L 3 P 13/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 39 P 14/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 P 13/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.01.2002 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 02.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2001 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger die Leistungen der Pflegestufe II ab 01. Dezember 1999 entziehen durfte.

Der im Mai 1988 geborene Kläger leidet seit seiner Geburt an einer geistigen Behinderung mit erheblichen Entwicklungsstörungen und gelegentlichen Krampfanfällen. Deshalb gewährte ihm die Techniker Krankenkasse (TK) mit Bescheid vom 16. August 1991 ab 01. Januar 1991 häusliche Pflegehilfe wegen Schwerpflegebe- dürftigkeit aus der gesetzlichen Krankenversicherung i. H. v. monatlich 400,00 DM. Anstelle dieser Leistung zahlte ihm die Beklagte ab 01. April 1995 Pflegegeld nach Pflegestufe II.

Am 04. Mai 1995 ließ die Beklagte den Kläger in häuslicher Umgebung durch den MdK-Arzt Dr. L. untersuchen. Dieser bezifferte den täglichen Gesamtpflegebedarf in seinem Gutachten vom 10. Juli 1995 auf ca. 3 bis 4 Stunden. In einem weiteren Pflegegutachten vom 12. Juni 1997 führte der MdK-Gutachter Dr. M. aus, dass sich die Pflegesituation im Vergleich zum Vorgutachten nicht verändert habe. Der Pflegeaufwand für den inzwischen 9jährigen Kläger betrage im Grundpflegebereich 220 Minuten täglich (Körperpflege 100 Minuten, Ernährung 60 Minuten und Mobilität 60 Minuten).

Am 17. August 1999 ließ die Beklagte den 11jährigen Kläger in häuslicher Umgebung durch den MdK-Arzt W. untersuchen. Dieser legte in seinem Pflegegutachten vom 30. August 1999 dar, dass der Kläger in den letzten Jahren stetige Entwicklungsfortschritte gemacht und Teilselbständigkeiten erworben habe. Deshalb habe sich sein Hilfebedarf im Grundpflegebereich auf 89 Minuten täglich reduziert. Da ein gesundes 11jähriges Kind einen täglichen Hilfebedarf von 15 Minuten habe, sei beim Kläger im Grundpflegebereich ein Mehraufwand von 74 Minuten zu berücksichtigen.

Mit Bescheid vom 15. September 1999 teilte die Beklagte der Mutter des Klägers mit, dass ab dem 01. Oktober 1999 nur noch Pflegegeld nach Pflegestufe I gewährt werde. Zur Begründung gab sie an, der Kläger habe sich weiterentwickelt und Teilselbständigkeiten erworben. Dadurch sei sein Grundpflegebedarf auf 74 Minuten gesunken. Die Voraussetzungen der Pflegestufe II lägen deshalb nicht mehr vor.

Dagegen erhob der Kläger am 01. Oktober 1999 Widerspruch und legte eine Auflistung vor, wonach sein täglicher Grundpflegebedarf 276 Minuten betrage.

Mit Bescheid vom 02. Dezember 1999, der an die Mutter des Klägers adressiert ist, nahm die Beklagte ihren Bescheid vom 15. September 1999 wegen fehlender Anhörung zurück und "verlängerte" die Leistungen nach Pflegestufe II bis zum 30. November 1999. Gleichzeitig stufte sie den Kläger ab 01. Dezember 1999 in die Pflegestufe I zurück und führte aus, dass der Bescheid vom 15. September 1999 "als Anhörung" gewertet werde. Die Rückstufung sei zulässig, weil sich die tatsächlichen Verhältnisse wesentlich geändert hätten.

Nachdem die Mutter des Klägers die Pflegesituation nochmals geschildert und die Beklagte einen Bericht des niedergelassenen Kinder- und Jugendarztes Dr. A. aus H. vom 13. Dezember 2000 beigezogen hatte, holte sie Stellungnahmen des MdK-Arztes W. vom 08. und 15. Dezember 2000 ein. Dieser gab an, dass die Erkrankung des Klägers unverändert fortbestehe. Dennoch habe er Teilfähigkeiten erlernt und dadurch seinen Fremdhilfebedarf reduziert. Diese Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen lasse sich allerdings "nur sehr schwer" belegen, weil die Vorgutachten anders strukturiert seien und einen "deutlich geringeren Informationsgehalt" aufwiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2001, der an die Mutter des Klägers gerichtet und dessen Absendedatum nicht aktenkundig ist, wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück: Aus dem Pflegegutachten vom 30. August 1999 gehe hervor, dass sich der Pflegebedarf des Klägers im Vergleich zu den Vorgutachten wesentlich gemindert habe. Während früher alle pflegerelevanten Verrichtungen vollständig übernommen werden mussten, reiche es nunmehr aus, wenn der Kläger angeleitet, beaufsichtigt und unterstützt werde. Zudem sei er nicht mehr inkontinent, könne - nach mundgerechter Zubereitung - selbständig essen und müsse zum Turnen nicht mehr begleitet werden, weil er am Schulsport teilnehme.

