L 6 KN 36/99 U

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 7 KN 204/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 KN 36/99 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10. Mai 1999 sowie der Bescheid der Beklagten vom 24.10.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.02.1997 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen einer BK nach Listennummer 54 BKVO/DDR Rente nach einer MdE um 20 % ab dem 01.01.1997 zu bewilligen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Listennummer 54 BKVO/DDR. Der am ...1939 geborene Kläger arbeitete von September 1955 bis 1989 mit Pressluftwerkzeugen als Maurer, Feuerungsmaurer und Ofenmaurer. Noch zu DDR-Zeiten wurde ein Berufskrankheitenverfahren betrieben. Die Arbeitshygieneinspektion Dresden schlug am 04.08.1981 die Anerkennung einer BK 54 mit einem Grad des Körperschadens (GdK) unter 20 % vor, nachdem sie zuvor mit Datum vom 21.11.1977 noch eine Anerkennung abgelehnt und einen Arbeitsplatzwechsel bzw. eine Aufgabe der schädigenden Tätigkeit nicht für erforderlich gehalten hatte. Nunmehr wurde jedoch auf Grund einer Arthrose des linken Schultergelenks, beider Ellenbogengelenke und der Handgelenke gefordert, dass der Kläger in Zukunft auch nicht mehr kurzfristig mit Vibrationswerkzeugen arbeiten dürfe. Gleichwohl wurde die Tätigkeit fortgesetzt, eine formelle Anerkennung der Berufskrankheit mit einem GdK von unter 20 % durch die BGL unterblieb. Nachgutachten in regelmäßigen Abständen bestätigten jeweils einen Körperschaden unter 10 %.

Nach Übergabe der Unterlagen von der Sozialversicherung der DDR leitete die Beklagte ein eigenes Verfahren ein. Sie bejahte die Exposition und gab ein Gutachten bei Dr. D ..., R ..., in Auftrag. Dieser untersuchte den Kläger am 28.08.1995 von 14.00 Uhr bis 15.15 Uhr und eruierte folgende Beschwerden: Ruhe- und Belastungsschmerz in beiden Handgelenken und im Bennet schen Gelenk (= Daumensattelgelenk, Gelenk zwischen Os metacarpale I und Os trapezium) beidseits sowie in beiden Ellenbogen- und Schultergelenken, alle Beschwerden rechts stärker ausgebildet als links; Muskelschwäche in den Armen und Schultermuskeln, rasche Ermüdbarkeit der Muskulatur der Arme, einschlafende Hände. Der Gutachter kam in Auswertung der erhobenen Befunde zu dem Ergebnis, dass seit 1990 eine geringe Einschränkung der Beugung und Streckung des linken Handgelenks dazugekommen sei sowie, dass die arthrotischen Veränderungen in den Schultereckgelenken noch keinerlei funktionelle Ausfälle bedingten. Der Körperschaden sei weiterhin mit 15 % zu veranschlagen. Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 24.10.1995 die Bewilligung einer Rente ab. Auf den Widerspruch des Klägers wurde Dr. O ... von der ärztlichen Gutachtergemeinschaft Niederdorf angehört, der die Einschätzung, die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 15 %, bestätigte. Auch er schätzte die Arthrosis deformans der Handgelenke als mäßig ein, eine Funktionseinschränkung rechts ergebe sich nicht. Die Arthrose in den beiden Daumensattel- und Daumengrundgelenken sei nicht berufskrankheitstypisch. Dies gelte auch für die degenerativen Halswirbelsäulenveränderungen. Hierauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 28.02.1997 als unbegründet zurück.

