L 3 AL 74/01

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 18 AL 281/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 74/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung wird das Urteil des SG Chemnitz vom 29. Januar 2001 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind der Klägerin für beide Instanzen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gleichstellung der Klägerin mit Schwerbehinderten.

Die am ... geborene, verheiratete Klägerin ist ausgebildete Facharbeiterin für Schreibtechnik. Sie ist seit 01. August 1991 beim A ... Z ... im Schreibdienst beschäftigt. Zunächst arbeitete sie im Grundbuchamt, seit 01. Juni 1999 im Familiengericht.

Die Klägerin beantragte am 05. Mai 1997 beim Arbeitsamt Zwickau die Gleichstellung mit Schwerbehinderten und legte den Bescheid des Versorgungsamtes vom 24. April 1997 vor. Danach wurde ein GdB von 30 auf Grund folgender Behinderungen festgestellt:

1. Fischschuppenkrankheit (Ichthyosis) Neurodermitis,
2. Sehminderung links, konzentrische Einengung des Gesichtsfeldes links,
3. Bronchialasthma.

Zur Begründung führte die Klägerin aus, sie sei auf Grund ihrer Gesundheitsstörungen öfters arbeitsunfähig. Da der Arbeitgeber die Krankentage registriere, könne dies für sie negative Folgen haben.

Das Arbeitsamt hörte vor der Entscheidung des Antrages den Arbeitgeber und Personalrat an.

Der Direktor des A ... Z ... erklärte, die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei hinsichtlich der übertragenen Aufgaben nicht eingeschränkt. Der Arbeitsplatz sei behinderungsgerecht und auf Grund ihrer Behinderung nicht gefährdet.

Der Personalrat führte ergänzend aus, die Klägerin müsse weder mit chemischen Mitteln arbeiten, noch körperlich schwere Arbeit verrichten. Außerdem werde das Bronchialasthma nicht durch die Bedingungen am Arbeitsplatz ausgelöst. Aus diesem Grund bestünden Bedenken gegen die Gleichstellung.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 05. August 1997 ab. Die Prüfung habe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Klägerin aus behinderungsbedingten Gründen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Nichtbehinderten benachteiligt sei.

Dagegen legte die Klägerin am 08. September 1997 Widerspruch ein. Die Entscheidung sei nicht hinreichend begründet. Die Klägerin habe auf Grund krankheitsbedingter Ausfälle behinderungsbedingte Wettbewerbsnachteile zu befürchten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04. März 1998 zurück. Eine Gefährdung des Arbeitsplatzes infolge der Behinderung sei nach Auskunft des Arbeitgebers und Personalrates nicht gegeben. Außerdem arbeite die Klägerin im öffentlichen Dienst. Bei Behörden werde ein besonderes soziales Verständnis für alle Behinderten vorausgesetzt. Daher sei der Schutz durch die Gleichstellung im Allgemeinen unnötig.

Die Klägerin hat dagegen am 07. April 1998 Klage beim Sozialgericht Chemnitz erhoben. Die Gleichstellung setze nicht den drohenden Verlust des Arbeitsplatzes voraus. Es reicht die aktuelle Befürchtung, ein geeigneter Arbeitsplatz könne nicht behalten werden, darüber hinaus sei die Tätigkeit im Schreibbüro mit Streß verbunden und wirke sich unmittelbar auf die Gesundheit der Klägerin aus. Eine Gefährdung des Arbeitsplatzes habe der Gesetzgeber für die Gleichstellung nicht vorausgesetzt. Ein besonderes soziales Verständnis sei darüber hinaus im öffentlichen Dienst nicht festzustellen.

Ihr Vorgesetzter habe sie vor der Umsetzung und damit im unmittelbaren Zeitraum vor der Antragstellung mehrfach auf die Krankheitszeiten angesprochen und auch ihre Entlassung erwogen.

Auf Befragen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 29. Januar 2001 erklärt, sie sei etwa alle zwei Monate für ein bis zwei Wochen arbeitsunfähig und habe damit jährliche Fehlzeiten von 40 bis 50 Tagen.

