L 3 AL 21/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 6 AL 537/96
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 21/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 15. Oktober 1998 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte hat außergerichtlich Kosten weder für das Klage- noch das Berufungsverfahren zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Unterhaltsgeld (Uhg) für den Zeitraum vom 20.06.1994 bis zum 31.01.1996 sowie die hiermit verbundene Erstattungsforderung in Höhe von 4.379,70 DM.

Der am ... geborene Kläger ist seit 1989 verheiratet. Am ... kam sein Sohn zur Welt. Er besuchte von 1974 bis 1983 eine Polytechnische Oberschule; anschließend absolvierte er eine Lehrausbildung zum Holzfacharbeiter. In der Folgezeit war er zunächst als Lagerist und Forstmitarbeiter beschäftigt. Vom Juni 1994 bis Februar 1996 absolvierte er eine weitere Berufsausbildung zum Baumaschinist im Tiefbau. Hieran anschließend war der Kläger zunächst im Rahmen einer AB-Maßnahme als Baumaschinist, dann als Kraftfahrer/Lagerist und schließlich im Messebau beschäftigt.

In der Zeit vor den hier streitigen Ereignissen war der Kläger - im Anschluss an vorausgegangenen Arbeitslosengeld-Bezug - zuletzt vom 16.03.1992 bis zum 04.12.1992 im Rahmen einer AB-Maßnahme als Waldarbeiter beschäftigt. Im November 1992 bezog er ein Bruttoentgelt i. H. von 1.857,64 DM.

Auf dem Wiederbewilligungsantrag für Arbeitslosengeld (Alg) vom 09.12.1992 gab der Kläger zu den Eintragungen auf seiner Lohnsteuerkarte die Steuerklasse III an. Dies entsprach auch den Angaben auf der beigefügten Kopie der Lohnsteuerkarte 1992. Anschließend bezog er vom 05.12.1992 bis zum 02.01.1993 Arbeitslosengeld, vom 04.01.1993 bis zum 26.05.1993 Unterhaltsgeld aufgrund einer Bildungsmaßnahme der DEKRA Ausbildungs-GmbH sowie vom 26.05.1993 bis zum 19.04.1994 wiederum Arbeitslosengeld.

Am 03.02.1994 nahm der Kläger mit Wirkung vom 01.03.1994 einen Lohnsteuerklassenwechsel in die Steuerklasse IV vor. Entsprechend den Angaben im vom Kläger ausgefüllten Zusatzfragebogens betrug das Bruttoeinkommen der Ehefrau zum damaligen Zeitpunkt 1.500,00 DM. Die Zweckmäßigkeit dieser Steuerklassenkombination IV/IV wurde entsprechend vermerkt. Durch Änderungsbescheid vom 02.03.1994 wurde der Bezug von Arbeitslosengeld hierauf ab dem 01.01.1994 entsprechend der Leistungsgruppe A nach der Steuerklasse IV vorgenommen. Dies ergab einen wöchentlichen Beitrag i. H. von 258,00 DM.

In der Zeit zwischen dem 19.04.1994 und dem 19.06.1994 stand der Kläger erneut in einem Arbeitsverhältnis im Rahmen einer AB-Maßnahme bei der Niederlassung der ABS "Straßenfahrzeugbau"/ ...

Am 30.05.1994 stellte der Kläger einen Antrag auf Förderung einer beruflichen Bildungsmaßnahme sowie insbesondere der Gewährung von Unterhaltsgeld. Es handelte sich um einen Lehrgang als Baugeräteführer, an welchem der Kläger in der Zeit vom 20.06.1994 bis zum 31.01.1996 teilnahm. In dem hierzu gestellten Kurz-Antrag gab er zu der Frage 2 an, zu Beginn des Jahres 1994 sei die Steuerklassenkombination IV/IV eingetragen gewesen und seither sei es zu keinem Wechsel der Steuerklassenkombination gekommen.