Dagegen hat der Kläger am 16. Februar 2001 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben und einen Grundpflegebedarf von 184 Minuten geltend gemacht.

Zur Sachaufklärung hat das SG zunächst einen Befundbericht des Kinder- und Jugendarztes Dr. A. vom 14. Mai 2001 angefordert, der eine Veränderung der gesundheitlichen Verhältnisse und des Pflegeumfangs verneinte.

Anschließend hat es vom Amts wegen weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens der Pflegewissenschaftlerin R. aus W ... Diese führte in ihrem Gutachten vom 23 August 2001 aus, dass sich der Hilfebedarf des Klägers ab August 1999 im Grundpflegebereich auf 82 (richtig: 92) Minuten reduziert habe. Aus der Untersuchung am 17. August 2001 und den Vorgutachten lasse sich eine stetig wachsende Selbständigkeit des Klägers ableiten, wodurch sein Hilfebedarf kontinuierlich gesunken sei. Wegen der Einzelheiten des Gutachtens wird auf Bl. 51 bis 73 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Urteil vom 16. Januar 2002 hat das SG die Klage abgewiesen: Die Beklagte sei befugt gewesen, dem Kläger die Leistungen der Pflegestufe II ab 01. Dezember 1999 zu entziehen, weil sich die tatsächlichen Verhältnisse im August 1999 wesentlich geändert hätten. Vergleiche man das MdK-Gutachten vom 30. August 1999 und das Pflegegutachten der Sachverständigen R. mit den Vorgutachten, so werde deutlich, dass sich der Hilfebedarf des Klägers im Grundpflegebereich auf 89 bzw. 82 Minuten (gemeint: 92 Minuten) verringert habe. Damit unterschreite der zeitliche Aufwand im Grundpflegebereich die Zeitgrenze von 120 Minuten für Leistungen der Pflegestufe II.

Nach Zustellung am 18. Februar 2002 hat der Kläger gegen diese Entscheidung am 18. März 2002 Berufung eingelegt, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16. Januar 2002 abzuändern und den Bescheid vom 02. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 11. Januar 2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Zur Sachaufklärung hat der Senat zunächst einen Befundbericht des Kinder- und Jugendarztes Dr. A. vom 02. Juli 2002 beigezogen, der einen Grundpflegebedarf von 165 Minuten befürwortete.

Schließlich hat der Senat auf Antrag des Klägers ein Pflegegutachten nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) von dem Krankenpfleger Dipl. Kfm. P. aus K. eingeholt. Dieser bezifferte den Grundpflegebedarf in seinem Gutachten vom 05. September 2002 auf 144 Minuten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 160 bis 221 der Gerichtsakte verwiesen.

Hierzu hat die Sachverständige R. am 09. November 2002 Stellung genommen, ohne von ihrer bisherigen Beurteilung abzuweichen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte (Ge- schäftszeichen: ...) Bezug genommen. Beide Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), weil sie rechtswidrig sind. Denn die Beklagte war nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) nicht befugt, ihren Bewilligungsbescheid vom 16. August 1991 für die Zukunft aufzuheben, weil nicht erwiesen ist, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse nach dem 31. März 1995 wesentlich geändert haben.

Der Aufhebungsbescheid vom 02. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 11. Januar 2001 ist keinesfalls unanfechtbar und damit bindend geworden (§ 77 SGG). Denn der pro- zessunfähige (§ 71 Abs. 1 SGG) Kläger, der nach § 1626 Abs. 1 BGB durch seine beiden Eltern gemeinsam vertreten wird, hat seine Anfechtungsklage am 16. Februar 2001 fristgerecht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchbescheids erhoben (§ 87 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGG). Wann der Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2001, der nur an die Mutter des Klägers adressiert war, seinen beiden Eltern zugegangen ist, lässt sich nicht mehr feststellen. Die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X greift nicht ein, weil das Absendedatum des Widerspruchbescheids in der Verwaltungsakte nicht vermerkt ist. Fehlt der Vermerk über den Tag der Aufgabe zur Post, kann der Zugang nicht fingiert werden (von Wulffen, SGB X, 4. Aufl. 2001, § 37 Rn. 12). In diesem Zweifelsfällen muss die Beklagte den Zugangszeitpunkt nachweisen (§ 37 Abs. 2, 2. Halbsatz SGB X). Dass der Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2001 beiden Eltern des Klägers vor dem 16. Januar zuging, ist nicht erwiesen, so dass die Klage vom 16. Februar 2001 rechtzeitig erhoben ist und den Eintritt der Bestandskraft verhindert hat.

Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist ein Dauerverwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

Ob sich die Verhältnisse geändert haben, ist hier allerdings nicht am Zeitpunkt des Bescheiderlasses (16. August 1991), sondern am Stichtag des 31. März 1995 zu messen. Denn der Kläger genießt partiellen Bestandsschutz gem. Art. 45 Abs. 1 Satz 1 Pflege VG. Nach dieser Bestimmung wurden pflegebedürftige Versicherte, die - wie der Kläger - bis zum 31. März 1995 Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 bis 57 des SGB V a.F. bezogen hatten, in die Pflegestufe II eingestuft und erhielten ohne erneute Antragstellung entsprechende Leistungen der Pflegeversicherung. Mit der pauschalen Überführung aller Leistungsempfänger nach den §§ 53 ff SGB V a.F. in die Pflegestufe II hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, dass in Einzelfällen auch solche Versicherte in den Genuss von Leistungen nach der Pflegestufe II kommen, die nach den Kriterien der §§ 14 und 15 SGB XI lediglich in die Pflegestufe I - oder sogar in die sog. Pflegestufe 0 - hätten eingeordnet werden dürfen. Dieser allein auf dem vorangegangenen Leistungsbezug beruhende, von der aktuellen Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen unabhängige partielle Bestandsschutz ist im Rahmen des § 48 SGB X zu beachten. Er hat zur Folge, dass Versicherte, die nach Art. 45 PflegeVG pauschal der Pflegestufe II zugeordnet worden sind, nur dann gemäß § 48 SGB XI in die Pflegestufe I herabgestuft werden können, wenn sich ihr Pflegebedarf nach dem 31. März 1995 (also nicht noch zu Zeiten der Geltung alten Rechts nach dem SGB V a.F.) wesentlich verringert hat (BSG, Urteile vom 13. März 2001, Az.: B 3 P 20/00 R, SozR 3-3300 § 18 Nr. 2 und vom 30. Oktober 2001, Az.: B 3 P 7/01 R).

Um zu prüfen, ob sich die Sachlage geändert hat, sind die wirklichen Verhältnisse am 31. März 1995 mit den tatsächlichen Verhältnissen bei Erlass des Aufhebungsbescheids (in der Gestalt des Widerspruchbescheids) zu vergleichen (BSG, Urteil vom 17. Juli 1958, Az.: 5 RKn 34/57, BSGE 7, 295, 299). Liegt eine Änderung vor, so ist sie "wesentlich", wenn die Behörde den Ursprungsverwaltungsakt unter den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Widerspruchbescheids vorgelegen haben, nicht mehr hätte erlassen dürfen (BSG, Urteil vom 19. Februar 1986, Az.: 7 Rar 55/84, SozR 1300 § 48 Nr. 22; Niesel in: Kasseler Kommentar, Stand: Mai 2002, § 48 Rn. 13). Lässt sich keine wesentliche Änderung nachweisen, weil nach umfassender Sachverhaltsermittlung zweifelhaft bleibt, ob der jetzt festellbare Zustand (= niedrigerer Hilfebedarf) bereits am Stichtag (31. März 1995) vorgelegen hat oder erst später eingetreten ist, so gehen diese Zweifel zu Lasten der Beklagten (negative Feststellungslast, BSG, Urteil vom 17. Juli 1958, Az.: 5 RKn 34/57, BSGE 7, 295, 299; Steinwedel in: Kasseler Kommentar, Stand: Mai 2002, § 48 SGB X Rn. 22).

Die tatsächlichen Verhältnisse am 31. März 1995 sind unklar, weil weder der Gesundheitszustand noch der Pflegebedarf des Klägers an diesem Tag dokumentiert sind. Zwar hat der MdK-Gutachter Dr. L. den Kläger gut einen Monat später am 04. Mai 1995 in häuslicher Umgebung untersucht und unter dem 10. Juli 1995 ein Pflegegutachten erstellt. Es liegt daher nahe, den Pflegebedarf sowie den Gesundheits- und Entwicklungszustand des Klägers am Stichtag aus diesem Gutachten zu entnehmen, weil bis zum Untersuchungstag offensichtlich keine wesentlichen Änderungen eingetreten sind. Allerdings weist das Pflegegutachten vom 10. Juli 1995 nur einen geringen "Informationsgehalt" auf, worauf bereits der MdK-Gutachter W. in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 08. und 15. Dezember 2000 hingewiesen hat. Denn der Mdk-Gutachter Dr. L. gibt mit "ca. 3 - 4 Stunden" lediglich den Gesamtpflegebedarf an, ohne dabei zwischen Grundpflegebereich und hauswirtschaftlicher Versorgung zu differenzieren. Verrichtungsbezogene Zeitangaben und Informationen zum quantitativen Hilfebedarf im Grundpflegebereich fehlen völlig. Unklar ist ferner, ob der Gutachter bei seiner Einschätzung den natürlichen Pflegebedarf gesunder, gleichaltriger Kinder berücksichtigt und deshalb nur den (behinderungsbedingten) Mehrbedarf beziffert hat. Ein Vergleich mit den später erstellten Gutachten des MdK-Arztes W., der Pflegewissenschaftlerin R. und des Krankenpflegers P. ist damit praktisch unmöglich. Dasselbe gilt für das MdK-Gutachten des Dr. M. vom 12. Juni 1997, aus dem aber immerhin hervorgeht, wie häufig der Kläger bei welcher Verrichtung unterstützt werden musste.

