L 6 KN 7/01

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 7 KN 424/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 KN 7/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 29. November 2000 wird aufgehoben.
II. Der Bescheid der Beklagten vom 19.05.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.1998 wird insoweit aufgehoben, als der Bruttobetrag den im Bescheid vom 18.04.1994 ausgewiesenen Rentenbetrag von 1.009,00 DM unterschreitet.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits für beide Instanzen zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der Bergmannsvollrente, insbesondere die Frage, inwiefern eine Neuberechnung nach dem 01.01.1996 dazu führen kann, dass für die Zukunft der Rentenberechnung der - für den Kläger ungünstigere - 20-Jahreszeitraum bis zum 31.12.1991, wie er durch das SGBVIuaÄndG vom 15.12.1995 (BGBl. I 824) definiert wurde, zugrunde zu legen ist.

Auf seinen Antrag vom 04.08.1993 bewilligte die Beklagte dem am 10.02.1944 geborenen Kläger zum 01.03.1994 mit Bescheid vom 18.04.1994 Bergmannsvollrente nach Art. 2 § 6 Renten-Überleitungsgesetz (RÜG). Der Rentenbetrag wurde auf 1.009,00 DM festgesetzt, der monatliche Zahlbetrag machte anfangs 945,94 DM aus und reduzierte sich dann im Laufe der Jahre auf 933,33 DM (zweite Hälfte des Jahres 1996). Unter Berücksichtigung der Jahre mit ständigem Arbeiten unter Tage wurde die Rente mit Bescheid vom 19.11.1996 neu festgestellt. Ab 01.01.1997 machte der Rentenbetrag 1.052,00 DM und der monatliche Zahlbetrag 973,10 DM aus. Am 04.02.1998 beantragte der Kläger die Überprüfung der Rentenleistung anlässlich der inzwischen vorliegenden Rehabilitierungsbescheinigung des Sächsischen Landesamts für Familie und Soziales vom 19.01.1998. Danach war der Kläger in der Zeit vom 01.10.1984 bis 02.10.1990 Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG. Bei der Überprüfung stieß die Beklagte auf Art. 2 § 31 Abs. 1 Satz 1 RÜG in der Fassung des SGBVIuaÄndG vom 15.12.1995. Danach wird das beitragspflichtige Durchschnittseinkommen ermittelt, indem das beitragspflichtige Einkommen der letzten 20 Jahre vor Ende der letzten versicherungspflichtigen Tätigkeit bis spätestens zum 31.12.1991 durch die Zahl der Monate, in denen in diesem Zeitraum Beiträge gezahlt worden sind, geteilt wird. Vor der Änderung durch das SGBVIuaÄndG hatte der Passus "bis spätestens zum 31.12.1991" in dem Gesetz gefehlt. Bis zum Inkrafttreten des SGBVIuaÄndG am 01.01.1996 war es gängige Praxis der Rentenversicherungsträger gewesen, den 20-Jahreszeitraum vom Ende der letzten versicherungspflichtigen Tätigkeit rückzuberechnen; im Falle des Klägers hatte der 20-Jahreszeitraum somit am 28.02.1994 geendet. Die Neuberechnung ergab, dass die Rente nach dem Übergangsrecht am 31.12.1991 843,00 DM betragen hätte. Hierbei wurden aber die Verfolgungszeiten noch nicht entsprechend dem BerRehaG berücksichtigt, sondern lediglich das aus dem SV-Ausweis entnommene sozialversicherungspflichtige Entgelt von 158.028,52 DM der Berechnung zugrunde gelegt.

Nach Anhörung des Klägers nahm die Beklagte mit Bescheid vom 19.05.1998 den Umwertungsbescheid vom 19.11.1996 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung vom 01.06.1998 "gemäß § 45 Abs. 1 SGB X" zurück. Vertrauensschutzgründe, die für die Weiterzahlung der unrechtmäßig zu hohen Rente für die Zukunft sprechen könnten, seien nicht ersichtlich. Eine Neuberechnung aufgrund des BerRehaG wurde in Angriff genommen, jedoch bis heute nicht umgesetzt.

Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19.05.1998 wurde mit Bescheid vom 28.08.1998 als unbegründet zurückgewiesen: Von einer Rücknahme für die Vergangenheit habe man im Rahmen des auszuübenden Ermessens abgesehen. Was die Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft angehe, sei jedoch zu beachten, dass insofern eine soziale Härte nicht erkannt werden könne, schließlich sei die Bergmannsvollrente nicht das alleinige Einkommen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes für den Kläger. Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 29.11.2000 zurückgewiesen: Zwar gelte auch für das RÜG der Grundsatz des § 306 Abs. 1 SGB VI, dass aus Anlass einer Rechtsänderung eine Rente nicht neu berechnet werden dürfe, im vorliegenden Fall sei allerdings die Neuberechnung nicht aus Anlass der Gesetzesänderung, sondern auf Antrag des Klägers erfolgt. Der Grundsatz des § 300 Abs. 3 SGB VI, wonach auch bei einer Neufeststellung die Vorschriften maßgeblich sind, die bei erstmaliger Feststellung der Rente anzuwenden waren, gelte nicht für RÜG-Renten.

Mit der dagegen erhobenen Berufung weist der Kläger darauf hin, dass die berufliche Rehabilitation in seinem Fall ins Gegenteil verkehrt worden sei. Die Herabsetzung der Rentenleistung sei für ihn wirtschaftlich nicht zumutbar.

Er beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 29.11.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Bergmannsvollrente weiterhin unter Berücksichtigung eines 20-Jahreszeitraumes vom 01.03.1974 bis 28.02.1994 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 29.11.2000 zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist im Wesentlichen begründet.

Zwar hat der Kläger keinen Anspruch auf Berechnung der Bergmannsvollrente unter Zugrundelegung eines erst am 28.04.1994 endenden 20-Jahreszeitraumes (1), die Kürzung der Rente anlässlich der beabsichtigten Einarbeitung des Bescheides nach dem BerRehaG, welche dann aber unterblieb, verstößt jedoch gegen Verwaltungsverfahrensrecht (2).

(1) Die Änderung des Art. 2 § 31 Abs. 1 RÜG durch Art. 6 Nr. 2 des SGBVIuaÄndG vom 15.12.1995 (BGBl. I, 1824) brachte für den Kläger von Rechts wegen keine Schlechterstellung. Durch die Änderung des Gesetzestextes (Einfügung des Zusatzes "bis spätestens zum 31. Dezember 1991") wurde nämlich keine Änderung des materiellen Rechts, sondern lediglich eine Klarstellung der ohnehin schon bestehenden Rechtslage geschaffen (vgl. Senat, Urt. v. 13.07.2000 - L 6 KN 24/98 -). Die Haltung des BSG hierzu ist eindeutig (vgl. Urt. des 4. Senats vom 09.11.1999 - B 4 RA 54/98 R - SozR 3-8575 Art. 2 § 39 Nr. 1): "In Bezug auf den Einigungsvertrag ist es geboten, Art. 2 § 31 Abs. 1 Satz 1 RÜG bereits in seiner ursprünglichen ab dem 01.01.1992 bis Ende 1995 geltenden Fassung dahingehend auszulegen, dass Verdienste aus versicherungspflichtigen Tätigkeiten allenfalls bis zum 31.12.1991 bei der Ermittlung des Durchschnittseinkommens zu berücksichtigen sind. Aus der diesbezüglich rechtswidrigen Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger bis Ende 1995 kann kein Anspruch auf Gleichbehandlung hergeleitet werden." Diese Entscheidung des BSG lag zum Zeitpunkt der Fällung des sozialgerichtlichen Urteils in den schriftlichen Gründen noch nicht vor. Konsequenterweise ist daher das Sozialgericht in Übereinstimmung nicht nur mit der Verwaltungspraxis, sondern auch mit dem zuständigen Referenten des BMA (vgl. BTDrucks. 13/2590 S. 32) davon ausgegangen, dass es sich bei der Änderung des Art. 2 § 31 durch das SGB VI-Änderungsgesetz nicht um eine Klarstellung, sondern um eine materielle Rechtsänderung gehandelt hat und hat die Frage geprüft, inwieweit auf die Rechtslage vor dem SGBVIuaÄndG abzustellen sei, bzw. inwieweit Vertrauensschutzgesichtspunkte die Beklagte verpflichten, den Kläger so zu behandeln, als wäre keine Neuberechnung vorgenommen worden, und hat diese Fragen verneint. Geht man jedoch - wie der Senat - mit dem BSG davon aus, dass richtigerweise auch bei den Rentenberechnungen nach dem RÜG bis Ende 1995 der 20-Jahreszeitraum spätestens am 31.12.1991 geendet haben muss, so führt dies zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass nicht nur der Neuberechnungsbescheid vom 19.11.1996, sondern auch der ursprüngliche Rentenbewilligungsbescheid vom 18.04.1994 bereits rechtswidrig war.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann allerdings nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Diese Zweijahresfrist war am 19.05.1998 bereits verstrichen, da insofern auf den ursprünglichen Bescheid vom 18.04.1994 abzustellen ist (vgl. BSG, Urt. v. 09.10.1986, SozR 1300 § 45 Nr. 25 = Breith. 1987 293 bis 296). Der neue Bescheid vom 19.11.1996 enthielt keine eigenständige Regelung hinsichtlich der rechtswidrigen Begünstigung, die ja in beiden Bescheiden gleichermaßen in der Zugrundelegung des falschen 20-Jahreszeitraumes gelegen hatte. Stellt sich die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung heraus und ist die Frist des § 45 Abs. 3 abgelaufen, so kann diese Frist nicht dadurch umgangen werden, dass kleine Korrekturen zugunsten des Betroffenen an dem Verwaltungsakt vorgenommen werden mit dem Resultat, dass nunmehr der ersetzende Bescheid für den Beginn der Zweijahresfrist maßgebend sein soll. Bei dem somit zugrunde zu legenden Betrag von 1.009,00 DM ("brutto") aus dem Bescheid vom 18.04.1994 ist freilich Folgendes zu beachten: Die Einarbeitung der beruflichen Rehabilitation ist weder erfolgt noch Gegenstand dieses Verfahrens. Die neu festzustellende Leistung wird in der Gemäßheit des § 48 Abs. 3 zu berechnen sein. Eine solche Saldierung kann freilich nicht für die Zeit vor dem 01.06.1998 vorgenommen werden, wie das mit dem Bescheid vom 25.03.1999, der ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens ist, erfolgte.

Was die Leistungen ab dem 01.06.1998 betrifft, so wirkt der Vertrauensschutz aus dem nicht aufhebbaren Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vom 18.04.1994 in der Weise fort, dass ein (Brutto-) Rentenbetrag von 1.009,00 DM bei Änderungen, Anpassungen, Wiederbewilligungen etc. jedenfalls nicht unterschritten werden darf. Der insofern nicht mehr aufhebbare Bescheid vom 18.04.1994 entfaltet insofern eine Sperrwirkung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und dem Rechtsgedanken, dass der Kläger durch seine - unbezifferte - Zuvielforderung keine besonderen Kosten verursacht hat.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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