Durch Bescheid vom 27.06.1994 wurde dem Kläger ab dem 20.06.1994 Unterhaltsgeld bewilligt. Diese Bewilligung erfolgte mit einem wöchentlichen Beitrag i. H. v. 307,80 DM, ausgehend von einem durchschnittlichen gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt i. H. v. 570,00 DM. Trotz des Lohnsteuerklassenwechsels sowie der Feststellung von dessen Zweckmäßigkeit erfolgte diese Bewilligung nach der Leistungsgrupppe C. Später ergingen hierzu noch folgende Änderungs- und Dynamisierungsbescheide: - Dynamisierungsbescheid vom 02.12.1994 - hierzu ging die Beklagte nunmehr von einem Bemessungsentgelt von 650,00 DM sowie wiederum von der Leistungsgruppe C aus -, - Änderungsbescheid vom 13.01.1995; - Dynamisierungsbescheid vom 14.12.1995 zur Dynamisierung der Leistung ab dem 30.11.1995: Leistungssatz i. H. v. 343,80 DM, ausgehend von einem Bemessungsentgelt i. H. v. 690,00 DM, entsprechend der Leistungsgruppe C; - Änderungsbescheid vom 11.01.1996: Leistungssatz i. H. v. 362,40 DM, ebenfalls entsprechend der Leistungsgruppe C.

Am 04.01.1996 sprach der Kläger anläßlich der Beendigung der Maßnahme sowie dem damit verbundenen neuen Antrag auf Alg persönlich bei der Beklagten vor. In diesem Zusammenhang kam auch die Lohnsteuerklassenänderung des Jahres 1994 zur Sprache und die Beklagte stellte die fehlerhafte Höhe des bewilligten Unterhaltsgeldes fest.

Sie nahm hierauf eine Berechnung des seit dem 20.06.1994 überzahlten Differenzbetrages vor. Hierbei ergab sich - rechnerisch zutreffend - ein Betrag i. H. v. 4.379,70 DM.

Mit Schreiben vom 23.02.1996 teilte die Beklagte dem Kläger mit, aufgrund des Wechsels der Lohnsteuerklasse sei anzunehmen, dass ihm das Nichtvorliegen bzw. der Fortfall der Anspruchsvoraussetzungen bekannt gewesen sei. Als Aufhebungsnorm benannte die Beklagte § 48 SGB X.

Der Kläger reichte zu diesem Vorhalt am 04.03.1996 eine Stellungnahme ein. Er führte aus, den Wechsel der Steuerklasse habe er mitgeteilt und auch die weiteren Anträge jeweils korrekt ausgefüllt. Von daher treffe ihn keine Schuld.

Am 13.03.1996 erließ die Beklagte hierzu einen "Aufhebungs- und Erstattungsbescheid". Die bewilligte Leistung habe dem Kläger teilweise nicht zugestanden, zumal fälschlicherweise die Steuerklasse III zugrunde gelegt worden sei. Diese Bewilligung werde insoweit - teilweise - nach § 45 SGB X aufgehoben. Der Kläger habe den überzahlten Betrag i. H. v. 4.379,70 DM zu erstatten. Auch im Rahmen des Ermessens könne von einer entsprechenden Rücknahme nicht abgesehen werden. Der Fehler der Beklagten trete in den Hintergrund, weil der Kläger erkennen konnte, dass ihm die Leistungen in dieser Höhe nicht zugestanden hätten. Von dem Merkblatt für Arbeitslose habe er Kenntnis genommen. Es überwiege daher das Interesse an der Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes.

Hiergegen legte der Kläger am 29. März 1996 Widerspruch ein. Ein Verschulden seinerseits sei nicht ersichtlich, da er auf dem Antrag die zutreffende Steuerklasse angegeben habe.

Durch Widerspruchsbescheid vom 23.05.1996 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger hätte die unkorrekte Zuordnung zur Leistungsgruppe erkennen können. Er habe das entsprechende Merkblatt ausgehändigt bekommen und dessen Erhalt unterschriftlich bestätigt. Weiterhin ergebe sich die Zuordnung zu den Steuerklassen aus der Rückseite der Bescheide. Daher habe der Kläger den fehlerhaften Verwaltungsakt zumindest grob fahrlässig hingenommen. Entsprechend der Vorschrift des § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X sei daher die Bewilligung teilweise zurückzunehmen.

Hiergegen hat sich der Kläger am 24.06.1997 an das Sozialgericht Chemnitz (SG) gewandt. Mit seiner Klage hat er geltend gemacht, die Leistungen seien bereits verbraucht. Das Merkblatt habe er durchaus gelesen. Hieraus ergebe sich jedoch, dass die neu eingetragene Steuerklasse nicht automatisch berücksichtigt werde. Das Arbeitsamt ermittle die Zweckmäßigkeit anhand der "Tabelle zur Steuerklassenwahl". Da er ab Ende Juni 1994 kein Arbeitslosen- sondern Unterhaltsgeld bezog, habe er angenommen, dieses werde anders berechnet. Zudem sei dies auch in den Folgejahren nicht geändert worden, obwohl in dem "Merkblatt für Arbeitslose" stehe, die Leistungssätze würden nach Steuerklassen getrennt berechnet und in Leistungstabellen nach Leistungsgruppen ausgewiesen.