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Chemnitz (SG) Oberarzt Dr. P ..., Orthopädische Klinik D ..., mit der Erstellung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser kam in seinem Gutachten vom 17.11.1997 zu dem Ergebnis, dass eine Berufskrankheit mit einer MdE von 20 % ab dem 01.01.1997 zu bejahen sei. Die Veränderung im Daumensattel- bzw. Handgelenk sei in der medizinischen Literatur als berufskrankheitsbedingt anerkannt. Die entsprechenden Bewegungseinschränkungen seien bei der letzten Gutachtensuntersuchung am 28.08.1995 (Dr. D ...) noch nicht so stark ausgeprägt gewesen und seien auch nicht ausdrücklich in die Bewertung einbezogen worden. Auch bestehe eine Arthrose im Sternoclaviculargelenk rechts, einem Gelenk, was die einzige knöcherne Verbindung des Armskeletts zum Brustkorb darstelle und somit auch zur Kraftleitungslinie gehöre. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht werde für die Versteifung beider Daumengelenke und des Mittelhand-Handwurzelgelenks in günstiger Stellung eine MdE von 20 % angegeben. Die beim Kläger vorliegende Bewegungseinschränkung sei natürlich geringer als bei einer Daumenversteifung, aber die Schmerzhaftigkeit der entsprechenden Gelenke schränke die Gebrauchsfähigkeit der Hand in ähnlicher Weise ein. Die Verdcckung im Bereich der Daumengrund- und Daumensattelgelenke beidseits sei überdurchschnittlich im Vergleich mit der vom Kläger allgemein vorhandenen Auftreibung der proximalen wie distalen Interphalangealgelenke beider Hände. Außerdem seien die Verdcckungen im Bereich der Daumengrund- und Daumensattelgelenke druckschmerzhaft. Die Beweglichkeit des rechten Armes im Schultergelenk sei deutlich eingeschränkt. Druckschmerz ergebe sich über der Subscapularissehne rechts und der langen Bizepssehne, leichter Druckschmerz bestehe auch über dem Epicondylus humeri radialis beidseits und im Bereich der Tabatière des rechten Handgelenks.

Die Beklagte bat daraufhin Dres. Sch .../T ... vom Institut für medizinische Begutachtung K ... um eine gutachtliche Beurteilung nach Aktenlage. Dres. Sch .../T ... bestätigten, dass vom Ausgangspunkt des Gutachtens P ... her eine MdE von 20 % angemessen sei. Allerdings seien die röntgenologischen Veränderungen der Daumengelenke nicht als Berufskrankheitsfolgen zu werten. Im Übrigen sei die "Abnutzungsform" dieser Berufskrankheit ohnehin wissenschaftlich nicht gesichert. In der Regel sei der Körper in der Lage, die auftretenden Schwingungsbelastungen im Rahmen seiner natürlichen Widerstandsfähigkeit auszugleichen. Bei einem Teil der Arbeiter fänden sich jedoch typische Bilder einer Arthrosis deformans. Es müsse daher angenommen werden, dass bei diesen Personen eine besondere Disposition zu verstärkten arthrotischen Umformungen vorliege. Beim Kläger zeigten die Befunde an den Fingergelenken eine schicksalhafte Disposition zur so genannten Fingerpolyarthrose. Daher könnten die Arthrosen an den Daumengelenken niemals Berufskrankheit sein. Für die Bewegungsstörung an den Schultergelenken seien nicht die dort vorhandenen Arthrosen, sondern degenerative Veränderungen der Schultergleitgewebe verantwortlich zu machen. Anerkennungsfähig seien somit letztlich nur die relativ geringen Verschleißveränderungen der Handgelenke im Bereich von Elle und Speiche unter Einbeziehung der Drehgelenke. Hierdurch ergebe sich keine höhere MdE als 15 %. Darüber hinaus sei generell zu bezweifeln, ob von vorauseilenden Veränderungen gesprochen werden könne, da der Kläger auch an der Halswirbelsäule arthrotische Erscheinungen aufweise.

Um eine abermalige Stellungnahme gebeten, wies Dr. P ... darauf hin, dass die Arthrose an der Halswirbelsäule unfallbedingt sei. Der Kläger habe 1973 durch einen Arbeitsunfall eine massive Distorsion der Halswirbelsäule mit Dornfortsatzabbruch erlitten. Die wissenschaftliche Literatur (Rompe/Erlenkämper, Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 2. Auflage Stuttgart 1992, S. 355) erwähne die Daumensattelgelenksarthrose als relevant für die entsprechende Berufskrankheit.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 10.05.1999 die Klage abgewiesen: Daumengelenksarthrosen seien nicht berufskrankheitstypisch. Allenfalls könnten solche Beschwerden als Quasiberufskrankheit der Maurer gemäß § 9 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) anerkannt werden. Im Übrigen seien auch die Veränderungen erst 1994 festgestellt worden, nötig wäre allerdings ein erstmaliges Auftreten spätestens fünf Jahre nach Expositionsende.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er bietet Beweis dafür an, dass sich die Veränderungen im Daumensattel- und Daumengrundgelenk bereits in den 80er Jahren gefunden hätten und trägt im Übrigen vor, dass das Gutachten des Dr. P ... als neutrales Gerichtsgutachten einen höheren Beweiswert habe als das Parteigutachten Dres. Sch .../T ... Letzteres sei überdies auch nur nach Aktenlage erstattet worden.

