Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 7 KN 22/97 U
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 KN 26/00 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 19.01.2000 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die Klägerin ist die Witwe des am ...1995 verstorbenen W ... H ... K ... Dieser hatte noch in seinem Todesjahr wegen eines plötzlich aufgetretenen Bronchialkarzinoms selbst die Anerkennung dieses Leidens als Berufskrankheit betrieben. Eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit erfolgte vom Fachkrankenhaus C ... im Februar 1995, nachdem erstmalig im Januar 1995 linksthorakale Schmerzen mit Husten und Auswurf aufgetreten waren. An einer chronisch obstruktiven Bronchitis hatte der Ehemann der Klägerin bereits zuvor gelitten, ebenso an chronisch ischämischer Herzkrankheit. Das im Januar diagnostizierte Plattenepithelkarzinom mit Lymphangiosis carcinomatosa wurde sofort als inoperapel bezeichnet, es bestand ein Einbruch in die linke Thoraxwand und ein Verdacht auf beidseits miliare Metastasierung. Herr K ... (K.) verstarb etwa einen Monat nach Vollendung seines 71. Lebensjahres an diesem Lungenkarzinom, welches als infaust bekannt war.
K. hatte in den frühen Jahren der SDAG Wismut im Objekt 04 A ... unter Tage als Hauer gearbeitet. Es handelte sich dabei um den Schacht "Uranus" während der Zeit von Juli 1949 bis August 1950. Zuvor war K. vom 19.01.1949 bis Ende Juni 1949 über Tage eingesetzt gewesen. Eine Anfrage vom September 1995 bei der Wismut GmbH hatte ergeben, dass die Strahlenexposition infolge der Inhalation von Radonfolgeprodukten mit insgesamt ca. 180 WLM eingeschätzt wurde. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten errechnet zunächst eine kumulative Strahlenbelastung von 175 WLM und eine daraus folgende Verursachungswahrscheinlichkeit von 41 % (Berechnung vom 04.10.1995). Diese Berechnung wurde später korrigiert; eine Berechnung vom 18.07.1996 kam nur noch auf eine kumulative Strahlenbelastung von 82 WLM. Hieraus ergab sich eine Verursachungswahrscheinlichkeit von lediglich 25 %. Nachdem sich Prof. R ...l - Institut für Arbeitsmedizin an der Ruhruniversität B ... - in einer kurzen gutachterlichen Stellungnahme vom 23.08.1996 dieser Einschätzung angeschlossen und Frau Dr. N ... vom Sächsischen Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin klargestellt hatte, dass die geänderte berufliche Strahlenbelastung auf neueren Ergebnissen zu Messdaten der Strahlenexposition im Uranbergbau des Erzgebirges beruhe, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.10.1996 der Klägerin gegenüber die Entschädigungsleistung wegen einer Berufskrankheit (BK) Nr. 2402 der Anlage 1 zur BeKVO (Erkrankungen durch ionisierende Strahlen) ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Bronchialkarzinom durch die ionisierenden Strahlungen während der Tätigkeit im Uranerzbergbau verursacht worden sei, sei geringer als das ohnehin bestehende Spontanrisiko. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Bescheid vom 19.12.1996 als unbegründet zurückgewiesen.
Auf die Klage zum Sozialgericht (SG) Chemnitz wurde durch die Beklagte das so genannte "Jacobi I"-Gutachten ("Verursachungswahrscheinlichkeit von Lungenkrebs durch die berufliche Strahlenexposition von Uranbergarbeitern der Wismut AG") zu den Akten gegeben. Hierin finden sich Berechnungen zur relativen Latenzzeit. Die Wahrscheinlichkeit, an Lungenkrebs auf Grund von der Inhalation von Radonfolgeprodukten zu erkranken, steigt danach nach vier Jahren steil an - eine geringere Latenzzeit ist also praktisch ausgeschlossen - nach einem Hochplateau von ca. zehnjähriger Dauer fällt das zusätzliche relative Risiko mit einer Halbwertszeit von zehn Jahren exponentiell ab. Hieraus ergibt sich, dass das zusätzliche Risiko - statistisch - 46 Jahre nach der Exposition (wie im Falle des Herrn K.) 0,2 beträgt. Ein relatives Risiko von rz=1 entspräche einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 50 %. Diese Aussagen gehen auf Beobachtungen bei Atombomben-Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki zurück. Berücksichtigt man das Alter zum Zeitpunkt der Exposition, so ergibt dieses Gutachten eine Korrelation in der Weise, dass das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken um so höher ist, je früher die Exposition erfolgte. So ist das Risiko, überhaupt an Krebs zu erkranken, statistisch bei unter 30-Jährigen noch über 1, was damit zusammenhängen mag, dass das Risiko schon wegen der höheren Lebenserwartung in diesem Alter allgemein größer ist. Gemein ist allen Tabellen jedenfalls, dass im Alter von 70 Jahren - relativ unabhängig vom Lebensalter zum Zeitpunkt der Exposition - das statistische relative zusätzliche Risiko rz deutlich unter 1 liegt. In Relation zur Exposition wurde in dem Jacobi-Gutachten ermittelt, dass eine Erkrankung im Alter von 70 Jahren und darüber bei einer kurzzeitigen kumulierten Exposition im Alter von 30 Jahren nur dann wahrscheinlich ist, wenn diese Exposition 200 WLM und mehr betragen hat. Auch bei einer abnehmenden Exposition im Zeitraum von fünf Jahren während der Jahre 1956 bis 1960 liegt die Wahrscheinlichkeit ebenfalls unter 50 %, wenn diese Exposition im Alter von 20 bis 24 Jahren erfolgte und der Krebs im Alter von 70 Jahren und darüber auftrat. Aus der Tabelle zur Ermittlung des zusätzlichen relativen Lungenkrebsrisikos ergibt sich bei einer Exposition im Alter von 25 Jahren und einer Erkrankung im Alter von 71 Jahren ein zusätzliches Risiko von 0,4 pro WLM. Hieraus folgt, dass nur bei einer Exposition von 250 WLM ein zusätzliches Risiko von rz=1 (entspricht einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 50 %) angenommen werden könnte.
Gestützt auf diese Ergebnisse teilte die Beklagte mit, dass nach ihrer Verwaltungspraxis bei einer Exposition von 200 WLM und mehr eine berufliche Verursachung als hinreichend wahrscheinlich angenommen werde. In der Zeit zwischen 1946 und 1955 müsse im Untertagebau mit einer mittleren jährlichen Strahlenexposition von 150 WLM gerechnet werden. Die Berechnung der Exposition des Klägers (kumulative Strahlenbelastung von 82 WLM) beruhe auf den Ergebnissen des Forschungsprojekts "Belastung durch ionisierende Stahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR" vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften. Im Rahmen dieses Projekts sei das gesamte Material zur Strahlenmessung der Wismut gesichert und ausgewertet worden, es seien Versuchsreihen zur Bestimmung des Gleichgewichtsfaktors zwischen Radon und Radonfolgeprodukten gefahren worden, im Rahmen einer umfangreichen Lagerstättenstudie an der Bergakademie Freiburg hätten 20.000 Textseiten Microfiche in russischer Sprache und 8.000 Risse ausgewertet werden müssen, außerdem sei Datenmaterial zu Strahlenmessungen in der Tschechischen Republik ausgewertet und Versuchsreihen in den Grubenbetrieben Sch ..., Sch ..., J ... und Sch ... durchgeführt worden.
Auf einen entsprechenden Hinweis des Sozialgerichts (SG) hat die Klägerin die gutachtliche Anhörung von Prof. Dr. K ..., Arzt für Nuklearmedizin, M ..., gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt.
In seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 12.03.1999 kommt Prof. K ... zu grundsätzlich anderen Ergebnissen als die Beklagte und bejahte zwei Berufskrankheiten nach BK 2402 BeKVO, und zwar ein Plattenepithelkarzinom der Lunge sowie eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung.
Prof. K ... hat im Einzelnen folgende Kritik an dem Jacobi I-Gutachten und den Schlussfolgerungen, welche die Beklagte daraus für den Fall K. gezogen hat, geübt: Es müsse berücksichtigt werden, dass bei schwerer Arbeit von Nasenatmung auf Mundatmung umgestellt werde und damit die Filterfunktion der Nase entfalle, somit deutlich mehr radioaktiver Staub inhaliert werde. Zu einer weiteren Exposition sei es auch durch das Trinken von Grubenwässern gekommen, was damals üblich gewesen sei, das mitgebrachte Trinkwasser sei in der Regel abgestanden gewesen, die Grubenwässer hätten demgegenüber Mineralwasserqualität gehabt. Was man damals nicht berücksichtigt habe, sei die starke radioaktive Kontaminierung gewesen. Auch die Vorsorgeuntersuchungen (Röntgenaufnahmen) müssten bei der Entstehung der Berufskrankheit als zusätzliche Strahlenbelastung ihre Berücksichtigung finden. Allgemein sei auch Kritik an dem Modell der Verdopplungsdosis angebracht. Es könne nämlich sehr wohl sein, dass eine Verursachung sowohl unwahrscheinlich als auch gleichwohl gegeben sei: Wenn beim russischen Roulett die einzige Kugel im Trommelmagazin treffe, sei zwar im Vorhinein die Auslösung des Todes durch die Betätigung des Abzugshahns eher unwahrscheinlich, im Nachhinein jedoch völlig unzweifelhaft und nicht zu bestreiten. Für eine Verursachung durch ionisierende Strahlen spreche bei K. die Struktur der Erkrankung (Plattenepithelkarzinom); dass er Raucher gewesen sei, sei zu vernachlässigen. Im Allgemeinen gelte, dass aus Statistiken nicht auf die Einzelfallwahrscheinlichkeit geschlossen werden dürfe. Davon abgesehen sei auch bei einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 25 % die Wahrscheinlichkeit zu bejahen.
Hiergegen hat die Beklagte eingewandt, dass die Röntgen-Reihenuntersuchungen ohnehin bei der Entstehung der Berufskrankheit nicht berücksichtigt werden dürften. Das Trinken der Grubengewässer sei im Zusammenhang mit der Auslösung eines Lungenkrebses unbedeutend. Bei der Berechnung der Exposition sei Prof. K ... der Fehler unterlaufen, den Kläger dem Betrieb 09 zugeordnet zu haben, in welchem 73.845 t Uranerz gefördert worden seien bei einem mittleren Ausbringen von 2,28 kg Uran pro m² Gangfläche. Tatsächlich sei der Kläger jedoch im Objekt 04 beschäftigt gewesen, einer Kleinstlagerstätte, aus welcher im Zeitraum von 1947 bis 1949 nur insgesamt 63 t Uran bei einem mittleren Uranausbringen von 0,254 kg Uran pro m² Gangfläche gewonnen worden seien. Prof. K ... habe auch mit einer mittleren Urankonzentration von 8 % im Gestein einen viel zu hohen Wert angenommen: Tatsächlich habe im Objekt 04 die durchschnittliche Vererzung 0,016 % betragen. Schon deswegen sei die Zeit der Tätigkeit über Tage in keiner Weise mit der Kontamination der Halden von P ... (0,058 %) zu vergleichen wie es Prof. K ... gemacht habe. Bei seiner Tätigkeit über Tage sei Herr K. keiner nennenswerten zusätzlichen Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen. Die höhere Atemrate bei Schwerarbeit sei im Gutachten J ... bereits berücksichtigt worden.
Das SG hat daraufhin die Klage mit Urteil vom 19.01.2000 abgewiesen. Prof. K ... sei als Nuklearmediziner kein ausgewiesener Sachkenner für die Ermittlung einer Exposition im Uranerzbergbau. Demgegenüber berücksichtige der Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben "Belastung durch ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR" die konkreten Expositionen auch unter Beachtung der einzelnen Arbeitsorte und der spezifischen Bedingungen vor Ort. Es sei nicht ersichtlich, dass in dieser Studie Erkenntnisse nicht verwertet worden oder unberücksichtigt geblieben seien. Es sei daher von einer geschätzten kumulativen Strahlenbelastung von 82 WLM auszugehen. Die Verursachung des Lungenkrebses durch berufliche Strahlenbelastung sei somit unwahrscheinlich. Eine Berufskrankheit "chronisch obstruktive Bronchitis infolge ionisierender Strahlung" gebe es nicht. Außerdem sei der Kläger Raucher gewesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin: Nicht jeder Raucher sterbe an Lungenkrebs. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger in den so genannten "wilden Jahren" einer kumulativen Strahlenbelastung von 100 bis 250 WLM ausgesetzt gewesen sei. Bereits der erste Anschein spreche dafür, dass die bösartige Lungenerkrankung auf die Strahlenbelastung in den Jahren 1949 und 1950 zurückzuführen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Chemnitz vom 19.01.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21.10.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2402 der Anlage 1 zur BeKVO der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des am 20.08.1995 verstorbenen H ... W ... K ... Unfallrentenleistungen und als dessen Witwe Hinterbliebenenleistungen zu erbringen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Chemnitz vom 19.01.2000 zurückzuweisen.
Dem Senat liegen neben den Gerichtsakten beider Instanzen die Verwaltungsakten der Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten mit diesem Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das SG hat zu Recht die angefochtenen Bescheide der Beklagten bestätigt. Der Klägerin stehen keine Hinterbliebenenleistungen (§§ 589, 590 RVO) zu, wie aus den rechtmäßig erteilten Bescheiden vom 21.10.1996 und 19.12.1996 folgt. Die Klägerin kann als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten auch keine so genannten Lebzeitenleistungen wie zum Beispiel Verletztenrente (§ 581 RVO) beanspruchen. Es lässt sich nämlich nicht mit erforderlicher Wahrscheinlichkeit nachweisen, dass das Bronchialkarzinom, an welchem der Versicherte Heinz Klotzsche (K.) erkrankt war und an dessen Folgen er verstorben ist, eine Berufskrankheit war.
Die geltend gemachten Ansprüche richten sich nach den Vorschriften der RVO, da die Klägerin diese auch für Zeiten vor dem Inkrafttreten des SGB VII - gesetzliche Unfallversicherung - am 01.01.1997 erhebt (Art. 36 des Unfallversicherungseinordnungsgesetzes - ÜVEG -, § 212 SGB VII). Eine Anwendung übergeleiteten DDR-Rechts findet schon deswegen nicht statt, da der Berufskrankheitenverdacht der Beklagten erst nach dem 31.12.1993, nämlich am 21.02.1995, gemeldet wurde (§ 1150 Abs. 2 Nr. 1 RVO) so dass in diesem Zusammenhang die Frage, ob eventuell die Berufskrankheit nicht erst mit dem akuten Bronchialkarzinom im Januar 1995, sondern latent schon früher aufgetreten ist, nicht diskutiert zu werden braucht.
