L 3 AL 212/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 10 AL 1051/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 212/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 02. September 1999 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind der Klägerin für beide Verfahrenszüge nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und die damit verbundene Erstattungsforderung in Höhe von 5934,06 DM.

Die am ...1941 geborene, seit ...1964 verwitwete Klägerin hat nach einer Ausbildung zur Spinnerin (1956 - 1958) bis 1964 im Ausbildungsberuf gearbeitet. Danach arbeitete sie als Lagerarbeiterin (1975 - 1980, 1982 - 1990) und vom 27.07.1990 bis 31.01.1994 als Gemüseverkäuferin.

Entsprechend der Arbeitsbescheinigung bezog die Klägerin von August 1993 bis Januar 1994 ein monatlich gleichbleibendes Brutto-Entgelt von 1860,- DM. Vom 01.02. bis 28.02.1994 erhielt sie Krankengeld.

Am 13.01.1994 meldete sich die Klägerin mit Wirkung zum 01.03. 1994 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg). Die Beklagte bewilligte ihr mit Bescheid vom 22.03.1994 Alg für die Dauer von 676 Tagen. Bei Erlöschen des Anspruchs am 26.04.1996 betrug das Alg wöchentlich 222,- DM (Leistungsgruppe A 0, Bemessungsentgelt 520,- DM, Bescheid vom 02.02.1996).

Am 18.04.1996 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Alhi. Im Antragsformular gab sie an, eine Witwenrente in Höhe von monatlich 841,62 DM zu beziehen und legte den Rentenbescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 29.12.1995 in Auszügen vor. Sie bestätigte das Merkblatt für Arbeitslose "Ihre Rechte - ihre Pflichten" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.

Mit Schreiben vom 17.05.1996 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie in den nächsten Tagen einen Bescheid erhalten werde, aus dem die Höhe der ihr bewilligten Alhi ersichtlich sei. Dieser Betrag stimme nicht mit dem Tabellensatz nach der gültigen Leistungsverordnung überein, weil Einkommen anzurechnen sei. Wie der Anrechnungsbetrag errechnet worden sei, könne dem beigefügten Berechnungsbogen entnommen werden. Auf den Berechnungsbogen (Bl. 53 der Leistungsakte) wird Bezug genommen.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 23.05. 1996 Alhi für den Zeitraum vom 27.04.1996 bis 31.01.1997 in Höhe von 196,20 DM wöchentlich entsprechend einem Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 520,- DM und der Leistungsgruppe A 0 - fehlerhaft ohne Anrechnung des Einkommens aus der Witwenrente -.

Mit Änderungsbescheid vom 05.07.1996 wurde die Alhi ab 01.07. 1996 gemäß § 242 V AFG auf 191,40 DM wöchentlich gemindert. Ab 01.01.1997 betrug die wöchentliche Leistung 188,40 DM (Bescheid vom 03.01.1997).

Im Rahmen einer internen Prüfung stellte die Beklagte am 19.12.1996 fest, dass der Klägerin Alhi ohne Anrechnung der Witwenrente bewilligt worden war.

Mit Schreiben vom 23.12.1996 wurde die Klägerin zur Überzahlung "angehört" sowie aufgefordert, zu dem Umstand Stellung zu nehmen, dass sie aufgrund des Hinweisschreibens die Überzahlung hätte erkennen müssen.

Am 09.01.1997 teilte die Klägerin darauf mit, sie könne das Geld nicht zurückzahlen, da sie es verbraucht und auf die Richtigkeit der Bearbeitung vertraut habe.

Mit Bescheid vom 10.01.1997 bewilligte die Beklagte Alhi ab 10.01.1997 für den restlichen Bewilligungsabschnitt bis 31.01. 1997 in Höhe von 28,02 DM unter Anrechnung der Witwenrente in Höhe von 160,37 DM.

Mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 12.02.1997 nahm die Beklagte die Bewilligung von Alhi ab 27.04.1996 teilweise in Höhe von 160,35 DM wöchentlich zurück und forderte für die zurückliegende Zeit einen Erstattungsbetrag in Höhe von 5934,06 DM.

Dagegen legte die Klägerin am 26.02.1997 Widerspruch ein. Sie habe die Überzahlung nicht erkennen können, da sie nicht wisse, ob und in welcher Art die Witwenrente angerechnet werde. Schon bei Abgabe der Unterlagen habe sie persönlich verlangt, dass nachgesehen werde, ob alles seine Richtigkeit habe.

Die BfA stellte mit Rentenbescheid vom 18.08.1997 die große Witwenrente ab 01.01.1997 mit einem Zahlbetrag ab Januar 1997 in Höhe von 1.000,63 DM neu fest.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.1997, der Klägerin durch Übergabe-Einschreiben (Datum fehlt) zugestellt, zurück. Die Witwenrente sei als Einkommen anzurechnen. Die Klägerin sei mit Schreiben vom 17.05.1996 eindeutig darauf hingewiesen worden, dass ihr aufgrund der Berücksichtigung von Einkommen aus der Witwenrente ein Betrag von 160,37 DM auf die Alhi anzurechnen sei. Dem Berechnungsbogen sei eindeutig zu entnehmen, dass die ungekürzte Alhi 196,20 DM wöchentlich betrage. Unter Berücksichtigung des Anrechnungsbetrages von 160,37 DM ergebe sich ein wöchentlicher Auszahlbetrag von 35,83 DM. Die Klägerin sei demnach hinreichend darüber informiert gewesen, dass sie künftig mit einer wöchentlichen Alhi von ca. 35,- DM rechnen könne. Diese Information von 17.05. 1996 stehe jedoch im krassen Gegensatz zum Bewilligungsbescheid vom 23.05.1996. Aufgrund der vorab gegebenen Informationen über die zu erwartende Alhi könne die Klägerin kein geschütztes Vertrauen geltend machen. Dem Berechnungsbogen sei die Höhe der ungekürzten Alhi, der Anrechnungsbetrag und der Auszahlbetrag zu entnehmen. Aufgrund dessen hätten sich der Klägerin zumindestens bei der bewilligten Alhi von 169,20 DM Zweifel aufdrängen müssen, dass sich die Höhe der bewilligten Leistung als rechtswidrig begünstigend erweise, zumal die bewilligte Leistung identisch mit der ungekürzten Alhi sei.

Hiergegen hat die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, am 22.12.1997 Klage zum SG Dresden (SG) erhoben. Der persönliche Grad der Auffassungsgabe der Klägerin sei zu berücksichtigen. Die Klägerin sei nicht nur rechtsunkundig, sondern stehe amtlichen Bescheiden derart hilflos gegenüber, dass sie in rechtlichen Angelegenheiten regelmäßig der Unterstützung Dritter bedürfe. Sie habe sich regelmäßig Hilfe geholt, wenn Anträge auszufüllen gewesen seien oder Forderungen von Behörden gekommen seien. Bescheide von Behörden lese sie sich erst selbst durch, dann rufe sie ihre Schwester an, damit diese ihr weiterhelfe, weil sie das nicht so schnell begreife. Als sie den Bescheid vom 17.05.1996 erhalten habe, habe sie gedacht, es sei ja schön, dass sie 160,- DM Alhi bekomme. Sie sei davon ausgegangen, dass das Arbeitsamt das richtig gemacht habe. Als der (Bewilligungs-)Bescheid vom Arbeitsamt (vom 23.05.1996) eine Woche später gekommen sei, habe sie ihre Schwester nicht angerufen. Sie habe sich dabei nichts weiter gedacht, deswegen habe sie sich keinen Rat geholt. Warum sie sich mit ihrer Schwester nicht in Verbindung gesetzt habe, wisse sie nicht mehr. Bei der Behörde selbst frage sie eigentlich nicht nach.

Das SG hat in der mündlichen Verhandlung zum Beweisthema "Umgang der Klägerin mit Behördenschreiben" Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin A ... G ... (Schwester der Klägerin) und zum Beweisthema "Persönliche Vorsprache der Klägerin am 26.02.1999" Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin A ... S ... (Mitarbeiterin des Arbeitsamtes).

