L 2 U 46/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 25 U 518/95
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 46/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Februar 2001 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 28. März 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 1995 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 13. Januar 1994 ab 16. März 1994 eine Verletztenteilrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 v.H. zu gewähren. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin wegen der Auswirkungen eines Unfalls vom 13. Januar 1994 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zustehen.

Die 1951 geborene Klägerin, die von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte seit dem 1. Juli 1995 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezieht, wurde am 13. Januar 1994 Opfer eines Unfalls, als sie mit dem Fahrrad auf dem Wege zu ihrer Arbeitsstelle von einem Auto angefahren und weggeschleudert wurde sowie hierbei auf das Gesicht stürzte. Im Durchgangsarztbericht des Dr. H. von der Kieferchirurgischen Klinik/Unfallambulanz der Charité vom 11. Februar 1994 findet sich folgende Diagnose:

Orbitabodenfraktur, Unterkieferfraktur, Unterschenkelfraktur,

Prellung, Kniekontusion beidseits, Schürfwunde linkes Ellenbogengelenk.

Der Befund der Halswirbelsäule (HWS), erhoben am 18. Januar 1994, wurde mit "Bewegungsschmerz, keine Bewegungseinschränkung, kein Klopfschmerz" angegeben. Die Röntgenaufnahmen der HWS vom gleichen Tage erbrachten eine Steilhaltung und keinen Frakturnachweis, die des Schädels eine Orbita- (Augenhöhlen) Fraktur links und eine Fraktur unterhalb des Kiefergelenkköpfchens. Eine Epikrise der Abteilung für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie vom 24. Januar 1994 weist u.a. ein Schädelhirntrauma (SHT) I. Grades aus.

Am 25. Februar 1994 stellte sich die Klägerin ausweislich eines Berichtes des Neurologen und Psychiaters Dr. H. erstmalig diesem Arzt vor. Er bezeichnete in dem Bericht, mit dem er Frau Dr. Z. von der Neurologischen Abteilung des E. Krankenhauses K.-E.-H. um eine stationäre Behandlung der Klägerin ersuchte, die Schädel-Hirn-Trauma-Halswirbelsäulen (HWS)-Kopfgelenks-Symptomatik als im Vordergrund stehend. Es beständen massive Schwindel- und Gleichgewichtsstörungen, eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der HWS, Kopfschmerz und multiple andere Beschwerden. Die HWS-Beschwerden seien durchgehend seit dem Trauma beobachtet worden.

Ein in diesem Krankenhaus am 22. März 1994 erstelltes Computertomogramm (CT) war unauffällig und zeigte keinen Anhalt für posttraumatische Läsionen. Als unauffällig erwiesen sich auch die am 18. März 1994 durchgeführten Untersuchungen mit Druckreizen, ein EMG und ein EEG. Die Entlassungsdiagnose des Evangelischen Krankenhauses Königin-Elisabeth-Herzberge nach vorwiegend krankengymnastischer Behandlung in Form von Koordinationsübungen (stationärer Aufenthalt vom 16. bis 30. März 1994) lautete:

Posttraumatisches Cervicalsyndrom mit Blockierungen bei C0/C1-Gelenk mit paroxysmal auftretendem Drehschwindel.

Wegen der anhaltenden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin und der Fortdauer der neurologischen Behandlung bei Dr. Hinzmann forderte die Beklagte ein nervenärztliches und psychologisches Gutachten der Dres. H. an, das diese am 4. Februar 1995 abgaben. Darin heißt es zusammenfassend, es werde zwar ein SHT-I. Grades akzeptiert. Ein Schleudertrauma oder andere HWS-Verletzungen seien jedoch nicht denkbar. Ein Hirntrauma sei nach dem gesamten Verlauf, nach den Befunden und der Bildmorphologie auszuschließen. Es liege auch kein Dauerschaden vor. Die seelische Reaktion der Klägerin sei mit deren psychologischem Hintergrund und der unfallunabhängigen Persönlichkeitsstruktur zu erklären, aber nicht unfallbedingt.