Eine Vergleichbarkeit mit den später erstellten Gutachten ließe sich allenfalls herstellen, wenn man den quantitativen Hilfebedarf aus dem MdK-Gutachten vom 12. Juni 1997 auf den Stichtag (31. März 1995) zurückprojizieren und mit den Orientierungswerten zur Pflegezeitbemessung (den sog. Zeitkorridoren) multiplizieren würde (wie sie im Anhang 1 zu den Begutachtungsrichtlinien vom 21. März 1997 aufgelistet sind). Eine solche Rückprojektion über einen Zeitraum von 26 Monaten ist problematisch, erscheint aber dennoch vertretbar, weil Dr. M. ausdrücklich darauf hinweist, dass sich die Pflegesituation im Vergleich zum Vorgutachten "nicht geändert" habe. Nimmt man zudem an, dass der damals sechsjährige Kläger am 31. März 1995 "umfassend" und "vollständig" (so Dr. L.) hilfebedürftig war, so erscheint es angemessen, den jeweils höchsten Korridorwert zu berücksichtigen. Dann ergäbe sich - im Rahmen einer Hilfsüberlegung - folgender Hilfebedarf im Grundpflegebereich:

1. Waschen GK: 25 Minuten x 2 x 6: 7 = 43 Minuten 2. Duschen 20 Minuten x 2: 7 = 6 Minuten 3. Zahnpflege 5 Minuten x 3 = 15 Minuten 4. Kämmen 3 Minuten x 2 = 6 Minuten 5. Windeln wechseln 10 Minuten x 3,5 = 35 Minuten 6. mundg. Zubereiten 3 Minuten x 3 = 9 Minuten 7. An- und Auskleiden 16 Minuten x 2 = 32 Minuten

8. Verlassen/Wiederauf- suchen der Wohnung geschätzt = 12 Minuten 158 Minuten

Nach § 15 Abs. 2 SGB XI ist bei Kindern für die Zuordnung zu einer Pflegestufe nur der zusätzliche Hilfebedarf (behinderungsbedingte Mehrbedarf) gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend. Das gilt für den Grundpflegebereich und die hauswirtschaftliche Versorgung (BSG, Urteil vom 29. April 1999, Az.: B 3 P 7/98 R, SozR 3-3300 § 14 Nr. 10).

Am 01. April 1995 war der Kläger 6 Jahre alt. Nach den Begutachtungsrichtlinien hat ein gesundes gleichaltriges Kind im Grundpflegebereich einen Bedarf von 105 Minuten. Der Mehrbedarf des Klägers in diesem Bereich betrug mithin 53 Minuten (= 158 Minuten - 105 Minuten). Um die zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufe I (90 Minuten Gesamtpflegeaufwand) zu erfüllen, musste er im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung somit einen Mehrbedarf von mindestens 37 Minuten haben, was sich aufgrund der dokumentierten Mehrbelastung beim Reinigen der Wohnung sowie beim Wäschewaschen rechtfertigen ließ.

Diese Hilfsüberlegung macht deutlich, dass der Kläger am Stichtag allenfalls die Voraussetzungen der Pflegestufe I, nicht aber die Voraussetzungen der Pflegestufe II (Gesamtpflegeaufwand: 180 Minuten) erfüllte. Dies hat gleichzeitig zur Folge, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht wesentlich geändert haben, weil dem Kläger schon seit dem 01. April 1995 materiellrechtlich nur die Pflegestufe I zusteht. Wegen des partiellen Bestandsschutzes, den Art. 45 PflegeVG allen "übergeleiteten" Pflegebedürftigen bietet, kommt eine Herabstufung wegen von Anfang an zu günstiger Einstufung aber nicht in Betracht.

Die Aufhebung des Ursprungsbescheids vom 16. August 1991 scheitert somit daran, dass eine wesentliche Änderung auf Basis der wenig aussagekräftigen MdK-Gutachten vom 10. Juli 1995 und 12. Juni 1997 nicht nachweisbar ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG und trägt dem Klageerfolg Rechnung.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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