Er beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10.05.1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24.10.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, wegen einer Berufskrankheit nach Listen-Nr. 54 BKVO/DDR Rente nach einer MdE um 20 % ab dem 01.01.1997 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat liegen neben den Gerichtsakten beider Instanzen die Verwaltungsakten der Beklagten vor.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist auch begründet.

Der Kläger ist wegen der Folgen der im Jahre 1981 eingetretenen Berufskrankheit über die 26. Woche hinaus (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII i.V.m. § 1154 RVO in der bis zum 31.12.1991 geltenden Fassung i.V.m. § 215 Abs. 1, Abs. 6 SGB VII) in seiner Erwerbsfähigkeit seit dem 01.01.1997 um 20 % gemindert. Es besteht somit Anspruch auf Teilrente in der entsprechenden Höhe gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 SGB VII, § 1154 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVO, § 215 Abs. 6 SGB VII. Der Rentenbeginn ist der 01.01.1997, diesen Tag hat der Gutachter P ... als "näherungsweisen Beginn für die jetzige Höhe des berufsbedingten Körperschadens" genannt, ein Rentenbeginn zum 01.01.1997 entspricht daher eher diesen Feststellungen, als es ein Rentenbeginn zum 01.02.1997 täte, es erscheint daher gerechtfertigt, positiv den Eintritt der rentenberechtigenden MdE als im Dezember 1996 festgestellt anzusehen. Der Rentenbeginn ergibt sich somit aus § 72 Abs. 1 Ziff. 2 SGB VII analog (vgl. KassKomm - Ricke § 72 SGB VII Anm. 3).

Die Beklagte ist auch der für die Entscheidung zuständige Unfallversicherungsträger. Nach Anlage I Kap. VIII Sachg. I Abschn. III Nr. 1 Buchst. c Abs. 8 Nr. 2 Einigungsvertrag (EV) wurden die Träger der Unfallversicherung ab 01.01.1991 im Beitrittsgebiet (Art. 3 EV) für die Durchführung der Aufgaben der Unfallversicherung zuständig. Nach Anlage I Kap. VIII Sachg. I Abschn. III Nr. 1 Buchst. c Abs. 8 Nr. 2 Buchst. aa Satz 2 EV wurden die Arbeitsunfälle numerisch nach Geburtstag und -monat des Leistungsempfängers, innerhalb eines Geburtstages alphabetisch nach dem Familiennamen auf die Träger der Unfallversicherung verteilt (vgl. BSGE 79, 23). Dementsprechend hat der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften gemäß Anlage I Kap. VIII Sachg. I Abschn. III Nr. 1 Buchst. c Abs. 8 Nr. 2 Buchst. bb EV eine Liste über die "Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger - Arbeitsunfälle/Berufskrankheiten bis 31. Dezember 1990" erstellt (vgl. Verteilungsschlüssel Stand 26.03.1992, BG 92, 326). Hiernach ist die Beklagte für den am 04.01.1939 geborenen Kläger zuständig. Zwar erfolgte die Verteilung der Arbeitsunfälle zunächst anhand des Rentenbestandes für den Zahlmonat Januar 1991 (vgl. § 1159 Satz 1 RVO). Da aber der Bestand an Arbeitsunfällen im Beitrittsgebiet zu diesem Zeitpunkt nicht endgültig erfasst war, werden die im Rentenbestand für den Zahlmonat I/1991 nicht erfassten Arbeitsunfälle gemäß § 1159 Satz 2 RVO ebenfalls nach dem Verteilungsschlüssel verteilt, um eine ständige Neuabgrenzung der internen Zuweisung zu vermeiden (BTDrucks. 12/405, S. 158). Auch Nichtzahlfälle werden nach dem Verteilerschlüssel gemäß § 1159 Satz 1 RVO verteilt, ohne ihrerseits diesen nochmals zu ändern (vgl. KassKomm Ricke § 1159 RVO Anm. 2). Diese Spezialregelung für das Beitrittsgebiet geht der allgemeinen Regelung des § 133 Abs. 2 SGB VII vor.

Für den im Jahre 1981 eingetretenen Versicherungsfall ist nach wie vor durch den Einigungsvertrag in Bundesrecht transformiertes DDR-Recht anzuwenden (§ 215 Abs. 1 SGB VII i.V.m. § 1150 Abs. 2 RVO). Als Zeitpunkt des Eintritts der Berufskrankheit gilt in diesem Fall nicht der letzte Tag der schädigenden Tätigkeit, da die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit bei der BK 54 nicht Anerkennungsvoraussetzung war.

Gemäß § 220 AGB/DDR i.V.m. der Anlage zur 1. Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten vom 21. April 1981 wird die BK 54 (Teilkörpervibration) wie folgt definiert: Krankheiten des Bewegungsapparates, der peripheren Gefäße und der Nerven durch langzeitige lokale Einwirkung mechanischer Schwingungen beim Gebrauch von Vibrationswerkzeugen, vibrierenden Maschinen, ähnlich wirkenden Werkzeugen und Maschinen oder jahrzehntelange handwerkliche Tätigkeiten mit ähnlichen Expositionsbedingungen (z.B. Stemmen von Mauerwerk oder Beton mit Hammer und Meißel). Nach den "Empfehlungen für die Begutachtung berufsbedingter Erkrankungen durch Teilkörpervibration (Konetzke, G., arbeitsmedizininformation 11 [1984] Nr. 2, S. 28 bis 31) war zur Anerkennung einer solchen Berufskrankheit erforderlich, dass die Grenzwerte für Teilkörpervibration bei einer beruflichen Exposition von mindestens zwei Jahren um mehr als das zweifache überschritten, bzw. bei einer Exposition von zehn Jahren um das eineinhalb- bis zweifache überschritten wurden. Diese Voraussetzungen sind beim Kläger unstreitig gegeben. Als in der Regel in Betracht kommende Erkrankungen wurden insbesondere genannt: degenerative Veränderungen an Ellenbogen-, Hand- bzw. Schultereckgelenken (Articulatio acromioclavicularis). Zur beruflichen Weiterbeschäftigung ist Folgendes ausgeführt (a.a.O. Ziff. 5): - Bei degenerativen Gelenkveränderungen ohne wesentliche Funktionseinschränkung (Körperschaden unter 20 %) ist die Weiterbeschäftigung in Tätigkeiten mit überwiegend dynamischer körperlicher Schwerarbeit möglich. Expositionen gegenüber Teilkörpervibration sollten entweder ganz gemieden werden oder so gering sein, dass sie nach der arbeitshygienischen Kennzahl 1,0 eingestuft werden. Für diesen Personenkreis ist eine regelmäßige Dispensairebetreuung zu gewährleisten. - Bei Erkrankungen mit Funktionsstörungen, die einem Körperschaden von 20 % entsprechen, ist die Ausübung von Tätigkeiten mit überwiegend dynamischer mittelschwerer Arbeit möglich. Teilkörpervibrationsexposition ist zu meiden. - Liegen Erkrankungen durch Teilkörpervibration mit einem Körperschaden von mehr als 20 % vor, so ist eine Weiterbeschäftigung ausschließlich an Arbeitsplätzen mit überwiegend leichter körperlicher Arbeit statthaft. Teilkörpervibrationsbelastung ist nicht zulässig. Vor diesem Hintergrund ist es zumindest interpretationsbedürftig, dass in der Stellungnahme der AHI D ... vom 04.08.1981 ein Verbot jeglicher weiterer (auch kurzfristiger) Tätigkeiten mit Vibrationswerkzeugen ausgesprochen wurde, der Grad des Körperschadens aber trotzdem auf unter 20 % festgesetzt wurde. Nicht berufskrankheitsrelevante Erkrankungen, die eine solche Forderung rechtfertigten, wurden nämlich weder in diesem Bescheid noch in den zugrunde liegenden Gutachten genannt.

Hinsichtlich der Bewertung der MdE ab etwa 01.01.1997 schließt sich der Senat der Beurteilung von Dr. P ... an. Hiergegen greifen die Bedenken der Beklagen und der Gutachter Dres. Sch .../T ... nicht durch. Zu Recht weist Dr. P ... darauf hin, dass eine schematische Zusammenrechnung aus Tabellen entnommener Einzel-MdE-Grade - nach welchem mathematischen Verfahren auch immer - hier untunlich ist. Die einschlägigen Tabellen (vgl. z.B. Mehrhoff/Muhr, Unfallbegutachtung, 10. Auflage, S. 147 ff.) sind in erster Linie auf Einschränkungen der passiven Beweglichkeit zugeschnitten. Hiermit können Vergleiche angestellt werden, wie es Dr. P ... auch bezüglich der Daumenversteifung getan hat, eine Übertragung verbietet sich jedoch. Insbesondere muss auch berücksichtigt werden, dass das System Schulter/Arm/Hand als eine Funktionseinheit zu werten ist, innerhalb dieses Systems kumulierende Behinderungen oder Einschränkungen sich also in der Regel gegenseitig ungünstig beeinflussen.

Der Sichtweise, die beim Kläger vorhandenen Einschränkungen als berufskrankheitsunabhängig einzustufen, folgt der Senat nicht. Der Einwand der Beklagten, es fehle bezüglich der erst um den Jahreswechsel 1996/97 eingetretenen Veränderungen schon am zeitlichen Zusammenhang zu der schädigenden Tätigkeit, entspricht nicht der herrschenden medizinischen Lehrmeinung. So heißt es in dem Merkblatt zur BK 2103 (Bek. des BMA vom 18.02.1963, BArbBl Fachteil Arbeitsschutz 1963, 21 f.), dass die Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen auch nach weit zurückliegender Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit erstmalig auftreten und die röntgenologischen Veränderungen entsprechend auch zunehmen könnten (vgl. Mehrtens/Perlebach BeKV, M 2103, S. 6). Die Tatsache, dass der Kläger an Fingerpolyarthrose erkrankt ist, rechtfertigt nicht, die anderen arthrotischen Erscheinungen als "endogen bedingt" abzutun. Alle altersbedingten Prozesse sind ein Resultat von exogener wie endogener Bedingtheit: Bei Degenerationserscheinungen handelt es sich um (endogene) Reaktionen des Körpers auf eine (exogene) Belastung. Solche Anpassungsprozesse können produktiv aber auch kontraproduktiv sein. Letztlich wird sich in fast keinem Fall auf naturwissenschaftlicher Ebene eine ganz bedeutende Mitverursachung solcher Prozesse durch das, was ein Mensch sein Leben lang gemacht hat, und das ist in der Regel die Arbeit, verneinen lassen (vgl. Entscheidung des Senats vom 01.02.2001, L 6 KN 18/99 U). So gilt generell für die BK 2103 BeKV (Entsprechendes gilt für BK 54 nach DDR-Recht), dass der Disposition des Betroffenen für diese Krankheit eine ganz entscheidende Bedeutung zukommt. Nur Menschen mit einer entsprechenden Veranlagung können überhaupt erkranken. Dadurch, dass der Verordnungsgeber diese Berufskrankheit in die Liste aufgenommen hat, ist entschieden, dass die entsprechende Disposition nicht dem Erkrankten entgegen gehalten werden kann. Auch Rompe/Erlenkämper (Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 3. Auflage, S. 357) weisen darauf hin, dass die mechanische Beanspruchbarkeit der Gelenke bei Erschütterung individuell sehr unterschiedlich und die Arbeit daher selten die primäre Krankheitsursache ist, sondern in der Regel nur als wesentlicher Beschleunigungseffekt bei der Entwicklung einer Arthrose wirkt. An der nämlichen Stelle wird auch ausdrücklich ausgeführt, dass auch Veränderungen im Daumensattelgelenk und im Handgelenk beschrieben werden, somit also grundsätzlich für die Berufskrankheit infrage kommen. Ohnehin ist weder nach DDR-Recht noch nach neuem gesamtdeutschen Recht ein Katalog der BK-typischen Gelenke definiert. Auch in den bereits erwähnten Empfehlungen (vgl. Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin, Sonderschrift 4, S. 260) werden die degenerativen Veränderungen an Ellenbogen-, Hand- und Schultergelenken nur beispielhaft erwähnt ("in der Regel"). Dem Senat erscheint die von Dr. P ... gegebene Darstellung, wonach insbesondere das Daumensattelgelenk im Kraftleitsystem liegt und nicht nur wie beispielsweise andere Fingergelenke peripher betroffen ist, schlüssig und nachvollziehbar. Eine signifikant ausgeprägtere Arthrose findet sich in diesem Gelenk nicht nur in dem Gutachten P ..., sondern auch schon im Gutachten D ... von 1995. Eine gleichmäßig verteilte Arthrose der Gelenke liegt beim Kläger nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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