Nach § 551 Abs. 2 Satz 1 RVO sind Berufskrankheiten die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Die Feststellung einer Berufskrankheit hat zur Voraussetzung, dass zum einen die arbeitstechnischen (haftungsbegründenden) Voraussetzungen in der Person des Versicherten gegeben sind, wobei insoweit der volle Nachweis erforderlich ist. Nachgewiesen sein muss auch eine der jeweiligen BK-Nummer entsprechende Erkrankung und diese muss im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre (vgl. dazu BSGE 1, 72, 76; BSG SozR 2200 § 551 Nr. 1; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 4, 11, 14) wesentlich ursächlich auf die belastende versicherte Tätigkeit zurückzuführen seien (haftungsausfüllende Kausalität). Der Ursachenzusammenhang muss zwar nicht im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen, aber wenigstens hinreichend wahrscheinlich gemacht sein. Das heißt, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen müssen, dass darauf eine Entscheidung gestützt werden kann (BSGE 32, 203, 209; BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38; LSG Baden Württemberg, Breith. 1985, 399, 403; Bayerisches LSG, Breith. 1985, 575, 576). Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG Breith. 1963, 60/61). Gemäß § 1 der Berufskrankheitenverordnung (BeKV) sind Berufskrankheiten, die in der Anlage I bezeichneten Krankheiten. In der Anlage sind als Berufskrankheit Nr. 2402 Erkrankungen durch ionisierende Strahlen aufgeführt. Damit hat der Verordnungsgegeber grundsätzlich die Möglichkeit der berufsbedingten Erkrankung durch ionisierende Strahlen anerkannt. Das heißt, durch die Aufnahme der BK 2402 in die Liste der Berufskrankheiten auf Grund langer Beobachtungen und verbindlicher Zusammenfassung dieser Krankheiten, bei denen ein Zusammenhang mit bestimmten Berufstätigkeiten bzw. beruflich bedingten Einwirkungen generell als erwiesen angesehen wird, ist die generelle Geeignetheit der Hervorrufung einer Erkrankung durch ionisierende Strahlen bestätigt (vgl. Mehrtens-Perlebach, BeKV E § 9 SGB VII Nr. 7).
Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass das Todesleiden des K. als Berufskrankheit im Sinne der BK 2402 grundsätzlich in Betracht kommt. Nach der Verwaltungspraxis der Beklagten wird bei einer Strahlenexposition von 200 WLM und mehr eine ärztliche Einzelfallbegutachtung nicht für erforderlich gehalten: Für die Anerkennung genügt eine fachärztliche Stellungnahme (vgl. Mehrtens-Perlebach, a. a. O. M 2402 S. 10 a). Grundlage hierfür ist eine so genannte "Empfehlung für die Bearbeitung der Berufskrankheiten in Folge von Tätigkeiten bei der ehemaligen Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut". Bei der Einheit WLM handelt es sich um eine historische Einheit zur Bestimmung der individuellen beruflichen Exposition mit Radon- zerfallsprodukten.
Aus allen Tabellen des so genannten Jacobi I-Gutachtens (Verursachungswahrscheinlichkeit von Lungenkrebs durch die berufliche Strahlenexposition von Uranbergarbeitern der Wismut AG) ergibt sich, dass auf Grund des großen zeitlichen Abstandes zwischen Exposition und Auftreten der Erkrankungen ein Kausalzusammenhang nur bei einer Exposition mit über 200 WLM wahrscheinlich zu machen wäre. Hieraus wird schon deutlich, dass nur eine Exposition, die - unabhängig von allen anderen Umständen - für sich alleine genommen schon ausreichen würde, mit Wahrscheinlichkeit einen Lungenkrebs zu induzieren, auch im Falle des K. erst einen Ursachenzusammenhang wahrscheinlich erscheinen lassen könnte. Mit anderen Worten: Der oberflächliche Eindruck, dass ein Lungenkrebs, der erst in einem Alter auftritt, das der durchschnittlichen Lebenserwartung entspricht (dieses betrug in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1975 für Männer 72,5 Jahre, vgl. Pschyrembel, 258. Auflage S. 898) nicht unbedingt einer Strahlenbelastung im Alter von 25 Jahren geschuldet ist, bestätigt sich auch durch entsprechende wissenschaftliche Statistiken, insbesondere durch die noch im folgenden zu diskutierenden Statistiken über die Verursachungswahrscheinlichkeit nach dem Jacobi I-Gutachten. Allgemein gilt jedenfalls, dass ein tödlich verlaufender Lungenkrebs in diesem Alter zwar noch in der (unikausal angelegten) Todesursachenstatistik geführt wird, bei der so genannten "alterskorrigierten Letalitätsrate" allerdings nicht mehr ins Gewicht fällt.
Der Senat folgt im Wesentlichen dem Jacobi I-Gutachten, wobei die Rechenmodelle im Einzelnen schon deswegen nicht zu diskutieren sind, da es sich nicht um einen Grenzfall handelt: Auch bei großzügiger Unterstellung von "worst-case" Daten ergibt sich keine Verursachungswahrscheinlichkeit. Demgegenüber fällt die Kritik von Prof. K ... an dem Jacobi I-Gutachten nicht entscheidend ins Gewicht; entscheidend ist auf der anderen Seite am Gutachten Prof. K ... zu kritisieren, dass dort von einem Begriff der Wahrscheinlichkeit ausgegangen wird, welcher dem im Unfallversicherungsrecht geltenden nicht entspricht.
Betrachtet man die relative Relatenzzeit - Verteilungsfunktion v(T) in Abhängigkeit von der Zeit (T) seit Exposition (Jacobi-Gutachten, Fig. 5-1, S. 33) so fällt auf, dass bereits 46 Jahre nach der Exposition das zusätzliche Risiko auf einen Basiswert von 0,2 zurückgefallen ist, der etwa so viel aussagt, dass bei der Inhalation von Radonfolgeprodukten das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken generell immer etwas höher ist, als wenn eine solche Bestrahlung nicht stattgefunden hat. Dieser Basiswert ändert sich nach der entsprechenden Tabelle dann in den folgenden Jahren auch nicht mehr: Dies macht deutlich, dass es sich hierbei lediglich um das gegebene theoretische zusätzliche Risiko, nicht aber um einen noch statistisch messbares zusätzliches Risiko handelt. Setzt man eine kurzzeitige kumulierte Exposition im Alter von ca. 30 Jahren voraus, so ist ebenfalls im Alter von 71 Jahren die Verursachungswahrscheinlichkeit auf einen - von der Höhe der Exposition abhängigen - Basiswert abgesunken. Die Tabelle in Fig. 6.1 des Jacobi-Gutachtens (Jacobi-Gutachten S. 49, veröffentlicht in Mehrtens-Perlebach BeKV M 2402, S. 15) weist aus, dass nur bei einer Exposition von deutlich über 200 WLM im Alter von 71 Jahren noch eine Verursachungswahrscheinlichkeit von über 50 % gegeben ist. Untersuchungen an Uranbergarbeitern in der CSFR und den Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki bestätigen die allgemeinen Erkenntnisse (Jacobi-Gutachten Fig. 4-1, 4-2): 35 bis 40 Jahre nach Beginn der Exposition weicht die Lungenkrebsrate bei den Exponierten nicht mehr statistisch signifikant von der Normalrate ab. Bei denjenigen, die sich bei der Exposition - wie der Kläger - im Alter von 25 bis 29 Jahren befanden, liegt das statistische Risiko, überhaupt an Krebs zu erkranken bei 1,07 (zusätzliches Risiko 1,00 entspricht einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 50 %); dieses höhere Risiko hängt auch damit zusammen, dass die Lebenserwartung in diesem Alter noch größer ist (vgl. Tabelle 5-1 des Jacobi-Gutachtens S. 36). Das Risiko nimmt dann auch erwartungsgemäß mit fortschreitendem Alter ab. Setzt man Expositionsalter und Erkrankungsalter zueinander in Relation, so ergäbe sich bei einer sogar 5-jährigen Exposition im Alter von 25 auch wiederum eine Verursachungswahrscheinlichkeit von unter 50 %, wenn die Erkrankung erst nach den 70. Lebensjahr erfolgt (Fig. 6-3, Jacobi-Gutachten S. 52). Legt man die Tabelle A-1d zu Grunde, so beträgt das zusätzliche relative Lungenkrebsrisiko bei einem im Alter von 25 Jahren Exponierten, wenn die Diagnose im Alter von 71 Jahren gestellt wird, 0,40 % pro WLM. Um also auf ein zusätzliches Risiko von rz )= 1 zu kommen (entspricht einer Verursachungswahrscheinlichkeit von VW )= 50 %) müsste die Exposition 250 WLM ausgemacht haben.
