L 4 RA 49/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 14 RA 22/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RA 49/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 18. Januar 2000 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am ...geborene Klägerin hatte von 1965 bis 1968 den Beruf einer Herrenmaßschneiderin erlernt. Nach der Ausbildung arbeitete sie zunächst bis Dezember 1970 in diesem Beruf. Danach übte sie Tätigkeiten als Maschinennäherin, Laborantin, Malereiarbeiterin und Verkäuferin aus. Von Februar 1983 bis März 1996 war sie als Sachbearbeiterin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden bei der Stadtverwaltung S ... beschäftigt. Seit April 1996 ist sie arbeitslos, ab März 1997 auch längere Zeit arbeitsunfähig.

Vom 08.10.1997 bis 05.11.1997 bewilligte die Beklagte ihr medizinische Leistungen zur Rehabilitation. Im Entlassungsbericht vom 17.11.1997 schildern die Ärzte das Bestehen eines chronischen BWS-LWS-Syndrom bei einer Torsionsskoliose von 18 Grad; eines überwiegend funktionellen zervikokraniellen bis zervikobrachialen Syndroms; eine überwiegend funktionelle Coxalgie rechts größer als links; einen Verdacht auf Osteoporose sowie einen Zustand nach mehrfachen Operationen wegen eines Klumpfußes rechts. Wegen einer beidseitigen Schwerhörigkeit trage die Klägerin seit etwa 30 Jahren Hörgeräte. Der Leistungsbeurteilung zufolge bestünden aus internistischer Sicht keine Einschränkungen; aus orthopädischer Sicht könne die Klägerin trotz der vorhandenen subjektiven Beschwerden und der erhobenen Befunde ihre letzte berufliche Tätigkeit als Sachbearbeiterin mit nur leichten körperlichen Belastungen weiterhin in vollem Zeitumfang ausüben. Wegen des Wirbelsäulenleidens sei schweres Heben und Tragen zu vermeiden. Wegen des Fußleidens könnten nur Arbeiten auf ebener Fläche ausgeübt werden. Zumutbar seien ihr noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, überwiegend im Sitzen. Ob sich aus dem Gehörleiden eine berufliche Einschränkung ergebe, müsse der Facharzt entscheiden. Die Klägerin wurde arbeitsfähig entlassen.

Am 30.03.1998 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Sie halte sich seit 1993 für erwerbsunfähig und leide an chronischer Schwerhörigkeit, erheblicher Skoliose, chronischen Schmerzen im Halswirbel-, Lendenwirbel- und Hüftbereich sowie an eingeschränkter Beweglichkeit in den Beinen und Osteoporose.

In einem im Rahmen des Rehabilitationsantrages erstatteten Gutachten des HNO-Arztes S ... vom 13.02.1998 bestätigte dieser das Bestehen einer chronischen Otitis media bilaterali (Zustand nach drei Operationen rechts) und einer kombinierten Schwerhörigkeit rechts stärker als links. Diese Gesundheitsstörungen limitierten die Leistungsfähigkeit der Klägerin nur dahingehend, dass keine Anforderungen an das Gehör gestellt werden sollten und demzufolge Arbeiten mit Publikumsverkehr zu vermeiden seien. Die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit der Klägerin sei durch die HNO- Erkrankung nicht eingeschränkt.

Nachdem die Beklagte Befundberichte der Internistin Dipl.-Med. K ..., der HNO-Ärztin SR Dr. H ... und der Orthopädin Dr. T ... eingeholt hatte, lehnte sie den Rentenantrag mit Bescheid vom 12.06.1998 ab. Bei Beurteilung der Erwerbsfähigkeit seien ärztlicherseits 1. Cervikalsyndrom ohne dauerhafte Leistungsminderung; 2. BWS-LWS-Syndrom bei Torsionsskoliose ohne Einfluss auf das Leistungsvermögen; 3. durch Hörgeräte kompensierte Schwerhörigkeit; 4. angeboerene Klumpfußdeformität festgestellt worden. Die Klägerin könne jedoch weiterhin in ihrem Berufsbereich vollschichtig tätig sein.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin eine erhebliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes geltend. Wegen ihrer gesundheitlichen Probleme habe sie bereits als Sachbearbeiterin nur halbtags gearbeitet. Deshalb habe ihr auch das Arbeitsamt keine Umschulung oder Anpassungsmaßnahme angeboten. Sie verfüge nicht über kaufmännische Fähigkeiten, denn als Sachbearbeiterin habe sie nur leichte Schreibarbeiten verrichtet und Essengeld kassiert.

Im Widerspruchsverfahren erstellte SR Dr. T ... am 21.09.1998 ein orthopädisches Gutachten. Danach bestehe ein Zervikalsyndrom, ein pseudoradikuläres Lumbalsyndrom, ein Zustand nach angeborenem Klumpfuß, Skoliose und Hüftgelenksdysplasie rechts. Aufgrund der Befunde sei die statische Belastbarkeit deutlich reduziert. Der Klägerin seien leichte Arbeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen nur noch halb- bis unter vollschichtig zumutbar. Heben und Tragen von Lasten über drei Kilo sowie Arbeiten auf Leitern und häufiges Treppensteigen seien zu vermeiden.

Die Beklagte folgte dieser Leistungseinschätzung nicht und wies den Widerspruch mit Bescheid vom 04.12.1998 zurück. Aus dem Gutachten ließen sich keine Funktionsstörungen ableiten, die die Annahme eines quantitativ reduzierten Leistungsvermögens rechtfertigen würden. Das Leistungsbild der Klägerin sei mit jeglicher Bürotätigkeit in Übereinstimmung zu bringen.

Mit der am 31.12.1998 erhobenen Klage machte die Klägerin weiterhin einen Anspruch auf Rentenleistungen geltend. Sie trug erneut vor, dass sich ihr körperlicher Zustand verschlechtert habe.

Das Sozialgericht zog zur Feststellung des Leistungsvermögens der Klägerin aktuelle Befundberichte der behandelnden Ärzte bei. Gesundheitliche Verschlechterungen wurden danach seit 1998 nicht verzeichnet. Ferner lag ein amtsärztliches Gutachten des Arbeitsamtes Riesa vom 08.04.1997 vor. Danach seien der Klägerin leichte Arbeiten mit Einschränkungen vollschichtig zumutbar. Durch Hörgeräteversorgung sei das Umgangssprachverständnis gegeben.

Das Sozialgericht holte ferner Gutachten auf orthopädischem und HNO-ärztlichem Fachgebiet ein.

Der Orthopäde Prof. Dr. F ... stellt in seinem Gutachten vom 21.06.1999 die bereits bekannten Diagnosen. Es bestehe weitgehende Übereinstimmung mit den Befunden des im Vorverfahren eingeholten orthopädischen Gutachtens von SR Dr. T ... Im Gegensatz zum Vorgutachter geht Prof. Dr. F ... jedoch davon aus, dass die Klägerin leichte körperliche Arbeiten vollschichtig ausführen könne. Geeignet wäre eine zeitweise sitzende Tätigkeit mit der Möglichkeit, vorübergehend aufzustehen und herumzulaufen. Einschränkungen seien hinsichtlich des Tragens von Lasten, eines häufigen Treppensteigens, der Arbeit auf Leitern und Gerüsten hinzunehmen. Mit diesen qualitativen Einschränkungen sei eine vollschichtige Tätigkeit möglich. Quantitative Einschränkungen seien ausgehend von den erhobenen Befunden nicht plausibel. Es bestünden auch keine Einschränkungen der Wegefähigkeit.

Der Sachverständige auf HNO-ärztlichem Fachgebiet PD Dr. F ... beschreibt in seinem Gutachten vom 12.10.1999 bei der Klägerin einen hochgradigen Hörverlust in Form einer kombinierten Schwerhörigkeit. Ohne die Versorgung mit einer technischen Hörhilfe sei eine Verständigung praktisch nicht möglich. Die hochgradige beidseitige Schwerhörigkeit schränke die physische und psychische Leistungsfähigkeit der Klägerin ein, da ihre kommunikativen Möglichkeiten reduziert seien. Eine ausreichende Kompensation des Hörverlustes sei durch die beidseitige Hörgeräteversorgung erzielt worden. Normalhörigkeit sei damit aber nicht erreicht. Kommunikationsverbessernd wirke bei der Klägerin die erlernte Fähigkeit des Lippenlesens. Einschränkungen der akustischen Leistungsfähigkeit und des Auftretens von Nebengeräuschen bestünden bei allen Tätigkeiten mit ausgeprägtem Publikumsverkehr einschließlich Telefonverkehr. Darüber hinaus ergäben sich keine Einschränkungen. Der Klägerin sei unter Beachtung dieser Einschränkungen eine vollschichtige Tätigkeit möglich.

Im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht überreichte die Klägerin ein Zertifikat über die Teilnahme an einem vom Arbeitsamt geförderten berufspraktischen Weiterbildungslehrgang für Kaufleute/kaufmännische Tätigkeiten, den sie in der Zeit vom 01.03.1999 bis 23.12.1999 absolvierte.

Das Sozialgericht gab der Klage mit Urteil vom 18.01.2000 in vollem Umfang statt und verurteilte die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide, der Kläger ab 01.04.1998 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Der Klägerin stehe nach § 44 Abs. 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu, da sie wegen Krankheit außer Stande sei, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteige. Trotz eines grundsätzlich vollschichtigen Leistungsvermögens für leichte körperliche Tätigkeiten sei der Klägerin wegen einer schweren spezifischen Leistungseinschränkung der Arbeitsmarkt verschlossen. Wegen des Klumpfußes könne sie nicht überwiegend stehen oder gehen, sondern müsste in wechselnder Körperhaltung und dabei größtenteils im Sitzen arbeiten. Dieses Leistungsbild ergebe sich aus den Angaben des Entlassungsberichts und aus den Ausführungen des gerichtlich bestellten Gutachters Prof. Dr. F ... Hinzu komme der ärztlicherseits bestätigte hochgradige Hörverlust, der Arbeiten mit Publikumsverkehr auch bei einer Versorgung mit technischen Hörhilfen ausschließe. Auch sei eine berufliche Nutzung des Telefons eingeschränkt. Dagegen könne sich die Klägerin im Gespräch verständigen. Das Sozialgericht ging davon aus, dass es für die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keinen zumutbaren Arbeitsplatz mehr gebe. Obwohl die Klägerin als angelernte Sachbearbeiterin keinen Berufsschutz genieße, müsste wegen der beschriebenen Leistungseinschränkungen eine Verweisungstätigkeit benannt werden. Der Beurteilung der Beklagten, dass das bestehende Leistungsbild der Klägerin mit jeglichen Bürotätigkeiten in Übereinstimmung zu bringen sei, folgte das Sozialgericht jedoch nicht. Unter Zugrundelegung des beschriebenen Leistungsbildes sei die Klägerin allenfalls in Teilbereichen eines Büroberufes einsetzbar und zwar für einfache Sachbearbeitertätigkeiten ohne Publikum und ohne Arbeiten am Telefon. Verweisungstätigkeiten, die in diesen Bereich fallen würden, drängten sich dem Sozialgericht jedoch nicht auf. Auch kaufmännische Tätigkeiten, für die die Klägerin umgeschult worden sei, könnte sie nicht wettbewerbsfähig leisten. Leichte Montier- oder Sortierarbeiten, die keine Anforderungen an das Gehör stellen würden, kämen ebenfalls nicht in Betracht, weil die Klägerin zwar längere Zeit sitzen, aber gesundheitsbedingt auf die Möglichkeit angewiesen sei, gelegentlich die Körperhaltung zu wechseln. Da eine konkrete geeignete Verweisungstätigkeit nicht benannt werden könne, bestehe ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Gegen das der Beklagten am 09.02.2000 zugestellte Urteil richtet die am 25.02.2000 eingelegte Berufung.

Die Beklagte hat vorgetragen, sowohl der orthopädische Fachgutachter Prof. Dr. F ... in seinem Gutachten vom 21.06.99 als auch der Bericht der orthopädischen Fachklinik vom 17.11.97 und das Arbeitsamt Riesa in seinem ärztlichen Gutachten vom 08.04.97 seien von einem vollschichtigen Leistungsvermögen der Klägerin ausgegangen. Auch der HNO-Gutachter PD Dr. F ... habe am 12.10.99 ein vollschichtiges Leistungsvermögen bestätigt. Technische Hörhilfen würden getragen, engten das Leistungsvermögen aber nur in qualitativer Hinsicht ein. Zu bedenken sei auch, dass das Arbeitsamt eine berufliche Maßnahme (Fortbildung zur kaufmännischen Sachbearbeiterin) durchgeführt habe. Die Klägerin sei danach durchaus kommunikationsfähig und könne Umgangssprache verstehen. Mit dieser Leistungsfähigkeit sei die Klägerin durchaus in der Lage Büroarbeiten zu verrichten. Es liege lediglich eine Einschränkung insoweit vor, als Tätigkeiten mit Publikumsverkehr (einschließlich Telefonverkehr) gesundheitsbedingt für die Klägerin nicht in Frage kämen. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts gebe es im Bürobereich Beschäftigungsmöglichkeiten, die nicht mit dem Bedienen eines Telefons bzw. mit Publikumsverkehr verbunden seien. Zahlreiche Büroarbeiten würden nach schriftlichen Anweisungen und Vorlagen erledigt. In diesem Zusammenhang wären z.B. Büroarbeiten zu nennen, bei denen auf schriftliche Bestellungen einzugehen, Statistiken zu führen oder Abrechnungen zu bearbeiten seien. Für eine Beschäftigung dieser Art besitze die Klägerin ausgehend von der bis Dezember 1999 durchgeführten berufspraktischen Weiterbildung für Kaufleute/kaufmännische Tätigkeiten auch die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten. Da diese Maßnahme vom Arbeitsamt gefördert worden sei, sei gleichzeitig belegt, dass auch die Arbeitsverwaltung die Klägerin trotz ihrer Leistungseinschränkung für wettbewerbsfähig halte. Den medizinischen Befunden sei zu entnehmen, dass die Klägerin objektiv trotz ihrer Schwerhörigkeit einen Arbeitsplatz im Bürobereich ausfüllen könne. Somit liege weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit (§§ 43, 44 SGB VI) vor.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 18.01.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 18.01.2000 zurückzuweisen.

Der Senat hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte sowie eine Arbeitgeberauskunft der Stadtverwaltung Strehla zur Art der bisherigen Sachbearbeitertätigkeit der Klägerin eingeholt.

Dem Bericht der HNO-Ärztin SR Dr. H ... vom 11.10.2000 ist eine Befundänderung nicht zu entnehmen. Bei der Klägerin bestehe eine mittel- bis hochgradige Hörstörung beidseits. Trotz des Tragens zweier Hörgeräte sei die Kommunikation erschwert. Aus HNO-ärztlicher Sicht bestünden gegen eine vollschichtige Büroarbeit ohne Publikumsverkehr und ohne Telefonate keine Bedenken.

Auch die Orthopädin Dr. T ... beschreibt in dem Bericht vom 19.10.2000 die bekannten Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule und der Hüftgelenke. Die Befunde seien chronisch und hätten sich nicht verändert. Die Klägerin sei in der Lage leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig mit Unterbrechung ohne schweres Heben und Tragen zu verrichten. Fehlhaltungen seien zu vermeiden.

Lediglich die Hausärztin Dipl.-Med. K ... geht in dem Befundbericht vom 13.11.2000 davon aus, dass die Klägerin monotone Körperhaltungen wegen der chronischen Schmerzen nicht über einen längeren Zeitraum toleriere. Auch eine Bürotätigkeit stelle eine dauerhafte Belastung des Bewegungs- und Stützapparates durch monotone Körperhaltung dar. Die Klägerin sei nicht in der Lage eine solche Tätigkeit auszuüben. Eine Änderung des Gesundheitszustandes gegenüber früheren Berichten sei nicht eingetreten. Es sei lediglich im Mai 2000 wegen Schmerzen und Kältegefühl im rechten Bein ein angiologischer Befund erhoben worden, der eine periphere arterielle Verschlusskrankheit ausschließt.

Nach der Arbeitgeberauskunft der Stadtverwaltung Strehla vom 08.11.2000 war die Klägerin bis 31.03.1996 als Sachbearbeiterin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden beschäftigt. Sie habe die Tätigkeit wie ein Facharbeiter mit einer Berufsausbildung von mehr als zwei Jahren vollwertig ausgeübt und sei nach BAT-Ost, Vergütungsgruppe VII bezahlt worden. Gesundheitliche Einschränkungen seien nicht bekannt. Die Tätigkeit habe folgende Arbeiten umfasst: Portionsmeldungen an die Küche, Essengeld- und Betreuungsgeldabrechnung, Wäsche, Einkäufe Wirtschaftsbedarf, telefonische Bestellungen, Rechnungsführung, Schreibarbeiten Bürokasse sowie Inventur.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.04.1998 zu gewähren.

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts ist die Klägerin im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung nicht erwerbsunfähig. Danach sind Versicherte erwerbsunfähig, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 DM übersteigt. Nach § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI ist nicht erwerbsunfähig, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann. Dabei ist nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Ausgehend von dieser Regelung ist die Klägerin nicht erwerbsunfähig, denn nach den im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren erhobenen Befunden und eingeholten Gutachten liegt bei der Klägerin ein grundsätzlich vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten vor. Zwar bestehen nach dem Gutachten des Orthopäden Prof. Dr. F ... vom 21.06.1999 wegen des angeborenen Klumpfußes rechts und der rechts-konvexen Skoliose der Brust- und Lendenwirbelsäule geringen Grades mit lokalem Schmerzsyndrom Einschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates, so dass der Klägerin nur eine vorwiegend sitzende Tätigkeit mit der Möglichkeit eines gelegentlichen Aufstehens und Herumlaufens zumutbar ist. Auch hinsichtlich des Tragens von Lasten sowie häufigen Treppensteigens liegen weitere Einschränkungen vor. Unter Berücksichtigung dieses Leistungsbildes ist der Klägerin jedoch eine vollschichtige Tätigkeit für leichte körperliche Tätigkeiten zumutbar.

Auch der Sachverständige auf HNO-ärztlichem Fachgebiet PD Dr. F ... bestätigte in seinem für den Senat nachvollziehbaren und schlüssigen Gutachten vom 12.10.1999 trotz des bestehenden hochgradigen Hörverlustes in Form einer kombinierten Schwerhörigkeit mit Notwendigkeit einer beidseitigen Hörgeräteversorgung ein vollschichtiges Leistungsvermögen der Klägerin. Einschränkungen bestehen allein für Tätigkeiten mit ausgeprägtem Publikumsverkehr einschließlich einer regelmäßigen Benutzung des Telefons. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen sieht auch das zuständige Arbeitsamt in dem am 08.04.1997 erstatteten amtsärztlichen Gutachten die Klägerin als vollschichtig für leichte Arbeiten einsatzfähig an. Deshalb hat es auch die 9-monatige berufspraktische Weiterbildung der Klägerin für kaufmännische Tätigkeiten in der Zeit vom 01.03.1999 bis 23.12.1999 gefördert.

Zutreffend geht das Sozialgericht zwar davon aus, dass bei der Klägerin wegen der Schwerhörigkeit eine schwere spezifische Leistungseinschränkung besteht, die trotz vollschichtiger Leistungsfähigkeit der Klägerin zur Benennung einer den Leistungseinschränkungen gerecht werdenden Verweisungstätigkeit führt. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts sind aber derartige, der Klägerin zumutbare Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhanden, die die Klägerin unter Nutzung ihrer bisherigen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten vollwertig auszuüben vermag. Zutreffend weist das Sozialgericht zwar darauf hin, dass der Klägerin unter Zugrundelegung des beschriebenen Leistungsbildes einfache Sachbearbeitertätigkeiten ohne Publikumsverkehr und ohne Arbeiten am Telefon zumutbar sind. Der Schlussfolgerung des Sozialgerichts, dass derartige Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stünden, schließt sich der Senat jedoch nicht an.

So ist der Klägerin, die nach der Arbeitgeberauskunft seit 1983 bis zu ihrer Arbeitslosigkeit im April 1996 angelernte Sachbearbeitertätigkeiten mit einer Vergütung nach BAT-Ost Vergütungsgruppe VII verrichtete, auch nach den im Berufungsverfahren beigezogenen Befundberichten weiterhin eine einfache Sachbearbeitertätigkeit als Mitarbeiterin einer Poststelle oder als Mitarbeiterin in einer Registratur vollschichtig zumutbar.

Nach den beigezogenen und auch der Klägerin bekannt gemachten berufskundlichen Unterlagen handelt es sich sowohl beim Mitarbeiter einer Poststelle als auch beim Mitarbeiter in der Registratur um körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen im Wechsel der Körperhaltung zwischen Sitzen, Gehen und Stehen, so dass Zwangshaltungen vermieden werden können. Diese Tätigkeiten sind, entgegen der Ansicht des Sozialgericht, weder mit regelmäßigem Publikums- noch Telefonverkehr verbunden.

So ist die Tätigkeit einer Mitarbeiterin der Poststelle durch folgende Aufgaben gekennzeichnet: - Entgegennahme eingehender Sendungen einschließlich der Haus post und Öffnen; - Prüfen auf Vollständigkeit, Eingangsvermerk sowie Weiterlei tungsvermerk anbringen und entsprechend sortieren; - Verteilen der Poststücke innerhalb des Hauses; - Einsammeln, Sortieren, Kuvertieren, Verpacken, Frankieren der Ausgangspost; - Eintragen von Wert-/Einschreibesendungen in Ausgangsbücher; - Ggf. Transport zum Postamt, wobei diese Aufgabe typischerwei se nur in kleinen Betrieben auch dem Mitarbeiter Poststelle zukommt.

Auch der Mitarbeiter in der Registratur erledigt einfache und routinemäßige Bürohilfstätigkeiten nach Anweisung im kaufmännischen, verwaltungsbezogenen und technischen Bereich von Behörden, Betrieben sowie bei sonstigen Organisationen und Einrichtungen.

Beide benannten Verweisungstätigkeiten stehen im öffentlichen Dienst und in der privaten Wirtschaft in nennenswertem Umfang zur Verfügung und werden nach BAT Vergütungsgruppe VII bis X und nach den Gehaltsgruppen 1 oder 2 des jeweiligen Tarifbereichs vergütet.

Nach Überzeugung des Senates ist die Klägerin unter Zugrundelegung ihres Restleistungsvermögens in der Lage , diese benannten Tätigkeiten vollschichtig auszuüben. Dazu ist sie auch nach der vom Arbeitsamt geförderten berufspraktischen Weiterbildung qualifiziert. Damit ist der Klägerin trotz Bestehens einer schweren spezifischen Leistungseinschränkung (schwere Hörschädigung mit der Notwendigkeit beidseitiger Hörgeräteversorgung) der Arbeitsmarkt nicht verschlossen. Sie ist damit bei vollschichtigem Leistungsvermögen nicht erwerbsunfähig.

Hierbei kommt es nicht darauf an, ob eine geeignete freie Stelle sofort vermittelt werden kann und ob es am Wohnort der Klägerin geeignete Einsatzmöglichkeiten gibt. Bei vollschichtiger Einsatzmöglichkeit obliegt das Arbeitsplatzrisiko der Arbeitslosenversicherung und nicht der Rentenversicherung (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 9).

Sie ist auch nicht berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI a.F., denn als angelernte Sachbearbeiterin unterliegt sie keinem qualifizierten Berufsschutz und kann auch insoweit auf die benannten Tätigkeiten verwiesen werden.

Ebenso besteht kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB VI der Fassung ab 01.01.2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. S. 1827), denn die Klägerin ist nach den übereinstimmenden ärztlichen Feststellungen in der Lage unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbsfähig zu sein.

Aber auch Rentenleistungen nach der Übergangsbestimmung des mit dem vorgenannten Gesetz ab 01.01.2001 neu gefassten § 240 SGB VI kommen nicht in Betracht. Zwar ist die Klägerin vor dem 02.01.1961 geboren; sie ist jedoch nicht berufsunfähig im Sinne des § 240 Abs. 2 SGB VI.

Aus den genannten Gründen war auf die Berufung das Urteil des Sozialgerichts Dresden aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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