In einem ersten Rentengutachten vom 2. März 1995 schlug der Chirurg Dr. P. eine Minderung der Erwerbsfähigkeit -MdE- von unter 10 v.H. wegen der verbliebenen Unfallfolgen:

"Gut verheilte Unterkiefergelenksfortsatzfraktur rechts nach operativer Versorgung ohne Beeinträchtigung des Bisses,

Parästhesien links nach einer ausgeheilten Mittelgesichtsfraktur linksseitig sowie normal verheilte Weichteilverletzungen im Gesicht ohne Verziehungen oder Entstellungen"

vor.

Durch den Bescheid vom 28. März 1995 stellte die Beklagte daraufhin unter Bezugnahme auf das Ergebnis der medizinischen Ermittlungen die Zahlung von Verletztengeld mit Wirkung vom 16. März 1994 an ein und lehnte die Gewährung einer Rente ab. Dabei verblieb sie auch auf den Widerspruch der Klägerin, mit dem diese geltend gemacht hatte, bei ihr lägen dauerhafte Unfallfolgen vor, die einen Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 30 v.H. rechtfertigten. Dr. H. habe gegenüber der privaten Haftpflichtversicherung ihres Schädigers in seinem Gutachten vom 5. April 1995 eine längere Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Im Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 1995 führte die Beklagte insoweit aus, dieses Gutachten sei den von ihr angehörten Ärzten bekannt gewesen.

Im anschließenden Klageverfahren gelangten diverse medizinische Unterlagen zur Gerichtsakte, u.a.

Befundberichte des Dr. H. vom 4. Oktober 1994, 5. April 1995 und 22. April 1996, der Dres. Sch. vom 5. Januar und 30. Oktober 1995,

die MDK-Gutachten des Dr. H. vom 23. Mai 1995, der die klinische Symptomatik bei der Klägerin als Folge des Verkehrsunfalles ansah, und des Dr. Sch. vom 16. November 1995

sowie ein Magnetresonanztomogramm (MRT)-Befund vom 11. Dezember 1995 (unauffälliges zervikales MRT).

Der dann zum medizinischen Sachverständigen bestellte Orthopäde Dr. B. gelangte in seinem Gutachten vom 25. Mai 1996 zu der Auffassung, dass die über den 31. März 1994 hinaus bestehende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ausschließlich auf psychovegetative und psychosomatische Erscheinungen zurückzuführen sei, die mit den orthopädischen Erkenntnissen nicht in Einklang ständen. Insoweit seien eindeutige Unfallfolgen im Bereich der HWS weder am Übergang zwischen Kopf und HWS noch am Übergang zwischen HWS und Brustwirbelsäule (BWS) gefunden worden. Mit der Beurteilung tiefenpsychologischer Aspekte sei er fachlich überfordert. Die MdE werde mit unter 10 v.H. eingeschätzt.

Im Anschluss hieran überreichte die Klägerin ein neurologisch-psychiatrisches und manualmedizinisches Gutachten des Dr. H. vom 2. Oktober 1996, ergänzt durch seine Stellungnahme vom 15. Februar 1997, mit folgender Diagnose der Unfallfolgen zur Gerichtsakte:

1. Schweres-chronisches posttraumatisches Zervikalsyndrom (oberes im Kopfgelenksbereich) bei arthromuskulärer Dysfunktion (Gelenk- und Muskeldysfunktion - Hinweise/Verdacht auf Instabilität im Kopfgelenksbereich) - nach SHT und HWS-Distorsion mit Frakturen (Gesichtsschädel/Kiefer) und Weichteilläsionen der HWS,

2. mit derzeitiger oberer BWS-Symptomatik,

3. mit derzeitiger neurologischer Symptomatik (Kopfschmerzsyndrom, enzephales Syndrom, vegetative Dysregulation, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel),

4. mit derzeitiger psychischer Symptomatik (Hirnleistungsstörungen, depressives Syndrom, algogenes Psychosyndrom bei chronischem Schmerzzustand, Reaktion auf bio-psycho-soziale Unfallfolgen),

5. mit Vorerkrankungen "Migräne" (zu bewerten im Sinne einer Verschlimmerung durch den Unfall).

