L 3 AL 198/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 1 AL 651/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 198/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufungen gegen die Urteile des Sozialgerichts Leipzig vom 29. September 1999 werden zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Voraussetzungen für die Erbringung von Leistungen nach dem Altersteilzeitgesetz (ATG) bezüglich der bei der Klägerin beschäftigten Arbeitnehmerinnen Regina K ... (R. K.) und Annelore K ... (A. K.) ab 01.07.1997 vorlagen.

Bei der Klägerin, der N ...Klinker GmbH, standen die Arbeitnehmerin R. K., geboren am ...1941, vom 01.08.1968 bis 30.04.1996 - zuletzt als Leiterin der Finanzbuchhaltung - sowie die Arbeitnehmerin A. K., geboren am 23.06.1941, vom 01.03.1976 bis 30.04.1996 - zuletzt als Mitarbeiterin der Finanzbuchhaltung - in Vollzeitbeschäftigung. Mit Änderungsverträgen vom 19.04.1996 vereinbarten die Arbeitsvertragsparteien jeweils eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit ab 01.05.1996 auf 30 Stunden/Woche. Ab 01.07.1997 wurde die Arbeitszeit beider Arbeitnehmerinnen im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung weiter auf nunmehr 20 Stunden pro Woche reduziert. R. K. war in der Zeit vom 30.04.1996 bis Juli 1997 durchgehend arbeitsunfähig. Ab 30.04.1996 erhielt sie Krankengeld, für dessen Bemessung das Arbeitsentgelt der Vollzeitbeschäftigung maßgeblich war.

Im Zusammenhang mit der Reduzierung der Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen stellte die Klägerin mit Wirkung zum 01.07.1997 Frau Yvonne R ... (Y. R.), geboren am 28.07.1975, die gerade ihre Berufsausbildung beendet hatte, als Mitarbeiterin der Finanzbuchhaltung ein. Ihre wöchentliche Arbeitszeit betrug 40 Stunden. Sie übernahm in dem durch die Altersteilzeitvereinbarung freigewordenen Umfang die Arbeit der Arbeitnehmerinnen R. K. und A. K.

Mit Schreiben vom 27.05.1997 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Anerkennung der Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem ATG bezüglich der Arbeitnehmerinnen R. K. und A. K.

Mit Bescheiden vom 27.06.1997 lehnte die Beklagte die Anträge mit der Begründung ab, die betroffenen Arbeitnehmerinnen erfüllten die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ATG nicht. Die zuletzt zwischen den Arbeitsvertragsparteien jeweils vereinbarte Arbeitszeit habe nicht der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit entsprochen.

Gegen diese Bescheide richteten sich die Widersprüche der Klägerin vom 04.07.1997. Die genannten Arbeitnehmerinnen hätten in den letzten 5 Jahren vor Beginn der Altersteilzeit mehr als 1.080 Kalendertage, nämlich vom 01.07.1992 bis zum 30.04.1996, bei der Klägerin mit einer Arbeitszeit, die der tariflichen (8 Stunden/tgl.) entsprochen habe, gearbeitet. Überdies habe sich die ab 01.05.1996 vereinbarte Verkürzung der Arbeitszeit bei der Arbeitnehmerin R. K. nicht ausgewirkt, weil sie ab 30.04.1996 arbeitsunfähig geschrieben gewesen sei. Die "Entgeltfortzahlung" sei auf der Basis von Vollzeitbeschäftigung erfolgt.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 30.07.1997 wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin aus den im Ausgangsbescheid genannten Gründen als unbegründet zurück. Leistungen nach dem ATG würden nur erbracht, wenn die betroffenen älteren Arbeitnehmer unmittelbar vor der Verminderung der Arbeitszeit im Rahmen der Altersteilzeitregelung vollzeitbeschäftigt gewesen seien.

Gegen diese Bescheide legte die Klägerin einerseits mit Schreiben vom 01.09.1997 jeweils Widerspruch ein und erhob andererseits mit Schriftsätzen vom 29.08.1997, eingegangen beim Sozialgericht (SG) Leipzig am 01.09.1999, bezüglich beider Arbeitnehmerinnen Klage.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 08.10.1997 wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin erneut aus den bereits in den vorangegangenen Bescheiden genannten Gründen zurück.

Die Klägerin hat am 07.11.1997 beim SG Leipzig bezüglich beider Arbeitnehmerinnen Klage erhoben. R. K. und A. K. erfüllten die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ATG. Danach müsse der Arbeitnehmer innerhalb der letzten 5 Jahre vor Beginn der Altersteilzeitarbeit mindestens 3 Jahre eine Vollzeitbeschäftigung ausgeübt haben, die eine Beitragspflicht begründete. In der Gesetzesbegründung zum ATG werde hervorgehoben, dieses Gesetz solle durch Schaffung neuer Möglichkeiten des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand eine Eindämmung der extensiven rentenrechtlichen Frühverrentungspraxis bewirken, die bisher zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung gegangen sei. Ferner ziele das ATG darauf ab, auf denjenigen Arbeitsplätzen, die durch den Übergang zur Altersteilzeit frei würden, Arbeitslose zu beschäftigen, um dem hohen Arbeitslosenstand entgegenzuwirken. Folge man der Auffassung der Beklagten, so fände das Gesetz nur eingeschränkt Anwendung; die beabsichtigten Zielstellungen würden nicht erreicht. Das Gesetz bliebe auf die Anwendung in Ausnahmefällen beschränkt.

