Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 12/01 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Juni 2001 abgeändert und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. November 2000 zurückgewiesen. Kosten sind für alle Instanzen nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Die 1954 geborene und bei der beklagten Pflegekasse versicherte Klägerin erlitt im August 1994 einen Schlaganfall mit Halbseitenlähmung und Sprachstörung. Sie wird von ihrem Ehemann, ihrer Mutter und ihrem Schwiegervater gepflegt. Auf ihren Antrag bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 5. Juli 1995 für die Zeit bis zum 31. März 1995 die Geldleistung nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), für die Zeit danach Pflegegeld gemäß Pflegestufe III nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI).
Bei drei Begutachtungen vom August bis Dezember 1998 kam der Medizinische Dienst der Krankenversicherung zum Ergebnis, dass seit Juli 1998 lediglich die Pflegestufe I gegeben sei, weil nur noch ein Grundpflegebedarf von ca 80 bis 90 Minuten täglich vorliege. Die Beklagte hob ab 1. März 1999 die Bewilligung von Pflegegeld nach Pflegestufe III auf und bewilligte ab diesem Datum nur noch Pflegegeld nach Pflegestufe I (Bescheide vom 24. August 1998 und 28. Januar 1999 sowie Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1999). Das Sozialgericht (SG) hat die auf Weitergewährung von Pflegegeld gemäß Pflegestufe II gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 28. November 2000). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. März 1999 Pflegegeld nach Pflegestufe II zu gewähren (Urteil vom 8. Juni 2001). Das LSG hat sich dabei zunächst auf das SG bezogen, das zutreffend auf Grund der Gutachten von einem Grundpflegebedarf von "etwa 80 bis 90 Minuten" täglich ausgegangen sei. Wegen eines Unfalls könne aber die Mutter der Klägerin seit Anfang 1999 die Pflege während der berufsbedingten Abwesenheit des Ehemannes der Klägerin nur noch in ihrer eigenen, etwa einen Kilometer entfernten Wohnung durchführen. Daher seien seitdem für den Hin- und Rücktransfer der Klägerin zur bzw von der Wohnung der Mutter 2 x 27 = 54 Minuten Grundpflege täglich hinzuzurechnen; die Transfers seien für das Weiterleben der Klägerin in ihrer eigenen Wohnung erforderlich, da die Klägerin andernfalls stationär gepflegt werden müsse.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, nach § 15 Abs 3 SGB XI dürfe zur Erreichung einer einheitlichen Einstufung vergleichbarer Pflegebedürftiger nur auf eine "Durchschnittspflegeperson" abgestellt werden; das sei auch im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes (GG) geboten. Auf besondere Eigenschaften der Pflegeperson wie Kenntnisse, Fähigkeiten oder Entfernung zur Wohnung des Pflegebedürftigen könne es hingegen nicht ankommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Juni 2001 abzuändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. November 2000 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Daher war das Urteil des LSG abzuändern und die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen. Die Beklagte hat zu Recht die Bewilligung von Pflegegeld gemäß Pflegestufe III ab 1. März 1999 aufgehoben und ab diesem Datum nur noch Pflegegeld gemäß Pflegestufe I bewilligt.
Nach § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen seit seinem Erlass eine wesentliche Änderung eintritt. Durch Bescheid vom 5. Juli 1995 hatte die Beklagte Pflegegeld nach Pflegestufe III bewilligt (§§ 37 Abs 1 Satz 3 Nr 3, 14, 15 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Abs 3 Nr 3 SGB XI). Nach den Feststellungen des LSG war Ende 1998 gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen bei Erlass des Bescheides, vor allem durch Rehabilitationsmaßnahmen, eine wesentliche Besserung eingetreten. Da der Grundpflegebedarf ohne die Transferzeiten zu und von der Wohnung der Mutter inzwischen nach den unangefochtenen Feststellungen des LSG nur noch ca 80 bis 90 Minuten täglich ausmachte, ist der Bescheid zu Recht mit Wirkung für die Zukunft (ab 1. März 1999) hinsichtlich der Bewilligung von Pflegegeld gemäß Pflegestufe III aufgehoben und nur noch Pflegegeld gemäß Pflegestufe I weiterbewilligt worden (§§ 37 Abs 1 Satz 3 Nr 1, 14, 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Abs 3 Nr 1 SGB XI). Im Gegensatz zur Auffassung des LSG kann der Zeitaufwand für den Transfer der Klägerin zu und von der Wohnung der Mutter - durch den nach den Feststellungen des LSG die maßgeblichen Grenzen für die Pflegestufe II von mindestens 120 Minuten täglich Grundpflege und 180 Minuten täglich Gesamtpflege mit 142 bzw 187 Minuten überschritten werden würden (§ 15 Abs 3 Nr 2 SGB XI) - bei der Bemessung des Pflegebedarfs nicht berücksichtigt werden.
