L 5 RJ 214/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 9 RJ 664/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 214/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 08. Februar 2000 abgeändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstellen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger ab dem 01. Januar 1992 weiterhin in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert ist und ob die Berechtigung der Beklagten besteht, für den Zeitraum von Dezember 1993 an Pflichtbeiträge zu erheben.

Der Kläger betrieb aufgrund einer Gewerbeerlaubnis vom 08. November 1990 ab Dezember 1990 in selbständiger Tätigkeit einen Imbisswagen und erzielte in den Kalenderjahren 1992 bis 1994 Gewinne in Höhe von 9.398,00 DM, 15.805,00 DM und 36.302,00 DM. 1991 erzielte er Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 14.728,00 DM. Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtete er nicht. Im Februar 1991 schloss er eine private Rentenversicherung ab.

Am 16. Januar 1990 wurde an den Kläger im maschinellen Verfahren eine Versicherungsnummer vergeben. Im Jahr 1994 wurde er von der Beklagten gebeten, zur Überprüfung seiner Personaldaten vorzusprechen. Als er daraufhin mitteilte, er sei seit 1990 von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung befreit, wurde die Angelegenheit zurückgestellt.

Mit Bescheid vom 31. Juli 1998, dem eine Beitragsrechnung für die Zeit vom 01. Dezember 1993 bis 01. Januar 1998 beigefügt war, stellte die Beklagte fest, der Kläger unterliege in seiner selbständigen Tätigkeit weiterhin der Versicherungspflicht, weil er am 31. Dezember 1991 im Beitrittsgebiet versicherungspflichtig gewesen sei.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 23. November 1998 zurück, nachdem sie zuvor mit dem zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewordenen Bescheid vom 25. August 1998 den Antrag vom 27. Juli 1998 auf Beendigung der Versicherungspflicht ab Januar 1992 abgelehnt hatte.

Auf die am 22. Dezember 1998 eingelegte Klage hat das SG Dresden mit Urteil vom 08. Februar 2000 festgestellt, dass der Kläger nach dem 31. Dezember 1994 nicht mehr der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt und die Beitragsforderung sich auf 7.096,35 DM reduziert. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zu, er könne eine Beendigung der Versicherungspflicht mit Wirkung zum 31. Dezember 1994 verlangen. Ein Versicherungsträger sei dann, wenn ein Beratungsersuchen nicht vorliege, gehalten, den Versicherten bei Vorhandensein eines konkreten Anlasses von sich aus "spontan" auf klar zu Tage liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt würden. Die Zuweisung einer Versicherungsnummer für den Kläger sei bereits im Oktober 1990 erfolgt. Daher sei die Beklagte in der Lage gewesen, zu eruieren, dass seit Ende 1990 Beitragsleistungen nicht mehr erbracht und andere rentenrechtliche Zeiten nicht gespeichert worden seien. Wegen des "Brachliegens" des Versicherungsverhältnisses und der weitreichenden Konsequenzen, die sich aus dem Versäumen der in § 229 Abs. 1 S. 2 SGB VI geregelten Antragsfrist ergeben würden, sei eine Verpflichtung der Beklagten zur gezielten Prüfung der konkreten Betroffenheit der bei ihr Versicherten ohne Rücksicht auf ein individuelles Beratungsbedürfnis gegeben, welche ihr im Zeitalter papierarmer, weil rechnergestützter Sachbearbeitung nicht unzumutbar sei. Dieser aus der so festgestellten Pflichtverletzung der Beklagten folgende sozialrechtliche Herstellungsanspruch werde weder durch die Fehlinformation des Finanzberaters des Klägers noch die Kenntnis des Klägers von der für seine Ehefrau bestehenden Befreiungsmöglichkeit ausgeschaltet. Es könne im Übrigen offen bleiben, inwieweit sich aus dem wahrscheinlich aus Anlass der Grobdatenspeicherung zustande gekommenen Kontakt der Beteiligten und der Offenbarung einer vermeintlich bereits 1990 vorgenommenen Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung durch den Kläger eine Modifizierung des entscheidungserheblichen Sachverhalts ergebe.

