen und damit zusammenhängend die "Umstellungsfähigkeit" auf neue oder weitere berufliche Anforderungen ausführlich beschrieben und bewertet (lt. Gutachten Prof.S. vom 16.03.2000: Durchschnittliche intellektuelle und psychische Belastbarkeit des Probanden bei gegebener Umstellungsfähigkeit). Mit dem SG ist auch der Senat der Auffassung, dass ein Abweichen von diesen Feststellungen nicht veranlasst und eine weitere diesbezügliche Beweiserhebung nicht erforderlich ist.

Die Berufung des Klägers war demnach zurückzuweisen mit der Folge, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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