Dass der Kläger in diesem hohen Maße exponiert war, sieht der Senat nicht als erwiesen an. Die Errechnung von 249 WLM (Gutachten Kuni, S. 10) beruht auf Annahmen, die als widerlegt angesehen werden müssen. K. war nicht im Bergbaubetrieb 09 Aue tätig, sondern im Objekt 04 Annaberg. Im Objekt 09 wurden in der Betriebsperiode von 1949 bis 1990 insgesamt 73845 t Uran bei einem mittleren Uranausbringen von 2,82 kg Uran pro m² Gangfläche abgebaut. Hingegen stellte das Objekt 04 hinsichtlich der Urangewinnung eine Kleinstlagerstätte dar, aus welcher im Zeitraum von 1947 bis 1949 insgesamt nur 63 t Uran bei einem mittleren Uranausbringen von 0,254 kg Uran pro m² Gangfläche gewonnen wurde. Im Objekt 04 wurden in den Jahren 1949/50 unter Tage Erze mit einem Urangehalt von 0,016 % abgebaut. Hieraus wird auch deutlich, dass es nicht gerechtfertigt ist, bei den Übertagetätigkeiten eine Belastung wie bei den Tätigkeiten auf Arm- bzw. Reicherzhalden in Paitzdorf (Thüringen) zu unterstellen. Dort bestand eine mittlere Uranvererzung von 0,085 %. Im Gutachten Prof. K ... wird die Jahresarbeitszeit auf 3.570 Stunden mit der Begründung hochgerechnet, es sei ihm "aus direkten Überlieferungen von Einsatzkräften unter Tage bekannt", dass in den so genannten wilden Jahren in Sechzehn-Stunden-Schichten gearbeitet worden sei. Hierfür gibt es außerhalb des Gutachtens Prof. K ... keine Anhaltspunkte, vielmehr ergaben die vom TAD Gera zusätzlich zur Sichtung von staatlichen Vorschriften und Unterlagen der Wismut GmbH durchgeführten Befragungsaktionen ehemaliger Wismutarbeiter ein Acht-Stunden-Schicht-System. Prof. K ... stellte fest (S. 7 des Gutachtens), dass ein Hauer auch erhebliche Mengen uranhaltigen Gesteinsstaubs eingeatmet haben müsse, und somit von der Beklagten ein Erkrankungspfad - inhalierte langlebige radioaktive Schadstoffe - unterschlagen worden sei. Tatsächlich wurden jedoch im Forschungsprojekt der BBG speziell für die Ermittlung der Exposition durch langlebige Radionuklide erhebliche Aufwendungen betrieben. In vier Versuchsreihen wurden in noch zugänglichen uranvererzten Grubenbereichen die Bewetterungsbedingungen der Anfangsjahre mit modernen technischen Mitteln eingestellt und mit der in den Anfangsjahren üblichen Technik die Teiltechnologie in Trockenbohren im Erz, Trockenbohren im Nebengestein, Hereingewinn des Uranerzganges mit einem Pickhammer und Nebenarbeiten nachgestellt. Dabei erfolgten die Staubprobenentnahmen an personengetragenen Geräten und an stationären Meßstellen in Wetterrichtung. Nach den Versuchsdurchführungen wurden die bestaubten Filter gammaspektrometrisch ausgewertet (hierzu Bauer u. a. Untersuchungen zur Staub- und Schwermetallbelastung ... 1994, 1995, 1996). Die Hochrechnung von Prof. K ... bezüglich eines differenzierten Gleichgewichtsfaktors F statt eines pauschalen Mittels gehen von falschen Voraussetzungen aus. Der Gleichgewichtsfaktor F beschreibt, welcher Anteil der beim Zerfall des Radon gebildeten Radonfolgeprodukte sich nicht an den umgebenden Wänden niederschlägt, sondern sich an Aerosole festsetzt und somit eingeatmet werden kann. Im Gutachten Jacobi wurde nun für das Objekt 04 bereits ein Gleichgewichtsfaktor F = 0,6 berücksichtigt und nicht, wie Prof. K ... annahm, von 0,5. Dahinstehen kann, ob tatsächlich die mittlere Atemrate, wie Prof. K ... vorschlägt, unter Berücksichtigung der Schwerarbeit noch weiter zu erhöhen ist - eine dadurch proportional ansteigende Gefährdung kann ohnehin nicht unterstellt werden -, denn insgesamt spielt die Inhalation von radioaktiven Staub beim Kläger schon deswegen keine maßgebende Rolle, da am Versuchsort in Schlema/Alberoda der Urangehalt zwischen 1,3 und 3,25 % betragen hat, der Urangehalt am Arbeitsplatz des K. allerdings nur 0,016 %. Selbst wenn man also das Gutachten Jacobi I insofern angreifen wollte, als dort die Inhalation von radioaktivem Staub nicht berücksichtigt wurde, könnte dies jedenfalls im Falle des K. zu keinem anderen Ergebnis führen. Auch bei der externen Strahlenbelastung hat Prof. K ... nicht berücksichtigt, dass die durch äußere Strahleneinwirkung berechnete individuelle Dosis mit 1,75 mSv - ein der natürlichen Strahlenbelastung in etwa entsprechender Wert - mit den genannten Vererzungsbedingungen im Objekt 04 zusammenhängt. Die Werte von 30 msV wurden im Rahmen des Forschungsprojektes für einzelne Jahre in J ...t (Objekt 01) und im Objekt 06 (Z ...) und im Objekt 09 (A ...) bei relativ hohen Vererzungen bestimmt.
Unter Zugrundelegung der erwiesenen Fakten ergibt sich daher, auch wenn man den Methoden und Ansätzen von Prof. K ... folgt, keine Belastung von 200 WLM und mehr. Der Nachweis einer solchen Belastung wäre hingegen erforderlich, um die den Klageantrag allein rechtfertigende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zu begründen. Nur eine solche Wahrscheinlichkeit, zu deren Nachweis notgedrungen auf die entsprechenden Statistiken zurückgegriffen werden muss, würde die Anerkennung einer Berufskrankheit rechtfertigen. Bei Abschätzung der Wahrscheinlichkeit ist das Gericht im Übrigen an die herrschende wissenschaftliche Lehrmeinung gebunden. Einer Mindermeinung kann das Gericht aus Rechtsgründen nicht folgen. Wenn Prof. K ... also ausführt, dass das Jacobi I-Gutachten von einem ausgewiesenen Sachkenner hinsichtlich der Dosimetrie der Lunge erstellt worden sei, der jedoch andererseits sich in seiner Bewertung nicht weit von den Gremien entferne, in die er international eingebunden sei, so weist das dem Senat gewissermaßen die Richtung: Solange sich eine Mindermeinung nicht durchgesetzt hat, kann der Senat ihr nicht folgen; hat sie sich durchgesetzt, bleibt den Betroffenen immer noch die Möglichkeit des Antrags nach § 44 SGB X. Im Übrigen erscheint dem Senat auch die Kritik an der Verwaltungspraxis der Beklagten hinsichtlich der Behandlung von Wismut-Altfällen überzogen und unangemessen: Eine Motivation zur absichtsvollen Beschönigung der Arbeitsverhältnisse bei der SDAG Wismut im Hinblick auf "kostenträchtige technische und organisatorische Vorkehrungen" in der Gegenwart kann nicht erkannt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die Klägerin ist die Witwe des am ...1995 verstorbenen W ... H ... K ... Dieser hatte noch in seinem Todesjahr wegen eines plötzlich aufgetretenen Bronchialkarzinoms selbst die Anerkennung dieses Leidens als Berufskrankheit betrieben. Eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit erfolgte vom Fachkrankenhaus C ... im Februar 1995, nachdem erstmalig im Januar 1995 linksthorakale Schmerzen mit Husten und Auswurf aufgetreten waren. An einer chronisch obstruktiven Bronchitis hatte der Ehemann der Klägerin bereits zuvor gelitten, ebenso an chronisch ischämischer Herzkrankheit. Das im Januar diagnostizierte Plattenepithelkarzinom mit Lymphangiosis carcinomatosa wurde sofort als inoperapel bezeichnet, es bestand ein Einbruch in die linke Thoraxwand und ein Verdacht auf beidseits miliare Metastasierung. Herr K ... (K.) verstarb etwa einen Monat nach Vollendung seines 71. Lebensjahres an diesem Lungenkarzinom, welches als infaust bekannt war.
K. hatte in den frühen Jahren der SDAG Wismut im Objekt 04 A ... unter Tage als Hauer gearbeitet. Es handelte sich dabei um den Schacht "Uranus" während der Zeit von Juli 1949 bis August 1950. Zuvor war K. vom 19.01.1949 bis Ende Juni 1949 über Tage eingesetzt gewesen. Eine Anfrage vom September 1995 bei der Wismut GmbH hatte ergeben, dass die Strahlenexposition infolge der Inhalation von Radonfolgeprodukten mit insgesamt ca. 180 WLM eingeschätzt wurde. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten errechnet zunächst eine kumulative Strahlenbelastung von 175 WLM und eine daraus folgende Verursachungswahrscheinlichkeit von 41 % (Berechnung vom 04.10.1995). Diese Berechnung wurde später korrigiert; eine Berechnung vom 18.07.1996 kam nur noch auf eine kumulative Strahlenbelastung von 82 WLM. Hieraus ergab sich eine Verursachungswahrscheinlichkeit von lediglich 25 %. Nachdem sich Prof. R ...l - Institut für Arbeitsmedizin an der Ruhruniversität B ... - in einer kurzen gutachterlichen Stellungnahme vom 23.08.1996 dieser Einschätzung angeschlossen und Frau Dr. N ... vom Sächsischen Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin klargestellt hatte, dass die geänderte berufliche Strahlenbelastung auf neueren Ergebnissen zu Messdaten der Strahlenexposition im Uranbergbau des Erzgebirges beruhe, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.10.1996 der Klägerin gegenüber die Entschädigungsleistung wegen einer Berufskrankheit (BK) Nr. 2402 der Anlage 1 zur BeKVO (Erkrankungen durch ionisierende Strahlen) ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Bronchialkarzinom durch die ionisierenden Strahlungen während der Tätigkeit im Uranerzbergbau verursacht worden sei, sei geringer als das ohnehin bestehende Spontanrisiko. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Bescheid vom 19.12.1996 als unbegründet zurückgewiesen.
Auf die Klage zum Sozialgericht (SG) Chemnitz wurde durch die Beklagte das so genannte "Jacobi I"-Gutachten ("Verursachungswahrscheinlichkeit von Lungenkrebs durch die berufliche Strahlenexposition von Uranbergarbeitern der Wismut AG") zu den Akten gegeben. Hierin finden sich Berechnungen zur relativen Latenzzeit. Die Wahrscheinlichkeit, an Lungenkrebs auf Grund von der Inhalation von Radonfolgeprodukten zu erkranken, steigt danach nach vier Jahren steil an - eine geringere Latenzzeit ist also praktisch ausgeschlossen - nach einem Hochplateau von ca. zehnjähriger Dauer fällt das zusätzliche relative Risiko mit einer Halbwertszeit von zehn Jahren exponentiell ab. Hieraus ergibt sich, dass das zusätzliche Risiko - statistisch - 46 Jahre nach der Exposition (wie im Falle des Herrn K.) 0,2 beträgt. Ein relatives Risiko von rz=1 entspräche einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 50 %. Diese Aussagen gehen auf Beobachtungen bei Atombomben-Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki zurück. Berücksichtigt man das Alter zum Zeitpunkt der Exposition, so ergibt dieses Gutachten eine Korrelation in der Weise, dass das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken um so höher ist, je früher die Exposition erfolgte. So ist das Risiko, überhaupt an Krebs zu erkranken, statistisch bei unter 30-Jährigen noch über 1, was damit zusammenhängen mag, dass das Risiko schon wegen der höheren Lebenserwartung in diesem Alter allgemein größer ist. Gemein ist allen Tabellen jedenfalls, dass im Alter von 70 Jahren - relativ unabhängig vom Lebensalter zum Zeitpunkt der Exposition - das statistische relative zusätzliche Risiko rz deutlich unter 1 liegt. In Relation zur Exposition wurde in dem Jacobi-Gutachten ermittelt, dass eine Erkrankung im Alter von 70 Jahren und darüber bei einer kurzzeitigen kumulierten Exposition im Alter von 30 Jahren nur dann wahrscheinlich ist, wenn diese Exposition 200 WLM und mehr betragen hat. Auch bei einer abnehmenden Exposition im Zeitraum von fünf Jahren während der Jahre 1956 bis 1960 liegt die Wahrscheinlichkeit ebenfalls unter 50 %, wenn diese Exposition im Alter von 20 bis 24 Jahren erfolgte und der Krebs im Alter von 70 Jahren und darüber auftrat. Aus der Tabelle zur Ermittlung des zusätzlichen relativen Lungenkrebsrisikos ergibt sich bei einer Exposition im Alter von 25 Jahren und einer Erkrankung im Alter von 71 Jahren ein zusätzliches Risiko von 0,4 pro WLM. Hieraus folgt, dass nur bei einer Exposition von 250 WLM ein zusätzliches Risiko von rz=1 (entspricht einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 50 %) angenommen werden könnte.
Gestützt auf diese Ergebnisse teilte die Beklagte mit, dass nach ihrer Verwaltungspraxis bei einer Exposition von 200 WLM und mehr eine berufliche Verursachung als hinreichend wahrscheinlich angenommen werde. In der Zeit zwischen 1946 und 1955 müsse im Untertagebau mit einer mittleren jährlichen Strahlenexposition von 150 WLM gerechnet werden. Die Berechnung der Exposition des Klägers (kumulative Strahlenbelastung von 82 WLM) beruhe auf den Ergebnissen des Forschungsprojekts "Belastung durch ionisierende Stahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR" vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften. Im Rahmen dieses Projekts sei das gesamte Material zur Strahlenmessung der Wismut gesichert und ausgewertet worden, es seien Versuchsreihen zur Bestimmung des Gleichgewichtsfaktors zwischen Radon und Radonfolgeprodukten gefahren worden, im Rahmen einer umfangreichen Lagerstättenstudie an der Bergakademie Freiburg hätten 20.000 Textseiten Microfiche in russischer Sprache und 8.000 Risse ausgewertet werden müssen, außerdem sei Datenmaterial zu Strahlenmessungen in der Tschechischen Republik ausgewertet und Versuchsreihen in den Grubenbetrieben Sch ..., Sch ..., J ... und Sch ... durchgeführt worden.
Auf einen entsprechenden Hinweis des Sozialgerichts (SG) hat die Klägerin die gutachtliche Anhörung von Prof. Dr. K ..., Arzt für Nuklearmedizin, M ..., gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt.
In seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 12.03.1999 kommt Prof. K ... zu grundsätzlich anderen Ergebnissen als die Beklagte und bejahte zwei Berufskrankheiten nach BK 2402 BeKVO, und zwar ein Plattenepithelkarzinom der Lunge sowie eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung.
Prof. K ... hat im Einzelnen folgende Kritik an dem Jacobi I-Gutachten und den Schlussfolgerungen, welche die Beklagte daraus für den Fall K. gezogen hat, geübt: Es müsse berücksichtigt werden, dass bei schwerer Arbeit von Nasenatmung auf Mundatmung umgestellt werde und damit die Filterfunktion der Nase entfalle, somit deutlich mehr radioaktiver Staub inhaliert werde. Zu einer weiteren Exposition sei es auch durch das Trinken von Grubenwässern gekommen, was damals üblich gewesen sei, das mitgebrachte Trinkwasser sei in der Regel abgestanden gewesen, die Grubenwässer hätten demgegenüber Mineralwasserqualität gehabt. Was man damals nicht berücksichtigt habe, sei die starke radioaktive Kontaminierung gewesen. Auch die Vorsorgeuntersuchungen (Röntgenaufnahmen) müssten bei der Entstehung der Berufskrankheit als zusätzliche Strahlenbelastung ihre Berücksichtigung finden. Allgemein sei auch Kritik an dem Modell der Verdopplungsdosis angebracht. Es könne nämlich sehr wohl sein, dass eine Verursachung sowohl unwahrscheinlich als auch gleichwohl gegeben sei: Wenn beim russischen Roulett die einzige Kugel im Trommelmagazin treffe, sei zwar im Vorhinein die Auslösung des Todes durch die Betätigung des Abzugshahns eher unwahrscheinlich, im Nachhinein jedoch völlig unzweifelhaft und nicht zu bestreiten. Für eine Verursachung durch ionisierende Strahlen spreche bei K. die Struktur der Erkrankung (Plattenepithelkarzinom); dass er Raucher gewesen sei, sei zu vernachlässigen. Im Allgemeinen gelte, dass aus Statistiken nicht auf die Einzelfallwahrscheinlichkeit geschlossen werden dürfe. Davon abgesehen sei auch bei einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 25 % die Wahrscheinlichkeit zu bejahen.
Hiergegen hat die Beklagte eingewandt, dass die Röntgen-Reihenuntersuchungen ohnehin bei der Entstehung der Berufskrankheit nicht berücksichtigt werden dürften. Das Trinken der Grubengewässer sei im Zusammenhang mit der Auslösung eines Lungenkrebses unbedeutend. Bei der Berechnung der Exposition sei Prof. K ... der Fehler unterlaufen, den Kläger dem Betrieb 09 zugeordnet zu haben, in welchem 73.845 t Uranerz gefördert worden seien bei einem mittleren Ausbringen von 2,28 kg Uran pro m² Gangfläche. Tatsächlich sei der Kläger jedoch im Objekt 04 beschäftigt gewesen, einer Kleinstlagerstätte, aus welcher im Zeitraum von 1947 bis 1949 nur insgesamt 63 t Uran bei einem mittleren Uranausbringen von 0,254 kg Uran pro m² Gangfläche gewonnen worden seien. Prof. K ... habe auch mit einer mittleren Urankonzentration von 8 % im Gestein einen viel zu hohen Wert angenommen: Tatsächlich habe im Objekt 04 die durchschnittliche Vererzung 0,016 % betragen. Schon deswegen sei die Zeit der Tätigkeit über Tage in keiner Weise mit der Kontamination der Halden von P ... (0,058 %) zu vergleichen wie es Prof. K ... gemacht habe. Bei seiner Tätigkeit über Tage sei Herr K. keiner nennenswerten zusätzlichen Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen. Die höhere Atemrate bei Schwerarbeit sei im Gutachten J ... bereits berücksichtigt worden.
Das SG hat daraufhin die Klage mit Urteil vom 19.01.2000 abgewiesen. Prof. K ... sei als Nuklearmediziner kein ausgewiesener Sachkenner für die Ermittlung einer Exposition im Uranerzbergbau. Demgegenüber berücksichtige der Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben "Belastung durch ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR" die konkreten Expositionen auch unter Beachtung der einzelnen Arbeitsorte und der spezifischen Bedingungen vor Ort. Es sei nicht ersichtlich, dass in dieser Studie Erkenntnisse nicht verwertet worden oder unberücksichtigt geblieben seien. Es sei daher von einer geschätzten kumulativen Strahlenbelastung von 82 WLM auszugehen. Die Verursachung des Lungenkrebses durch berufliche Strahlenbelastung sei somit unwahrscheinlich. Eine Berufskrankheit "chronisch obstruktive Bronchitis infolge ionisierender Strahlung" gebe es nicht. Außerdem sei der Kläger Raucher gewesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin: Nicht jeder Raucher sterbe an Lungenkrebs. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger in den so genannten "wilden Jahren" einer kumulativen Strahlenbelastung von 100 bis 250 WLM ausgesetzt gewesen sei. Bereits der erste Anschein spreche dafür, dass die bösartige Lungenerkrankung auf die Strahlenbelastung in den Jahren 1949 und 1950 zurückzuführen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Chemnitz vom 19.01.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21.10.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2402 der Anlage 1 zur BeKVO der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des am 20.08.1995 verstorbenen H ... W ... K ... Unfallrentenleistungen und als dessen Witwe Hinterbliebenenleistungen zu erbringen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Chemnitz vom 19.01.2000 zurückzuweisen.
Dem Senat liegen neben den Gerichtsakten beider Instanzen die Verwaltungsakten der Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten mit diesem Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das SG hat zu Recht die angefochtenen Bescheide der Beklagten bestätigt. Der Klägerin stehen keine Hinterbliebenenleistungen (§§ 589, 590 RVO) zu, wie aus den rechtmäßig erteilten Bescheiden vom 21.10.1996 und 19.12.1996 folgt. Die Klägerin kann als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten auch keine so genannten Lebzeitenleistungen wie zum Beispiel Verletztenrente (§ 581 RVO) beanspruchen. Es lässt sich nämlich nicht mit erforderlicher Wahrscheinlichkeit nachweisen, dass das Bronchialkarzinom, an welchem der Versicherte Heinz Klotzsche (K.) erkrankt war und an dessen Folgen er verstorben ist, eine Berufskrankheit war.
Die geltend gemachten Ansprüche richten sich nach den Vorschriften der RVO, da die Klägerin diese auch für Zeiten vor dem Inkrafttreten des SGB VII - gesetzliche Unfallversicherung - am 01.01.1997 erhebt (Art. 36 des Unfallversicherungseinordnungsgesetzes - ÜVEG -, § 212 SGB VII). Eine Anwendung übergeleiteten DDR-Rechts findet schon deswegen nicht statt, da der Berufskrankheitenverdacht der Beklagten erst nach dem 31.12.1993, nämlich am 21.02.1995, gemeldet wurde (§ 1150 Abs. 2 Nr. 1 RVO) so dass in diesem Zusammenhang die Frage, ob eventuell die Berufskrankheit nicht erst mit dem akuten Bronchialkarzinom im Januar 1995, sondern latent schon früher aufgetreten ist, nicht diskutiert zu werden braucht.