Die Berücksichtigung der Transferzeiten würde zwar grundsätzlich nicht an der vom Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl erstmals BSGE 82, 27, 28 = BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 2 und zuletzt BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 8) für erforderlich gehaltenen sog Verrichtungsbezogenheit der Hilfe, dh der Notwendigkeit des zeitlich-kausalen Zusammenhangs mit einer der Verrichtungen des in § 14 Abs 4 SGB XI aufgestellten Katalogs, scheitern. Nach § 14 Abs 4 Nr 3 SGB XI ist die "Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung" grundsätzlich berücksichtigungsfähig. Der Senat hat dazu - im Anschluss an die Begutachtungsrichtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 21. März 1997 (BRi, abgedruckt ua bei Udsching, SGB XI, 2. Aufl 2000, Anhang 3), Abschn D 5.V. Teil 5.3 Ziff 15 - nur solche Wegebegleitungen anerkannt, die "für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig machen" (vgl BR-Drucks 505/93, S 97). Darunter fallen Wege zum Arzt oder Krankengymnasten, nicht aber zur Rehabilitation, zur Behindertenwerkstatt, zum - auch integrativen - Kindergarten, zur Schule, zur Arbeitsstätte, zu Gottesdiensten oder Begleitungen im Rahmen von Spaziergängen als Teil der Behandlungspflege (vgl BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 5, 6, 8, 9, 10, 16 und BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 7, 8). Hier ist nach den Ausführungen des LSG zu unterstellen, dass ohne die Pflegehilfeleistungen durch die Mutter der Klägerin und ohne das "Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung" der Klägerin die Lebensführung der Klägerin in ihrer eigenen Wohnung nicht aufrechtzuerhalten wäre; zu der Möglichkeit, umgekehrt die Mutter der Klägerin in deren Wohnung zu transportieren, hat das LSG allerdings nichts ausgeführt.
Die Berücksichtigung der entsprechenden Zeiten beim Pflegebedarf iS der §§ 14, 15 SGB XI scheitert aber daran, dass dieser in Bezug auf die Pflegeperson nicht nach den tatsächlichen Gegebenheiten, sondern nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen ist. Das Bundessozialgericht hat dies zunächst zu § 53 SGB V ausgesprochen (vgl BSG SozR 3-2500 § 53 Nr 7) und für § 15 SGB XI fortgeführt (vgl BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 4 und BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 5 sowie BSGE 82, 276, 283 = SozR 3-3300 § 14 Nr 7; in der Literatur Wagner in Hauck/Wilde, SGB XI, Stand Dezember 2001, § 15 RdNr 9f; Udsching SGB XI 2. Aufl 2000, § 15 RdNr 4; ders, Rechtsfragen bei der Bemessung des Pflegebedarfs VSSR 1996, 271, 284f - aA Klie in LPK-SGB XI, 1998, § 15 RdNr 4). Transferzeiten zu und von der Wohnung der Pflegeperson, die ausschließlich durch den Gesundheitszustand der Pflegeperson verursacht sind, scheiden danach als Pflegebedarf aus, selbst wenn nur auf diese Weise die häusliche Pflege aufrechterhalten werden kann. Auch wenn es vorrangiges Ziel der Pflegeversicherung ist, die häusliche Pflege zu sichern, bedeutet dies nicht, dass der von der konkreten Pflegeperson für die Pflege benötigte Zeitaufwand, der wesentlich von deren Konstitution und Lebensumständen abhängt, in vollem Umfang bei der Einordnung in eine Pflegestufe berücksichtigt werden müsste.