Die Zeugin G ... hat bekundet, die Klägerin habe sie eigentlich immer angerufen, wenn sie amtliche Vordrucke auszufüllen gehabt habe. Nur einfache Schreibarbeiten, z.B. einem Überweisungsauftrag, erledige sie allein. Den (Bewilligungs-)Bescheid und das Hinweisschreiben vom Arbeitsamt über die Höhe der Alhi und die Anrechnung der Witwenrente habe ihre Schwester ihr nicht gezeigt. Sie habe sie immer nur beim Ausfüllen um Hilfe gebeten.

Die Zeugin G ... sagte aus, sie habe der Klägerin und deren Schwester im Februar 1997 den Ablauf des Widerspruchsverfahrens erläutert. Nach ihrem Eindruck sei die Klägerin in der Lage gewesen, die Erklärungen zu verstehen.

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 02.09.1999 stattgegeben und die Voraussetzungen für die teilweise Rücknahme der Bewilligung nach § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 152 Abs. 2 AFG verneint. Die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides weder gekannt noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt. Zwar habe die Klägerin vor dem Bewilligungsbescheid ein Hinweisschreiben erhalten, aus dessen Anlage sich der konkrete Auszahlungsbetrag ergeben habe. Zur Überzeugung der Kammer stehe auch fest, dass sie Klägerin das Hinweisschreiben gelesen und wohl auch die vorhandenen drei Zeilen miteinander kombiniert habe, aber deren Zuordnung und Bedeutung, insbesondere des Begriffes "Anrechnungsbetrag", nicht erfasst habe. Die Klägerin sei nach ihrem glaubwürdigen Vorbringen nicht in der Lage, die behördlichen Bescheide, die sie zunächst selbst lese, in ihren Einzelheiten zu verstehen. Deshalb lasse sie sich üblicherweise bei Forderungen und bei Anträgen helfen, weil sie wisse, dass sie mit solchen Bescheiden nicht allein zurechtkomme. Bei den übrigen Mitteilungen, insbesondere den Leistungsbescheiden, lasse sie sich jedoch nur dann helfen, wenn sie nach dem Durchlesen Zweifel am Inhalt des Bescheides habe. Diese übliche Vorgehensweise der Klägerin sei auch durch die Zeugin G ... bestätigt worden, deren Aussage glaubwürdig und frei von Widersprüchen gewesen sei.

Der Klägerin seien die Zusammenhänge im Anrechnungsbogen und insbesondere die Bedeutung der Witwenrente als anzurechnendes Einkommen auch nicht etwa deswegen bekannt gewesen, weil sie im Rahmen der Antragstellung auf Alhi die Witwenrente als Einkommen anzugeben hatte. Die Klägerin habe sich beim Ausfüllen des Antrages helfen lassen. Die Fragen seien beantwortet worden, ohne dass der Klägerin deren Hintergrund bewusst gewesen wäre. Soweit die Beklagte vorbringe, die Klägerin könne als ehemalige Obstverkäuferin mit Zahlen umgehen, sei ihr zwar im Grundsatz zuzustimmen. Die Klägerin sei in der Lage, einfache Rechenoperationen anzustellen. Dies bedeute aber nicht, dass die Klägerin auch die Bedeutung der einzelnen Zahlen habe nachvollziehen können. Gerade weil die drei ausschlaggebenden Zahlen in der Kombination zusammenpassten, habe sich die Klägerin beim Erhalt des nachfolgenden Bescheides keine Gedanken gemacht, und es haben sich ihr keine Zweifel aufgedrängt. Alle Überlegungen, zu denen die Klägerin selbstständig in den Lage sei, habe sie demnach angestellt. In dieser Situation habe sich ihr nicht aufdrängen müssen, dass Anlass bestanden hätte, eine andere Person zu Rate zu ziehen. Dass die Klägerin irrtümlich der Meinung gewesen sei, Bewilligungsbescheide grundsätzlich zu verstehen, und sie sich deshalb in der Regel in diesen Fällen keine fremden Hilfe bedient habe, könne nach Überzeugung der Kammer höchstens als leichte oder "normale" Fahrlässigkeit bewertet werden.

Gegen das der Beklagten mit Empfangsbekenntnis am 29.11.1999 zugestellte Urteil hat diese am 27.12.1999 Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt und zur Begrüdnung wie folgt vorgetragen: Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass die Klägerin in der Lage gewesen sei, die Ausführungen im Merkblatt, insbesondere zur Berücksichtigung von Renten bei der Alhi, zu verstehen. Die Klägerin habe den Erhalt des Merkblattes und die Kenntnisnahme vom Inhalt mit ihrer Unterschrift dokumentiert. Auch der Inhalt des Hinweisschreibens vom 17.05.1996 samt Berechnungsbogen sei eindeutig gewesen. Die Argumentation des Sozialgerichts, wonach die Klägerin zwar die Berechnung nachvollziehen, jedoch nicht deren Sinn habe erkennen können, sei nicht überzeugend. Die Vernehmung der Zeuginnen habe übereinstimmend ergeben, dass sich die Klägerin zwar der Hilfe ihrer Schwester oder ihres Sohnes bediene, wenn es um das Ausfüllen von Formularen gehe. Bescheide von Behörden habe die Klägerin jedoch allein und ohne fremde Hilfe gelesen und wohl auch verstanden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 02. September 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf den bisherigen Vortrag im Klageverfahren. Ergänzend trägt sie vor, sie habe weder privat noch beruflich schriftliche Arbeiten in größerem Umfang erledigen müssen und habe deshalb keine Übung im Lesen und Anfertigen von Schriftstücken. Sie habe die Tätigkeit als Verkäuferin relativ kurze Zeit verrichtet und während dieser Zeit nur sich stets wiederholende Ab- und Berechungen von einfacher Art vorgenommen. Einfache Kopfrechenarten durchführen zu können, heiße noch lange nicht, Bescheide lesen und inhaltlich deuten zu können.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie die Leistungsakte der Beklagten (zu Stamm-Nr. 34 95 24) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig und in der Sache begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Die streitgegenständlichen Bescheide sind nicht zu beanstanden und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Alhi für den Zeitraum vom 27.04.1996 bis 10.01.1997 ist § 45 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 152 Abs. 2 AFG.

Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Nur in den Fällen des Abs. 2 Satz 3 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (§ 45 Abs.1 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte u.a. nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X).

Der Bewilligungsbescheid vom 23.05.1996 war von Anfang an rechtswidrig. Bewillligt wurde der Klägerin Alhi in Höhe von 196,20 DM wöchentlich nach einem BE von 520,- DM, der Leistungsgruppe A und dem allgemeinen Leistungssatz ohne Anrechnung von Einkommen. Die Klägerin hat jedoch lediglich Anspruch auf Alhi unter Anrechnung der Wiwenrente abzüglich Beiträgen für Versicherungen gehabt. Denn gem. §§ 134 Abs. 1 Nr. 3, 138 Abs. 1 AFG ist im Rahmen der anspruchsbegründenden Bedürftigkeitsprüfung Einkommen zu berücksichtigen. Dabei umfaßt Einkommen im Sinne der Vorschriften über die Alhi alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert einschließlich der Leistungen, die von Dritten beansprucht werden können (§ 138 Abs. 2 Satz 1 AFG), insofern also auch die von der BfA ab 01.07.1990 bewilligte große Witwenrente mit einem monatlichen Zahlbetrag ab Februar 1996 in Höhe von 841,62 DM (Rentenbescheid vom 29.12.1995, Blatt 60 SG) und ab 01.01.1997 in Höhe von 1000,63 DM monatlich (Neufestsetzungsbescheid vom 18.08.1997). Von dieser Witwenrente waren gemäß § 138 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Versicherungsbeiträge in Höhe von 146,69 DM monatlich abzuziehen.