Das Sozialgericht hat die Beklagte am 29. Januar 2001 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, die Klägerin Schwerbehinderten gleichzustellen. Der Anspruch ergebe sich aus § 2 Abs. 1 SchwbG. Die Klägerin sei infolge ihrer Gesundheitsstörungen des Öfteren arbeitsunfähig. Damit bestünde die Gefahr, bei anstehenden organisatorischen Maßnahmen gegenüber Nichtbehinderten benachteiligt zu werden. Denn diese hätten im Wettbewerb um einen Arbeitsplatz gegenüber der Klägerin von vornherein einen Vorteil. Die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes stünden einer Gleichstellung nicht entgegen.

Die Beklagte hat gegen das ausweislich Empfangsbekenntnis am 02. März 2001 zugestellte Urteil am 28. März 2001 Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt.

Gegenwärtig gebe es keine fundierten Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihren Arbeitsplatz infolge ihrer Behinderung nicht behalten könne. Mit der Gleichstellung wolle der Gesetzgeber in erster Linie die Nachteile des Behinderten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen. Ein besonderer Kündigungsschutz vor einer allgemeinen Gefährdung des Arbeitsplatzes würde dagegen nicht bezweckt. Aus dem erhöhten Krankenstand der Klägerin könne nicht auf eine behinderungsbedingte Gefährdung des Arbeitsplatzes geschlossen werden. Die Stellungnahmen des Arbeitgebers und Personalrates würden dadurch nicht widerlegt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 29. Januar 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf den bisherigen Vortrag.

Das Gericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte beigezogen, nämlich von Dr. med. J ... auf dermatologischem Fachgebiet, Dr. med. G ... auf augenärztlichem Fachgebiet, Dr. med. B ... auf internistischem Fachgebiet, Dr. med. H ... auf orthopädischem Fachgebiet sowie des praktischen Arztes Dr. med. B ... Auf die Befundberichte samt Anlagen (Bl. 37-39, 51-59 LSG-Akte) wird Bezug genommen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Instanzen haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin Schwerbehinderten gleichzustellen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gleichstellung gem. § 2 Abs.1 S.1 Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz - SchwbG).

Danach sollen Personen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen im Übrigen die Voraussetzungen des § 1 vorliegen, auf Grund einer Feststellung nach § 4 auf ihren Antrag vom Arbeitsamt Schwerbehinderten gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 7 Abs. 1 nicht erlangen oder nicht behalten können.

Das Amt für Familie und Soziales hat bei der Klägerin einen GdB von 30 % anerkannt. Die Klägerin hat auch ihren Wohnsitz im Geltungsbereich des SchwbG und erfüllt somit insoweit die Voraussetzungen des § 1 SchwbG.

Es fehlt aber an der gem. § 2 SchwbG erforderlichen materiellen Schutzbedüftigkeit der Klägerin. Denn sie kann infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 7 Abs.1 SchwbG behalten.

Die Klägerin ist als ausgebildete Facharbeiterin für Schreibtechnik seit 01. August 1991 beim A ... Z ... im Angestelltenverhältnis beschäftigt und dort im Schreibdienst eingeteilt. Der Arbeitsplatz entspricht ihren Kenntnissen und Fähigkeiten.

Zutreffend geht das SG zunächst auch davon aus, dass eine Gleichstellung im Allgemeinen nur möglich ist, wenn der Arbeitnehmer ernstlich mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes rechnen müsste und sich sonst nicht gegen Gesunde im Wettbewerb um einen anderen Arbeitsplatz behaupten kann (Neumann/Pahlen, Kommentar zum Schwerbehindertengesetz, 5. Aufl., § 2 Rn. 21). Die Kündigung muß also nicht unmittelbar bevorstehen. Denn dann käme der durch die Gleichstellung erhöhte Kündigungsschutz praktisch nicht zur Geltung. Außerdem könnte der Arbeitgeber die Gleichstellung dadurch vereiteln, daß er versichert, eine Kündigung nicht aussprechen zu wollen. Andererseits darf aber auch nicht jede Person mit einem GdB von 30% rein vorsorglich für den Fall der Entlassung gesichert werden, weil dadurch die in erster Linie zu schützenden Interessen des Schwerbehinderten im Sinne von § 1 SchwbG beeinträchtigt werden könnten und eine so weitgehende Anwendung der Gleichstellung mit dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 SchwbG nicht vereinbar wäre. Ausgehend vom Wortlaut der Norm ist vielmehr auf die Behinderung abzustellen (" ...wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 7 Abs. 1 nicht erlangen können"). In der Art und Schwere der Behinderung muss folglich die Schwierigkeit der Erhaltung des geeigneten Arbeitsplatzes liegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.05.1973, Az.: V C 60.72).

Dies konnte der Senat auf Grund der im Berufungsverfahren durchgeführten weiteren Prüfung nicht feststellen. Hier ist vielmehr davon auszugehen, dass die behinderte Klägerin den Arbeitsplatz auch ohne eine Gleichstellung behalten kann. Das ergibt sich aus der vorangegangenen Entwicklung der Klägerin im Arbeitsprozess, der daher bewiesenen Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Arbeitnehmern, den Umsetzungsmöglichkeiten des Arbeitgebers und der vergleichsweise hohen Sicherheit der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst.

Die Klägerin hat ihren Arbeitsplatz bereits seit 01. August 1991 inne. Im Einstellungszeitpunkt war ein GdB weder anerkannt noch dessen Feststellung beantragt. Sie hat die Tätigkeit seitdem ausgeübt.

Der Arbeitgeber hat erst im Rahmen des Gleichstellungsantrages Kenntnis von deren Behinderung erlangt. Bestätigt wurde die Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Personalrat. Beide verneinen außerdem unwidersprochen Leistungsminderungen infolge der Behinderung.

Die Fehlzeiten der Klägerin widerlegen dies nicht. Denn Zeiten der Arbeitsunfähigkeit sind nicht ungewöhnlich und jedem Arbeitgeber zumindest in einem Umfang von 13 % (6 Wochen Vergütungsfortzahlung bei 230 Arbeitstagen) zumutbar. Die Fehlzeiten der Klägerin haben sich in den Jahren 1997 und 1998 in diesem Rahmen gehalten, lediglich 1999 sind 63 Fehltage dokumentiert. Die Arbeitsunfähigkeitszeiten beruhen aber nur zum Teil auf den vom Versorgungsamt festgestellten Behinderungen. So war die Klägerin in den Jahren 1998 und 1999 unter anderem auch aus orthopädischen Gründen erkrankt. Sie war z.B. vom 07.06.99 bis 17.06.99 wegen Schmerzen in der LWS-Region in stationärer Behandlung. Sie wurde anschließend in die ambulante Weiterbehandlung entlassen, die von Dr. med. H ... durchgeführt wurde. Derzeit ist die Klägerin nach einer Geburt im Erziehungsurlaub. Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wurden seitdem nicht festgestellt.

Die Tätigkeit im öffentlichen Dienst schließt eine Gleichstellung zwar nicht grundsätzlich aus. Hier besteht aber für den Arbeitgeber die Möglichkeit, die Klägerin auf andere Arbeitsplätze umzusetzen und sie behinderungsgerecht zu beschäftigen. Dementsprechend ist er in der Vergangenheit bereits verfahren. In der Justizverwaltung ist in auch in absehbarer Zeit nicht mit einem erheblichen Stellenabbau zu rechnen. Konjunkturelle Schwankungen werden nicht in demselben Ausmaß wie in Wirtschaftsunternehmen an die Mitarbeiter weitergegeben. Die Arbeitsplätze sind im öffentlichen Dienst deshalb relativ sicher. Im einschlägigen Tarifvertrag ist beispielsweise ein besonderer Kündigungsschutz bei einer Dienstzeit von 15 Jahren geregelt.

Entgegen der Ansicht der Klägerin musste sie - auch nach ihrem eigenen Vortrag - bisher nicht ernstlich mit dem Verlust des Arbeitsplatzes rechnen. Weder die Registrierung der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit noch das Verhalten des Arbeitgebers deuten darauf hin. Der Klägerin wurde bisher nicht gekündigt. Eine Kündigung aus Gründen der Krankheit wäre auch nicht zulässig gewesen. Die Klägerin wurde deswegen vielmehr auf einen geeigneten Arbeitsplatz umgesetzt. In diesem Zusammenhang erging der Hinweis auf ihre erhöhten Krankheitszeiten. Weitere Reaktionen auf die Fehlzeiten erfolgten danach nicht. In dieser Situation ist der Verlust des Arbeitsplatzes weder wahrscheinlich, noch muss die Klägerin damit rechnen.

Nach alldem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG Nr. 1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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