L 4 RJ 322/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 4 RJ 290/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RJ 322/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 27. August 1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte berechtigt ist, den Umwertungsbescheid vom 29.11.1991 wegen fehlerhafter Feststellung des 20-Jahreszeitraumes für die Zukunft abzuändern.

Die am ...1914 geborene Klägerin bezog in der ehemaligen DDR mit Wirkung ab 01.02.1976 eine Witwenrente aus der Versicherung ihres am ...1976 verstorbenen Ehegatten. In dem Rentenbescheid vom 25.03.1976 wurde ein monatlicher Durchschnittsverdienst von 599,00 Mark zugrunde gelegt, ermittelt aus dem Zeitraum 01.01.1956 bis 31.12.1975.

Mit Bescheid vom 29.11.1991 wertete die Beklagte diese Hinterbliebenenrente um und passte sie an. Ab dem 01.01.1992 wurde eine große Witwenrente geleistet bei einem monatlichen Zahlbetrag von zunächst 1.119,84 DM. Aus der Anlage 16 des Bescheides zur Ermittlung der durchschnittlichen Entgeltpunkte ergibt sich, dass eine Summe der Durchschnittseinkommen von 92.877,00 DM durch das Gesamtdurchschnittseinkommen für den 20-Jahreszeitraum, der 1944 endet, in Höhe von 35.560,00 DM geteilt wurde. Dies ergab durchschnittliche Entgeltpunkte je Arbeitsjahr von 2,6118, welche auf 1,8000 begrenzt wurden. Bei 47 berücksichtigungsfähigen Arbeitsjahren wurden persönliche Entgeltpunkte (Ost) von 84,6000 ermittelt.

Der Umwertungsbescheid enthielt folgende Hinweise: "Die Umwertung ist auf der Grundlage der maschinell verfügbaren Daten vorgenommen worden. Auf Antrag wird die Rente daraufhin überprüft, ob die zugrunde gelegten Daten der Sach- und Rechtslage entsprechen. Ein Anspruch auf Überprüfung besteht nicht vor dem 01.01.1994. Der Bescheid ergeht unter dem Vorbehalt des Widerrufs für den Fall, dass die der Umwertung zugrunde gelegten Daten nicht der Sach- und Rechtslage entsprechen. Ergibt sich dadurch eine Rentenminderung, wird die Rente nur für die Zukunft neu festgestellt."

Am 16.08.1996 stellte die Beklagte im Rahmen einer Überprüfung der Umwertung von Bestandsrenten fest, dass der Rente der Klägerin unplausible Daten zugrunde gelegt wurden. Anstatt das Gesamtdurchschnittseinkommen des Jahres 1944 zugrunde zu legen, wäre auf das Jahr 1975 abzustellen gewesen.

