L 19 RJ 575/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 RJ 562/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 575/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.07.1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am 1948 geborene Kläger ist kroatischer Staatsangehöriger. Er hat in Deutschland von 1971 an als Straßenbauarbeiter, Maschinenbauarbeiter, Betonarbeiter und zuletzt im Jahre 1996 kurzfristig als Getränkeverlader gearbeitet. Am 07.10.1996 beantragte er die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU). Die Beklagte ließ ihn durch den Sozialmediziner Dr.L. untersuchen, der im Gutachten vom 28.11.1996 zu dem Ergebnis gelangte, der Kläger könne leichte Arbeiten im Wechselrhythmus noch vollschichtig verrichten. Mit Bescheid vom 21.01.1997 lehnte die Beklagte die beantragte Rente ab, weil der Kläger weder berufs- noch erwerbsunfähig sei. Dagegen erhob der Kläger am 28.01.1997 Widerspruch. Die Beklagte veranlasste im Vorverfahren eine chirurgische Begutachtung des Klägers durch Dr.v.G. , eine nervenärztliche Begutachtung durch Dr.N. sowie eine internistisch-sozialmedizinische Begutachtung durch Prof.Dr.B ... Die Sachverständigen erachteten den Kläger für fähig, noch leichte und mittelschwere Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig zu verrichten. Die Beklagte wies den Widerspruch gegen die Rentenablehnung mit Bescheid vom 07.07.1997 zurück.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 10.07.1997 Klage beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Das SG hat Befundberichte des Allgemeinarztes Dr.P. , des Nervenarztes Dr.H. und des HNO-Arztes Dr.B. sowie Gutachten des Dr.G. , erstellt für den Med. Dienst der Krankenkassen, zum Verfahren beigenommen. Auf Veranlassung des Gerichts haben der Internist Dr.R. das Gutachten vom 01.04.1998 erstattet und die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.O. das Gutachten vom 02.04.1998, jeweils nach ambulanter Untersuchung des Klägers. Im Ergebnis hielten die Sachverständigen den Kläger für fähig, leichte, gelegentlich mittelschwere Arbeiten in Vollschicht zu leisten. Mit Urteil vom 07.07.1998 hat das SG die auf Gewährung von Versichertenrente gerichtete Klage abgewiesen. Der Kläger sei noch nicht berufs- und auch nicht erwerbsunfähig. Das SG hat sich in der Leistungsbeurteilung den von Amts wegen gehörten Sachverständigen Dr.R. und Dr.O. angeschlossen; der Kläger sei bei den im Einzelnen beschriebenen Gesundheitsstörungen (des internistischen, orthopädischen und psychiatrischen Fachgebiets) noch in der Lage, leichte und gelegentlich mittelschwere Arbeiten zu leisten. Dem vom Kläger gestellten Antrag, ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG einzuholen, hat das Gericht nicht stattgegeben. Der Antrag sei verspätet gestellt worden, nämlich erst kurz vor dem anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 12.10.1998 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers. Dieser verlangte zunächst die Gewährung von Rente wegen EU vom 07.10.1996 an, hilfsweise die Bewilligung medizinischer Reha-Maßnahmen. Gleichzeitig hat er seinen Antrag aus der ersten Instanz auf Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG wiederholt. Vom 21.01. bis 25.02.1999 hat sich der Kläger einem stationären Heilverfahren in der Klinik H. in B. unterzogen. Die Entlassung aus der Maßnahme erfolgte als arbeitsfähig (für die zuletzt verrichtete Tätigkeit) und als vollschichtig einsatzfähig für leichte Arbeiten. Der Senat hat Befundberichte über den Kläger eingeholt von dem Nervenarzt Dr.H. , dem Allgemeinarzt Dr.P. und dem HNO-Arzt Dr.B ... Auf Antrag des Klägers hat Dr.S. von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität E. das Gutachten vom 13.09.2001 erstattet. Beim Kläger liege eine länger dauernde depressive Reaktion aufgrund asthenischer Persönlichkeit vor. Nach dem Querschnittsverlauf der Erkrankung könne der Kläger nur noch im Umfang von zweistündig bis unterhalbschichtig täglich arbeiten. Dies gelte für die Zeit ab 1991, seit dem Ausscheiden des Klägers aus dem für ihn geregelten Berufsleben. Die Beklagte hat sich zu dem Gutachten durch ihren Ärztl. Dienst - Nervenarzt Dr.D. - geäußert und hält den Kläger weiterhin für fähig, leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig bzw sechs Stunden täglich und mehr zu verrichten. Von Amts wegen hat schließlich der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.W. das Gutachten vom 30.04.2002 nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstattet. Er hat die Diagnosen gestellt: Leicht- bis mäßiggradige degenerative lumbale osteochondrotische Veränderungen ohne Wurzelläsion, sthenische psychogene Anpassungsstörung bei renteneurotischer Fixierung, kein Anhalt für eine hirnorganisch-pseudoneurasthenische Grundlage der Beschwerden.

Der Kläger könne weiterhin leichte bis streckenweise mittelschwere Arbeiten leisten. Ein gewisses Maß an Wechsel der Körperhaltung sollte gewährleistet sein. Der Kläger sei auch als durchschnittlich konzentrationsfähig anzusehen. Unter diesen Bedingungen könne er weiterhin vollschichtig arbeiten. Die Einschränkungen des Klägers bestünden neben den schicksalsmäßig beginnenden Wirbelsäulenbeschwerden hauptsächlich in der beschriebenen psychogenen Fehlhaltung, deren Zurückstellung dem Kläger aber zumutbar sei (auch wenn dieser eine andere Meinung darüber habe). Den Einschätzungen im Gutachten von Dr.S. konnte sich der Sachverständige Dr.W. nicht anschließen.

In der mündlichen Verhandlung am 07.08.2002 hat der Kläger mitgeteilt, dass er seit April 2000 wieder in versicherter (Vollzeit-)Beschäftigung steht. Der vom Bevollmächtigten der Beklagten übergebene Versicherungsverlauf des Klägers weist für das Jahr 2001 ein Bruttoentgelt von DM 26.000 aus.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 07.07.1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21.01.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.1997 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 07.10.1996 die gesetzlichen Leistungen wegen EU, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU), zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakten des SG Nürnberg vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG) und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger nicht berufs- und auch nicht erwerbsunfähig iS der §§ 43, 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung - ist. Das SG hat sich bei der Leistungsbeurteilung des Klägers im Wesentlichen auf die Gutachten des Internisten Dr.R. und der Nervenärztin Dr.O. gestützt. Die psychogene und dem Bewusstsein nicht gänzlich entzogene Versagungshaltung des Klägers hat nach Auffassung der Sachverständigen Dr.O. keinen echten Krankheitswert. Gravierende Beeinträchtigungen der Willensbildung waren beim Kläger nicht festzustellen. Es war insgesamt eine außerordentliche Diskrepanz zwischen subjektiver Leistungseinschränkung und objektiven Befunden anzumerken. Dieses vom SG gefundene Ergebnis wird durch die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren bestätigt. Für den Senat ist das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr.W. vom 30.04.2002 überzeugend. Dieser hat herausgestellt und auch ausführlich begründet, dass er sich den Einschätzungen Dr.S. nicht anschließen kann. Insbesondere konnte er anhand der gesamten Entwicklung (zumindest seit Rentenantragstellung im Jahre 1996) ausschließen, dass der Kläger jemals an einer schweren krankheitswertigen depressiven Beeinträchtigung gelitten hat. Weder von Dr.N. , noch von Dr.O. und letztlich auch nicht von Dr.S. sind nennenswerte psychopathologische Befunde festgestellt worden, wie Dr.W. hervorgehoben hat. Die Persönlichkeit des Klägers ist nicht als asthenisch beeinträchtigt anzusehen; vielmehr ist dieser im Gegenteil als sthenisch (mit Fixierung auf ihm bislang vorenthaltene Leistungen) zu charakterisieren. Dr.W. hat an seiner Überzeugung keinen Zweifel gelassen, dass der Kläger in seinen Denkvorgängen und Willensfunktionen organisch und psychisch völlig ungestört ist. Die zuletzt von Dr.W. erhobenen Befunde hindern den Kläger nicht, weiterhin einer Erwerbstätigkeit in Vollschicht nachzugehen. Bei den zumutbaren Arbeiten sollte gelegentlicher Wechsel der Körperhaltung möglich sein; Arbeiten mit dem Erfordernis regelmäßiger Zwangshaltungen und damit verbundener außerordentlicher Belastung der Wirbelsäule sollen vermieden werden. Demnach leidet der Kläger weder an einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch an einer schweren spezifischen Behinderung, die ihm den Zugang zum Arbeitsmarkt in ungewöhnlicher Weise erschweren könnten. Der Kläger hat nach seinen eigenen Angaben im Rentenantrag keine Berufsausbildung durchlaufen und hat in Deutschland seit 1971 auch keine Arbeiten auf Facharbeiterebene verrichtet. Er ist nach dem vom BSG entwickelten Mehrstufenschema zur Prüfung der Berufsfähigkeit von Versicherten allenfalls als einfach angelernter Arbeiter einzustufen. Dies bedeutet, dass er in voller Breite auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar ist, ohne dass es der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf. Der Kläger ist demnach nicht berufsunfähig iS des § 43 SGB VI und schon gar nicht erwerbsunfähig iS des § 44 SGB VI, jeweils in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung. Da der Kläger, wie ausgeführt, in Vollschicht arbeiten kann, erfüllt er auch nicht die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach der seit Januar 2001 geltenden Neuregelung. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 07.08.2002 mitgeteilt, dass er seit April 2000 wieder in versicherungspflichtiger Beschäftigung steht. Er ist im Wesentlichen als Reinigungskraft in einem Parkhaus beschäftigt und führt dort auch kleinere Reparaturen und Instandhaltungsarbeiten aus. Sein Versicherungsverlauf weist für die Zeit von April 2000 bis Dezember 2001 keine Fehlzeiten aus. Es gibt keine Indizien oder Belege dafür, dass der Kläger durch die von ihm tatsächlich ausgeübte Arbeit gesundheitlich überfordert wäre. Selbst wenn man dies aber unterstellen will, bleibt dennoch die Tatsache, dass der Kläger am Erwerbsleben teilnimmt und seiner Leistung entsprechendes Arbeitseinkommen erzielt; für die Gewährung von Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist dann regelmäßig kein Raum (vgl dazu Urteile des BSG vom 14.09.1978, Az: 11 RA 86/77 und vom 18.03.1982, Az: 11 RA 26/81). Da im angefochtenen Urteil zutreffend entschieden wurde, dass dem Kläger Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht zustehen, war seine Berufung zurückzuweisen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten, § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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