Der Klägerin stand somit unter Anrechnung des Einkommens (Witwenrente abzüglich Beiträge für Versicherungen) nicht der ungekürzte Leistungssatz, sondern ab 27.04.1996 Alhi in Höhe von 35,83 DM wöchentlich bzw. ab 01.01.1996 in Höhe von 31,03 DM wöchentlich zu.

Ab 01.01.1997 stand der Klägerin keine Alhi zu. Denn der wöchentliche Anrechnungsbetrag überstieg den ungekürzten Leistungssatz von 188,40 DM wöchentlich. Infolge eines Fehlers bei der Bearbeitung hat die Klägerin zu viel Alhi erhalten. Denn die Beklagte hat den Bewilligungsbescheid nur teilweise zurückgenommen und einen wöchentlichen Anspruch auf Alhi in Höhe von 28,02 DM bestehen lassen. Deshalb ist die lediglich teilweise Aufhebung der Bewilligung von Alhi (wöchentlich 28,02 DM) durch die Gerichte insoweit jedenfalls nicht zu überprüfen.

Weiterhin ist im Fall der Klägerin auch § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X erfüllt. Denn die Klägerin hat die Rechtswidrigkeit der Überzahlung grob fahrlässig nicht erkannt.

Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung ist dabei maßgeblich darauf abzustellen, ob der Betroffene unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit nach den Umständen des konkreten Falles seine Sorgfaltspflichten in besonders schwerem Maße verletzt hat (sog. subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; vgl. BSGE 35, 108, 112; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 3 m.w.N.). Zu den Sorgfaltspflichten eines Leistungsempfängers gehört es auch, die Leistungsbescheide zu lesen und sie unter Beachtung der konkreten Gesamtumständen ggf. sorgfältig, jedenfalls aber überschlägig auf ihre Widerspruchsfreiheit bzw. auf ihre offensichtliche Richtigkeit hin zu überprüfen.

Die Beklagte hat der Klägerin nicht nur ein Merkblatt für Arbeitslose ausgehändigt, sondern sie auch wenige Tage vor Erlaß des Bewilligungsbescheides schriftlich darauf hingewiesen, daß die Höhe der bewilligten Alhi nicht mit dem Tabellensatz nach der gültigen Leistungsverordnung übereinstimme, weil Einkommen anzurechnen sei. Den Anrechnungsbetrag hat sie in einem anliegenden Berechnungsbogen wie folgt ermittelt:

" Alhi wöchenltich ungekürzt 196,20 DM

Monats- Wochen- Anrechnungsbeträge

Witwenrente: 841,62 DM 194,22 DM

Abzüge: 146,69 DM 33,85 DM

verbleibendes Einkommen (= Anrechnungsbetrag): 160,37 DM

Auszahlungsb.: 33,38 DM wöchentlich "

Mit Bewilligungsbescheid vom 23.05.1996 wurde der Klägerin sodann Alhi in Höhe von wöchentlich 196,20 DM gewährt. Der Bescheid enthält keine Begründung über die gegenüber dem Hinweisschreiben abweichende Berechnung.

Der Klägerin hätte diese Differenz auffallen müssen. Der im Hinweisschreiben als Auszahlungsbetrag bezeichnete Betrag von 35,38 DM wöchentlich weicht erheblich von dem Auszahlungsbetrag im Bewilligungsbescheid (196,20 DM) ab. Das gilt auch, wenn man unter Berücksichtigung der Schulbildung und des beruflichen Werdeganges der Klägerin keinen zu hohen Maßstab an die Sorgfaltspflichten stellt. Zwar nahm die Klägerin nach eigenem Vorbringen beim Ausfüllen von Formularen regelmäßig die Hilfe ihrer Schwester in Anspruch. Sie war aber nach dem vom Senat festgestellten Persönlichkeitsbild durchaus allein in der Lage, Schriftstücke im wesentlichen allein zu prüfen. Hier war nur eine überschaubare Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen. Die fehlerhafte Bewilligung ist nach dem vorherigen Hinweisschreiben einfach zu erkennen. Sie drängt sich quasi auf. Eine derartige Prüfung ist der Klägerin zuzumuten. Gerade wenn Sozialleistungen bezogen werden, die zur Sicherung des Lebensunterhalts dienen, ist dies sowohl im Eigen- als auch im öffentlichen Interesse geboten. Das gilt insbesondere für die Höhe/Berechnung der Sozialleistung. Unterbleibt eine solche Prüfung, obwohl sie nach den konkreten Umständen angezeigt war oder sich geradezu aufdrängte, liegt eine grobe Sorgfaltspflichtverletzung vor.

Entgegen dem Vortrag der Klägerin ist eine darüber hinausgehende Übung beim Lesen und Anfertigen von Schriftstücken dafür nicht erforderlich. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob die Klägerin tatsächlich nur einfachste Ab- und Berechnungen als Obstverkäuferin gemacht hat. Denn hier hat die Beklagte nicht nur eine Berechnung vorgelegt, sondern vorab ausdrücklich auf die Anrechnung des Einkommens und die sich daraus ergebende Abweichung der Bewilligung von der Leistungsverordnung hingewiesen. Danach durfte die Klägerin selbst bei eingeschränkten mathematischen Kenntnissen nicht mehr von einer ungekürzten Alhi ausgehen.

Die Voraussetzungen des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr. 3 SGB X liegen somit zur Überzeugung des Senats vor.

Die Fehlerhaftigkeit der Bewilligung mußte sich der Klägerin darüberhinaus auch nach ihrem eigenem Sachvortrag, wonach sie den Anrechnungsbetrag als Auszahlungsbetrag betrachtet hat, aufdrängen. Denn zwischen dem Anrechnungsbetrag (160,37 DM) und der Bewilligung der ALhi (196,20 DM) besteht auch eine nicht unerhebliche Differenz. Bei einer Schlüssigkeitsprüfung mußte dies selbst bei fehlerhaftem Vorverständnis auffallen. Für den Senat ist es deshalb nicht nachvollziehbar, daß die Klägerin dann nicht zumindest ihre Schwester um Hilfe gebeten hat, denn nach ihrem eigenen Vortrag ist sie in Zweifelsfällen immer so verfahren. Das ist hier ohne nachvollziehbare Begründung sorgfaltswidrig nicht erfolgt. Zumindest dies wäre aber erforderlich gewesen. Zumal sie nach ihrer eigenen Darstellung nur mit einer Alhi in Höhe von rund 160,- DM gerechnet haben will. Entgegen den Ausführungen des SG ist die Klägerin damit auch nach ihrem eigenem Vortrag von ihrer üblichen Vorgehensweise bei der Prüfung von Bescheiden abgewichen.

Die Voraussetzungen des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr. 3 SGB X liegen somit vor.

Die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist ebenfalls eingehalten. Die Beklagte hat den Rücknahme- und Erstattungsbescheid am 12.02.1997 erlassen. Kenntnis von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erhielt die Beklagten mit der Stellungnahme der Klägerin vom 09.01.1997. Erst danach konnte die Beklagte das Merkmal der groben Fahrlässigkeit sachgerecht prüfen und bewerten.

§ 152 Abs.2 AFG in der oben zitierten Fassung, ab dem 01.01.1994 geltenden Fassung, schreibt in diesem Falle vor, dass der rechtswidrige Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben ist. Die Beklagte hat kein Ermessen auszuüben.

Nach § 50 Abs.1 Satz 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungakt aufgehoben worden ist. Die zu erstattene Summe ist von der Beklagten mit 5.934,06 DM beziffert worden. Die Erstattungssumme ergibt sich aus der Differenz zwischen der ausgezahlten Alhi und der zustehenden Alhi ( 7.121,30 DM - 1.187,24 DM = 5.934,06 DM). Auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid wird Bezug genommen.

Der mit Widerspruch und Klage angefochtene Bescheid vom 13.02.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.1997 war somit nicht zu beanstanden. Auf die Berufung der Beklagten war daher das stattgebenden Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs.2 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved