L 6 KN 45/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 14 KN 399/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 KN 45/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 25.08.1999 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, inwiefern die Beklagte bei der Berechnung der Bergmannsvollrente ein Praktikum vom 01.03. bis 31.08.1965 als Untertagetätigkeit hätte bewerten müssen.

Der am ... geborene Kläger schloss im August 1958 die Oberschule ab, ging anschließend zwei Jahre zur Armee, um gleich danach ein Studium der Mineralogie an der Bergakademie F ... aufzunehmen. Im Rahmen dieses Studiums war er als Ingenieurpraktikant bei den Kaliwerken B ... für ein halbes Jahr tätig. In dieser Zeit erstellte er zusammen mit einem Kommilitonen eine Praktikumsarbeit mit dem Thema "Spezialkartierungen zur Untersuchung der stratigraphischen und regionalen Abhängigkeit von Hartsalz-Varietäten (Typisierung) unter besonderer Berücksichtigung des Kainits." Im Sozialversicherungsausweis des Klägers ist für das Kalenderjahr 1965 durchgehend "Student" eingetragen.

Auf Antrag des Klägers bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 12.01.1995 Bergmannsvollrente gemäß Art. 2 § 6 RÜG. Es ergaben sich 11 Jahre Untertagetätigkeiten, somit waren die Anspruchsvoraussetzungen nach Art. 2 § 6 Abs. 2 i. V. m. § 17 Abs. 3 Nr. 4 b RÜG (Ersetzung der Mindestversicherungszeit von 15 Jahren Untertagetätigkeit durch zehn Jahre in bestimmten Fällen) und nach Art. 2 § 33 RÜG (Zuschlag für Untertagetätigkeiten ab dem 11. Jahr) erfüllt.

Den Widerspruch beschränkte der Kläger auf die Zeit vom 01.03. bis zum 31.08.1965, die seiner Ansicht nach fälschlicherweise in die Ausbildungszeit an der Technischen Universität (TU) Freiberg eingerechnet und nicht als Untertagetätigkeit behandelt wurde. Er wies darauf hin, dass in dieser Zeit das Studium wie auch die Stipendienzahlung geruht habe. Er habe stattdessen 70 % des Tariflohnes vom Betrieb erhalten. Das Praktikum in der Produktion sei auf Grund einer staatlichen Anordnung erfolgt, welche auch diese Art der Bezahlung festgelegt habe.

Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 05.09.1997 als unbegründet zurückgewiesen: Eine Bestätigung über eine Untertagetätigkeit in der Zeit vom 01.03. bis zum 31.08.1965 habe weder von der TU F ... noch vom VEB Kaliwerk B ... erbracht werden können.

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) ein Sachverständigengutachten eingeholt zu der Frage, ob aus der Praktikumsarbeit zwingend geschlossen werden könne, dass der Kläger im Zeitraum März bis August 1965 mindestens 11 Schichten mit Untertagetätigkeit absolviert habe. Der Gutachter, Geologe H ... J ..., interpretierte die Frage so, dass es darauf ankomme, ob je Monat mindestens 11 Untertageschichten verfahren worden seien, was er bejahte. Das SG hat daraufhin der Klage stattgegeben mit der Begründung, dass nach der Verordnung über das Berufspraktikum der Studierenden der Universitäten und Hochschulen vom 27.03.1952 (GBl. S. 34) für alle Studenten der Universitäten und Hochschulen das obligatorische Berufspraktikum als wesentlicher Bestandteil des Studiums eingeführt worden sei. Für die Dauer dieses Berufspraktikums habe weiterhin Versicherungspflicht für Studenten nach §§ 1 bis 3 der VO über die Sozialpflichtversicherung der Studenten, Hoch- und Fachschüler bestanden. Die - nachgewiesene - überwiegende Untertagetätigkeit sei deshalb bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Wann eine Zeit als Untertagetätigkeit gelten könne, für die Versicherungspflicht nicht bestanden habe, regele § 23 Abs. 4 RÜG. Die pauschale Studentenversicherung sei hier nicht genannt. Im Übrigen werde bezweifelt, dass der Kläger tatsächlich für seine Praktikumsarbeit überwiegend unter Tage tätig gewesen sei.

Sie beantragt,

das Urteil des SG Chemnitz vom 25.08.1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf den Antrag des Beklagten hat der Vorsitzende des Senats gem. § 199 Abs. 2 SGG die Vollstreckung des angefochtenen Urteils durch einstweilige Anordnung ausgesetzt.

Dem Senat liegen neben den Gerichtsakten beider Instanzen die Verwaltungsakten der Beklagten vor.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung des sechsmonatigen Praktikums als Untertagetätigkeit.

