S 2 (17) KA 26/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 (17) KA 26/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klagerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit vorläufiger Honorareinbehalte.

Die Klägerin ist als Ärztin - Medizinische Genetik - in N zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Mit Schreiben vom 12.09.2000 teilte die Bezirksstelle Linker Niederrhein der Klägerin mit, bezugnehmend auf den Beschluss des Vorstandes der Beklagten werde sie zur Sicherung möglicher Erstattungs- oder Schadensersatzansprüche ab der Septemberrate 30 % der fälligen Honorarforderungen gemäß § 4 Ziffer 13 des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) einbehalten.

Diesem Bescheid widersprach die Klägerin. Der Honorareinbehalt sei bereits allein deswegen rechtswidrig, weil noch nicht einmal die angebliche Rückforderung beziffert sei und keinerlei Rückforderungsbescheid erlassen worden sei. Zudem gefährdeten die Kürzungen ihre Existenz, weil die Ausgaben für die Praxis höher seien als die Einnahmen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.06.2001 wies der Vorstand der Beklagten den Widerspruch zurück:

Das Ermessen sei durch den Vorstand pflichtgemäß ausgeübt worden. Vor der Zustimmung zu den Honorareinbehalten habe sich der Vorstand in seiner Sitzung ausführlich und unter Würdigung aller Aspekte mit dem Sachverhalt befasst. Dem Höchsteinbehalt von 30 % sei insbesondere wegen der Schwere der Vorwürfe, wie sie in der Antragsschrift an den Zulassungsausschuss deutlich würden, zugestimmt worden. Die Gewichtigkeit der Vorwürfe habe der Zulassungsausschuss für Ärzte ebenso gesehen und mit Beschluss vom 22.01.2001 die Zulassung der Klägerin entzogen.

Von besonderem Gewicht sei bei der Entscheidung des Vorstandes die Tatsache gewesen, dass die Klägerin unter Missachtung der Allgemeinen Bestimmungen zum EBM Abschnitt A I 1 Satz l bewusst Leistungen abgerechnet habe, die sie nicht entsprechend den Leistungslegenden der Nrn. 7140, 7116, 3885, 3887, 172 und 4975 EBM erbracht habe. Ferner sei zum Teil die nicht zulässige analoge Abrechnung von Gebührenordnungspositionen erfolgt. Angesichts des geschilderten Sachverhaltes, aus dem auch sachlich-rechnerische Berichtigungen resultierten, das heißt Streichungen und/oder Umwandlungen der o.g. Gebührenordnungspositionen durchgeführt würden, habe sich der Vorstand der Beklagten gezwungen gesehen, von der Obergrenze des § 4 Ziff. 13 HVM Gebrauch zu machen. Dies diene auch dem Schutz aller Mitglieder der Beklagten, da eine Sicherung des Schadens, der durch die ungerechtfertigte Auszahlung von Honorar an die Praxis der Klägerin entstanden sei, im Interesse aller Ärzte liege.

Hiergegen richtet sich die am 31.07.2001 erhobene Klage.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte könne den Honorareinbehalt nicht auf § 4 Abs. 13 HVM stützen, da diese Bestimmung wegen Fehlens einer Rechtsgrundlage unwirksam sei. Insbesondere scheide § 85 Abs. 4 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) als Ermächtigungsgrundlage aus.

Jedenfalls sei das in § 4 Abs. 13 HVM eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt worden. Selbst im Zeitpunkt der Erteilung des Widerspruchsbescheides sei noch nicht einmal eine Aufstellung über die angeblichen Forderungen vorgelegt worden und keinerlei Honorarberichtigungsbescheid erfolgt. Für die hier vorliegende reine Anfechtungsklage sei maßgeblich die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes bzw. des Widerspruchsbescheides, so dass auch ein späterer Berichtigungsbescheid an der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide nichts ändern würde. Zudem habe der Berufungsausschuss den Entziehungsbescheid des Zulassungsausschusses wieder aufgehoben, da die Beklagte ohne ausreichende Feststellungen und ohne Erlass eines Berichtigungsbescheides die Klägerin rechtsmissbräuchlich mit einem Zulassungsentziehungsverfahren überzogen habe. Daher lägen nicht einmal die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Ermessenausübung vor. Im Übrigen sei die Abrechnung der Klägerin korrekt gewesen, wie durch eine Stellungnahme des Berufsverbandes Deutscher Humangenetiker bestätigt werde. Schließlich seien die Honorareinbehalte für die Klägerin ruinös, da sie für das Jahr 2001 einen Verlust in Höhe von 00.000,- DM zur Folge hätten.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 12. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und weist darauf hin, dass sie gegen den Beschluss des Berufungsausschusses Klage erhoben habe.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese rechtmäßig sind.

Nach § 4 Abs. 13 HVM können zur vorläufigen Sicherung möglicher Erstattungs- oder Schadensersatzansprüche nur mit Zustimmung des Vorstandes der KV Nordrhein bis zu 30 % der fälligen Honoraranforderungen einbehalten werden, wenn gegen den Arzt ein Verfahren auf Entziehung der Kassenzulassung anhängig ist oder ein rechtskräftiges Urteil bzw. ein unanfechtbarer Strafbefehl wegen betrügerischer Abrechnung vorliegt und Schadensersatzansprüche angemeldet werden. Die Einbehaltungen werden mit den banküblichen Darlehenszinsen verzinst und an den Arzt ausbezahlt, wenn und soweit sich die vorläufige Sicherung als unberechtigt oder überhöht erweist.

Diese Regelungen stützen sich auf eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage.

Wie das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in einer grundlegenden Entscheidung (Urteil vom 08.11.1989 - L 11 Ka 60/89 -) zu der insoweit vergleichbaren Vorschrift des § 4 Ziffer 6 des HVM der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe ausgeführt hat, handelt es sich bei diesen Regelungen um Satzungsrecht (§ 81 SGB V). Den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen (K(Z)V) sei die Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung übertragen (§ 75 SGB V). Zu den wesentlichen Erfordernissen der Versorgung gehöre auch die sorgfältige und wahrheitsgemäße Abrechnung von Leistungen, die sie zu gewährleisten habe. Mit diesen Verpflichtungen sei der K(Z)V zugleich die Befugnis übertragen, die zur Erfüllung dieser Aufgaben erforderlichen Maßnahmen, insbesondere auch normative Regelungen, zu treffen. Unabhängig davon seien auch die Anforderungen des § 85 Abs. 4 SGB V erfüllt. Wenn dort von der Verteilung der Gesamtvergütung gesprochen werde, so sei unter Verteilung nicht zu verstehen, dass die K(Z)V bloße Zahlstelle, bloße Durchgangsstation der Gesamtvergütung wäre, die lediglich diese Gesamtvergütung weiterreiche, das Honorar auszuzahlen habe. Wenn sie Verwaltungsgebühren von den auszuzahlenden Honoraren abziehen dürfe, dann seien ihr unter Ordnungsgesichtspunkten auch zunächst vorläufige Honorareinbehaltungen zuzugestehen, die lediglich ihrer Sicherung dienten. Dass der HVM nicht nur der Verteilung diene, ergebe sich aus dem Gesetz selbst. Er solle nämlich zugleich sicherstellen, dass eine übermäßige Ausdehnung der Tätigkeit des Vertrags(zahn)Arztes verhütet werde (§ 85 Abs. 4 Satz 5 SGB V). Verstöße gegen Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) lägen durch die vorläufigen Sicherungseinbehalte nicht vor.

Dieser Judikatur und den darauf fußenden Beschlüssen vom 28.03.1990 - L 11 S (Ka) 14/90 -, vom 25.11.1992 - L 11 S (Ka) 21/92 -, vom 22.02.1996 - L 11 SKa 55/95 -, vom 13.03.2001 - L 11 B 12/01 KA ER - und vom 21.12.2001 - L 11 B 65/00 KA ER - schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung und Bewertung vollinhaltlich an.

Ist die Ermächtigungsgrundlage des § 4 Abs. 13 HVM für den Sicherungseinbehalt somit wirksam, so ist sie vorliegend auch rechtsfehlerfrei, insbesondere ermessensfehlerfrei, angewandt worden.

Gegen die Klägerin ist ein Verfahren auf Entziehung der Kassenzulassung anhängig. Zwar hatte der Berufungsausschuss den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 22.01.2001 aufgehoben und die Entziehungsanträge der Beklagten und der Verbände der Krankenkassen zurückgewiesen. Hiergegen hat die Beklagte indes Klage erhoben, sodass das Entziehungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

Unerheblich ist auch, dass die Beklagte im Zeitpunkt ihrer Entscheidungen zum Sicherungseinbehalt noch keine sachlich-rechnerische Berichtigung der Honorarforderungen der Klägerin verfügt hatte. Bereits aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 13 HVM geht hervor, dass Honorareinbehalte zur "vorläufigen" Sicherung "möglicher" Erstattungs- oder Schadensersatzansprüche vorgenommen werden können. Diese Wendungen belegen mit hinreichender Deutlichkeit, dass nicht endgültige, ggf. sogar bestandskräftige Rückforderungen besichert werden sollen, sondern bereits im Vorfeld weitergehender Detailermittlungen eine Sicherung einsetzen soll, um das Risiko einer Deckungslücke zu minimieren. Nach Auffassung der Kammer wären Honorareinbehalte auf dieser Grundlage zwar dann rechtswidrig, wenn nicht einmal ansatzweise mögliche Erstattungs- oder Schadensersatzansprüche ersichtlich wären, ein Honorareinbehalt sich daher als willkürlich darstellen würde. Davon kann nach Lage der Dinge vorliegend indes nicht ausgegangen werden. Bereits in den Sitzungen des Arbeitsausschusses "Projektgruppe Plausibilität" vom 21.07.1999 und 19.06.2000 hatten sich Erkenntnisse auf ein unrechtmäßiges Abrechnungsverhalten der Klägerin ergeben, die für die Beklagte Anlass geben durften und mussten, den Sachverhalt insofern von Amts wegen weiter zu ermitteln (§ 20 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)). Mag der vorläufig ermittelte Sachverhalt in diesem Stadium für eine Zulassungsentziehung nicht ausreichen und noch keine gesicherte Grundlage für eine Berichtigung der Honoraransprüche der Klägerin abzugeben, so genügt er gleichwohl für die Verfügung vorläufiger Sicherungseinbehalte.

Der Honorareinbehalt in Höhe von 30 % ist auch nicht unangemessen. Der inzwischen erteilte Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 10.10.2001 beziffert den Gesamtbetrag der Berichtigungen für die Quartale 1/96 bis 1/00 auf 000.000,00 DM; demgegenüber ist nach den Erklärungen des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 08.05.2002 ein Betrag von bisher 000.000,00 DM und damit von weniger als einem Drittel der Rückforderungssumme vorläufig einbehalten worden. Eine Unverhältnismäßigkeit kann auch deshalb nicht angenommen werden, weil die Einbehaltungen mit den banküblichen Darlehenszinsen verzinst und an die Klägerin ausbezahlt werden, wenn und soweit sich die vorläufige Sicherung als unberechtigt oder überhöht erweist. Zur Abwendung einer möglichen Notlage mag die Klägerin daher entsprechende Bankkredite aufnehmen, die ihr ohne finanziellen Verlust zurückerstattet werden, wenn sich der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 10.10.2001 ganz oder teilweise als rechtswidrig erweisen sollte.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG a.F. i.V.m. Art. 17 Abs. 1 des 6. Gesetzes zur Änderung des SGG (BSG, Urt. v. 30.01.2002 - B 6 KA 20/01 R - gemäß Presse-Mitteilung des BSG Nr. 3/02 v. 31.01.2002).
Rechtskraft
Aus
Saved