Die Gesetzesmaterialien zu den §§ 14, 15 SGB XI (BT-Drucks 12/5262, S 94 ff, und 13/3696, S 11) nehmen zu der Frage des objektiven oder subjektiven ("abstrakten" oder "konkreten") Maßstabs bei der Bemessung des Pflegebedarfs zwar nicht Stellung. Bereits der Wortlaut von § 15 Abs 3 SGB XI ("ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson") lässt jedoch erkennen, dass nicht auf den Zeitaufwand "der" Pflegeperson (konkret) abgestellt werden soll, sondern auf denjenigen, den "ein" Familienangehöriger oder "ein" sonstiger Pflegender (abstrakt) benötigen würde.
Eine Berücksichtigung von Konstitution und Lebensumständen der Pflegeperson würde zudem bei ansonsten gleichem Pflegebedarf je nach Wahl der Pflegeperson zu unterschiedlichen Leistungen führen. Je nach Alter, Kenntnissen, Fähigkeiten, Erfahrung und Gesundheitszustand der Pflegeperson kann der konkret erforderliche zeitliche Aufwand - bei gleichem Gesundheitszustand des Pflegebedürftigen und identischem Hilfebedarf - nämlich erheblich differieren. Zu einer Feststellung des Pflegebedarfs nach unterschiedlichen Maßstäben müsste es auch kommen, wenn einerseits eine (oder mehrere) konkrete Pflegeperson(en) bereits bekannt ist (sind) und daher konkret gewertet werden könnte oder andererseits noch keine konkrete Pflegeperson bekannt ist und daher objektiv gewertet werden müsste. Schließlich könnte sich der Pflegeaufwand auch bei laufender Pflege mit jedem Wechsel der Pflegeperson ändern (vergrößern oder verringern) und damit auch der Umfang des Leistungsanspruchs.
Das alles gilt insbesondere, wenn Zeiten des Transfers zu einer Pflegeperson mitrechnen würden, weil diese bei größerer Entfernung der Wohnung der Pflegeperson gegenüber den sonstigen Pflegezeiten ein völlig unangemessenes zeitliches Gewicht bekommen könnten. So könnten etwa allein mit Hilfe derartiger Transferzeiten Personen in die Pflegestufe I gelangen, deren übriger Grundpflegebedarf nur wenige Minuten ausmacht; entsprechendes würde für die Höherstufung von Pflegestufe I nach II sowie von II nach III gelten. Die Berücksichtigung des Pflegeaufwands kann auch nicht davon abhängig gemacht werden, ob - wie hier - die Pflegebedürftige zur Pflegeperson oder aber umgekehrt diese zur Pflegebedürftigen transportiert werden muss; im letzteren Fall steht eine Nichtberücksichtigung der Transferzeiten jedoch völlig außer Frage.
Ein auf die konkrete Pflegeperson, ihre Konstitution und Lebensumstände abstellender Maßstab scheitert aber vor allem daran, dass der nach § 15 Abs 3 SGB XI relevante Maßstab ("ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson") nicht nur - wie im Fall der Klägerin - für die Bemessung des Pflegegeldes bei selbst beschafften Pflegehilfen (§ 37 Abs 1 Satz 3 Nr 1 bis 3 iVm den §§ 14, 15 SGB XI) maßgeblich ist. Er gilt gleichermaßen bei häuslicher Pflege in Form der Sachleistung durch professionelle Pflegekräfte (§ 36 Abs 3 Nr 1 bis 3 iVm den §§ 14, 15 SGB XI) wie bei stationärer (§ 43 Abs 5 iVm den §§ 14, 15 SGB XI) oder teilstationärer Pflege (§ 41 Abs 2 iVm den §§ 14, 15 SGB XI). In diesen Fällen kommt von vornherein nur ein objektiver Maßstab in Betracht, in den ersten beiden Fällen scheidet ein Transferbedarf zur Pflegeperson sogar denknotwendig aus. Auch bei teilstationärer Pflege ist der Transfer zwischen Wohnung und Einrichtung der Tages- und Nachtpflege zwar zu leisten (§ 41 Abs 1 Satz 2 SGB XI), bei der Bemessung des Pflegebedarfs aber nicht zusätzlich zu berücksichtigen, weil Maßstab allein die häusliche Pflege ist (§ 15 Abs 3 SGB XI). Angesichts der gesetzlichen Vorgabe, dass die - unter Berücksichtigung der Transferzeiten - vorgenommene Einstufung aber auch bei Wechsel zu einer anderen Pflegeperson (bei häuslicher Pflege durch selbst beschaffte Pflegehilfen) oder zu einer anderen Pflegeart (zu häuslicher Pflege durch professionelle Pflegekräfte als Sachleistung oder zu stationärer Pflege) weiterhin maßgebend bliebe, muss ein subjektiver ("konkreter") Maßstab ausscheiden.
Gegen das Abstellen auf einen objektiven Maßstab bei der Pflegeperson spricht auch nicht, dass die Pflege im Hinblick auf die Zielvorgaben des § 2 Abs 1 SGB XI dem individuellen Bedarf des Pflegebedürftigen gerecht werden muss (Bedarfsgerechtigkeit). Dies rechtfertigt es zwar, bei der Feststellung des Pflegebedarfs nicht nur Art und Schwere der krankheits- und behinderungsbedingten Funktionseinbußen, psychische Probleme und Abneigungen sowie durch Krankheiten verursachte Lebensgewohnheiten, sondern auch das häusliche Umfeld und die konkrete Wohnsituation des Pflegebedürftigen einzubeziehen (vgl Wagner aaO, Klie aaO, Udsching aaO); die Grenzen der Berücksichtigungsfähigkeit von individuellen Lebensumständen und -gewohnheiten, insbesondere von solchen, die nicht mehr innerhalb einer gesellschaftlich akzeptierten Bandbreite liegen oder Luxus darstellen, sind dabei allerdings umstritten (für weit gehende Objektivierung: Udsching aaO, stärker individualisierend: Klie aaO, vermittelnd Wagner aaO). Dies kann indessen dahinstehen, weil es hier nicht um derartige individuelle Lebensgewohnheiten der Pflegebedürftigen geht, sondern um einen Pflegeaufwand, der durch besondere Lebensumstände der Pflegeperson begründet ist und daher bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise gänzlich ausgeklammert bleiben muss.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Gründe:
I
Die 1954 geborene und bei der beklagten Pflegekasse versicherte Klägerin erlitt im August 1994 einen Schlaganfall mit Halbseitenlähmung und Sprachstörung. Sie wird von ihrem Ehemann, ihrer Mutter und ihrem Schwiegervater gepflegt. Auf ihren Antrag bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 5. Juli 1995 für die Zeit bis zum 31. März 1995 die Geldleistung nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), für die Zeit danach Pflegegeld gemäß Pflegestufe III nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI).
Bei drei Begutachtungen vom August bis Dezember 1998 kam der Medizinische Dienst der Krankenversicherung zum Ergebnis, dass seit Juli 1998 lediglich die Pflegestufe I gegeben sei, weil nur noch ein Grundpflegebedarf von ca 80 bis 90 Minuten täglich vorliege. Die Beklagte hob ab 1. März 1999 die Bewilligung von Pflegegeld nach Pflegestufe III auf und bewilligte ab diesem Datum nur noch Pflegegeld nach Pflegestufe I (Bescheide vom 24. August 1998 und 28. Januar 1999 sowie Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1999). Das Sozialgericht (SG) hat die auf Weitergewährung von Pflegegeld gemäß Pflegestufe II gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 28. November 2000). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. März 1999 Pflegegeld nach Pflegestufe II zu gewähren (Urteil vom 8. Juni 2001). Das LSG hat sich dabei zunächst auf das SG bezogen, das zutreffend auf Grund der Gutachten von einem Grundpflegebedarf von "etwa 80 bis 90 Minuten" täglich ausgegangen sei. Wegen eines Unfalls könne aber die Mutter der Klägerin seit Anfang 1999 die Pflege während der berufsbedingten Abwesenheit des Ehemannes der Klägerin nur noch in ihrer eigenen, etwa einen Kilometer entfernten Wohnung durchführen. Daher seien seitdem für den Hin- und Rücktransfer der Klägerin zur bzw von der Wohnung der Mutter 2 x 27 = 54 Minuten Grundpflege täglich hinzuzurechnen; die Transfers seien für das Weiterleben der Klägerin in ihrer eigenen Wohnung erforderlich, da die Klägerin andernfalls stationär gepflegt werden müsse.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, nach § 15 Abs 3 SGB XI dürfe zur Erreichung einer einheitlichen Einstufung vergleichbarer Pflegebedürftiger nur auf eine "Durchschnittspflegeperson" abgestellt werden; das sei auch im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes (GG) geboten. Auf besondere Eigenschaften der Pflegeperson wie Kenntnisse, Fähigkeiten oder Entfernung zur Wohnung des Pflegebedürftigen könne es hingegen nicht ankommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Juni 2001 abzuändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. November 2000 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Daher war das Urteil des LSG abzuändern und die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen. Die Beklagte hat zu Recht die Bewilligung von Pflegegeld gemäß Pflegestufe III ab 1. März 1999 aufgehoben und ab diesem Datum nur noch Pflegegeld gemäß Pflegestufe I bewilligt.
Nach § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen seit seinem Erlass eine wesentliche Änderung eintritt. Durch Bescheid vom 5. Juli 1995 hatte die Beklagte Pflegegeld nach Pflegestufe III bewilligt (§§ 37 Abs 1 Satz 3 Nr 3, 14, 15 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Abs 3 Nr 3 SGB XI). Nach den Feststellungen des LSG war Ende 1998 gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen bei Erlass des Bescheides, vor allem durch Rehabilitationsmaßnahmen, eine wesentliche Besserung eingetreten. Da der Grundpflegebedarf ohne die Transferzeiten zu und von der Wohnung der Mutter inzwischen nach den unangefochtenen Feststellungen des LSG nur noch ca 80 bis 90 Minuten täglich ausmachte, ist der Bescheid zu Recht mit Wirkung für die Zukunft (ab 1. März 1999) hinsichtlich der Bewilligung von Pflegegeld gemäß Pflegestufe III aufgehoben und nur noch Pflegegeld gemäß Pflegestufe I weiterbewilligt worden (§§ 37 Abs 1 Satz 3 Nr 1, 14, 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Abs 3 Nr 1 SGB XI). Im Gegensatz zur Auffassung des LSG kann der Zeitaufwand für den Transfer der Klägerin zu und von der Wohnung der Mutter - durch den nach den Feststellungen des LSG die maßgeblichen Grenzen für die Pflegestufe II von mindestens 120 Minuten täglich Grundpflege und 180 Minuten täglich Gesamtpflege mit 142 bzw 187 Minuten überschritten werden würden (§ 15 Abs 3 Nr 2 SGB XI) - bei der Bemessung des Pflegebedarfs nicht berücksichtigt werden.
Die Berücksichtigung der Transferzeiten würde zwar grundsätzlich nicht an der vom Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl erstmals BSGE 82, 27, 28 = BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 2 und zuletzt BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 8) für erforderlich gehaltenen sog Verrichtungsbezogenheit der Hilfe, dh der Notwendigkeit des zeitlich-kausalen Zusammenhangs mit einer der Verrichtungen des in § 14 Abs 4 SGB XI aufgestellten Katalogs, scheitern. Nach § 14 Abs 4 Nr 3 SGB XI ist die "Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung" grundsätzlich berücksichtigungsfähig. Der Senat hat dazu - im Anschluss an die Begutachtungsrichtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 21. März 1997 (BRi, abgedruckt ua bei Udsching, SGB XI, 2. Aufl 2000, Anhang 3), Abschn D 5.V. Teil 5.3 Ziff 15 - nur solche Wegebegleitungen anerkannt, die "für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig machen" (vgl BR-Drucks 505/93, S 97). Darunter fallen Wege zum Arzt oder Krankengymnasten, nicht aber zur Rehabilitation, zur Behindertenwerkstatt, zum - auch integrativen - Kindergarten, zur Schule, zur Arbeitsstätte, zu Gottesdiensten oder Begleitungen im Rahmen von Spaziergängen als Teil der Behandlungspflege (vgl BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 5, 6, 8, 9, 10, 16 und BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 7, 8). Hier ist nach den Ausführungen des LSG zu unterstellen, dass ohne die Pflegehilfeleistungen durch die Mutter der Klägerin und ohne das "Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung" der Klägerin die Lebensführung der Klägerin in ihrer eigenen Wohnung nicht aufrechtzuerhalten wäre; zu der Möglichkeit, umgekehrt die Mutter der Klägerin in deren Wohnung zu transportieren, hat das LSG allerdings nichts ausgeführt.
Die Berücksichtigung der entsprechenden Zeiten beim Pflegebedarf iS der §§ 14, 15 SGB XI scheitert aber daran, dass dieser in Bezug auf die Pflegeperson nicht nach den tatsächlichen Gegebenheiten, sondern nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen ist. Das Bundessozialgericht hat dies zunächst zu § 53 SGB V ausgesprochen (vgl BSG SozR 3-2500 § 53 Nr 7) und für § 15 SGB XI fortgeführt (vgl BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 4 und BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 5 sowie BSGE 82, 276, 283 = SozR 3-3300 § 14 Nr 7; in der Literatur Wagner in Hauck/Wilde, SGB XI, Stand Dezember 2001, § 15 RdNr 9f; Udsching SGB XI 2. Aufl 2000, § 15 RdNr 4; ders, Rechtsfragen bei der Bemessung des Pflegebedarfs VSSR 1996, 271, 284f - aA Klie in LPK-SGB XI, 1998, § 15 RdNr 4). Transferzeiten zu und von der Wohnung der Pflegeperson, die ausschließlich durch den Gesundheitszustand der Pflegeperson verursacht sind, scheiden danach als Pflegebedarf aus, selbst wenn nur auf diese Weise die häusliche Pflege aufrechterhalten werden kann. Auch wenn es vorrangiges Ziel der Pflegeversicherung ist, die häusliche Pflege zu sichern, bedeutet dies nicht, dass der von der konkreten Pflegeperson für die Pflege benötigte Zeitaufwand, der wesentlich von deren Konstitution und Lebensumständen abhängt, in vollem Umfang bei der Einordnung in eine Pflegestufe berücksichtigt werden müsste.
Die Gesetzesmaterialien zu den §§ 14, 15 SGB XI (BT-Drucks 12/5262, S 94 ff, und 13/3696, S 11) nehmen zu der Frage des objektiven oder subjektiven ("abstrakten" oder "konkreten") Maßstabs bei der Bemessung des Pflegebedarfs zwar nicht Stellung. Bereits der Wortlaut von § 15 Abs 3 SGB XI ("ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson") lässt jedoch erkennen, dass nicht auf den Zeitaufwand "der" Pflegeperson (konkret) abgestellt werden soll, sondern auf denjenigen, den "ein" Familienangehöriger oder "ein" sonstiger Pflegender (abstrakt) benötigen würde.
Eine Berücksichtigung von Konstitution und Lebensumständen der Pflegeperson würde zudem bei ansonsten gleichem Pflegebedarf je nach Wahl der Pflegeperson zu unterschiedlichen Leistungen führen. Je nach Alter, Kenntnissen, Fähigkeiten, Erfahrung und Gesundheitszustand der Pflegeperson kann der konkret erforderliche zeitliche Aufwand - bei gleichem Gesundheitszustand des Pflegebedürftigen und identischem Hilfebedarf - nämlich erheblich differieren. Zu einer Feststellung des Pflegebedarfs nach unterschiedlichen Maßstäben müsste es auch kommen, wenn einerseits eine (oder mehrere) konkrete Pflegeperson(en) bereits bekannt ist (sind) und daher konkret gewertet werden könnte oder andererseits noch keine konkrete Pflegeperson bekannt ist und daher objektiv gewertet werden müsste. Schließlich könnte sich der Pflegeaufwand auch bei laufender Pflege mit jedem Wechsel der Pflegeperson ändern (vergrößern oder verringern) und damit auch der Umfang des Leistungsanspruchs.
Das alles gilt insbesondere, wenn Zeiten des Transfers zu einer Pflegeperson mitrechnen würden, weil diese bei größerer Entfernung der Wohnung der Pflegeperson gegenüber den sonstigen Pflegezeiten ein völlig unangemessenes zeitliches Gewicht bekommen könnten. So könnten etwa allein mit Hilfe derartiger Transferzeiten Personen in die Pflegestufe I gelangen, deren übriger Grundpflegebedarf nur wenige Minuten ausmacht; entsprechendes würde für die Höherstufung von Pflegestufe I nach II sowie von II nach III gelten. Die Berücksichtigung des Pflegeaufwands kann auch nicht davon abhängig gemacht werden, ob - wie hier - die Pflegebedürftige zur Pflegeperson oder aber umgekehrt diese zur Pflegebedürftigen transportiert werden muss; im letzteren Fall steht eine Nichtberücksichtigung der Transferzeiten jedoch völlig außer Frage.
Ein auf die konkrete Pflegeperson, ihre Konstitution und Lebensumstände abstellender Maßstab scheitert aber vor allem daran, dass der nach § 15 Abs 3 SGB XI relevante Maßstab ("ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson") nicht nur - wie im Fall der Klägerin - für die Bemessung des Pflegegeldes bei selbst beschafften Pflegehilfen (§ 37 Abs 1 Satz 3 Nr 1 bis 3 iVm den §§ 14, 15 SGB XI) maßgeblich ist. Er gilt gleichermaßen bei häuslicher Pflege in Form der Sachleistung durch professionelle Pflegekräfte (§ 36 Abs 3 Nr 1 bis 3 iVm den §§ 14, 15 SGB XI) wie bei stationärer (§ 43 Abs 5 iVm den §§ 14, 15 SGB XI) oder teilstationärer Pflege (§ 41 Abs 2 iVm den §§ 14, 15 SGB XI). In diesen Fällen kommt von vornherein nur ein objektiver Maßstab in Betracht, in den ersten beiden Fällen scheidet ein Transferbedarf zur Pflegeperson sogar denknotwendig aus. Auch bei teilstationärer Pflege ist der Transfer zwischen Wohnung und Einrichtung der Tages- und Nachtpflege zwar zu leisten (§ 41 Abs 1 Satz 2 SGB XI), bei der Bemessung des Pflegebedarfs aber nicht zusätzlich zu berücksichtigen, weil Maßstab allein die häusliche Pflege ist (§ 15 Abs 3 SGB XI). Angesichts der gesetzlichen Vorgabe, dass die - unter Berücksichtigung der Transferzeiten - vorgenommene Einstufung aber auch bei Wechsel zu einer anderen Pflegeperson (bei häuslicher Pflege durch selbst beschaffte Pflegehilfen) oder zu einer anderen Pflegeart (zu häuslicher Pflege durch professionelle Pflegekräfte als Sachleistung oder zu stationärer Pflege) weiterhin maßgebend bliebe, muss ein subjektiver ("konkreter") Maßstab ausscheiden.
Gegen das Abstellen auf einen objektiven Maßstab bei der Pflegeperson spricht auch nicht, dass die Pflege im Hinblick auf die Zielvorgaben des § 2 Abs 1 SGB XI dem individuellen Bedarf des Pflegebedürftigen gerecht werden muss (Bedarfsgerechtigkeit). Dies rechtfertigt es zwar, bei der Feststellung des Pflegebedarfs nicht nur Art und Schwere der krankheits- und behinderungsbedingten Funktionseinbußen, psychische Probleme und Abneigungen sowie durch Krankheiten verursachte Lebensgewohnheiten, sondern auch das häusliche Umfeld und die konkrete Wohnsituation des Pflegebedürftigen einzubeziehen (vgl Wagner aaO, Klie aaO, Udsching aaO); die Grenzen der Berücksichtigungsfähigkeit von individuellen Lebensumständen und -gewohnheiten, insbesondere von solchen, die nicht mehr innerhalb einer gesellschaftlich akzeptierten Bandbreite liegen oder Luxus darstellen, sind dabei allerdings umstritten (für weit gehende Objektivierung: Udsching aaO, stärker individualisierend: Klie aaO, vermittelnd Wagner aaO). Dies kann indessen dahinstehen, weil es hier nicht um derartige individuelle Lebensgewohnheiten der Pflegebedürftigen geht, sondern um einen Pflegeaufwand, der durch besondere Lebensumstände der Pflegeperson begründet ist und daher bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise gänzlich ausgeklammert bleiben muss.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
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