Zu Recht hat das Sozialgericht festgestellt, dass der Kläger der studentischen Versicherungspflicht unterlag. Weder aus dem Rentenrecht der DDR noch aus dem RÜG lässt sich allerdings ableiten, dass deswegen auch die weiterqualifizierenden Kriterien der Tätigkeiten auf Studenten übertragen werden könnten. Wenn ein Student während eines Praktikums bestimmte Merkmale einer versicherungspflichtigen Tätigkeit in seiner Person verwirklicht, heißt dies noch nicht, dass das dieselben rentenrechtlichen Konsequenzen haben müsste wie bei einem Werktätigen. Von seinem sozialversicherungsrechtlichen Status her bleibt er Student, er unterliegt weiterhin der studentischen Sozialversicherung, welche keine tätigkeitsspezifischen Differenzierungen kennt. Beispielsweise bleibt es ohne Belang, ob der Student ein Praktikum im Gesundheitswesen hatte (vgl. §§ 46, 47 der RentenVO vom 23.11.1979 [GBl. I Nr. 38 S. 401]), im folgenden RentenVO i. V. m. der ersten Durchführungsbestimmung der RentenVO vom 23.11.1979 [GBl. I Nr. 43 S. 413, berichtigt 1980 GBl. I Nr. 10 S. 88] in folgenden 1. DB §§ 52, 53). Insbesondere § 53 Abs. 2 e 1. DB stellt klar, dass Studienzeiten unter bestimmten - anderen und nämlich nicht tätigkeitsspezifischen - Voraussetzungen für die ununterbrochene Tätigkeit im Gesundheitswesen unschädlich sind. Dies ist nämlich dann der Fall, wenn eine spezifische Tätigkeit (hier: im Gesundheitswesen) vor und nach dem Studium nachgewiesen ist. Nicht erforderlich ist es, dass das Studium selbst irgendwelche tätigkeitsspezifischen Merkmale aufwies. Hierin ist eine dem DDR-Sozialversicherungsrecht typische und auch durchaus beabsichtigte Bevorzugung derjenigen zu sehen, die ihr Studium aus dem Arbeitsprozess heraus durch Delegierung aufgenommen haben. Für den - im "bürgerlichen" Sinne regelhaften - Fall der Studienaufnahme nach dem Abitur bzw. nach der Armeezeit gab es solche Gleichstellungen allerdings nicht. In diesem Fall gehörte der Student gewissermaßen noch nicht zu einer Solidargemeinschaft mit berufsspezifischen Merkmalen, vielmehr gehörte er lediglich zur Solidargemeinschaft der Studenten, was so viel bedeutet, dass es keinen Unterschied für seinen versicherungsrechtlichen Status machen kann, wie sich im Einzelnen das Studium gestaltet.

Insoweit hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass die Ausnahmen im § 23 Abs. 4 RÜG ein "Numerus clausus" sind; zwar kannte das Rentenrecht der DDR noch weitere fiktive Untertagetätigkeiten (§ 41 i. V. m. § 11 Abs. 5 1. DB), das Studium war hier allerdings nicht genannt.

Die Tatsache, dass der Kläger der Versicherungspflicht unterlag, erlaubt es nicht, ihn auch ansonsten den "Werktätigen" gleichzustellen. Zwar kannte das DDR-Recht insoweit nicht die Rechtsfigur der Fiktion; wenn es nämlich in § 2 Abs. 2 Ziff. A RentenVO heißt, dass als versicherungspflichtige Tätigkeit im Sinne der Verordnung alle Tätigkeiten gelten, für die auf Grund von Rechtsvorschriften Versicherungspflicht zur Sozialversicherung bestand, so ist klar, dass hiermit nicht eine Fiktion gemeint sein kann. Die Parallelvorschrift im RÜG (§ 19) hat diese Formulierung insoweit nach westlichem Rechtsverständnis geglättet und die unmittelbar versicherungspflichtigen Tätigkeiten aus dem Katalog derjenigen Tätigkeiten herausgenommen, die ("nur") als versicherungspflichtig "gelten". Allerdings konnte hierdurch die pauschale Versicherung der Studenten in der DDR nicht rückwirkend zu einer bloß fiktiven Versicherungspflicht gemacht werden. Das Sozialgericht hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass die Studenten in der DDR versicherungspflichtig waren. Dies erlaubt nun allerdings nicht, ohne weiteres die z.B. in § 23 RÜG (Parallelvorschrift: § 41 1. DB) genannten Katalogtätigkeiten direkt auf Studenten anzuwenden. Der Kläger war als Student nicht bergmännisch tätig; er hat eine bergmännische Tätigkeit und eine Untertagetätigkeit nicht "ausgeübt". Vielmehr hat er anlässlich seines Studiums auch in seiner Person Kriterien verwirklicht, die sonst üblicherweise von Bergleuten verwirklicht werden, w. z. B. das tägliche Einfahren in den Schacht.

Bergmann wurde der Kläger auch nicht durch die Entlohnung, die vom Betrieb gezahlt wurde. Dieses vom Betrieb zu zahlende so genannte Betriebsstipendium war nicht lohnsteuerpflichtig und unterlag nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung (vgl. § 10 Abs. 4 der Anordnung über die weitere Umgestaltung der Ausbildung von Diplomingenieuren vom 1. September 1964 [GBl. II Nr. 88 S. 745]). Es blieb daher für die Dauer des Praktikums bei den 6,00 Mark, die gem. § 5 der VO vom 15.03.1962 (GBl. II Nr. 15 S. 126) monatlich durch die Hochschule für jeden Studenten abzuführen waren (vgl. § 11 Abs. 1 der Anordnung vom 01.09.64).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung einer Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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