Mit Urteilen vom 29.09.1999 hat das SG die Klagen abgewiesen. Der Anspruch auf Leistungen nach dem ATG scheitere daran, dass die vereinbarte Arbeitszeit zuletzt vor Beginn der Altersteilzeit nicht der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit entsprochen habe. Eine unmittelbar vorhergehende vollschichtige tarifliche Beschäftigung sei aber unabdingbare Voraussetzung für die Gewährung der Leistungen. Dies ergebe sich aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand, der folgenden Satz enthalte: "Der Arbeitnehmer muss unmittelbar vor Verminderung der Arbeitszeit im Rahmen der Altersteilzeit vollbeschäftigt gewesen sein." Selbiges folge aus der Wortauslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ATG. Durch das Wort "und" werde deutlich, dass neben der 3/5-Belegung auch eine Vollbeschäftigung unmittelbar vor der Vereinbarung der Altersteilzeit erforderlich sei. Überdies bestätige § 4 Abs. 1 Nr. 2 ATG dieses Ergebnis. Hiernach erstattet die Bundesanstalt dem Arbeitgeber für 5 Jahre den Betrag, der nach § 3 Abs. 1 Nr. 1b ATG in Höhe des Betrages geleistet worden ist, der auf den Unterschiedsbetrag zwischen 90 v.H. des Vollzeitarbeitsentgeltes i.S. des § 6 Abs. 1 ATG und dem Arbeitsentgelt für Altersteilzeit entfällt.

Gegen die den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14.11.1999 - ausweislich Empfangsbekenntnisses - zugestellten Urteile haben diese beim Sächsischen Landessozialgericht (LSG) am 10.12.1999 jeweils Berufung eingelegt. § 2 Abs. 2 Nr. 3 ATG setze keine Vollzeitbeschäftigung voraus. Eine Vollzeitbeschäftigung sei lediglich für mindestens 3 Jahre in den letzten 5 Jahren vor Eintritt in die Altersteilzeit erforderlich. Der in § 2 Abs. 1 ATG enthaltene Katalog von Voraussetzungen solle vermeiden, dass nur kurzfristig bestehende oder geschaffene Vollzeitarbeitsplätze subventioniert würden. Zu beachten sei ferner, dass die Vorschriften des ATG grundrechts- und EG-rechtskonform auszulegen seien. Die vom SG Leipzig vorgenommene Auslegung führe zu einer mittelbaren Ungleichbehandlung von Männern und Frauen und verstoße damit gegen Art. 3 Grundgesetz, Art. 119 EG-Vertrag und die Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 09.02.1996. Der Anteil von Frauen an Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen habe im Jahre 1995 87,4 % betragen. Ein Wechsel von Teilzeit in die geförderte Altersteilzeit scheide bei der vom SG vorgenommenen Auslegung für Frauen in einer Vielzahl von Fällen aus.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Leipzig vom 29.09.1999 sowie die Bescheide der Beklagten vom 27.06.1997 jeweils in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30.07.1997 und vom 08.10.1997 aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung der Förderungsleistungen nach dem Altersteilzeitgesetz zu verpflichten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass sich aus Sinn und Zweck der Altersteilzeitförderung, Arbeitgebern und Arbeitnehmern einen Anreiz zu bieten, eine Vereinbarung über eine deutliche Verminderung der Arbeitszeit zu treffen, ergebe, dass ältere Arbeitnehmer vor Beginn der Altersteilzeit in einer auf Dauer angelegten Vollzeitbeschäftigung gestanden haben müssen. Wenn die Arbeitszeit vor dem Wechsel in die Altersteilzeit bereits unterhalb der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit gelegen habe, seien die Voraussetzungen einer auf Dauer angelegten Teilzeitbeschäftigung auch dann erfüllt, wenn während der Beschäftigung eine wöchentliche Arbeitszeit ausgeübt wurde, die mindestens 15 Stunden über der Hälfte der tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit lag. Hierdurch werde gewährleistet, dass der Wiederbesetzer auf dem freigemachten Arbeitsplatz versicherungspflichtig beschäftigt werden kann. Eine weitergehende Auslegung, wie von der Klägerseite vorgenommen, würde Sinn und Zweck des ATG widersprechen, denn die Teilzeitarbeit älterer Arbeitnehmer solle nicht nur deren gleitenden Übergang in den Ruhestand ermöglichen, sondern daneben auch dazu beitragen, zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitslose zu eröffnen und den Arbeitsmarkt zu entlasten. Die Bundesanstalt für Arbeit werde von den Leistungen an Arbeitslose allerdings nur dann frei, wenn der Arbeitslose eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung, d.h. 15 Stunden wöchentlich oder mehr, aufnehme. Die Arbeitszeit der betroffenen Arbeitnehmerinnen hätte demnach übermittelbar vor Übergang in die Altersteilzeit mindestens einen Umfang von 35 Stunden wöchentlich haben müssen, um das Kriterium der Vollzeit i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ATG zu erfüllen.

Der Senat hat im Verhandlungstermin die beiden Berufungen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts hat der Senat auf die Verfahrensakten beider Instanzen und die Leistungakte der Beklagten, die er zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidung gemacht hat, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthaften (§§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) sowie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegten Berufungen sind zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Die mit den Berufungen angegriffenen Urteile des SG Leipzig vom 29.09.1999 sind im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Bescheide der Beklagten vom 27.06.1997 in der Gestalt jeweils der Widerspruchsbescheide vom 30.07.1997 und 08.10.1997 sind ebenfalls im Ergebnis rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten.

Die Voraussetzungen für die Erbringung von Leistungen nach § 4 ATG vom 23.07.1996 (BGBl. I, S. 1078) waren bei den Arbeitnehmerinnen R. K. und A. K. am 01.07.1997 nicht erfüllt. Die Bewilligung von Leistungen nach § 4 ATG setzt voraus, dass die betroffenen Arbeitnehmer zum begünstigten Personenkreis nach § 2 ATG gehören und die übrigen Anspruchsvoraussetzungen gem. § 3 ATG vorliegen. Gem. § 2 Abs. 1 ATG werden Leistungen für Arbeitnehmer gewährt, die das 55. Lebensjahr vollendet haben (Nr. 1), nach dem 14.02.1996 auf Grund einer Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber ihre Arbeitszeit auf die Hälfte der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit vermindert haben, mehr als geringfügig beschäftigt i.S. des § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) sind (Nr. 2) und innerhalb der letzten 5 Jahre vor Beginn der Altersteilzeit mindestens 1.080 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung i.S. des § 168 AFG gestanden haben und deren vereinbarte Arbeitzeit der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit entsprach. Geringfügige Unterschreitungen der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitzeit sind unbeachtlich. Zeiten mit Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe sowie Zeiten i.S. des § 107 Satz 1 Nr. 5 AFG stehen diesen Beschäftigungszeiten gleich, wenn die in diesen Zeiten bezogenen Lohnersatzleistungen nach der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit bemessen worden sind (Nr. 3).

Die betroffenen Arbeitnehmerinnen A. K. und R. K. gehören nicht zu dem begünstigten Personenkreis des ATG. Zwar hatten beide Arbeitnehmerinnen bei Antragstellung das 55. Lebensjahr vollendet. Auch haben sie nach dem 14. Februar 1996 auf Grund einer Vereinbarung mit der Klägerin ihre Arbeitszeit auf die Hälfte der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit (auf 20 Stunden) vermindert. Ferner standen sie innerhalb der letzten 5 Jahre vor Beginn der Altersteilzeit mehr als 1.080 Kalendertage in einer versicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung. Die vereinbarte Arbeitszeit vor Beginn der Altersteilzeit (30 Stunden) entsprach aber nicht der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit. Gem. § 3 Nr. 1 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer und Auszubildenden im Unternehmen der Ziegelindustrie in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Sachen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen, Thüringen und des Ostteils des Landes Berlin vom 22.02.1991, der gem. § 6 der 4. Gesamtvereinbarung vom 21.02.1996 zu diesem Manteltarifvertrag vom 21.02.1996 bis zum 31.07.1997 galt, betrug die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden.

§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ATG erfordert vor Beginn der Altersteilzeit eine Beschäftigung entsprechend der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit bzw. lässt eine geringfügige Unterschreitung zu. Dies ergibt sich zwar nicht bereits zwingend aus dem Wortlaut der Vorschrift. Der Senat stützt sich insoweit auf die Entstehungsgeschichte, Systematik sowie Sinn und Zweck des ATG.

Betrachtet man die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, so ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber eine Vollzeitbeschäftigung unmittelbar vor Eintritt in die Altersteilzeit voraussetzte. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthielt die klare Forderung, dass der Arbeitnehmer vor Verminderung der Arbeitszeit im Rahmen der Altersteilzeit vollzeitbeschäftigt gewesen sein muss (Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand, BR-Drucks. 208/86, S. 30). Die Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf bestätigt dies. Dieser forderte zwar eine Überarbeitung des Gesetzes mit dem Ziel, auch teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer in den förderungsfähigen Personenkreis einzubeziehen (Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand, BT-Drucks. 13/4719, S. 2). In der dazu abgegebenen Gegenäußerung hielt die Bundesregierung jedoch an der Tatbestandsvoraussetzung der Vollzeitbeschäftigung unmittelbar vor Eintritt in die Altersteilzeit fest (Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergang in den Ruhestand, BT-Drucks. 13/4719, S. 4). Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ATG wurde daher im Gesetzgebungsverfahren nicht geändert (vgl. desweiteren Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktion von CDU/CSU, BT-Drucks. 11/2990, S. 1, 16; Begründung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeits- und Sozialordnung, BT-Drucks. 11/3603, S. 11; vgl. auch BSG, Urteil vom 23.07.1992, Az.: 7 RAr 74/91; Hessisches LSG, Urteil vom 20.10.1999, Az.: L 6 AL 385/99).

Die systematische Auslegung des ATG führt zu keinem anderen Ergebnis. So ist § 2 Abs. 1 Nr. 3 ATG im Kontext mit § 4 Abs. 1 Nr. 2 ATG zu betrachten. Danach erstattet die Bundesanstalt für Arbeit dem Arbeitgeber für längstens 5 Jahre den Betrag, der nach § 3 Abs. 1 Nr. 1b ATG in Höhe des Betrages geleistet worden ist, der auf den Unterschiedsbetrag zwischen 90 % des "Vollzeitarbeitsentgeltes" und dem Arbeitsentgelt für Altersteilzeitarbeit entfällt. Hätte der Gesetzgeber nicht vorausgesetzt, dass der Arbeitnehmer vor der Vereinbarung der Altersteilzeit vollbeschäftigt war, hätte er das Wort "Vollzeitarbeitsentgelt" durch "bisheriges Arbeitsentgelt" ersetzen müssen (vgl. Recht, Das Ende der Frühverrentung?, NZS 1996, S. 552, 553). Letzteres wird auch durch die weitere Rechtsentwicklung bestätigt. Das durch Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Altersteilzeit vom 20.12.1999 mit Wirkung ab 01.01.2000 geänderte ATG ermöglichte auch teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern den Übergang in die Altersteilzeit. Im neugefassten § 4 Abs. 1 Nr. 2 ist daher das Wort "Vollzeitarbeitsentgelt" durch die Formulierung "bisheriges Arbeitsentgelt" ersetzt worden.

Sinn und Zweck des ATG in der hier maßgeblichen Fassung war es, wie von den Beteiligten übereinstimmend und zutreffend vorgetragen, einerseits den gleitenden Übergang älterer Arbeitnehmer vom Erwerbsleben in den Ruhestand zu unterstützen und andererseits die Einstellung sonst arbeitsloser Arbeitnehmer auf den Arbeitsplätzen der älteren auscheidenden Arbeitnehmer zu ermöglichen (§§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 Nr. 2 ATG). Gleichzeitig sollte die bis zur Einführung des ATG verbreitete Praxis, Arbeitnehmer früh zu verrenten oder sie vor Erreichen des Rentenalters in den Arbeitslosengeldbezug zu entlassen, eingedämmt werden, um dadurch die Renten- und die Arbeitslosenversicherung vor einer zu hohen Kostenlast, die zur Erhöhung der Beiträge geführt hätte, zu schützen (BSG, Urteil vom 23.07.1992, Az.: 7 RAr 74/91; Recht, a.a.O.; Gesetzentwurf der Bundesregierung bezüglich des Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergang in den Ruhestand, BT-Drucks. 13/4336; BR-Drucks. 208/96, S. 30; Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktion von CDU/CSU, BT-Drucks. 11/2990, S. 1, 16; Begründung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeits- und Sozialordung, BT-Drucks. 11/3603, S. 11; Stellungnahme des Bundesrates zur Entwicklung eines Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand, BT-Drucks. 13/4719, Ziff. 6; Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates bezüglich eines Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand, BT-Drucks. 13/4719, S. 3). Für den älteren Arbeitnehmer sollte folglich ein Arbeitsloser eingestellt werden, dessen Arbeitslosigkeit damit beendet wird. Die Arbeitslosigkeit eines neu eingestellten Arbeitnehmers wurde nach dem bis zum 31.12.1997 geltenden Recht (§ 101 Abs. 1 i. V. m. § 102 Abs. 1 und 2 ATG) erst beendet, wenn dieser eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung von mindestens 18 Stunden wöchentlich aufnahm. Nach dem ab 01.01.1998 geltenden Recht des § 118 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ist dies bei einer Arbeitszeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich der Fall. Die Beschäftigung der neu eingestellten Arbeitnehmerin Y. R. in Vollzeit ging nicht im gesetzlich geforderten Umfang auf die Reduzierung der Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen R. K. und A. K. ab 01.07.1997 zurück. Es liegt auch nicht lediglich eine geringfügige Unterschreitung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ATG vor. "Geringfügige Unterschreitungen" der Vollzeitbeschäftigung nach dem bis zum 31.12.1997 geltenden Recht sind lediglich dann gegeben, wenn die Arbeitszeit mindestens 18 Stunden über der Hälfte der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit (sie im vorliegenden Fall mindestens 38 Stunden/Woche betrug) und nach den ab 01.01.1998 geltenden Normen mindestens 15 Stunden über dieser lag (mithin 35 Stunden/Woche betrug). Zur selben Auffassung gelangte auch das Hessische LSG in seiner Entscheidung vom 20.10.1999, Az.: L 6 AL 385/99.

Im Falle beider Arbeitnehmerinnen entsprach somit die unmittelbar vor Eintritt in die Altersteilzeit vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden nicht der tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden. Auch eine lediglich geringfügige Unterschreitung lag nicht vor, da ihre Arbeitszeit nicht mindestens 38 Wochenstunden betrug.

Bezüglich der Arbeitnehmerin R. K. ergibt sich ein anderes Ergebnis auch nicht aus § 2 Abs. 1 letzter Satz ATG. Danach stehen Zeiten mit Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe sowie u.a. Zeiten des Bezuges von Krankengeld im Sinne des § 107 Satz 1 Nr. 5 a) AFG "diesen Beschäftigungszeiten" gleich, wenn die in diesen Zeiten bezogene Lohnersatzleistung nach der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit bemessen worden ist.

Der letzte Satz des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ATG beinhaltet lediglich eine Sonderregelung zu dem Tatbestandsmerkmal, dass in den letzten 5 Jahren vor Beginn der Altersteilzeit 3 Jahre Vollzeitbeschäftigung vorgelegen haben müssen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23.07.1992, 7 ARr 74/91). Er enthält dagegen keine Spezialregelung zu dem Tatbestandsmerkmal der Vollzeitbeschäftigung unmittelbar vor Beginn der Altersteilzeit (vgl. BSG, Urteil vom 23.07.1992, a.a.O.; Grüner/Dallichau, Vorruhestandsge- setz/Altersteilzeitgesetz/Sozialgesetzbuch - Kommentar, Ziff. 3 zu § 2 ATG). Würde man einen Bezug von Krankengeld nach dem Entgelt der Vollzeitbeschäftigung unmittelbar vor Beginn der Altersteilzeit als Voraussetzung ausreichen lassen, müsste Selbiges nach dem Wortlaut des letzten Satzes des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ATG auch für Bezieher von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe gelten. Dass ein Arbeitslosengeldbezug nach dem Entgelt der Vollzeitbeschäftigung unmittelbar vor Beginn der Altersteilzeit nicht ausreicht, hat das BSG jedoch in seiner Entscheidung vom 23.07.1992 klargestellt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass eine unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmerinnen R. K. und A. K. im vorliegenden Fall allein aus dem Grund, dass eine unmittelbar vor Beginn der Altersteilzeit Krankengeld nach den Entgelt der Vollzeitbeschäftigung erhielt, willkürlich erschiene.

II.

Ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) liegt nicht vor. Die im ATG erfolgte Anknüpfung des Anspruchs an eine Vollzeitbeschäftigung und die Unschädlichkeit einer lediglich geringfügigen Unterschreitung dieser verletzen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht.

Eine Verletzung des Gleichheitsgrundrechtes des Art. 3 Abs. 1 GG liegt lediglich dann vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72, 88). Allerdings beschränkt sich die Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG nicht allein auf eine reine Willkürkontrolle, sondern fordert auch eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Ungleichbehandlung von Personengruppen, wobei Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu prüfen sind.

Das Gebot der Eignung eines Mittels zur Förderung eines legitimen Gemeinwohlziels enthält Mindestanforderungen an Zweckrationalität und damit Begründungsrationalität jeden staatlichen Handelns (Osterloh, in: Sachs, GG-Kommentar, Art. 3, Rdnr. 19). Das Gebot der Geeignetheit bzw. der Anwendung des schonendsten Mittels fließt bei der Prüfung des Gleichheitssatzes in das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engenen Sinne ein. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne fordert ganz allgemein eine Gesamtabwägung zur Angemessenheit des Verhältnisses zwischen Zielen, Gründen und Wirkungen. Dabei geht es nicht mehr um Zweckrationalität, sondern um relativierende Gewichtung und Bewertung von allgemeinen und individuellen Interessen, in der Vergleichsperspektive um Gewichtung und Bewertung von Gründen und Zielen gesetzlicher Differenzierungsmerkmale einerseits, Differenzierungswirkungen für den Betroffenen andererseits (Osterloh, a.a.O., Rdnr. 22). Zu beachten ist, dass dem Gesetzgeber umso engere Grenzen gesetzt sind, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (Osterloh, a.a.O., Rdnr. 94). Allerdings enthält der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG kein justiziables Optimierungsgebot. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt nicht die zweckmäßigste und gerechteste Lösung vom Gesetzgeber, sondern setzt seiner Gestaltungsfreiheit nur Grenzen. Dabei besteht aber auch der Grundsatz weitgehender Freiheit des Gesetzgebers zu generalisierenden, typisierenden und pauschalierenden Regelungen. Praktikabilität und Einfachheit des Rechts gehören gerade bei der Ordnung von Massenerscheinungen zu den notwendigen Voraussetzungen eines gleichheitsgerechten Gesetzesvollzuges, denen auch innerhalb gleichheitsrechtlicher Abwägungen erhebliches Gewicht zukommt. Der Gesetzgeber muss lediglich sachgerecht und realitätsgerecht typisieren, also die Regelung nicht am atypischen, sondern am tatsächlich typischen Fall orientieren (Osterloh, a.a.O., Rdnr. 108).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist nach Überzeugung des Senats ein vernüftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender und sachlich einleuchtender Grund für die Ungleichbehandlung vollzeitbeschäftigter und teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darin zu finden, dass das sozialpolitische Ziel des Gesetzes, Einstellung eines arbeitslosen Arbeitnehmers unter Herauslösung aus der Arbeitslosigkeit, nur dann verwirklicht werden kann, wenn dieser nicht nur einer kurzzeitigen Beschäftigung i. S. der §§ 102 Abs. 2 Nr. 1 AFG bzw. 118 Abs. 2 SGB III nachgeht. Die Regelung des ATG ist folglich zur Verwirklichung des vom Gesetzgeber formulierten sozialpolitischen Ziels geeignet und erforderlich.

Der Gesetzgeber hat auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt, indem er nicht etwa "Vollzeitbeschäftigung" vor Vereinbarung der Altersteilzeit ausnahmslos voraussetzte, sondern "geringfügige Unterschreitungen", deren Umfang am jeweils geltenden Recht - vgl. oben - auszulegen ist, zugelassen hat. Unterschreitungen sind folglich bis zu der Grenze zulässig, bis zu der das sozialpolitische Ziel des Gesetzes, Einstellung eines Arbeitslosen unter Herauslösung aus der Arbeitslosigkeit, erreicht werden kann.

Auch die Abwägung dieses Gesetzesziels mit der Wirkung des Gesetzes führt zu keinem anderen Ergebnis. Richtig ist zwar, dass der Anteil von Frauen an Teilzeitbeschäftigten weit über 50 % liegt. Im Jahre 1997 waren unter den 5.309.000 Teilzeitbeschäftigten 4.519.000 Frauen (85,12 %) und lediglich 790.000 Männer (14,99 %) (Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 111). Zu beachten ist jedoch auch, dass das sozialpolitische Ziel des Gesetzes nur erreicht werden konnte, wenn Vollzeitbeschäftigung oder deren geringfügige Unterschreitung als Tatbestandsvoraussetzung gefordert wurde.

Dem Gesetzgeber ist auch nicht vorzuwerfen, dass er die Regelung am atypischen Fall orientierte. Der typische Fall der Anwendung des Altersteilzeitgesetzes besteht nach Auffassung des Senats darin, dass für einen älteren Arbeitnehmer ein Arbeitsloser eingestellt wird. Atypisch ist hingegen der hier vorliegende Fall, dass für zwei ältere Arbeitnehmerinnen eine ansonsten Arbeitslose eingestellt wurde. Das Gesetz verlangt die Vollendung des 55. Lebenjahres und setzt das Einverständnis sowohl des Arbeitsgebers als auch des Arbeitnehmers mit der Altersteilzeitvereinbarung voraus. Dass - wie im vorliegenden Fall - mehrere Arbeitnehmerinnen zum selben Zeitpunkt die Voraussetzungen des ATG erfüllen, sie das 55. Lebensjahr vollendet haben, in Altersteilzeit gehen wollen und noch dazu einen identischen Arbeitsplatz innehaben, stellt nach Auffassung des Senats die Ausnahme dar. Nach dem Gesetz reicht es gerade nicht aus, wenn beispielsweise ein in einem Unternehmen beschäftigter älterer Maschinenschlosser zum selben Zeitpunkt wie eine ältere Mitarbeiterin der Finanzbuchhaltung ausscheiden möchte. Die beiden frei werdenden Arbeitsplätze sind nicht durch einen Arbeitslosen besetzbar.

III.

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG liegt nach Auffassung des Senats ebenso wenig vor. Hiernach sind Frauen und Männer gleichberechtigt. Es kann dahin stehen, ob überhaupt durch die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ATG in den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 2 GG eingegriffen ist, weil die Regelung des ATG nicht an das Geschlecht, sondern an die Vollzeitbeschäftigung anknüft. Auch wirkt sich die Regelung weder in allen Fällen, noch in fast allen Fällen (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 3. Auflage, Rdnr. 53 zu Art. 3 GG) zu Lasten der Frauen aus. Vielmehr stellen die teilzeitbeschäftigten Frauen unter den erwerbstätigen Frauen lediglich eine Minderheit dar. Von den 27.631.000 erwerbstätigen Frauen waren lediglich 5.309.000 - mithin 19,21 % - teilzeitbeschäftigt (Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 111).

Für den Fall, das in der Regelung des ATG ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 2 GG gesehen würde, so wäre dieser dadurch objektiv gerechtfertigt, dass das sozialpolitische Ziel des ATG nicht auf eine Diskriminierung der Frauen gerichtet ist (vg. Jarass/Pieroth, a.a.O., Rdnr. 59) und das beschäftigungspolitische Ziel des Gesetzgebers - wie oben ausführlich ausgeführt - nicht anders erreicht werden konnte.

Beachtlich ist auch, dass faktische Nachteile für die Frauen durch das ATG durch die begünstigende Regelung des § 39 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - Altersrente für Frauen - zumindest teilweise ausgeglichen werden (BVerfGE 85, 191, 207; 74, 163, 180; BSGE 65, 181, 184). Im Gegensatz zu Männern können nämlich Frauen unter den in § 39 SGB VI genannten Voraussetzngen bereits vor Vollendung des 65. Lebensjahres Altersrente beanspruchen.

IV.

Ein Verstoß gegen Art. 119 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25.03.1957, BGBl. II, S. 766 (EGV), die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg und in Bezug auf die Arbeitsbedingungen - Richtlinie 76/207/EWG -, Amtsblatt EG Nr. L 039 vom 14.02.1976 S. 0040 ff., sowie die Richtlinie des Rates zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit - Richlinie 79/7/EWG -, Amtsblatt EG Nr. L 6 vom 10.01.1979 S. 24, liegt ebenfalls nicht vor. Art. 119 EGV verankert den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit. Die erstgenannte Richtlinie zielt gem. ihrem Art. 1 Abs. 1 auf Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschl. des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und den Bezug auf die soziale Sicherheit ab. Die zweitgenannte Richtlinie hat gemäß ihrem Art. 1 zum Ziel, auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen schrittweise zu verwirklichen.

Die streitgegenständliche Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ATG enthält keine unmittelbare Diskriminierung der Frauen. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt nur dann vor, wenn das Gesetz ausdrücklich für Frauen und Männer unterschiedliche gesetzliche Regelungen vorsieht. Da das ATG nicht auf das Geschlecht des Berechtigten, sondern lediglich auf seine Vollzeitbeschäftigung abstellt, liegt eine unmittelbare Diskriminierung nicht vor (vgl. EuGH, Urteil vom 02.10.1997, NVWZ 1998, S. 721, 723; Bieback, Diskriminierungs- und Behinderungsverbot im Europäischen Sozialrecht, SGb 1994, S. 301, 307).

Eine mittelbare Diskriminierung von Frauen liegt nach Auffassung des Senats zumindest bezüglich der hier von den Arbeitsvertragsparteien gewählten Alternative des ATG, nach der die wöchentliche Arbeitszeit der älteren Arbeitnehmerinnen unter gleichzeitiger Neueinstellung einer sonst arbeitslosen, jüngeren Arbeitnehmerin reduziert wurde - ebenfalls nicht vor. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist eine mittelbare Diskriminierung eines Geschlechts dann gegeben, wenn die nationale Regelung, die zwar geschlechtsneutral formuliert ist, (1.) tatsächlich aber wesentlich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts zu deren Nachteil betrifft und (2.) die Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt ist (EuGH, Urteil vom 02.10.1997, NVWZ 1998, S. 721, 723; Rolfs/Bütefisch, VSSR 1998, S. 1, 3). Bei der Überprüfung von mitgliedsstaatlichen Gesetzesregelungen auf eine Rechtfertigung einer darin enthaltenen mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts hat der EuGH den Mitgliedsstaaten generell einen großen Regelungsspielraum zugestanden und diesen bezüglich sozialrechtlicher Gesetze noch weiter ausgedehnt, indem er den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bisher nicht als Maßstab heranzog (Bieback, a.a.O., S. 301, 307 f.). In sozialgerichtlichen Verfahren hat er vielmehr den "sachgerechten Ermessenspielraum" des nationalen Gesetzgebers "hinsichtlich der Art der sozialen Schutzmaßnahme und der konkreten Einzelheiten ihrer Durchführung" für das frei gewählte sozialpolitische Ziel betont (Bieback, a.a.O., S. 301, 308). Anders als bei arbeitsrechtlichen Gesetzen nimmt der EuGH bei der Prüfung der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung lediglich eine Plausibilitätskontrolle vor (Bieback, a.a.O.; Rolfs/Bütefisch, a.a.O., S. 1, 16 ff.). Ursache für die Zurückhaltung bezüglich sozialrechtlicher Gesetze ist die nicht ausdrückliche Verankerung des Diskriminierungsverbotes wegen des Geschlechts in Art. 119 EGV. Art. 119 EGV verbietet lediglich ein unterschiedliches Entgelt bei gleicher Arbeit. Er enthält keinerlei Regelung bezüglich sozialrechtlicher Gesetze. Zudem dürfte der Grund für die Nichtanwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit darin liegen, dass der EuGH den Konflikt mit der Sozialgesetzgebung und der finanziellen Verantwortung der Mitgliedsstaaten sieht und durch weitgehende Zurückhaltug in der Kontrolle löst (Bieback, a.a.O., S. 301, 308).

(1.) § 2 Abs. 1 Nr. 3 AFG betrifft wesentlich mehr Frauen als Männer zu deren Nachteil. Das ergibt sich aus der in § 2 Abs. 1 Nr. 3 ATG als Voraussetzung für die Altersteilzeit geforderten Vollzeitbeschäftigung (vgl. Otting, BArBl. 1998, S. 16, 20; Rolfs/Bütefisch, a.a.O., S. 1, 8 ff.). Unter den 5.309.000 Teilzeitbeschäftigten in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1997 waren 85,12 % Frauen (4.519.000) und 14,88 % Männer (790.000). Setzt man die Teilzeitbeschäftigten in das Verhältnis zu den Vollzeitbeschäftigten, so waren 4,92 % (790.000) der 16.044.000 erwerbstätigen Männer und 38,99 % (4.518.000 der 11.587.000 erwerbstätigen Frauen teilzeitbeschäftigt (Statistisches Bundesamt, a.a.O., S. 111).

Ein benachteiligender Charakter der gesetzlichen Regelung folgt also daraus, dass die Teilzeitbeschäftigten, die wie festgestellt in erheblich höherem Maße Frauen sind, faktisch häufiger vom Genuss der Vergünstigungen der Altersteilzeitreglung des ATG ausgeschlossen sind.

(2.) Die Ungleichbehandlung ist jedoch gerechtfertigt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine diskriminierende Regelung gerechtfertigt und damit zulässig, wenn sie objektiv einem sozialpolitischen Ziel dient, das nichts mit einer Diskriminierung zu tun hat und der nationale Gesetzgeber "in vertretbarer Weise" davon ausgehen konnte, dass die fragliche Vorschrift zur Erreichung des angestrebten Zieles erforderlich ist (Bieback, a.a.O., S. 301, 308; Rolfs/Bütefisch, a.a.O., S. 1, 21; EuGH, Urteil vom 14.12.1995, RS.C-444/93, EuZW 1996, S. 75; EuGH, Urteil vom 14.12.1995, RS.C-317/93; EuZW 1976, S. 77 ff.). Sozialpolitisches Ziel des ATG ist es - wie oben ausgeführt -, den gleitenden Übergang älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand unter gleichzeitiger Einstellung sonst arbeitsloser jüngerer Arbeitnehmer auf den Arbeitsplätzen der älteren Arbeitnehmer zu unterstützen und letztere aus der Arbeitslosigkeit herauszulösen.

Der Gesetzgeber hat dieses sozialpolitische Ziel bezüglich der von den Arbeitsvertragsparteien gewählten Alternative der Altersteilzeit (wöchentliche Reduzierung der Arbeitszeit der älteren Arbeitnehmerinnen; kein Blockmodell) in vertretbarer Weise umgesetzt. Er hat seine sozialpolitischen Gesetzgebungskompetenzen nicht zu einer Diskriminierung missbraucht. Das sozialpolitische Ziel des ATG hat objektiv nichts mit einer Diskriminierung zu tun. Ein anstelle des in Altersteilzeit wechselnden Arbeitnehmers eingestellter Arbeitsloser wird nur dann aus der Arbeitslosigkeit herausgelöst, wenn er nach dem bis zum 31.12.1997 geltenden Recht der §§ 101 Abs. 1 und 102 Abs. 1 und 2 AFG mindestens 18 Stunden und nach dem ab 01.01.1998 in Kraft befindlichen Recht des § 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III mindestens 15 Stunden einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung nachgeht. Unter Beachtung der Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 2 ATG, nach der die Reduzierung der Arbeitszeit des älteren Arbeitnehmers lediglich auf die Hälfte der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit möglich ist, ist somit die gesetzliche Anforderung, dass der ältere Arbeitnehmer seine Arbeitszeit mindestens um die Zeit reduzieren muss, die der jüngere Arbeitnehmer benötigt, um durch die Beschäftigung aus der Arbeitslosigkeit herausgelöst zu werden, sachlich zumindest vertretbar.

Ob die zweite Alternativvariante der Altersteilzeitregelung, das sog. Blockmodell, mittelbar Frauen diskriminierend ist, kann der Senat offen lassen, da diese Variante von den Arbeitsvertragsparteien im vorliegenden Fall nicht gewählt wurde.

Nach alledem waren die Berufungen zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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