Durch Urteil vom 15. Oktober 1998 hat das Sozialgericht Chemnitz der Klage stattgegeben und den Bescheid vom 13.03.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.1996 aufgehoben. Der Kläger sei nicht grob fahrlässig gewesen. Er habe auf die Richtigkeit des Bewilligungsbescheides zum Unterhaltsgeld vertrauen können, denn dieser sei erst etwa zwei Monate nach dem Änderungsbescheid zum Arbeitslosengeld ergangen.

Gegen dieses, am 20.01.1999 zugegangene, Urteil hat die Beklagte am 18.02.1999 Berufung zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegt. Es liege kein schützenswertes Vertrauen bezüglich der fehlerhaften Leistungsbewilligung vor. Der Zusammenhang zwischen Lohnsteuerklasse und Leistungsgruppe müsse dem Kläger bekannt gewesen sein. Dieser ergebe sich sowohl aus den ausgehändigten Merkblättern als auch aus dem Schema auf der Rückseite der Bewilligungsbescheide. Aufgrund seiner Angaben im Antrag vom 31.05.1994 hätte der Kläger davon ausgehen müssen, dass ihm nur Unterhaltsgeld nach der Leistungsgruppe A zustehen werde. Dies belege insbesondere auch sein Schreiben vom 29.02.1996, worin er deutlich gemacht habe, seine Eintragungen seien zutreffend gewesen und er sei sich aufgrund dieser ordnungsgemäßen Mitteilungen keiner Schuld bewusst.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 15.10.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zu den Ausführungen der Beklagten hat der Kläger erwidert, er habe auf die Richtigkeit des Unterhaltsgeldbescheides vertrauen können, zumal er den Steuerklassenwechsel ordnungsgemäß mitgeteilt habe. Zudem habe er keinerlei Anlass gehabt, davon auszugehen, die Beklagte habe fehlerhafte Entscheidungen getroffen.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige und statthafte (§§ 143, 144 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht Chemnitz (SG) den Bescheid vom 13.03.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.1996 aufgehoben, denn diese sind rechtmäßig und verletzten daher den Kläger nicht in seinen Rechten.

Es kann dahinstehen, ob die Beklagte den Kläger mit dem Schreiben vom 23.02.1996 vor Erlass des Rücknahme- und Erstattungsbescheides ordnungsgemäß (i. S. v. § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch -SGB X-) anhörte, denn die erforderliche Anhörung wäre jedenfalls durch die Bekanntgabe des Bescheides vom 13.03.1996 gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X nachgeholt worden. Dieser Bescheid stellte u.a. auch die Grundlagen der subjektiven Vorwerfbarkeit, von der die Beklagte ausging, dar.

Rechtsgrundlage für die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Unterhaltsgeld (Uhg) ist § 45 Abs. 1, Abs. 4, Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X i. V. m. § 152 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Die Leistungssätze der Bescheide zur Bewilligung von Uhg vom 27.06.1994, 08.09.1994, 02.12.1994, 13.01.1995, 14.12.1995 und 11.01.1996 basierten auf der unzutreffenden Leistungsgruppe C und waren daher - der Höhe nach - rechtswidrig.

Grundlage für die Bemessung der Höhe des Uhg ist § 44 Abs. 2 und Abs. 2c i. V. m. § 111 Abs. 2 AFG. Bei der Festsetzung des maßgebenden Leistungssatzes ist gem. § 111 Abs. 2 AFG grundsätzlich die auf der Lohnsteuerkarte des Leistungsempfängers zu Beginn des Jahres eingetragene Lohnsteuerklasse maßgebend. Durch diese werden die bei dem Arbeitnehmer gewöhnlich anfallenden Abzüge für die Lohnsteuer bestimmt. Hiervon ausgehend lag bei dem Kläger folgende Situation vor: Zu Beginn des Jahres 1994 hatte er die Steuerklasse III (diese entspricht der Leistungsgruppe C) und seine Ehefrau entsprechend die Steuerklasse V. Zum 01.03.1994 wechselten die Ehegatten in die Steuerklassenkombination IV/IV. Gem. § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1a AFG bedeutet die Lohnsteuerklasse IV für den Leistungsbezug die Leistungsgruppe A. Diesen Steuerklassenwechsel hatte der Kläger auch dem Arbeitsamt mitgeteilt. Durch Änderungsbescheid vom 02.03.1994 wurde hierauf die Leistungshöhe des Alg entsprechend der Leistungsgruppe A herabgesetzt. In seinem Antrag auf Uhg vom 30.05.1994 hatte der Kläger dann zwar zutreffend für die derzeitige Situation die Steuerklassenkombination IV/IV angegeben, aber den Steuerklassenwechsel im Laufe des Jahres nicht vermerkt.