Mit Schreiben vom 08.10.1996 wurde die Klägerin dazu angehört, dass die Umwertung der Rente auf Grund der maschinell verfügbaren Daten fehlerhaft vorgenommen worden sei. Maßgebend sei der Gesamtdurchschnittsverdienst des Jahres 1975. Es sei daher beabsichtigt, den Bescheid vom 17.11.1991 (wohl: 29.11.1991) mit Wirkung ab 01.12.1996 nach § 45 des Zehntes Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückzunehmen. Die Überzahlung für die Vergangenheit werde nicht zurückgefordert. Hierzu teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter dem 04.11.1996 mit, dass die dem Anhörungsschreiben beigefügte Umwertungsrechnung fehlerhaft sei. Als beitragspflichtiges Durchschnittseinkommen ohne FZR-Einkommen seien nicht wie von der Beklagten 363,00 DM, sondern 599,00 DM zu berücksichtigen. Mit Bescheid vom 25.11.1996 berechnete die Beklagte die große Witwenrente der Klägerin zum 01.01.1992 neu. Als monatlicher Zahlbetrag ab dem 01.01.1997 ergaben sich 1.046,87 DM. Der Anlage 16 ist zu entnehmen, dass nunmehr eine Summe der Durchschnittseinkommen von 149.517,00 DM zugrunde gelegt wird bei einem Gesamtdurchschnittseinkommen für den 20-Jahreszeitraum, der 1975 endet, von 124.729,00 DM. Dies führt zu 1,1987 durchschnittlichen Entgeltpunkten je Arbeitsjahr. Bei insgesamt berücksichtigungsfähigen Arbeitsjahren von 41 ergaben sich 49,1467 persönliche Entgeltpunkte (Ost). Mit weiterem Bescheid vom 25.11.1996 nahm die Beklagte den Bescheid vom 17.11.1991 (bzw. 29.11.1991) über die Umwertung und Anpassung der Rente gemäß § 45 Abs. 1 SGB X hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung zum 01.12.1996 zurück. Es wurde darauf hingewiesen, dass die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Anhörungsverfahren geäußerten Einwände berücksichtigt wurden. Zur Begründung verwies die Beklagte auf § 307 a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Nach Abs. 8 dieser Vorschrift habe der Gesetzgeber eine besondere Überprüfungsbefugnis vorgesehen. Damit solle der unklaren Datenlage und dem Umstand Rechnung getragen werden, dass wegen der Vielzahl der zum 01.01.1992 maschinell umzuwertenden Bestandsrenten die damals zur Verfügung stehenden Daten ohne weitere Prüfung zugrunde gelegt werden mussten. Bei der Umwertung der Rente sei das Jahr 1944 zugrunde gelegt worden, obwohl die letzte versicherungspflichte Tätigkeit im Februar 1976 geendet habe. Der Umwertungsbescheid habe unter dem Vorbehalt einer Überprüfung für den Fall gestanden, dass die der Umwertung zugrunde gelegten Daten nicht der Sach- und Rechtslage entsprechen. Die Voraussetzung für eine Rücknahme des Umwertungsbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit lägen nicht vor. Daher werde die überzahlte Rente in Höhe von insgesamt 37.730,12 DM nicht zurückgefordert. Jedoch seien die Voraussetzungen für eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft erfüllt. Auf Grund der Tatsache, dass die Daten nicht der Sach- und Rechtslage entsprachen, wäre der Umwertungsbescheid rechtswidrig begünstigend im Sinne des § 45 Abs. 1 SGB X gewesen. Ein Vertrauen auf den Fortbestand des begünstigenden Verwaltungsaktes im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X könne bei der Klägerin nicht entstanden sein, da der Verwaltungsakt unter dem Vorbehalt der Überprüfung erlassen worden sei. Auch habe die Klägerin im Anhörungsverfahren keine Tatsachen dargelegt, wonach sie Vermögensdispositionen getroffen habe. Im Rahmen der Abwägung käme dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme größere Bedeutung zu. Die Entscheidung über die Rücknahme stünde im Ermessen der zuständigen Behörde. Die Ermessensausübung habe ergeben, dass der Umwertungsbescheid mit Wirkung zum 01.12.1996 in Höhe von 1.802,06 DM monatlich zurückgenommen werde. Gründe, die bei Ausübung des Ermessens zu einer anderen Entscheidung hätten führen können, habe die Klägerin nicht vorgebracht.

Hiergegen legte die Klägerin am 02.01.1997 Widerspruch ein, welchen sie unter dem 13.01.1997 begründete. Die Voraussetzungen für eine Bescheidrücknahme seien nicht erfüllt. Die Klägerin habe am Zustandekommen des fehlerhaften Bescheides keinen Anteil. Ihr sei insoweit nichts vorzuwerfen. Darüber hinaus sei die 2-Jahresfrist im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X längst abgelaufen. Zwar biete Satz 3 dieser Vorschrift die Möglichkeit, einen bestandskräftigen Verwaltungsakt binnen 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückzunehmen, allerdings seien hierfür die Voraussetzungen nicht erfüllt. Weder träfe die Klägerin ein Anteil am Zustandekommen des fehlerhaften Bescheides noch sei der fehlerhafte Bescheid mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufes ausgestattet gewesen. Bei einem gebundenen Verwaltungsakt dürfe ein Widerrufsvorbehalt nur dann aufgenommen werden, wenn dies durch Rechtsvorschrift ausdrücklich zugelassen worden sei (§ 32 Abs. 1 SGB X). Eine solche Bestimmung fehle jedoch im geltenden Recht. Mit Schreiben vom 20.03.1997 erläuterte die Beklagte nochmals die Rechtslage. Auf die Untätigkeitsklage vom 11.04.1997 wies die Beklagte sodann mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.1997 den Widerspruch zurück. Die Entscheidung, den angefochtenen Bescheid mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen, sei nach Überzeugung des Widerspruchsausschusses zweck- und sachgerecht. Ermessensfehler seien nicht zu erkennen.

Unter Umstellung auf eine Anfechtungsklage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Rücknahmefristen seien verstrichen, ein zulässiger Widerrufsvorbehalt sei im Bescheid vom 17.11.1991 (29.11.1991) nicht enthalten gewesen.

Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass der Vorbehalt des Widerrufes zulässig sei. Dieser habe nach seiner gesetzlichen Auslegung die Funktion, den Fortbestand der ursprünglichen Tatbestandsvoraussetzungen zu gewährleisten. Er sei zulässig, wenn der Wegfall zukunftsgesicherter Voraussetzungen zu besorgen sei. Bei der Umwertung seien die Daten, die vom Sozialversicherungsträger der ehemaligen DDR gespeichert wurden, so grundsätzlich auch übernommen worden.

Das Sozialgericht (SG) hatte von der Beklagten eine Kopie des Bescheides vom 29.11.1991 sowie eine Kopie des Primärdatenträgers beigezogen und die Klage mit Urteil vom 27.08.1999 abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides mit Wirkung für die Zukunft vorlägen. Der Umwertungsbescheid vom 29.11.1991 sei unstreitig von Anfang an rechtswidrig gewesen. Der Klägerin komme Vertrauensschutz nicht zu. Hier überwiege das öffentliche Interesse der Beklagten an der Rücknahme des rechtswidrigen Rentenbescheides. Denn der zu hohe monatliche Rentenzahlbetrag würde sich fortwirkend und dauerhaft zu Lasten der Versichertengemeinschaft in der Rentenversicherung auswirken. Schließlich habe die Klägerin auch nicht konkret dargelegt, dass sie Vermögensdispositionen getroffen habe, die sie nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen könne. Die Beklagte habe mit dem Erlass des Rücknahmebescheides am 25.11.1996 auch keine von ihr dafür einzuhaltende Handlungsfrist versäumt. Die 2-Jahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X stehe nicht entgegen, da der Bescheid vom 29.11.1991 mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen worden sei. Daher sei die Beklagte gemäß § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB X berechtigt, den Umwertungsbescheid bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückzunehmen. Diese Frist habe die Beklagte unzweifelhaft eingehalten. Die Zulässigkeit des Widerrufsvorbehaltes richte sich nach § 32 Abs. 1 SGB X. Danach dürfe ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen sei (Alternative 1) oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden (Alternative 2). § 307 a SGB VI lasse zwar ausdrücklich einen Widerrufsvorbehalt nicht zu. Dies ergebe sich jedoch nach Auffassung der Kammer aus dem Sinn und Zweck der Regelung des § 307 a Abs. 8 SGB VI. Hier habe der Gesetzgeber die Möglichkeit der nachträglichen Überprüfung der der umgewerteten Rente zugrunde gelegten Daten von Amts wegen bzw. auf Antrag des Berechtigten vorgesehen. Insoweit habe der Gesetzgeber eine die Regelungen der §§ 44 ff. SGB X im Sinne von § 37 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) modifizierende und erweiternde Prüfungs- und Korrekturmöglichkeit geschaffen. Dabei sei der Gesetzgeber offensichtlich davon ausgegangen, dass die Überprüfungsverfahren auch über den 01.01.1994 und damit über die 2-Jahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X hinausgehen können. Diese erweiterte Prüfungs- und Korrekturmöglichkeit sei im Zusammenhang mit dem Umwertungsverfahren in einem so genannten maschinellen Verfahren auf der Grundlage der vorhandenen Daten geschaffen worden. Diese Verfahren seien notwendig gewesen im Hinblick auf die große Anzahl der umzuwertenden Renten. Angesichts der Vielzahl der Bestandsrenten sei nicht zu erwarten gewesen, dass die Rentenversicherungsträger in der Lage sein würden, die Überprüfung dieser Renten innerhalb der 2-Jahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X vorzunehmen. Um die Rücknahme innerhalb der 10-Jahresfrist zu ermöglichen, sei es daher erforderlich und entspreche dem Zweck des § 307 a SGB VI, die entsprechenden Umwertungsbescheide mit einer Nebenbestimmung in Form eines Widerrufsvorbehaltes zu versehen. Dieser stelle sicher, dass der Umwertungsbescheid nur dann wirksam bleibe, wenn die ihm zugrunde gelegten Voraussetzungen auch tatsächlich erfüllt seien. Der von der Beklagten aufgenommene Widerrufsvorbehalt im Umwertungsbescheid sei auch sachbezogen. Es solle dem Rentenversicherungsträger die Möglichkeit eingeräumt werden, alle Umwertungsbescheide hinsichtlich der zugrunde gelegten Daten umfassend auf ihre Richtigkeit überprüfen zu können. Dabei komme es nach Auffassung der Kammer nicht darauf an, worauf die Fehlerhaftigkeit der der Umwertung zugrunde gelegten Daten beruhe, insbesondere nicht darauf, dass sich die Fehlerhaftigkeit aus dem Rentenstammdatenbestand der DDR ergeben müsse, damit der Widerrufsvorbehalt Platz greife. Von dem der Beklagten durch § 45 Abs. 1 SGB X eingeräumten Ermessen habe die Beklagte im Rücknahmebescheid vom 25.11.1996 ordnungsgemäß Gebrauch gemacht. Ermessensfehler im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) lägen nicht vor. Der Rentenbescheid vom 25.11.1996 sei rechtmäßig ergangen.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 10.11.1999 zugestellte Urteil richtet sich die am 09.12.1999 eingelegte Berufung. Es wird die Argumentation des SG angegriffen, wonach zwar § 307 a Abs. 8 SGB VI nicht ausdrücklich einen Widerrufsvorbehalt zulässt, aber dennoch den Versicherungsträgern die Berechtigung verliehen hätte, die im Jahr 1991 massenhaft zu erlassenden Umwertungsbescheide mit einer Nebenbestimmung im Sinne des § 32 Abs. 1 SGB X zu versehen. Diese großzügige Interpretation des § 307 a Abs. 8 SGB VI werde nicht an den sehr strengen Voraussetzungen gemessen, die in § 32 Abs. 1 SGB X schon wegen des besonderen Vertrauensschutzes in Bezug auf die Ausgestaltung von Verwaltungsakten, auf die ein Rechtsanspruch besteht, vorgegeben worden seien. Im Übrigen werde auf die Auffassung verwiesen, die bereits in der Klagebegründung dargelegt wurde. Diese werde auch von anderen Landessozialgerichten vertreten. In diesem Zusammenhang werde auf das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin vom 22.09.1997, Az.: L 16/5 J 66/96, des LSG Brandenburg vom 23.08.1999, Az.: L 4 RJ 196/98, und das Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 09.10.1997, Az.: L 1 An 70/96, verwiesen. Hieraus ergebe sich nahezu übereinstimmend, dass die von den Versicherungsträgern im Jahr 1991 in den Umwertungsbescheiden aufgenommenen Widerrufsvorbehalte unzulässig seien und demzufolge die zehnjährige Korrekturfrist im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht eröffnet sei. Dies gelte auch für den Umwertungsbescheid der Klägerin, dessen Bindungswirkung jetzt, vor allem weil die 2-Jahresfrist unbestritten längst abgelaufen sei, nicht mehr durchbrochen werden könne.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Dresden vom 27.08.1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.1997 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zu Recht habe das Gericht der ersten Instanz festgestellt, dass die Aufhebung des Bescheides vom 29.11.1991 mit Wirkung für die Zukunft rechtmäßig sei, zumal dies von einem zulässigen Widerrufsvorbehalt gedeckt sei. Der Umwertungsbescheid vom 29.11.1991 sei rechtswidrig ergangen, weil der Berechnung der Rente ein fehlerhafter 20-Jahreszeitraum zugrunde gelegen habe. Obwohl der 20-Jahreszeitraum 1975 ende, weise die Anlage 16 des Umwertungsbescheides das Jahr 1944 aus. Dieses Datum sei nach Rücksprache mit der Fachabteilung im Datenbestand gespeichert und überspielt und verarbeitet worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Zutreffend hat das SG Dresden die Klage abgewiesen. Der Rücknahmebescheid vom 25.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.1997 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Weitergewährung der fehlerhaft berechneten Witwenrente. Die Beklagte war zur Aufhebung des Umwertungsbescheides vom 29.11.1991 mit Wirkung für die Zukunft nach der einschlägigen Vorschrift des § 307 a Abs. 8 S. 6 SGB VI befugt.

Der Umwertungsbescheid vom 29.11.1991, der fehlerhaft von persönlichen Entgeltpunkten Ost von 84,600 ausging, war entsprechend § 307 a Abs. 8 SGB VI ergangen. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind die Träger der Rentenversicherung berechtigt, die persönlichen Entgeltpunkte in einem maschinellen Verfahren aus den vorhandenen Daten über den Rentenbeginn und das Durchschnittseinkommen zu ermitteln. Diese Vorgehensweise hat die Beklagte gewählt und hat das (fehlerhaft) gespeicherte Jahr 1944 als Ende des 20-Jahreszeitraumes zugrundegelegt. Korrekt wäre es gewesen, die sich aus § 307 a Abs. 2 Nr. 1 ergebende Summe durch das Durchschnittseinkommen für einen 20-Jahreszeitraum, der 1975 endet, zu teilen, da der Ehemann der Klägerin bis 1976 beschäftigt war. Die Beklagte war jedoch nicht verpflichtet, bereits 1991 in jedem Einzelfall die korrekten Daten zu ermitteln, sondern durfte nach § 307 a Abs. 8 S. 1 SGB VI auf die gespeicherten Daten zurückgreifen. Derartige Ermittlungen waren zu diesem Zeitpunkt in Anbetracht der großen Anzahl der umzuwertenden Renten gar nicht möglich. Der Gesetzgeber hatte nur die Möglichkeit, eine gewisse Fehlerquote zunächst zu akzeptieren oder eine verzögerte Rentenberechnung in Kauf zu nehmen. Im Sinne einer nahtlosen Fortgewährung der Rentenzahlung über den 31.12.1991 hinaus hat sich der Gesetzgeber für die erste Variante entschieden, (vgl. BT-Drucks. 12/630 zu Nr. 126 - § 307 a). Im Hinblick auf mögliche Fehler im Datensatz wurde in den S. 3 bis 7 des § 307 a Abs. 8 SGB VI jedoch eine besondere Überprüfungsmöglichkeit geschaffen. Diese modifizieren nach Auffassung des Senats die §§ 44 ff SGB X und gehen diesen vor (§ 37 SGB I), soweit die Anwendung der §§ 44 ff SGB X dem Sinn des § 307 a widersprechen würde. Auch wenn § 307 a Abs. 8 SGB VI eine eigene Überprüfungsmöglichkeit eröffnet, sind doch die §§ 44 ff SGB X entsprechend bzw. die diesen Vorschriften innewohnenden Ausflüsse des Rechtsstaatsprizips anzuwenden. Denn der dem Verfahrensgrundsatz der Rechtsstaatlichkeit zu zu ordnende Vertrauensschutz als Rechtsprinzip gilt, wenn auch mit Abstufungen und Einschränkungen überall dort, wo in bestehende, insbesondere durch Verwaltungsakt begründete Rechtspositionen eingegriffen wird, (vgl. Sächs. LSG L 2 Bl 13/95). Vorliegend stellte sich der (begünstigende) Umwertungsbescheid vom 29.11.1991 objektiv als anfänglich rechtswidrig dar, so dass der abgestufte Vertrauensschutz, wie er in § 45 SGB X gestaltet ist, zur Anwendung kommt. Die Argumentation des Thür. LSG (L-2/J-31/96), wonach der Bescheid als Umwertungsbescheid nach § 307 a Abs. 8 S. 1 SGB VI rechtmäßig sei, da er dem gespeichten Datensatz entspricht, überzeugt nach Auffassung des Senats nicht. Entscheidend muss sein, ob der Bescheid objektiv der Sach- und Rechtslage entspricht. Dies war hier gerade nicht der Fall, denn der 20-Jahreszeitraum endete nachweislich 1975 und nicht 1944. Allgemein kommt es für die Bestimmung der Rechtswidrigkeit nicht auf die Kenntnis oder ein Verschulden der erlassenden Stelle an. Entscheidend ist vielmehr die damalige Rechtslage aus heutiger Sicht (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X, Rdnr. 29). Daher können auch nicht die gespeicherten Daten, sondern nur die tatsächlichen Daten die relevanten sein. Insofern war der Umwertungsbescheid bereits bei Erlass (wegen eines Fehlers im gespeicherten Datensatz) rechtswidrig.

Die Vertrauensschutzprüfung analog des § 45 Abs. 2 SGB X steht - wie bereits vom SG ausgeführt - einer Rücknahme nicht entgegen. Nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Nach Satz 2 ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht hat oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Hier überwiegt das öffentliche Interesse an der Rücknahme klar das Interesse der Klägerin am Fortbestand des Verwaltungsaktes. Die Differenz zwischen zustehender Leistung und rechtswidrig gewährter Leistung ist derartig groß, dass auf die Beklagte bei Fortbestand des Umwertungsbescheides hohe ungerechtfertigte Belastungen zukämen. Dies würde sich dauerhaft und in starkem Ausmaße zu Lasten der Versichertengemeinschaft auswirken. Dem steht kein auch nur annähernd ähnlich schützenswertes Interesse der Klägerin gegenüber. Nach dem Wortlaut des Bescheides durfte - unabhängig von der Zulässigkeit des Widerrufsvorbehaltes - zunächst kein Vertrauen der Klägerin auf den Fortbestand der Leistung in dieser Höhe entstehen. Denn ihr war bekannt, dass die Beklagte zumindest noch nicht alle Daten geprüft hatte und sich eine Änderung für die Zukunft vorbehielt. Gegen diesen Vorbehalt im Bescheid vom 29.11.1991 hatte sich die Klägerin auch nicht gewandt. Schließlich hat sie auch keine konkreten Vermögensdispositionen dargelegt. Allein die Tatsache, dass sie ihren Lebensstil dem verfügbaren Einkommen angepasst haben mag, begründet noch kein schutzwürdiges Vertrauen. Nicht abänderbare Vermögensdispositionen wurden nicht geltend gemacht.

Die Beklagte war auch nicht durch entgegenstehende Fristen an der Rücknahme gehindert. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X ist nicht einschlägig, da eine Rücknahme für die Vergangenheit nicht ausgesprochen wurde. Aber auch die Fristen des § 45 Abs. 3 SGB X stehen einer Rücknahme nicht entgegen. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist die Anwendung dieser Fristenregelung durch die besonderen Vorschriften des § 307 a Abs. 8 SGB VI gesperrt (a. A. LSG Berlin, L 16/5J 66/96 und LSG Brandenburg L 4 RJ 169/98). Insofern gilt der Vorbehalt abweichender Regeln gem. § 37 SGB I. Die Anwendung des § 45 Abs. 3 SGB X würde zu sinnwidrigen Ergebnissen führen. Hiernach ist eine Rücknahme nämlich im Regelfall nur binnen zwei Jahren zulässig, später nur, wenn zusätzliche Voraussetzungen hinzukommen. Dagegen besteht nach § 307 a Abs. 8 S. 5 SGB VI ein Anspruch auf Überprüfung für Berechtigte nicht vor dem 01.01.1994. Der Gesetzgeber ging also gerade davon aus, dass die Rentenversicherungsträger aus verwaltungsorganisatorischen Gründen nicht eher in der Lage sein würden, Rentenbescheide auf Grund zu ermittelnder Daten zu erlassen. Die Überprüfung der Umwertungsbescheide sollte ab diesem Zeitpunkt beginnen. Da die Umwertungsbescheide jedoch regelmäßig Ende 1991 erlassen wurden, wäre die Rücknahmefrist von zwei Jahren bei Durchführung der Überprüfung grundsätzlich abgelaufen. Damit würde das Überprüfungsverfahren praktisch ins Leere laufen, (so auch Thür. LSG, L-2J-31/96), denn kein rechtswidriger Verwaltungsakt könnte dann korrigiert werden, es sei denn es lägen die Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 S. 2, 3 SGB X vor. Auch das Fristenerfordernis des § 45 SGB X ist Ausfluss des Vertrauensprinzips, (vgl. Wiesner in Schroeder-Printzen, SGB X, § 45, Rdnr. 25). Grundsätzlich soll der Leistungsempfänger nach zwei Jahren darauf vertrauen können, dass es bei der Leistung verbleibt, denn der Leistungsträger hätte in diesem Zeitraum eine Fehlerhaftigkeit erkennen und reagieren können. Hier besteht aber die Sonderkonstellation, dass die Beklagte zunächst organisatorisch nicht entsprechend ausgestattet war, um die Rechtswidrigkeit festzustellen. Selbst der Gesetzgeber ging davon aus, dass dies frühestens 1994 der Fall sein würde, und damit regelmäßig nach Ablauf von zwei Jahren. Insofern modifiziert § 307 a Abs. 8 SGB VI die Fristenregelung des § 45 SGB X. Einer Rücknahme könnte - solange die Überprüfung nach § 307 a Abs. 8 SGB VI nicht abgeschlossen ist - nur der Einwand der Verwirkung entgegengehalten werden, wobei dann regelmäßig auch ein überwiegendes subjektives Interesse im Sinne des § 45 Abs. 2 SGB X anzunehmen sein dürfte. Dafür ergeben sich hier jedoch keine Anhaltspunkte.

Entsprechend § 45 Abs. 1 SGB X steht die Rücknahme im Ermessen der Behörde. Dieser Tatsache war sich die Beklagte bewusst. Ermessensfehler sind dem Senat nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu zulassen, da die Auslegung des § 307 a Abs. 8 SGB VI bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist.
Rechtskraft
Aus
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