Nach § 551 Abs. 2 Satz 1 RVO sind Berufskrankheiten die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Die Feststellung einer Berufskrankheit hat zur Voraussetzung, dass zum einen die arbeitstechnischen (haftungsbegründenden) Voraussetzungen in der Person des Versicherten gegeben sind, wobei insoweit der volle Nachweis erforderlich ist. Nachgewiesen sein muss auch eine der jeweiligen BK-Nummer entsprechende Erkrankung und diese muss im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre (vgl. dazu BSGE 1, 72, 76; BSG SozR 2200 § 551 Nr. 1; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 4, 11, 14) wesentlich ursächlich auf die belastende versicherte Tätigkeit zurückzuführen seien (haftungsausfüllende Kausalität). Der Ursachenzusammenhang muss zwar nicht im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen, aber wenigstens hinreichend wahrscheinlich gemacht sein. Das heißt, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen müssen, dass darauf eine Entscheidung gestützt werden kann (BSGE 32, 203, 209; BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38; LSG Baden Württemberg, Breith. 1985, 399, 403; Bayerisches LSG, Breith. 1985, 575, 576). Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG Breith. 1963, 60/61). Gemäß § 1 der Berufskrankheitenverordnung (BeKV) sind Berufskrankheiten, die in der Anlage I bezeichneten Krankheiten. In der Anlage sind als Berufskrankheit Nr. 2402 Erkrankungen durch ionisierende Strahlen aufgeführt. Damit hat der Verordnungsgegeber grundsätzlich die Möglichkeit der berufsbedingten Erkrankung durch ionisierende Strahlen anerkannt. Das heißt, durch die Aufnahme der BK 2402 in die Liste der Berufskrankheiten auf Grund langer Beobachtungen und verbindlicher Zusammenfassung dieser Krankheiten, bei denen ein Zusammenhang mit bestimmten Berufstätigkeiten bzw. beruflich bedingten Einwirkungen generell als erwiesen angesehen wird, ist die generelle Geeignetheit der Hervorrufung einer Erkrankung durch ionisierende Strahlen bestätigt (vgl. Mehrtens-Perlebach, BeKV E § 9 SGB VII Nr. 7).
Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass das Todesleiden des K. als Berufskrankheit im Sinne der BK 2402 grundsätzlich in Betracht kommt. Nach der Verwaltungspraxis der Beklagten wird bei einer Strahlenexposition von 200 WLM und mehr eine ärztliche Einzelfallbegutachtung nicht für erforderlich gehalten: Für die Anerkennung genügt eine fachärztliche Stellungnahme (vgl. Mehrtens-Perlebach, a. a. O. M 2402 S. 10 a). Grundlage hierfür ist eine so genannte "Empfehlung für die Bearbeitung der Berufskrankheiten in Folge von Tätigkeiten bei der ehemaligen Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut". Bei der Einheit WLM handelt es sich um eine historische Einheit zur Bestimmung der individuellen beruflichen Exposition mit Radon- zerfallsprodukten.
Aus allen Tabellen des so genannten Jacobi I-Gutachtens (Verursachungswahrscheinlichkeit von Lungenkrebs durch die berufliche Strahlenexposition von Uranbergarbeitern der Wismut AG) ergibt sich, dass auf Grund des großen zeitlichen Abstandes zwischen Exposition und Auftreten der Erkrankungen ein Kausalzusammenhang nur bei einer Exposition mit über 200 WLM wahrscheinlich zu machen wäre. Hieraus wird schon deutlich, dass nur eine Exposition, die - unabhängig von allen anderen Umständen - für sich alleine genommen schon ausreichen würde, mit Wahrscheinlichkeit einen Lungenkrebs zu induzieren, auch im Falle des K. erst einen Ursachenzusammenhang wahrscheinlich erscheinen lassen könnte. Mit anderen Worten: Der oberflächliche Eindruck, dass ein Lungenkrebs, der erst in einem Alter auftritt, das der durchschnittlichen Lebenserwartung entspricht (dieses betrug in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1975 für Männer 72,5 Jahre, vgl. Pschyrembel, 258. Auflage S. 898) nicht unbedingt einer Strahlenbelastung im Alter von 25 Jahren geschuldet ist, bestätigt sich auch durch entsprechende wissenschaftliche Statistiken, insbesondere durch die noch im folgenden zu diskutierenden Statistiken über die Verursachungswahrscheinlichkeit nach dem Jacobi I-Gutachten. Allgemein gilt jedenfalls, dass ein tödlich verlaufender Lungenkrebs in diesem Alter zwar noch in der (unikausal angelegten) Todesursachenstatistik geführt wird, bei der so genannten "alterskorrigierten Letalitätsrate" allerdings nicht mehr ins Gewicht fällt.
Der Senat folgt im Wesentlichen dem Jacobi I-Gutachten, wobei die Rechenmodelle im Einzelnen schon deswegen nicht zu diskutieren sind, da es sich nicht um einen Grenzfall handelt: Auch bei großzügiger Unterstellung von "worst-case" Daten ergibt sich keine Verursachungswahrscheinlichkeit. Demgegenüber fällt die Kritik von Prof. K ... an dem Jacobi I-Gutachten nicht entscheidend ins Gewicht; entscheidend ist auf der anderen Seite am Gutachten Prof. K ... zu kritisieren, dass dort von einem Begriff der Wahrscheinlichkeit ausgegangen wird, welcher dem im Unfallversicherungsrecht geltenden nicht entspricht.
Betrachtet man die relative Relatenzzeit - Verteilungsfunktion v(T) in Abhängigkeit von der Zeit (T) seit Exposition (Jacobi-Gutachten, Fig. 5-1, S. 33) so fällt auf, dass bereits 46 Jahre nach der Exposition das zusätzliche Risiko auf einen Basiswert von 0,2 zurückgefallen ist, der etwa so viel aussagt, dass bei der Inhalation von Radonfolgeprodukten das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken generell immer etwas höher ist, als wenn eine solche Bestrahlung nicht stattgefunden hat. Dieser Basiswert ändert sich nach der entsprechenden Tabelle dann in den folgenden Jahren auch nicht mehr: Dies macht deutlich, dass es sich hierbei lediglich um das gegebene theoretische zusätzliche Risiko, nicht aber um einen noch statistisch messbares zusätzliches Risiko handelt. Setzt man eine kurzzeitige kumulierte Exposition im Alter von ca. 30 Jahren voraus, so ist ebenfalls im Alter von 71 Jahren die Verursachungswahrscheinlichkeit auf einen - von der Höhe der Exposition abhängigen - Basiswert abgesunken. Die Tabelle in Fig. 6.1 des Jacobi-Gutachtens (Jacobi-Gutachten S. 49, veröffentlicht in Mehrtens-Perlebach BeKV M 2402, S. 15) weist aus, dass nur bei einer Exposition von deutlich über 200 WLM im Alter von 71 Jahren noch eine Verursachungswahrscheinlichkeit von über 50 % gegeben ist. Untersuchungen an Uranbergarbeitern in der CSFR und den Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki bestätigen die allgemeinen Erkenntnisse (Jacobi-Gutachten Fig. 4-1, 4-2): 35 bis 40 Jahre nach Beginn der Exposition weicht die Lungenkrebsrate bei den Exponierten nicht mehr statistisch signifikant von der Normalrate ab. Bei denjenigen, die sich bei der Exposition - wie der Kläger - im Alter von 25 bis 29 Jahren befanden, liegt das statistische Risiko, überhaupt an Krebs zu erkranken bei 1,07 (zusätzliches Risiko 1,00 entspricht einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 50 %); dieses höhere Risiko hängt auch damit zusammen, dass die Lebenserwartung in diesem Alter noch größer ist (vgl. Tabelle 5-1 des Jacobi-Gutachtens S. 36). Das Risiko nimmt dann auch erwartungsgemäß mit fortschreitendem Alter ab. Setzt man Expositionsalter und Erkrankungsalter zueinander in Relation, so ergäbe sich bei einer sogar 5-jährigen Exposition im Alter von 25 auch wiederum eine Verursachungswahrscheinlichkeit von unter 50 %, wenn die Erkrankung erst nach den 70. Lebensjahr erfolgt (Fig. 6-3, Jacobi-Gutachten S. 52). Legt man die Tabelle A-1d zu Grunde, so beträgt das zusätzliche relative Lungenkrebsrisiko bei einem im Alter von 25 Jahren Exponierten, wenn die Diagnose im Alter von 71 Jahren gestellt wird, 0,40 % pro WLM. Um also auf ein zusätzliches Risiko von rz )= 1 zu kommen (entspricht einer Verursachungswahrscheinlichkeit von VW )= 50 %) müsste die Exposition 250 WLM ausgemacht haben.
Dass der Kläger in diesem hohen Maße exponiert war, sieht der Senat nicht als erwiesen an. Die Errechnung von 249 WLM (Gutachten Kuni, S. 10) beruht auf Annahmen, die als widerlegt angesehen werden müssen. K. war nicht im Bergbaubetrieb 09 Aue tätig, sondern im Objekt 04 Annaberg. Im Objekt 09 wurden in der Betriebsperiode von 1949 bis 1990 insgesamt 73845 t Uran bei einem mittleren Uranausbringen von 2,82 kg Uran pro m² Gangfläche abgebaut. Hingegen stellte das Objekt 04 hinsichtlich der Urangewinnung eine Kleinstlagerstätte dar, aus welcher im Zeitraum von 1947 bis 1949 insgesamt nur 63 t Uran bei einem mittleren Uranausbringen von 0,254 kg Uran pro m² Gangfläche gewonnen wurde. Im Objekt 04 wurden in den Jahren 1949/50 unter Tage Erze mit einem Urangehalt von 0,016 % abgebaut. Hieraus wird auch deutlich, dass es nicht gerechtfertigt ist, bei den Übertagetätigkeiten eine Belastung wie bei den Tätigkeiten auf Arm- bzw. Reicherzhalden in Paitzdorf (Thüringen) zu unterstellen. Dort bestand eine mittlere Uranvererzung von 0,085 %. Im Gutachten Prof. K ... wird die Jahresarbeitszeit auf 3.570 Stunden mit der Begründung hochgerechnet, es sei ihm "aus direkten Überlieferungen von Einsatzkräften unter Tage bekannt", dass in den so genannten wilden Jahren in Sechzehn-Stunden-Schichten gearbeitet worden sei. Hierfür gibt es außerhalb des Gutachtens Prof. K ... keine Anhaltspunkte, vielmehr ergaben die vom TAD Gera zusätzlich zur Sichtung von staatlichen Vorschriften und Unterlagen der Wismut GmbH durchgeführten Befragungsaktionen ehemaliger Wismutarbeiter ein Acht-Stunden-Schicht-System. Prof. K ... stellte fest (S. 7 des Gutachtens), dass ein Hauer auch erhebliche Mengen uranhaltigen Gesteinsstaubs eingeatmet haben müsse, und somit von der Beklagten ein Erkrankungspfad - inhalierte langlebige radioaktive Schadstoffe - unterschlagen worden sei. Tatsächlich wurden jedoch im Forschungsprojekt der BBG speziell für die Ermittlung der Exposition durch langlebige Radionuklide erhebliche Aufwendungen betrieben. In vier Versuchsreihen wurden in noch zugänglichen uranvererzten Grubenbereichen die Bewetterungsbedingungen der Anfangsjahre mit modernen technischen Mitteln eingestellt und mit der in den Anfangsjahren üblichen Technik die Teiltechnologie in Trockenbohren im Erz, Trockenbohren im Nebengestein, Hereingewinn des Uranerzganges mit einem Pickhammer und Nebenarbeiten nachgestellt. Dabei erfolgten die Staubprobenentnahmen an personengetragenen Geräten und an stationären Meßstellen in Wetterrichtung. Nach den Versuchsdurchführungen wurden die bestaubten Filter gammaspektrometrisch ausgewertet (hierzu Bauer u. a. Untersuchungen zur Staub- und Schwermetallbelastung ... 1994, 1995, 1996). Die Hochrechnung von Prof. K ... bezüglich eines differenzierten Gleichgewichtsfaktors F statt eines pauschalen Mittels gehen von falschen Voraussetzungen aus. Der Gleichgewichtsfaktor F beschreibt, welcher Anteil der beim Zerfall des Radon gebildeten Radonfolgeprodukte sich nicht an den umgebenden Wänden niederschlägt, sondern sich an Aerosole festsetzt und somit eingeatmet werden kann. Im Gutachten Jacobi wurde nun für das Objekt 04 bereits ein Gleichgewichtsfaktor F = 0,6 berücksichtigt und nicht, wie Prof. K ... annahm, von 0,5. Dahinstehen kann, ob tatsächlich die mittlere Atemrate, wie Prof. K ... vorschlägt, unter Berücksichtigung der Schwerarbeit noch weiter zu erhöhen ist - eine dadurch proportional ansteigende Gefährdung kann ohnehin nicht unterstellt werden -, denn insgesamt spielt die Inhalation von radioaktiven Staub beim Kläger schon deswegen keine maßgebende Rolle, da am Versuchsort in Schlema/Alberoda der Urangehalt zwischen 1,3 und 3,25 % betragen hat, der Urangehalt am Arbeitsplatz des K. allerdings nur 0,016 %. Selbst wenn man also das Gutachten Jacobi I insofern angreifen wollte, als dort die Inhalation von radioaktivem Staub nicht berücksichtigt wurde, könnte dies jedenfalls im Falle des K. zu keinem anderen Ergebnis führen. Auch bei der externen Strahlenbelastung hat Prof. K ... nicht berücksichtigt, dass die durch äußere Strahleneinwirkung berechnete individuelle Dosis mit 1,75 mSv - ein der natürlichen Strahlenbelastung in etwa entsprechender Wert - mit den genannten Vererzungsbedingungen im Objekt 04 zusammenhängt. Die Werte von 30 msV wurden im Rahmen des Forschungsprojektes für einzelne Jahre in J ...t (Objekt 01) und im Objekt 06 (Z ...) und im Objekt 09 (A ...) bei relativ hohen Vererzungen bestimmt.
Unter Zugrundelegung der erwiesenen Fakten ergibt sich daher, auch wenn man den Methoden und Ansätzen von Prof. K ... folgt, keine Belastung von 200 WLM und mehr. Der Nachweis einer solchen Belastung wäre hingegen erforderlich, um die den Klageantrag allein rechtfertigende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zu begründen. Nur eine solche Wahrscheinlichkeit, zu deren Nachweis notgedrungen auf die entsprechenden Statistiken zurückgegriffen werden muss, würde die Anerkennung einer Berufskrankheit rechtfertigen. Bei Abschätzung der Wahrscheinlichkeit ist das Gericht im Übrigen an die herrschende wissenschaftliche Lehrmeinung gebunden. Einer Mindermeinung kann das Gericht aus Rechtsgründen nicht folgen. Wenn Prof. K ... also ausführt, dass das Jacobi I-Gutachten von einem ausgewiesenen Sachkenner hinsichtlich der Dosimetrie der Lunge erstellt worden sei, der jedoch andererseits sich in seiner Bewertung nicht weit von den Gremien entferne, in die er international eingebunden sei, so weist das dem Senat gewissermaßen die Richtung: Solange sich eine Mindermeinung nicht durchgesetzt hat, kann der Senat ihr nicht folgen; hat sie sich durchgesetzt, bleibt den Betroffenen immer noch die Möglichkeit des Antrags nach § 44 SGB X. Im Übrigen erscheint dem Senat auch die Kritik an der Verwaltungspraxis der Beklagten hinsichtlich der Behandlung von Wismut-Altfällen überzogen und unangemessen: Eine Motivation zur absichtsvollen Beschönigung der Arbeitsverhältnisse bei der SDAG Wismut im Hinblick auf "kostenträchtige technische und organisatorische Vorkehrungen" in der Gegenwart kann nicht erkannt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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