Gegen das der Beklagten am 13. Juli 2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 09.08.2000 eingelegte Berufung. Sie meint, ein konkreter Anlass zur Beratung gemäß § 14 SGB I habe nicht vorgelegen. Die Vergabe der Versicherungsnummer sei am 18. Oktober 1990 erfolgt. Der Gewerbeantrag sei erst am 24. Oktober 1990 gestellt worden. Die telefonische Mitteilung des Klägers, dass bereits 1990 eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgt sei, habe keine Pflicht zu weitergehender Beratung nach sich gezogen, da diese Aussage plausibel erschienen sei. Bei Befreiungen durch die Überleitungsanstalt seien entsprechende Daten in das meist nicht vorhandene Versicherungskonto nicht eingespielt worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 08. Februar 2000 abzuändern, die Klage abzuweisen und die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen; das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 08. Februar 2000 abzuändern, den Bescheid vom 31. Juli 1998 und vom 25. August 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. November 1998 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger seit dem 01. Januar 1992 nicht mehr der Versicherungspflicht der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten gegen die im Urteil des SG festgestellte Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 01. Dezember 1995 und die damit verbundene Reduzierung der Beitragsforderung der Beklagten ist begründet. Die Anschlussberufung des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Nach § 229a Abs. 1 SGB VI bleiben diejenigen, die am 31. Dezember 1991 im Beitrittsgebiet versicherungspflichtig waren und nicht bereits nach §§ 1-3 SGB VI versicherungspflichtig sind, in der jeweiligen Tätigkeit versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Der Kläger war nach den Rechtsvorschriften des Beitrittsgebietes, § 10 des Gesetzes über die Sozialversicherung (SVG) vom 28. Juni 1996 (GBl. I DDR S. 486) i. V. m. § 19 Abs. 1 der Verordnung über die Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik vom 08. Dezember 1977 (GBl. I DDR 1978, S. 1) versicherungspflichtig, weil sein im Jahre 1991 erzielter Verdienst den Mindestbetrag von 900,00 DM erreichte. Nach Art. 35 Abs. 3 i. V. m. Art. 42 Abs. 8 des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜG vom 25. Juli 1991, BGBl. I, 1605 ff.) waren lediglich diejenigen Selbständigen von § 10 SVG nicht mehr erfasst, welche nach dem 31. Juli 1991 die selbständige Tätigkeit aufgenommen hatten. Der Kläger hatte seine selbständige Tätigkeit jedoch vor diesem Stichtag begonnen. Ein Antrag nach § 20 SVG wurde nicht gestellt.

Die Versicherungspflicht des Klägers zur gesetzlichen Rentenversicherung ist nicht zum 01. Januar 1992 entfallen, da bis zum 30. Juni 1992 kein Befreiungsantrag gestellt worden ist, § 229a Abs. 1 S. 3 SGB VI. Ein entsprechender Antrag wurde auch nicht bis zur letztmöglichen gesetzlichen Frist, dem 31. Dezember 1994, eingereicht (§ 229a Abs. 1 S. 2 SGB VI). Diese Fristversäumnis kann nicht im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs beseitigt werden, wie dies das SG für die letztgenannte Frist angenommen hat. Nach diesem von der Rechtsprechung entwickelten Institut (vgl. hierzu insbesondere BSG 60, 158, 164 m. w. N.) könnte der Kläger so gestellt werden, als ob er den Antrag bereits bis zum 30. Juni 1992 gestellt hätte. Voraussetzung hierfür wäre jedoch, dass die Beklagte ihm gegenüber eine Aufklärungspflicht verletzt hätte und diese Pflichtverletzung ursächlich für den dadurch eingetretenen sozialrechtlichen Schaden - hier: die aus Sicht des Klägers überflüssigen Beitragsleistungen - gewesen wäre (vgl. BSG a. a. O. m. w. N.).

Auf eine Verletzung der allgemeinen Aufklärungspflicht nach § 13 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) kann der Kläger einen solchen Anspruch nicht stützen. Nach dieser Vorschrift sind die Leistungsträger, ihre Verbände und die sonstigen im Sozialgesetzbuch (SGB) gennanten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Bevölkerung über ihre Rechte und Pflichten nach dem SGB aufzuklären. Unter "Aufklärung" ist dabei die allgemeine und abstrakte Unterrichtung der Bevölkerung, insbesondere aller von den sozialen Rechten und Pflichten möglicherweise Betroffenen, die im Einzelnen in der Regel nicht genannt werden können, zu verstehen (vgl. Hauck/Haines SGB I § 13 RZ 5). Diese Aufklärungspflicht begründet jedoch regelmäßig kein subjektives Recht des Versicherten gegenüber dem Versicherungsträger; aus einer möglichen Verletzung erwächst dem Betroffenen daher grundsätzlich kein Herstellungsanspruch (vgl. BSGE 67, 90, 94 m. w. N., BSG, Urteil vom 21. April 1993 - 5 RJ 58/91). Es ist weder ersichtlich noch vom Kläger vorgetragen, dass er aufgrund allgemeiner Informationen der Beklagten falsch informiert worden wäre und deshalb von einer Antragstellung abgesehen hätte.

Die Beklagte hat auch dem Kläger gegenüber keine aus § 14 SGB I folgende Pflicht zur Einzelberatung verletzt. In der Regel wird eine solche Pflicht erst durch ein entsprechendes Begehren ausgelöst (vgl. BSG SozR 1200 § 14 Nr. 9 und 12). Allerdings ist der Versicherungsträger gehalten, auch dann, wenn kein Beratungsbegehren vorliegt, den Versicherten bei Vorliegen eines konkreten Anlasses aus sich heraus "spontan" auf klar zutage liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und die von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt würden (BSG SozR Nr. 3 zu § 1233 RVO; BSG SozR 1200 § 14 Nr. 15 und 25; SozR 3-1200 § 14 Nr. 5 und 6). Ein solcher konkreter Antrag kann sich aus einem laufenden Rentenfeststellungsverfahren (BSGE 46, 124, 126; BSG SozR 5750 Art. 2 § 6 Nr. 4) oder nach dem erfolglosen Abschluss eines Rentenverfahrens bzw. eines Rechtsstreits über die beanspruchte Rente ergeben (BSGE 41, 126, 128). Ein in diesem Sinne beschriebener konkreter Anlass lag im Hinblick auf den Kläger nicht vor. Es handelte sich weder um ein laufendes Verfahren noch um eine konkrete Kontenklärung eines einzelnen Versicherungsfalles. Die Beklagte befand sich vielmehr im Vorfeld, nämlich noch in der Feststellung des Versichertenstammes. Der Kläger als Versicherter war bei der Beklagten lediglich als "Versicherungsnummer" geführt, ohne dass sein Status im Einzelnen bereits festgestellt worden war. Ein konkreter Anlass zur Beratung ergab sich für die Beklagte nicht daraus, dass das SGB VI im Beitrittsgebiet neu eingeführt und die für versicherungspflichtige Selbständige im Beitrittsgebiet eine besondere Befreiungsmöglichkeit mit einer - soweit die Befreiung bereits ab dem 01. Januar 1992 erfolgen sollte - kurzen Antragsfrist neu eingeführt wurde. Die angefochtene Entscheidung geht unzutreffend nicht mehr von einem erkennbaren Beratungsanlass aus, sondern konstituiert eine Verpflichtung des Versicherungsträgers zur gezielten Prüfung der konkreten Betroffenheit eines Versicherten von bestimmten Rechtslagen ohne Rücksicht auf ein individuelles Beratungsbedürfnis. Der Beklagten würde damit die Verpflichtung auferlegt, jegliche Rechtsänderungen zu analysieren und ihren Rentenbestand zu beobachten bzw. im Fall der selbständigen Gewerbetreibenden den Aufbau des Kontenstammes nicht wegen des Beitragseinzuges, sondern wegen der mit dem Aufbau verbundenen Beratung über evtl. gewünschte Befreiungsoptionen bevorzugt durchzuführen. Die spezielle Beratungspflicht des § 14 SGB I würde damit ungerechtfertigt und ohne Not zu einer allgemeinen - jedoch subjektivierten - Informationspflicht erweitert. Das "brach- liegende Versicherungsverhältnis" bzw. "Leerbleiben des Versicherungskontos" als solches ist kein Anlass, dass sich der Rentenversicherungsträger konkret an den hiervon betroffenen Versicherten wenden müsste. Dieses würde gerade in der "papierarmen" Verwaltung zu dem führen, was nicht sinnhaft sein kann, nämlich von der Verwaltung einer "Papierflut" an diejenigen senden zu lassen, die gerade keinen aktuellen Bezug zu ihrem Rentenversicherungsträger aufweisen. Im Grundsatz ist insoweit, als Rechtsänderungen eintreten und nicht gerade bei der Bearbeitung des Versicherungskontos dem Sachbearbeiter erkennbar werden kann, dass der konkrete Versicherte hiervon betroffen sein könnte, von der Publizität der Gesetze auszugehen. Das bedeutet, dass der Kläger so zu stellen ist, als hätte er das Gesetzblatt gelesen. Die Pflicht zur Veröffentlichung der Gesetze obliegt dem Gesetzgeber. Diese Pflicht ist durch eine Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt erfüllt. Die Beklagte als Exekutive hat demgegenüber lediglich die Aufgabe, die Gesetze anzuwenden. Ihr obliegt keinesfalls eine eigene Pflicht, Gesetze zu veröffentlichen und auch keine daraus abzuleitende weitere Pflicht, die Betroffenen konkret und bezogen auf den Einzelfall über einzelne Gestaltungsmöglichkeiten zu informieren. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Gesetzgeber in dem betreffenden Gesetz eine solche Regelung vorgesehen hätte. Zwar sind ausreichende Informationen und Beratung von zentraler Bedeutung für das Funktionieren des sozialen Leistungssystems (vgl. z. B. BSG SozR 5070 § 10 Nr. 30 m. w. N.). Über die - allgemeine - Pflicht zur Aufklärung im Rahmen des § 13 SGB I in Form einer planmäßigen, allgemeinen Information der Bevölkerung über die sich aus dem Sozialgesetzbuch ergebenden Rechte und Pflichten hinaus, lässt sich ohne weiteren konkreten Anlass eine Beratungspflicht allein aus einer gesetzlichen Neuregelung des Sachverhalts nicht begründen (vgl. u. a. Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 19. November 1999 - L 3 RA 58/98, "Die Sozialversicherung" 2000, S. 334 f.). Es hätte dem Kläger oblegen, an die Beklagte heranzutreten, um seinen Beratungsbedarf zu offenbaren. Wenn er auf die Auskunft einer Finanzberatung vertraute, so war dies sein Risiko.

Soweit der Kläger darauf abstellt, dass die Beklagte ihn anlässlich des Kontenklärungsversuchs im Jahre 1994 auf die Antragsfrist zum 31. Dezember 1994 habe hinweisen müssen, ist dem nicht zu folgen. Wenn der Kläger dem Rentenversicherungsträger in einem Zeitraum, in welchem der Antrag noch möglich gewesen wäre, seine fehlerhafte Subsumtion als Tatsache mitteilt, dass er ab 1990 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sei, so schließt dies einen den Rentenversicherungsträger zur Kenntnis gelangenden konkreten Beratungsbedarf gerade aus.

Ein Herstellungsanspruch resultiert auch nicht aus einer aus § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI folgenden Hinweispflicht. Nach dieser Vorschrift sollen von den Trägern der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hingewiesen werden, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen. Diese Norm greift bereits dem Wortlaut nach nicht, da der Kläger keine Rentenleistung beansprucht, sondern die Befreiung von Verbindlichkeiten erlangen will. Zudem fehlt es an dem Tatbestandsmerkmal "in geeigneten Fällen":

Mit dem Erlass der genannten Vorschrift hat der Gesetzgeber die Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftspflicht gemäß § 13 bis 15 SGB I für einen Teilbereich des Sozialrechts konkretisiert, wobei die Beschränkung auf "geeignete Fälle" ihren Grund darin hat, dass die Informationspflicht wegen der unzureichenden Unterlagen nicht generell erfüllbar ist (vgl. Amtliche Begründung, BT-DrS 11-5530 S. 78 zu § 116 Abs. 6 und S. 108 zu Art. 1 § 11; Hauck/Haines, SGB VI Kommentar M050 S. 78 und Rn. 12, 13 zu § 115). Mithin kommt die Nachholung einer versäumten Antragstellung über § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI nur dann in Betracht, wenn die Adressaten derartiger Hinweise - anders als bei § 13 SGB I - bestimmbar sind und die Regelung den Schutz der einzelnen bezweckt. Dann soll den Versicherten auch ein subjektives Recht auf Erteilung eines Hinweises zustehen (BSG, SozR 3-2600 § 115 Nr. 1).

Dieses Ergebnis wird auch getragen von der historischen Entwicklung des Begriffs "geeignete Fälle". In den Beratungen zum Rentenreformgesetz 1992 war im Hinblick auf die Möglichkeit der automatisierten Datenverarbeitung erwogen worden, anzuordnen, Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung von Amts wegen zu erbringen. Angesichts der vermuteten Gefahr größerer Nachzahlungen wurde dies jedoch nicht umgesetzt (BSGE a. a. O.). Vermittelnd schlug dann der Bundestagsausschuss für Arbeit und Sozialordnung vor, es solle ein entsprechender Hinweis in den Fällen erfolgen, in denen es nahe liege, dass Versicherte Leistungen in Anspruch nehmen wollten, wie z. B. bei der Regelaltersrente und den Hinterbliebenenrenten. Dies sei ein geeigneter Bereich zum Ausbau einer konkreten Informationspflicht (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung - 11. Ausschuss, BT-DrS 11-5530, S. 46 zu § 116 Abs. 6).

Der Gesetzgeber ist mithin von typischen Sachverhalten ausgegangen, bei denen eine Hinweispflicht bestehen soll. Insoweit wird konkretisierend gefordert, dass es sich um typische Sachverhalte gegenüber einer z. B. mit Mitteln der Elektronischen Datenverarbeitung abgrenzbaren Gruppe von Versicherten handeln soll (BSG, Urteil vom 09. Dezember 1997 - 8 RKn 1/97). Sowohl bei der beispielhaft genannten Regelaltersrente als auch bei der Hinterbliebenenrente verfügt der Versicherungsträger aber in der Regel über alle Daten, die erforderlich sind, um das Vorliegen der Rentenanspruchsvoraussetzungen festzustellen. Anders war dies jedoch im Jahre 1992 beim Aufbau eines Versichertenkontos für selbständig Tätige. Die betreffenden Daten der Selbständigen hätten zunächst von den Finanz- bzw. Gewerbeämtern aufbereitet und an die Beklagte übergeben werden müssen. Hierfür gab es jedoch keine gesetzliche Grundlage. Eine allgemeine Anfrage der Beklagten wäre möglicherweise auch datenschutzrechtlichen Bedenken begegnet. Mangels weiterer Daten zum Versicherungsverlauf oder zu einer bereits erfolgten Befreiung war die Untergruppe der im Beitrittsgebiet selbständig Erwerbstätigen, die 1991 versicherungspflichtig waren, bei Übernahme des Versichertenstammes nicht elektronisch ermittelbar.

Vorliegend kommt hinzu: Der Kläger, der als Selbständiger Arbeitgeber in eigener Sache war, musste wissen, dass er nach dem aufgrund des Einigungsvertrages fortbestehenden Recht der DDR als Selbständiger versicherungspflichtig war. Durch Anfrage an die Überleitungsanstalt für Sozialversicherung wäre es ihm ohne weiteres möglich gewesen, zu erfahren, wohin er ab diesem Zeitpunkt seine Rentenversicherungsbeiträge zu entrichten hatte. Er hätte dort auch nachfragen können, ob es Befreiungsmöglichkeiten gibt bzw. Informationsmaterial anfordern können. Mangels eines konkreten Bezuges zum Kläger war auch die Überleitungsanstalt nicht verpflichtet, von sich aus aufklärend tätig zu werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, § 160 Abs. 2 SGG, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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