Es heißt bei ihm, die unfallbedingte MdE sei mit 100 v.H. zu bewerten.

Die Ausführungen des Dr. H. veranlassten die Beklagte, ein weiteres Gutachten des Dr. H. vom 9. April 1997 nach Aktenlage (u.a. unter Einbeziehung der auf den Rentenantrag der Klägerin von der BfA eingeholten Gutachten des Chirurgen Dr. M. vom 15. Januar 1996 und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. vom 9. Januar 1996) einzuholen. Dr. H. legte zusammenfassend dar, aufgrund der vorgelegten Unterlagen sei auszuschließen, dass es bei dem Unfall zu einer substantiellen Verletzung am Kopfhalteapparat gekommen sei, die nachweisbare Dauerschäden hinterlassen könne. Solche Schäden seien nicht dokumentiert. Eine massive neurotische Störung der Klägerin zeige sich schon darin, dass sie ein psychologisches Gutachten oder überhaupt einen Zugang zu ihrem Problem aus dieser Sicht als Abwertung bezeichne.

Im Anschluss hieran reichte die Klägerin einen neuroradiologischen Befund des Dr. Dr. V./K. vom 15. April 1997 zur Gerichtsakte, mit dem dieser eine komplette Ruptur der Kopfgelenksbänder ausschloss. Festgestellt habe er jedoch kleinere zentrale Konturunregelmäßigkeiten. Wegen dieser Verletzungen und einer intraoperativ festgestellten beiderseitigen Zerreißung und Verletzung der Gelenkkapsel C1, C2 nahm am 22. Oktober 1997 Dr. M. vom Chirurgischen Kreiskrankenhaus F. eine Stabilisierungsoperation am cranio-cervicalen Übergang durch transarticuläre Verschraubung C1/C2 vor. Da sich der Zustand der Klägerin hiernach nicht besserte, suchte sie Dr. G. von der Sch. Klinik in Z. auf, der am 16. März 1999 einen weiteren operativen Eingriff unter der Diagnose einer Pseudoarthrose durchführte.

Am 8. November 2000 erstattete Prof. Dr. M.-H. von der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Ch. ein neurochirurgisches Gutachten. Er vertrat die Auffassung, durch die stationären Eingriffe sei bewiesen, dass der Unfall vom 13. Januar 1994 zu einer schweren HWS-Distorsionsverletzung mit einer nachfolgenden Instabilität in Höhe C1/C2 infolge von Gelenkkapseleinrissen und Verletzungen der Ligamenta alaria beidseits geführt habe. In Anbetracht einer nicht vorgeschädigten HWS seien somit die von der Klägerin geschilderten Beschwerden als unfallbedingt anzusehen. Als Folgen des Unfalls sähe er folgende Gesundheitsschäden an:

Schmerzen im HWS-Bereich mit Ausstrahlung in den Hinterkopf und in beide Arme. Schwindelgefühl im Sinne eines belastungsabhängigen Drehschwindels. Eine Tetraspastik mit Gangunsicherheit und einer Hypästhesie etwa ab Höhe C4 sowie eine schwere neurotische Störung der Klägerin, die sich durch aggravierendes Zittern äußert.

Im Anschluss hieran forderte das Sozialgericht die zusätzliche Stellungnahme des Orthopäden Dr. B. vom 13. Dezember 2000 an. Er gab an, weiterhin nicht von einer Verletzung der Flügelbänder sowie Gelenkkapselzerreißungen ausgehen zu können. Die Feststellungen des Dr. V. seien hypothetisch und entsprächen nicht der herrschenden Lehrmeinung. Deshalb könne er nicht die zwischenzeitlich eingetretene Gesundheitsstörung, wie sie im Gutachten des Prof. Dr. M.-H., insbesondere in Form einer Tetraspastik unterhalb von C4 aufgeführt worden sei, auf das Ereignis vom 13. Januar 1994 zurückführen. Auch die operativen Maßnahmen mit Versteifung des cervico-cranialen Übergangsbereiches seien nicht auf Unfallfolgen zurückzuführen.

Die Klägerin legte daraufhin noch eine ärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters R. vom 2. Februar 2001 vor, der der Klägerin unter Berücksichtigung moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse ein chronisches posttraumatisches Cervicalsyndrom bei arthromuskulärer Dysfunktion nach HWS-Distorsion mit SHT, oberer BWS-Symptomatik und neurologischer Symptomatik in Form einer vegetativen Dysregulation bescheinigte.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 22. Februar 2001 abgewiesen. Verletzungen der Ligamenta alaria (Flügelbänder) und der Kapselbänder der Gelenke C1 und C2 beidseits seien nach Überzeugung der Kammer nicht nachgewiesen. Alle anderen bei der Klägerin nachgewiesenen Gesundheitsstörungen seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfalls. Die Kammer stütze ihre Überzeugung auf die Gesamtheit der medizinischen Unterlagen, insbesondere jedoch auf die Verwaltungsgutachten des Dr. H. und des Dr. P. sowie das Gutachten und die Stellungnahme des Dr. B ... Sowohl Dr. H. als auch Dr. B. hätten zutreffend darauf hingewiesen, dass die aus dem Unfallmechanismus resultierenden Verletzungen der Klägerin nicht im Sinne eines Schleudertraumas interpretiert werden könnten. Ein wesentliches Argument gegen das Vorliegen einer Verletzung der Flügelbänder und der Gelenkkapseln am Kopfübergangsbereich sei das Fehlen eines nachweisbaren Blutergusses nach dem Unfallereignis. Nach den Feststellungen des Dr. B., der mit allen ihm zugänglichen und in der Kernspintomographie erfahrenen Radiologen Rücksprache gehalten habe, müsse bei einer Ruptur der Flügelbänder sowie der Gelenkkapselbänder in irgendeiner Form ein Bluterguss nachweisbar sein. Die Röntgenbefunde und die Kern-spintomographiebefunde der HWS seien insoweit jedoch objektiv ohne Befund gewesen. Die durch die Operationen an der HWS der Klägerin eingetretenen weiteren Gesundheitsstörungen könnten nach Überzeugung der Kammer auch nicht als mittelbare Folgen des Unfalls angesehen werden. Die Operationen seien unfallversorgungsrechtlich nicht geboten gewesen. Die Indikation der umfangreichen Operationen sei nach den überzeugenden Ausführungen des Dr. B. nicht nachvollziehbar.

Gegen das am 24. März 2001 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 30. März 2001, mit der sie eine Verletztenrente nach einer MdE von 70 v.H. geltend macht. Das Urteil des Sozialgerichts werde der medizinischen Aktenlage nicht gerecht. Es habe zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass bei ihr intraoperativ als Folge des Unfalls eine Ruptur der Kopfgelenksbänder gefunden worden sei. Diese Verletzung präge die bei ihr seit 1994 bekannten Beschwerden im Bereich der HWS, kombiniert mit neurologischen Symptomen, Kopf-, Nacken-, Schulter- und Armschmerzen, Gleichgewichtsstörungen mit Gangunsicherheit, Schwindelerscheinungen u.a ... Die von Dr. B. geäußerten Zweifel an der Zuverlässigkeit der Erkenntnismethoden und der medizinischen Behandlungen des Dr. M. und des Dr. G. von der Sch.-Klinik/Z. seien aus ihrer Sicht nicht nachvollziehbar.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Februar 2001 aufzuheben und den Bescheid vom 28. März 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 1995 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 13. Januar 1994 ab 16. März 1994 Verletztenteilrente nach einer MdE von 70 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts das Gutachten des Neurochirurgen Prof. Dr. K. vom 21. März 2002 eingeholt. Aus seiner Sicht könne kein Zweifel daran bestehen, dass die Stärke der physikalischen Einwirkung des Traumas vom 13. Januar 1994 ausreichend gewesen sei, um den Bandapparat im cranio-cervicalen Übergang nachhaltig zu schädigen. Der Nachweis einer dislozierten Unterkieferfraktur rechts sowie einer lateralen Mittelgesichtsfraktur links lasse darauf schließen, dass das Trauma ein laterales Beschleunigungstrauma, d.h. in der Links-Rechtsausrichtung des Kopfes gewesen sei. Wegen der ungewöhnlich schwierigen Diagnostik der Verletzungen, der verschiedenen therapeutischen Ansätze bei der Behandlung dieser Verletzungen müsse letztendlich der intraoperativ sicher nachgewiesene Instabilitätsbefund aus der Operation vom 22. Oktober 1997 als Beweis der Verletzung herangezogen werden. Da die übrigen Wirbelsäulenabschnitte der Klägerin keine über die Altersnorm hinausgehende degenerative Degeneration aufweisen würden und sie nach eigener Aussage und der Aktenlage vorher weitestgehend beschwerdefrei gewesen sei, sei aus neurochirurgischer Sicht mit sehr großer Wahrscheinlichkeit die Verletzung des Kapselbandapparates im cranio-cervikalen Übergang unmittelbare und ausschließliche Folge des Unfalls vom 13. Januar 1994. Dass die Klägerin hochgradige psychopathologische Auffälligkeiten nicht nur in der eingehenden fachneurochirurgischen Untersuchung bei ihm sondern auch bei den Vorgutachtern gezeigt habe, dürfe nicht zu der Annahme verleiten, es handele sich um eine hypochondrische Klägerin, die ihre Symptome entweder bewusst oder unterbewusst vortäusche, um hier einen materiellen Vorteil zu erlangen. Die von dem neurochirurgischen Vorgutachter Prof. Dr. M.-H. erhobenen Befunde einer Tetraspastik mit positivem Trömner- und Knipsreflex sowie kloniformen Nachschlägen der Beinreflexe und einem beidseits positiven Babinski’schen Zeichen seien Ausdruck der erlittenen hohen Halsmarkschädigung, wobei sich im Nachhinein der Zeitpunkt dieser Halsmarkschädigung nicht exakt bestimmen lasse. Ursächlich auf den Unfall zurückzuführen seien

a) Schwere Verletzungen im Gesichts-Schädel-Bereich bei einer dislozierten Untergelenkfortsatzfraktur rechts und einer nicht dislozierten lateralen Mittelgesichtsfraktur links sowie multiplen Gesichtsweichteilkontusionen mit Hautexkoreationen

b) Ligamentäre Verletzung im kraniozervikalen Übergang mit absoluter Segmentinstabilität HWK 1/HWK 2

c) Tetraspastik mit allseitiger Reflexerhöhung und positiven Pyramidenbahnzeichen als Ausdruck einer funktionalen Halsmarkschädigung.

Vernachlässige man die sekundär hinzugetretenen neurotischen Störungen der Klägerin könne man von einer unfallbedingten MdE auf Dauer in Analogie zu dem neurochirurgischen Gutachten des Prof. Dr. M.-H. mit 70 v.H. ausgehen.

Die Beklagte hat zu diesem Gutachten eine ergänzende Stellungnahme des Dr. B. vom 10. Juli 2002 eingeholt, zu der sich Prof. Dr. K. am 6. September 2002 schriftsätzlich geäußert hat.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte (2 Bände) mit den Gutachten der medizinischen Sachverständigen und auf die Unfallakten der Beklagten (4 Bände), die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.

Ihr steht aufgrund des am 13. Januar 1994 erlittenen Wegeunfalls, der die Anforderungen des § 550 Abs. 1 Reichsversicherung -RVO- erfüllt, ab dem 16. März 1994 eine Verletztenrente zu, weil sie - jedenfalls - seither nicht mehr arbeitsfähig gewesen ist. Sie war nach der Aussage von Prof. Dr. K. seit dem Unfall wegen dessen Folge arbeitsunfähig krank.

