L 8 AL 152/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 AL 672/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 152/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 29/03 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 06.03. 2002 sowie der Bescheid vom 20.09.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.1999 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe (Alhi) zu Recht für die Zeit vom 18.08. bis 15.09.1999 aufgehoben hat, weil der Kläger in diesem Zeitraum nicht alle Möglichkeiten genutzt hat, um die Arbeitslosigkeit zu beenden.

Die Beklagte bewilligte dem im April 1961 geborenen Kläger mit Bescheid vom 06.09.1999 nach einem Kuraufenthalt erneut rückwirkend ab dem 31.07.1999 Alhi. Da sich aus den Akten und dem Sachvortrag der Beteiligten nichts Gegenteiliges ergibt, geht der Senat davon aus, dass ihm dieser spätestens am 09.09.1999 zugegangen ist.

Bereits mit Bescheid vom 18.08.1999 hatte die Beklagte den Kläger aufgefordert, zum Nachweis seiner Eigenbemühungen bis zum 15.09.1999 um 9 Uhr "7 schriftliche Bewerbungen auf versicherungspflichtige Arbeitsstellen" vorzulegen, um prüfen zu können, ob die Voraussetzungen für die Zahlung der Leistung weiterhin vorliegen. Dem Bescheid war die Rechtsfolgenbelehrung beigefügt, sofern die geforderten Nachweise über die Eigenbemühungen nicht bis zu dem genannten Termin vorlägen, beabsichtige sie, die Leistung wegen fehlender Mitwirkung bis zu deren Nachholung gemäß § 66 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) ganz zu entziehen bzw. zu versagen. Dieser Bescheid wurde dem Kläger bei einer Vorsprache am 18.08.1999 ausgehändigt und ist bestandskräftig geworden.

Nachdem der Kläger bei einer weiteren Vorsprache am 15.09.1999 keine Bewerbungsschreiben vorlegen konnte, sondern angab, er habe mehrere Firmen angerufen, hob die Beklagte die Bewilligung der Alhi mit Bescheid vom 20.09.1999 für die Zeit vom 18.08 bis 15.09.1999 mit der Begründung auf, Anspruch auf Leistungen habe nur, wer arbeitslos sei. Arbeitslos sei nur, wer alle Möglichkeiten nutze und nutzen will, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) seien Eigenbemühungen erforderlich. Ihre Entscheidung stützte die Beklagte auf § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 2 sowie §§ 190 Abs. 1 Nr. 1, 198 Nr. 1, 118 Abs. 1 Nr. 2, 119 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 SGB III. Den Anspruch auf Erstattung der in dieser Zeit gezahlten Alhi in Höhe von 1144,05 DM stützte sie auf § 50 SGB X.

Den Widerspruch, den der Kläger damit begründete, er habe sich auf mehrere Stellenanzeigen hin beworben, aber bei den telefonischen Vorgesprächen keine Vorstellungstermine bekommen, hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.1999 mit der bisherigen Begründung zurückgewiesen. Die Rücknahme habe auch für die Vergangenheit erfolgen dürfen, weil sich der Kläger nicht auf ein schutzwürdiges Interesse in den Bestand der rechtswidrigen Bewilligungsentscheidung habe berufen können; denn durch den Hinweis im Merkblatt für Arbeitslose und die im Bescheid vom 18.08.1999 enthaltene Rechtsfolgenbelehrung habe er die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung gekannt oder er habe sie nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.

Mit seiner zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage machte der Kläger im Wesentlichen geltend, er habe alle Möglichkeiten genutzt und auch nutzen wollen, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Dies habe er dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er bei sieben verschiedenen Stellenausschreibungen telefonisch die Vereinbarung eines Vorstellungstermins angestrebt habe.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 06.03.2002 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Begründung des Widerspruchsbescheides verwiesen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren mit der bisherigen Begründung weiter. Das Vorbringen der Beklagten, er habe nicht alle Möglichkeiten genutzt und nutzen wollen, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden, entbehre jeglicher Grundlage.

Der Kläger stellt den Antrag, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 06.03. 2002 sowie den Bescheid vom 20.09.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten und die des SG verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, weil keiner der in § 144 Abs. 1 SGG genannten Ausschlussgründe entgegensteht.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als begründet, weil die Beklagte nicht berechtigt war, den Bewilligungsbescheid vom 06.09.1999 nach § 45 SGB X für die Vergangenheit zurückzunehmen. Nach dieser Vorschrift kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt unter den in den Absätzen 2 bis 4 genannten Voraussetzungen zurückgenommen werden. Entgegen der Ansicht der Beklagten war eine Rücknahme nach § 45 SGB X schon deshalb nicht möglich, weil es sich bei dem Bewilligungsbescheid vom 06.09.1999 nicht um einen rechtswidrigen Bescheid handelt. Im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides (spätestens am 09.09. 1999) war dieser rechtmäßig; denn der Kläger war zu diesem Zeitpunkt wegen fehlender Eigenbemühungen (noch) nicht nicht mehr arbeitslos i.S. des § 118 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Davon ist offensichtlich auch die Beklagte ausgegangen; denn andernfalls hätte sie die Alhi gar nicht bewilligen dürfen. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die Beklagte als Sanktion für die bis zum 15.09.1999 nicht nachgewiesenen Eigenbemühungen ursprünglich im Bescheid vom 18.08.1999 die Versagung nach § 66 SGB I vorgesehen hatte, woraus zu schließen ist, dass sie den Kläger bis zum Ablauf der gesetzten Frist weiterhin für arbeitslos hielt.

Der Rücknahmebescheid ist auch deshalb rechtswidrig, weil sich der Kläger i.S. des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X auf Vertrauen berufen kann. Entgegen der Ansicht der Beklagten kannte er zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bewilligungsbescheides (noch) nicht dessen Rechtswidrigkeit, und er hat diese auch nicht nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt. Der Kläger konnte davon ausgehen, dass die Bewilligung der Alhi zumindest noch bis zum 15.09.1999 um 9 Uhr rechtmäßig war. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte er den geforderten Nachweis der Eigenbemühungen noch erbringen können. Eine derartige "aufschiebend bedingte" Rechtswidrigkeit bzw. Bösgläubigkeit wird den Anforderungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht gerecht.

Die Rücknahmeentscheidung kann auch nicht in eine rechtmäßige Aufhebung nach § 48 SGB X i.V.m. § 330 SGB III umgedeutet werden. Zwar ist davon auszugehen, dass in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben, mit Ablauf der gesetzten Frist zum Nachweis der Eigenbemühungen deshalb eine wesentliche Änderung eingetreten ist, weil der Kläger wegen der unterlassenen Eigenbemühungen nicht mehr arbeitslos war. Dies hat aber nicht zur Folge, dass die Beklagte die Bewilligung für die Vergangenheit aufheben durfte. Eine Aufhebung für die Vergangenheit setzt nämlich nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X - die allein als Rechtsgrundlage in Betracht käme - voraus, dass der Kläger bereits vor dem 15.09.1999 bösgläubig i.S. dieser Vorschrift gewesen wäre. Dies ist aber - wie oben ausgeführt - nicht der Fall.

Auch eine Umdeutung der Rücknahmeentscheidung in eine Versagung nach § 66 SGB I ist nicht möglich; denn der Kläger hat keine der in § 66 Abs. 1 SGB I abschließend aufgeführten Mitwirkungspflichten verletzt. Zudem wäre eine Versagung nur nach Ablauf einer gesetzten Frist, nicht aber für die Vergangenheit möglich.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Frage grundsätzliche Bedeutung beimisst, ob die Beklagte in Fällen vergleichbarer Art die Bewilligung einer Leistung rückwirkend aufheben kann.
Rechtskraft
Aus
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