Haben Ehegatten die Steuerklassen gewechselt, so werden die neu eingetragenen Steuerklassen von dem Tag an berücksichtigt, an dem die Änderung wirksam wird (§ 113 Abs. 2 Satz 1 AFG). Entsprechen die neu eingetragenen Steuerklassen an diesem Tag offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten, so sind die diesem Verhältnis entsprechenden Lohnsteuerklassen für die Höhe des Alg maßgebend (§ 113 Abs. 2 Satz 2 AFG). Ein Ausfall des Arbeitslohnes, der den Anspruch auf eine lohnsteuerfreie Lohnersatzleistung begründet, bleibt bei der Beurteilung der Verhältnisse der monatlichen Arbeitslöhne außer Betracht (§ 113 Abs. 2 Satz 1 AFG). Das Gleiche gilt, wenn auf der für spätere Kalenderjahre ausgestellten Steuerkarte eine andere Lohnsteuerklasse eingetragen wird (§ 113 Abs. 2 Satz 4 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 AFG). Entsprechend Lohnsteuerklassenwechsel beim Kläger von III in IV zweckmäßig war: Das Arbeitsentgelt vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bzw. Bruttoarbeitsentgelt des Klägers betrug 1.857,64 DM (Bl. 54 der Leistungsakte -LA-) und das der Ehefrau 1.500,00 DM (Bl. 54 LA). Das Uhg wäre danach gem. § 44 Abs. 2c AFG i. V. m. § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1a AFG in der Leistungsgruppe A zu bewilligen gewesen. Der Bewilligungsbescheid vom 27.06.1994 sowie die folgenden Änderungs- und Dynamisierungsbescheide waren folglich rechtswidrig.

Der Senat ist - entgegen dem SG - der Auffassung, dass der Kläger in seinem Vertrauen auf den Bestand der Bewilligungsbescheide nicht schutzwürdig ist, weil er zumindest grob fahrlässig die Fehlerhaftigkeit der Bescheide zur Bewilligung des Uhg im Zeitraum vom 20.06.1994 bis zum 31.01.1996 nicht erkannte.

Die Beklagte konnte die Rücknahme auf § 45 Abs. 1, Abs. 4 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 SGB X stützen. In Betracht kam hier lediglich die Anwendung von Nr. 3. Danach kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Nach der Legaldefinition der Norm liegt grobe Fahrlässigkeit vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Bei der Frage, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist ein subjektiver Sorgfaltsbegriff zu Grunde zu legen, d.h. der Betroffene muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in einem das gewöhnliche Maß übersteigenden Ausmaß verletzt haben (BSGE 5, 267, 269; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 3). Ob ein Kennenmüssen zu bejahen ist, muss unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Persönlichkeit des Betroffenen, entschieden werden (BSGE a.a.O.). Die Nichtbeachtung eines nachweislich ausgehändigten Merkblattes zu einem konkreten Leistungstatbestand begründet im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit, wenn dieses so abgefasst war, dass der Begünstigte seinen Inhalt erkennen konnte und die Aushändigung noch nicht zu lange zurücklag (Wiesner, in: Schroeder/Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/von Wulffen, SGB X, 3. Aufl., Rdnr. 24 zu § 45 SGB X). Darauf, ob die Behörde die Rechtswidrigkeit kannte oder verursacht hat, kommt es nicht an (Wiesner, a.a.O.). Entsprechendes ist auch für die Hinweise auf der Rückseite der Leistungsbescheide anzunehmen, sofern diese ohne besondere Schwierigkeiten für den Betroffenen nachvollziehbar sind und seine Situation hiervon erfasst wird.