Nach § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO in Verbindung mit § 1150 Abs. 2 RVO, der hier noch zu Anwendung kommt, weil der Versicherungsfall vor dem Außer-Kraft-Treten des Dritten Buches der RVO am 31. Dezember 1996 eingetreten ist (§ 212 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch), wird, solange infolge des Arbeitsunfalles die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein Fünftel gemindert ist, als Verletztenrente der Teil der Vollrente gewährt, der dem Grad der MdE entspricht. Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen, denn das Ereignis vom 13. Januar 1994, das als Wegeunfall unstreitig ist, hat nach dem medizinischen Sachstand einen Rentenanspruch begründende Gesundheitsstörungen hinterlassen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) reicht für die Bejahung der Ursächlichkeit des Unfallereignisses für die vorliegenden Gesundheitsstörungen die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus (vgl. u.a. BSG 45, 225 und 286; 58, 76, 79). Hierunter ist eine Wahrscheinlichkeit zu verstehen, nach der bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 45, 285, 286).

Nach Auswertung aller in den Akten befindlichen medizinischen Unterlagen, insbesondere der zu den Auswirkungen des hier streitigen Unfallgeschehens vom 13. Januar 1994 eingeholten Gutachten der Prof. Dres. M.-H. vom 8. November 2000 und K. vom 21. März 2002 hält es der Senat für überwiegend wahrscheinlich, dass das bei der Klägerin vorliegende posttraumatische Cervicalsyndrom, verursacht durch eine Verletzung des Kapselbandapparates im cranio-zervicalen Übergang, unmittelbar und ausschließlich auf den Unfall vom 13. Januar 1994 zurückzuführen ist. Ursächlich bedingt sind hierdurch auch die neurologischen Ausfallerscheinungen, die Prof. Dr. Kiwit in seinem Gutachten als Tetraspastik mit allseitiger Reflexerhöhung und positiven Pyramidenbahnzeichen als Ausdruck einer funktionalen Halsmarkschädigung bezeichnet hat.

Da es sich bei den hier streitigen Unfallfolgen um medizinische Tatsachen handelt, hatte das Gericht nach den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Beweisgrundsätzen seine Feststellungen nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnenden Überzeugung zu treffen. Unter Beachtung dieser Grundsätze ist das Gericht nach gewissenhafter Auswertung der medizinischen Aktenlage zu der Überzeugung gelangt, dass das Sozialgericht, das die medizinische Beweislage anders gewertet hat, hier zu Unrecht verneint hat, dass die Auswirkungen des Wegeunfalls der Klägerin ein rentenberechtigendes Ausmaß erreichen.

Der Senat sieht es aufgrund der ihn überzeugenden, in sich widerspruchsfreien und schlüssigen Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Maier-Hauff und Kiwit als medizinisch gesichert an, dass sich die Klägerin außer den aus chirurgischer Sicht von Dr. P. zusammengefassten Unfallfolgen im ersten Rentengutachten: Schwere Verletzungen im Gesichts-Schädel-Bereich bei einer dislozierten Untergelenkfortsatzfraktur rechts und einer nicht dislozierten lateralen Mittelgesichtsfraktur links sowie multiplen Gesichtsweichteilkontusionen mit Hautexkoreationen als weitere, weitaus schwerwiegendere Verletzungen

eine ligamentäre Verletzung im cranio-zervikalen Übergang mit absoluter Segmentinstabilität HWK 1/HWK 2

und Tetraspastik mit allseitiger Reflexerhöhung und positiven Pyramidenbahnzeichen als Ausdruck einer funktionalen Halsmarkschädigung

zugezogen hat, die ihren gegenwärtigen Zustand im Wesentlichen mitbestimmen. Mit diesen medizinischen Sachverständigen geht der Senat davon aus, dass durch den Operationsbericht des Dr. M. vom 22. Oktober 1997 und eine schriftliche Bestätigung des Chefarztes der chirurgischen Abteilung der Kreiskliniken O., F., Dr. K. vom 30. April 2001, dem dieser - im Bericht als imponierend bezeichnete - Befund demonstriert worden war, bewiesen ist, dass intraoperativ ein Ligamenta alaria-Riss beiderseits, bedingt durch den Unfall vom 13. Januar 1994, festgestellt werden konnte. Er führte zu der weiterhin im Operationsbericht ausgewiesenen Fixierung des Kopfgelenkes mit Doppeldrahtcerclagen. Da sich im weiteren Verlauf eine Pseudoarthrose im Verschraubungsbereich zeigte, wurde am 16. März 1999 in der Sch.-Klinik, Z., durch Dr. G. eine Respondylodese vorgenommen.

Der Senat hält es in Übereinstimmung mit den medizinischen Sachverständigen für gerechtfertigt, aus diesen durch Operationsberichte belegte Eingriffen den Schluss zu ziehen, dass diese allein wegen der festgestellten Verletzungen der Ligamenta alaria und der Kapselbänder der Gelenke C1 und C2 erfolgt sind. Der Kritik des Dr. B., insbesondere in seiner weiteren gutachterlichen Stellungnahme vom 13. Dezember 2000, in der er sich mit der von Dr. V. entwickelten Technik der Befunderhebung durch Funktions-Kernspin-Tomographen und der aus seiner Sicht nicht nachvollziehbaren Operation im Oktober 1997 auseinandersetzt, folgt der Senat hingegen nicht. Er hält sie für unsachlich. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf die von der Klägerin zur Gerichtsakte eingereichte Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. R. vom 12. Februar 2001, der unter Berücksichtigung moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse, insbesondere der mehrfach bei der Klägerin in seiner Praxis erstellten CT und MRT im Bereich der Halswirbelsäule, ein chronisches posttraumatisches Cervicalsyndrom bei arthromuskulärer Dysfunktion nach HWS-Distorsion mit SHT u.a. als medizinisch gesichert ansah. Seine Erkenntnisse entsprechen auch den Diagnosen des die Klägerin seit dem Unfall ständig behandelnden und mit der Therapie von HWS-Distorsionstraumen besonders erfahrenen Hausarztes Dr. H ... Zwar hält der Senat den Vorwurf des Herrn R., die Gutachten des Dr. B. und des Dr. H. seien tendenziös im Sinne der Beklagten, für überzogen. Beide Ärzte sind dem Gericht aus seiner langjährigen Entscheidungspraxis als gewissenhafte, sachkundige und in ihren Beurteilungen verlässliche Sachverständige vertraut. Im vorliegenden Fall kann er ihrer Auffassung aber deshalb nicht folgen, weil ihn die im Gutachten vom 21. März 2002 und in der Stellungnahme vom 6. Februar 2003 von Prof. Dr. K. vorgetragene Ansicht zu dem überragenden Stellenwert der im Operationsbericht des Dr. M. festgehaltenen intraoperativen Beschreibung der Befunde stärker überzeugt als die insbesondere von Dr. B. vorgetragenen Bedenken gegen die Notwendigkeit der bei der Klägerin vorgenommenen Operationen und gegen die Arbeitsmethoden des Operateurs. Anschaulich untermauert hat Prof. Dr. K. seine Auffassung auch damit, dass er den Unfallhergang aus biomechanischer Sicht für durchaus geeignet hält, die festgestellten Auswirkungen im Bereich der HWS herbeizuführen. Er erläutert das damit, dass bei der heftigen Lateralbeschleunigung mit schweren Mittelgesichtsverletzungen davon auszugehen sei, dass die erlittenen Bandverletzungen im Zentrum der mechanischen Gewalteinwirkungen gelegen hätten, und seither keine Beschwerdefreiheit der Klägerin vorgelegen habe. Schon von daher seien die erlittenen Verletzungen ursächlich auf den Unfall vom 13. Januar 1994 zurückzuführen.

Mithin sind neben den im Verwaltungsverfahren anerkannten Auswirkungen des Unfalls vom 13. Januar 1994, die für sich allein eine MdE von unter 10 v.H. begründen, als weitere Verletzungsfolgen die im Gutachten des Prof. Dr. K. auf Seite 10 seines Gutachtens genannten Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen. Die hierauf zurückzuführende MdE hält der Senat im Einverständnis mit den medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. M.-H. und K. mit 70 v.H. für angemessen eingeschätzt. Nach der bei Schönberger-Mehrtens-Valentin, "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 6. Auflage - 1998, unter Ziffer 8.3.4.2.1, Seite 517 vorgenommenen Einteilung der Distorsionen an der HWS in Schweregrade gilt, wenn - wie hier - eine absolute Segmentinstabilität wegen gerissener Bänder der HWK 1/HWK 2 vorliegt, der Schweregrad III. Ist - wie hier - ein Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht erfolgt, ist nach den Anhaltswerten für die MdE-Einschätzung der HWS-Distorsion, die sich proportional zu dem Schweregrad ergibt, eine MdE von 10 v.H bis 20 v.H. auf Dauer anzunehmen (a.a.O. S. 524). Hiervon unabhängig sind die neurologischen Ausfälle bei der Klägerin zu beurteilen, die sich nach Prof. Dr. K. in unveränderten Schwindelgefühlen, Schmerzen und Kraftlosigkeit in Armen und Beinen, zur Benutzung eines Rollators oder Rollstuhls führender Gangunsicherheit sowie verstärkter Harn- und Stuhlinkontinenz zeigen. Die Befunde zur eingeschränkten Mobilität der Klägerin hatte schon Dr. H. bei der ersten Vorstellung der Klägerin am 25. Februar 1994 erhoben, so dass er eine stationäre Mobilisierung der Klägerin im Krankenhaus K.-E.-H. angeregt hatte. Für derartige Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, die in Anbetracht ihrer Auswirkungen als mittelgradig einzuschätzen sind, ist nach den Erfahrungswerten der Unfallversicherung (s. a.a.O. S. 323 Ziffer 5) eine MdE von 40 bis 50 zu veranschlagen. In der Kombination mit den weiteren Unfallfolgen und den hierfür anerkannten, bzw. vorgesehenen MdE-Werten ist die von den medizinischen Sachverständigen vorgenommene MdE-Einschätzung der Klägerin mit 70 v.H. nachvollziehbar.

Die von Prof. Dr. M.-H. in den Unfallfolgen-Katalog mit aufgenommene schwere neurotische Störung und sonstige psychopathologische Auffälligkeiten mit stark depressiven Zügen, die Prof. Dr. K.als "sekundär hinzugetretene" Störungen klassifiziert, hat der Senat bei der MdE-Bewertung der Klägerin vernachlässigt. Hierbei handelt es sich, verglichen mit den nach dem Unfall erhobenen Befunden, als sich derartige Auswirkungen des Unfalls bei der Klägerin noch nicht zeigten, nicht um unmittelbare Unfallfolgen. Der Senat folgt insoweit der im Rentenverfahren für die gesetzliche Rentenversicherung abgegebenen Stellungnahme des Nervenfacharztes Dr. L. vom 9. Januar 1996, der "die schillernde Symptomatik" rund zwei Jahre nach einem SHT I. Grades als das Resultat einer konversionsneurotischen Entwicklung ansah, die durch das Unfallereignis "angestoßen" worden sei. Ähnlich äußerte sich auch Dr. H. in seiner nervenfachärztlichen Stellungnahme vom 9. April 1997, der die Problematik der Klägerin als vorrangig psychosomatisch-psychogen einschätzte, die nicht primär traumatisch bedingt sei.

Das Urteil des Sozialgerichts konnte nach alledem keinen Bestand haben. Die Beklagte war antragsgemäß zur Gewährung einer Verletztenteilrente nach einer MdE von 70 v.H. zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung die dem Ergebnis in der Hauptsache folgt, ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved