L 4 RA 199/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 17 RA 148/00
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RA 199/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 17. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Die am ... geborene Klägerin absolvierte vom 01.09.1989 bis 12.02.1993 eine Lehre als technische Zeichnerin. In diesem Beruf war sie bis zum 12.08.1993 tätig. Anschließend absolvierte die Klägerin vom 01.10.1993 bis 30.09.1994 eine Fortbildung zur Bauzeichnerin. Seit dem 01.10.1998 ist sie Studentin an der Technischen Universität F ...

Am 06.08.1999 beantragte die Klägerin wegen einer angeborenen Fehlbildung des linken Armes mit Prothesenversorgung bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte zog im Verwaltungsverfahren ein chirurgisches Gutachten, erstattet am 05.10.1999 von Dr. D ..., bei. Dieser stellte folgende Gesundheitsstörungen fest: - Stummelbildung des linken Unterarmes mit Unterentwicklung der Muskulatur des Schultergürtels links und des linken Oberarms; - Skoliose der gesamten Wirbelsäule mit Belastungsinsuffizienz; - Chondropathia patellae beidseits.

Der Sachverständige gelangte zu der Feststellung, die Klägerin könne mit den bestehenden Gesundheitsstörungen noch als technische Zeichnerin vollschichtig tätig sein. Im Übrigen könne sie jede Tätigkeit verrichten, für die nur eine Hand gebraucht werde.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 27.10.1999 die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin - letztlich in Übereinstimmung mit der Ansicht ihrer Hausärztin Dipl.-Med. H ... - geltend, dass sie auf Grund ihres gesundheitlichen Zustandes nicht in der Lage sei, vollschichtig zu arbeiten. Sie sei schwerbehindert und benötige in ihrem abgeschlossenen Beruf als Bauzeichnerin auf Grund ihrer Behinderung die vier- bis fünffache Zeit gegenüber einem gesunden Versicherten. Auch das aufgenommene Studium bewältige sie nur im theoretischen Teil.

Die Beklagte wies den Widerspruch nach Beiziehung und Auswertung eines Befundberichtes der Hausärztin Dipl.-Med. H ... vom 20.11.1999 mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2000 zurück. Die dem Ablehnungsbescheid zu Grunde liegenden ärztlichen Unterlagen bestätigten, dass die Klägerin Tätigkeiten, für die sie eine der angeborenen Fehlbildung ihres linken Armes entsprechende Ausbildung absolviert und abgeschlossen habe, vollschichtig ausüben könne. Es sei nicht erkennbar, dass die Tätigkeit einer technischen Zeichnerin aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben worden sei. Die funktionelle Einarmigkeit sei in das Erwerbsleben eingebracht worden.

Mit der am 10.04.2000 vor dem Sozialgericht Chemnitz erhobenen Klage, führte die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Fehlbildung am linken Arm sei angeboren. Bereits während der praktischen Tätigkeit in der Ausbildung habe sich gezeigt, dass sie wesentlich mehr Zeit für alle Tätigkeiten benötige als Auszubildende ohne Behinderung. Im Sommer passe die Prothese oftmals nicht, auch würde der Armstumpf sich entzünden. Der dauerhaft belastete rechte Arm beginne dann ebenfalls zu schmerzen. Ihren erlernten Beruf als technische Zeichnerin könne sie nur teilweise ausüben, da die Bedienung numerisch gesteuerter Anlagen nicht mit einem Arm möglich sei. Sie sei daher berufsunfähig. Dies bestätige auch ihre Hausärztin.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 17.10.2000 ab. Die Klägerin sei nicht berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Die Klägerin habe den Beruf einer technischen Zeichnerin erlernt und diesen trotz ihrer Behinderung - wenn auch nur kurzzeitig - versicherungspflichtig ausgeübt. Selbst wenn sie diesen Beruf nicht mehr vollschichtig ausüben könne, sei sie zumutbar auf die Tätigkeit einer Pförtnerin zu verweisen. Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteile sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes. Die Einordnung eines bestimmten Berufes in das vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelte Mehrstufenschema erfolge aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür sei allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es komme auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs. 2 SGB VI genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufes, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben sei. Grundsätzlich könne der Versicherte im Vergleich zu seinem Beruf auf die nächst niedrigere Gruppe verwiesen werden. Nach diesen Kriterien sei der bisherige Beruf der Klägerin höchstens der Gruppe mit dem Leitberuf des sonstigen Ausbildungsberufes zuzuordnen. Die Klägerin habe zwar eine Ausbildung als technische Zeichnerin absolviert, jedoch habe sie - ausgehend von ihrer Erklärung und der Stellungnahme der Hausärztin - diese Tätigkeit von Anfang an nicht vollwertig ausüben können. Die Klägerin könne demzufolge auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden, die sich durch Qualitätsmerkmale, etwa das Erfordernis einer Einweisung und Einarbeitung oder die Notwendigkeit beruflicher und betrieblicher Vorkenntnisse, auszeichnen (vgl. KassKomm-Niesel § 43 SGB VI, Nr. 109). Ausgehend von der bei der Klägerin bestehenden funktionellen Einarmigkeit könne sie aber noch die Tätigkeit einer Pförtnerin, bei der es sich regelmäßig um körperlich leichte Tätigkeiten ohne Notwendigkeit der vollen Funktionstüchtigkeit beider Hände handele, vollschichtig ausüben. Soweit die Klägerin von Geburt an derart behindert sei, dass Erwerbsunfähigkeit bestehe, sei zwar nach § 44 Abs. 4 SGB VI die Möglichkeit der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gegeben. Die Klägerin erfülle jedoch nicht die für einen derartigen Rentenanspruch erforderliche Wartezeit von 20 Jahren. Nach dem Versicherungsverlauf der Klägerin seien bisher 75 Kalendermonate mit Beitragszeiten belegt.

Gegen das der Klägerin mit eingeschriebenem Brief vom 10.11.2000 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 08.12.2000 eingelegte Berufung. Die Klägerin trägt vor, sie sei gesundheitsbedingt nicht in der Lage vollschichtig einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Auch könne der Ansicht des Sozialgerichts zur Verweisung auf ungelernte Tätigkeit nicht gefolgt werden. Sie habe zusätzlich zu ihrer Ausbildung als technischer Zeichner mit IHK-Abschluss das Abitur abgelegt und eine berufliche Fortbildung als Bauzeichner absolviert. Bei dem Beruf einer technischen Zeichnerin handele es sich um einen anerkannten Ausbildungsberuf nach dem Berufsbildungsgesetz. Sie dürfe deshalb nicht auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden. Zudem sei neben den medizinischen Gründen auch die Lage am Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Sie sei bereits seit 1993 arbeitslos. Den Rentenantrag habe sie am 06.08.1999 gestellt. Dem Arbeitsamt sei es nicht gelungen, sie innerhalb eines Jahres entsprechend ihren Fähigkeiten und gesundheitlichen Verhältnisse zu vermitteln. Deshalb sei Berufsunfähigkeit festzustellen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 17.10.2000 und den Bescheid vom 27.10.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antragstellung eine Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Auch das im Berufungsverfahren eingeholte arbeitsmedizinische Gutachten bestätige ein vollschichtiges Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten als Rezeptionistin oder Pförtnerin.

Der Senat hat zur medizinischen Sachaufklärung ein arbeitsmedizinisches Gutachten, erstattet am 04.05.2001 von der Sachverständigen Dr. B ..., eingeholt. Sie gibt nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 26.04.2001 zusammenfassend folgende Gesundheitsstörungen an: - Fehlanlage des Unterarmes links mit Stummelbildung, voll ständigem Fehlen der linken Hand sowie Unterentwicklung der linksseitigen Schulter-Arm-Muskulatur; - Belastungsinsuffizienz bei Haltungsschwäche im Bereich der Wirbelsäule sowie eingeschränkte Drehbarkeit im Bereich BWS/LWS; - Chondropathia patellae beidseits ohne nennenswerte Beweg lichkeitseinschränkung; - Unterentwicklung der linksseitigen Unterschenkelmuskulatur ohne funktionelle Beeinträchtigung; - Neigung zu reaktiver Verstimmung mit Versagenshaltung infolge der körperlichen Behinderung; - kontrollbedürftiger Eisenspiegel im Serum.

Die Chondropathia patellae beidseits sowie die geringgradige Unterentwicklung der linksseitigen Unterschenkelmuskulatur führten derzeit noch nicht zu funktionellen Einschränkungen und hätten daher keinen negativen Einfluss auf die Erwerbsfähigkeit der Klägerin. Der erhöhte Eisenspiegel sollte zunächst hausärztlich kontrolliert werden. Die Sachverständige schätzt ein, dass die Klägerin trotz der genannten Gesundheitsstörungen Tätigkeiten leichter Natur auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie Tätigkeiten als Rezeptionistin oder Pförtnerin vollschichtig verrichten könne. In ihrem erlernten Beruf als technische Zeichnerin sei sie nicht vollwertig (und damit nicht vollschichtig) einsatzfähig. Die Klägerin habe zwar den Beruf einer technischen Zeichnerin erlernt, diesen aber bisher nicht unter wettbewerbsmäßigen Bedingungen ausgeübt. Das halbe Jahr Anstellung als technische Zeichnerin nach Abschluss der Lehre habe nach Angaben der Klägerin aus "Kurzarbeit 0 Stunden" bestanden, d.h. die Klägerin sei diese Zeit über zu Hause gewesen. Bei völligem Fehlen der zweiten Hand sei es nachvollziehbar, dass die Klägerin nicht alle Einzeltätigkeiten einer technischen Zeichnerin (Arbeiten am Zeichenbrett aber auch als CAD-Zeichnerin) mit der gleichen Geschwindigkeit wie ein Beidhändiger ausführen könne. Daraus resultiere ein psychischer Leistungsdruck, der die Versagensängste bei Neigung zu reaktiver depressiver Verstimmung infolge körperlicher Behinderung unzumutbar verstärken würde. Aus diesen Gründen sei das Leistungsvermögen der Klägerin als technische Zeichnerin mit halb- bis unter vollschichtig einzuschätzen. Der Vorgutachter Dr. D ... sei zwar in seinem Gutachten vom 05.10.1999 zu der etwas vagen Einschätzung, die Klägerin könne den Beruf einer technischen Zeichnerin vollschichtig ausüben, gekommen. Er habe dies aber vornehmlich mit der halbjährigen Berufstätigkeit nach Abschluss der Lehre begründet. Den Angaben der Klägerin zufolge habe diese Berufspraxis aber nicht stattgefunden und könne daher zur Begründung der Leistungsfähigkeit nicht herangezogen werden. Auf Grund der Fehlanlage der linken oberen Extremität könne die Klägerin keine Arbeiten verrichten, die die Gebrauchsfähigkeit beider Hände erfordern. Der linke Arm könne beim Tragen der Unterarmprothese lediglich zum groben Gegenhalten ohne besondere Kraftaufwendung benutzt werden. Schwere Lasten könnten auf Grund der genannten Gesundheitsstörung sowie wegen der Belastungsinsuffizienz der Wirbelsäule weder gehoben noch getragen werden. Arbeiten mit Publikumsverkehr seien aber trotz der Neigung zu reaktiver depressiver Verstimmung möglich, da die Ursache der Versagenshaltung weniger in der körperlichen Behinderung sondern vielmehr im Nichtausübenkönnen bestimmter Teiltätigkeiten zu suchen sei. Die Versagenshaltung dürfte auf den erlebten Misserfolgen bei nicht leidensgerechten Anforderungen beruhen. Bei einem Einsatz entsprechend des Leistungsbildes seien zusätzliche betriebsunübliche Arbeitspausen oder eine besonderen Medikamentation nicht erforderlich. Die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit der Klägerin sei nicht vermindert; die Wegefähigkeit nicht eingeschränkt. Die Klägerin sei nicht in der Lage, den Beruf einer technischen Zeichnerin unter wettbewerbsmäßigen Bedingungen vollwertig und vollschichtig auszuüben. Das beschriebene Leistungsbild bestehe mindestens seit dem Zeitpunkt der Rentenantragstellung. Die körperliche Behinderung liege bereits seit Geburt vor. Zur Stabilisierung des psychophysischen Gesundheitszustandes sei eine psychotherapeutische/psychologische Begleitung unbedingt anzuraten. Ebenso seien berufsfördernde Maßnahmen (z.B. als Eingliederungshilfe) nach Abschluss des Studiums zu empfehlen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 144, 151, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zutreffend die Klage abgewiesen.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 27.10.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2000, soweit darin die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU), abgelehnt worden ist. Die in diesem Verwaltungsakt ebenfalls ausgesprochene Versagung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) hat die Klägerin im Berufungsverfahren nicht mehr angegriffen.

Der Rentenanspruch der Klägerin richtet sich nach § 43 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung. Die ab 01.01.2001 geltende Neuregelung durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. I S. 1827) ist im vorliegenden Fall noch nicht anwendbar (vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI). Erforderlich für einen Rentenanspruch ist zunächst die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI) sowie das Vorhandensein von drei Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalls (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI). Darüber hinaus muss Berufsunfähigkeit vorliegen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI).

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts und der Beklagten kann sich die Klägerin nicht auf Berufsschutz in ihrem erlernten Beruf als technische Zeichnerin berufen, da sie diesen Beruf - sei es freiwillig oder erzwungenermaßen - vor Erfüllung der in § 43 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI geforderten allgemeinen Wartezeit von 60 Kalendermonaten mit Beitragszeiten (vgl. § 51 Abs. 1 SGB VI) aufgegeben hat. Dem Versicherungsverlauf ist zu entnehmen, dass die Klägerin bei Aufgabe der Tätigkeit als technische Zeichnerin am 12.08.1993 nur 48 Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten belegt hat. Damit hat sie die allgemeine Wartezeit, die einen Berufsschutz auslösen könnte, nicht erfüllt. Dazu hat das Bundessozialgericht (BSG) in der Vergangenheit wiederholt entschieden, dass ein Beruf, bei dessen Aufgabe die Wartezeit noch nicht erfüllt war, bei der Beurteilung der BU nicht berücksichtigt werden kann (vgl. BSGE 55, 85; BSGE 57, 291; BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 155; BSG, Beschluss vom 18.03.1998 B 13 RJ 171/97 B - m.w.N.). Diese Frage stellt sich hingegen nur, wenn - entgegen den Angaben der Klägerin - bejaht wird, dass sie in der Lage war, ihren erlernten Beruf vollwertig auszuüben.

Soweit dem Vortrag der Klägerin, auf den sich letztlich die Sachverständige Dr. B ... bezieht, gefolgt würde, dass sie auf Grund ihres angeborenen Leidens nie in der Lage war ihren erlernten Beruf als technische Zeichnerin vollwertig oder nur auf Kosten ihrer Gesundheit auszuüben, scheidet dieser als bisheriger Beruf im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI ohnehin aus. Es widerspräche schlechthin versicherungsrechtlichen Grundsätzen, wenn die Fähigkeit zur Verrichtung eines Berufes, der an sich nicht ausgeübt werden kann, Gegenstand der Versicherung ist (vgl. KassKomm-Niesel § 43 SGB VI RdNr. 31 m.w.N.). Bereits danach scheidet ein Anspruch auf Gewährung von BU-Rente aus, denn Berufsschutz liegt nicht vor und die Klägerin ist auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen.

Würde der Senat jedoch der Klägerin in ihrem erlernten Beruf als technische Zeichnerin Berufsschutz zubilligen, ist nach den medizinischen Ermittlungen Berufsunfähigkeit im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI ebenfalls nicht gegeben, denn seit dem Eintritt in das Berufsleben ist im Hinblick auf den gesundheitlichen Zustand der Klägerin eine wesentliche Änderung nicht eingetreten. Ein medizinisch begründeter Leistungsfall ergibt sich danach nicht.

Nach dem von der Sachverständigen Dr. B ... am 04.05.2001 erstatteten Gutachten, ist eine wesentliche gesundheitliche Verschlechterung des in das Berufsleben eingebrachten Leidens im Sinne eines sog. Leistungsknickes nicht belegt. Bei der Fehlanlage der linken oberen Extremität handelt es sich um ein angeborenes Leiden, welches sowohl durch funktionelle Prothese als auch durch Schmuckprothese auszugleichen versucht wird. Die auf Grund der Versagensängste und der Arbeitslosigkeit hinzugetretene Neigung zu reaktiver Verstimmung ist nicht in einem solchen Maße ausgeprägt, dass daraus eine Unfähigkeit zur Berufsausübung folgen würde. Vielmehr ist bei leidensgerechtem Einsatz der Klägerin davon auszugehen, dass dieses Störungsbild in den Hintergrund tritt. In diesem Fall dürfte die Klägerin weiterhin in der Lage sein in ihrem bisherigen Berufsbereich, in dem sie vom Arbeitsamt gefördert eine Fortbildungsmaßnahme zur Bauzeichnerin absolvierte, einer vollschichtigen Berufstätigkeit nachzugehen. Ein Leistungsfall, der vorliegend ausschließlich in einer Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes erblickt werden könnte, ist damit seit dem Zeitpunkt der Arbeitsaufgabe im August 1993 nicht eingetreten.

Darüber hinaus hat die Klägerin aber auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI nicht erfüllt, wonach in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen müssen. Geht man vom Leistungsfall seit Rentenantragstellung im August 1999 aus, hat sie in den letzten fünf Jahren Pflichtbeiträge (8/94 bis 7/99) für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit überhaupt nicht erbracht. Lediglich im Jahr 1993 sind für sechs Monate entsprechende Pflichtbeiträge nachgewiesen.

Aber auch wenn der Senat der - wie oben ausgeführt - nicht zutreffenden Ansicht der Beklagten zum Vorliegen von Berufsschutz und der Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen folgen würde, liegt bei der Klägerin Berufsunfähigkeit im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI nicht vor. Berufsunfähig sind danach Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Ausgangspunkt für die Prüfung von BU ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 107, 169). In der Regel ist dies die letzte nicht nur vorübergehende versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 130, 164).

Zwar ist entgegen der Ansicht des Sozialgerichts der von der Klägerin erlernte Beruf einer technischen Zeichnerin nach dem vom BSG zum qualitativen Wert des bisherigen Berufs entwickelten Mehrstufenschema der Gruppe mit dem Leitberuf eines Facharbeiters, die den Abschluss eines anerkannten Ausbildungsberufs mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren voraussetzt, zuzuordnen. Damit könnte die Klägerin sozial zumutbar nur auf Tätigkeiten der Anlernebene, die eine regelmäßige Ausbildung von drei Monaten bis zu zwei Jahren voraussetzt, verwiesen werden. Im Berufungsverfahren ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass aus berufskundlicher Sicht unter Berücksichtigung ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine Verweisung auf die Tätigkeit einer Telefonistin als zumutbar anzusehen wäre. Nach dem in einem anderen Verfahren von der Diplom-Verwaltungswirtin Hochheim erstellten, der Klägerin bekannt gemachten, berufskundlichen Gutachten handelt es sich bei der Tätigkeit einer Telefonistin um eine körperlich leichte Arbeit, die in geschlossenen Räumen, überwiegend im Sitzen verrichtet wird. Da sich eine Möglichkeit zum gelegentlichen Aufstehen und herumgehen selten ergibt, müsse ein Stütz- und Bewegungsapparat vorhanden sein, der es erlaubt, überwiegend sitzende Tätigkeiten auszuüben. Die Arbeit ist grundsätzlich auch für Einarmige geeignet. Moderne Telefonanlagen haben kein Tastenfeld mehr, sondern Sensoren; der Telefonhörer ist durch den Kopfhörer ersetzt. Schriftliche Notizen fallen nur in geringem Umfange an. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass die Klägerin, die erst 1993 ihre Berufsausbildung beendet und danach sowohl eine vom Arbeitsamt geförderte Anpassungsmaßnahme durchlaufen als auch im privaten Interesse das Abitur abgelegt hat, in der Lage ist, diese Tätigkeit innerhalb von drei Monaten Einarbeitungszeit vollwertig auszuüben. Aus medizinischer Sicht sind dem von Dr. B ... erstatteten Gutachten keine Hinweise zu entnehmen, die der Klägerin die Ausübung einer überwiegend sitzenden Tätigkeit nicht gestatten würden.

Damit ist eine zumutbare Verweisungstätigkeit gegeben, die auch bei Außerachtlassung der erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit ausschließen.

Im Ganzen sind bei der Klägerin die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit im Sinne des § 43 SGB VI nicht erfüllt. Aus den genannten Gründen blieb die Berufung daher ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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