Unter Berücksichtigung der schulischen und beruflichen Ausbildung sowie des beruflichen Werdeganges und der Persönlichkeit des Klägers, von welcher sich der Senat sowohl anhand von ihm verfassten Schreiben als auch auf Grund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung ein Bild machen konnte, ist der Senat der Auffassung, dass der Kläger bei entsprechender Sorgfalt die Fehlerhaftigkeit der Bewilligungsbescheide zum Uhg hätte erkennen können. Komplizierte mathematische Berechnungen wären hierfür nicht erforderlich gewesen. Der Kläger hat mit seiner Unterschrift unter dem Antrag vom 30.05.1994 zur Förderung der Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme bestätigt, das Merkblatt "Berufliche Fortbildung und Umschulung" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. In diesem Merkblatt (Stand April 1994) werden insbesondere auf den Seiten 13 und 14 die Grundlagen der Berechnung für das Uhg erläutert. Auf Seite 14 findet sich ein Schema, in dem die Zuordnung der Leistungsgruppen zu den einzelnen Steuerklassen erläutert wird. Hieraus ist "auf einen Blick" erkennbar, dass die Steuerklasse III der Leistungsgruppe C und die Steuerklasse IV der Leistungsgruppe A zuzuordnen ist. Weiter ist in dem Merkblatt u.a. hierzu folgendes ausgeführt: "Haben Ehegatten die Steuerklassen gewechselt, so werden die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tag an berücksichtigt, an dem die Änderung wirksam wird." Dies ist eine klare und unmissverständliche Erläuterung. Diese Änderung hatte der Kläger auch bereits selber auf Grund der Änderung der Höhe des Alg-Bezuges feststellen können. Hierzu hatte die Beklagte im Anschluss an seine Mitteilung des Steuerklassenwechsels die Leistungsgruppe entsprechend geändert. Ein entsprechendes Schema über die Zuordnung der Leistungsgruppen zu den Steuerklassen war jeweils aus der Rückseite der Leistungsbescheide vorhanden. Auf die "Hinweise zur Berechnung ihres Unterhaltsgeldes nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG)" wird auf der Vorderseite der Bescheide verwiesen. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, die Beklagte habe - eventuell - mangels Zweckmäßigkeit den Steuerklassenwechsel nicht berücksichtigen müssen, weil er bereits auf Grund des vorausgegangenen Bezugs von Alg wusste, dass es durch den Steuerklassenwechsel zu einer Änderung (wegen Zweckmäßigkeit) gekommen war. Der Kläger hätte daher unter Berücksichtigung der Angaben auf den Bewilligungsbescheiden zum Uhg stutzig werden müssen und insofern auch erkennen können, dass hiermit "etwas nicht stimmen konnte". Weitere Kenntnisse wären nicht von ihm erwartet worden. (Bereits dies hätte ihm jedoch die Gelegenheit gegeben, evtl. eine Klärung beim Arbeitsamt herbeizuführen.) Der Kläger kann sich insofern auch nicht darauf berufen, er habe sich keine weiteren Gedanken gemacht und auf die Richtigkeit des Bescheides vertraut. Gerade dies ist nämlich der Vorwurf, der dem Kläger zu machen ist. § 45 Abs. 2 SGB X geht zunächst vom Vorliegen eines rechtswidrigen Bescheides aus. Auch wenn der Begünstigte alle Mitteilungen ordnungsgemäß gemacht hat (daher greifen § 45 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGB X nicht ein), kann eine Situation bestehen, bei der er - ohne besondere Schwierigkeiten - die (teilweise) Rechtswidrigkeit der Leistung erkennen könnte. Wenn der Begünstigte dies jedoch dennoch nicht erkennt, wird er mit dem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit konfrontiert.

Soweit - wie hier - die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB V genannten Voraussetzungen für die Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen, ist dieser auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, § 152 Abs. 2 AFG. Für die Berücksichtigung eines bestehenden Mitverschuldens der Beklagten bei der fehlerhaften Bewilligung ist daher kein Raum. Der Gesetzgeber hat mit dieser Vorschrift dem Umstand Rechnung getragen, dass die Bundesanstalt für Arbeit - anders als die meisten anderen Sozialversicherungsträger - die Leistungen kurzfristig zu erbringen und vielfach kurzfristig wieder zu beenden hat, so dass Überzahlungen praktisch nicht zu vermeiden sind.

Grundlage für die Erstattungsforderung der Beklagten ist § 50 Abs. 1 SGB X. Die Höhe wurde zutreffend berechnet. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X ist gewahrt. Sie beginnt nach der Rechtsprechung des BSG regelmäßig mit der Anhörung des Klägers. Das Anhörungsschreiben datiert vom 23.02.1996, der Aufhebungsbescheid vom 13.03.1996. Ebenso ist die Zehn-Jahres-Frist des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X seit Bekanntgabe des Bewilligungsbescheides vom 27.06.1994 eingehalten.

Die Entscheidung über die Kosten beruht - unter Berücksichtigung des Verfahrensausganges - auf § 193 SGG. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved