L 2 U 105/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 14 U 128/95
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 105/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 15.06.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob sich die Klägerin während ihrer früheren Labortätigkeit mit Krankheitserregern infiziert hat und dadurch ihre gesundheitlichen Beschwerden verursacht worden sind.

Die am ... geborene Klägerin und vierfache Mutter arbeitete ab September 1975 im Labor des E ...-Sch ...- Krankenhauses in A ... Ihre Ausbildung zur Medizinisch- technischen Assistentin beendete sie Ende Mai 1978. Wegen der Geburt ihrer ersten beiden Kinder arbeitete sie vom Dezember 1977 bis Mitte März 1982 nicht im Labor. Danach arbeitete sie ein 3/4 Jahr im Labor, Bereich Bakteriologie/Mikrobiologie. Infolge der Geburt des dritten Kindes unterbrach sie ihre Tätigkeit vom 20.11.1982 bis 29.2.1989. Erneut nahm sie ihre Arbeit am 1.3.1989 auf, nunmehr im Labor der Kinderklinik/Infektionsklinik. Ab 15.8.1990 war sie fortlaufend arbeitsunfähig erkrankt und bezieht seit Erschöpfung ihres Krankengeldanspruchs eine Erwerbsunfähigkeitsrente.

Mit Schreiben vom 29.8.1992 beantragte sie Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Wegen der zuletzt genannten Tätigkeit (in der Infektionsklinik ständiger Kontakt mit kranken Kindern und mit infektiösem Material) habe sie eine Immunschwäche erworben. Wegen ihrer Infektanfälligkeit und ihres eingeschränkten Gesundheitszustandes könne sie ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben. Sie leide auch an Morbus Bechterew und damit zusammenhängend an einer Spondylarthritis. Der zunächst das Verwaltungsverfahren betreibende Sächsische Gemeindeunfallversicherungsverband zog bereits vorliegende medizinischen Unterlagen von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bei (Arztbrief des Bezirkskrankenauses "E ... Sch ...", später Klinikum A ..., vom 10.1.1989 und vom 13.3.1992; Arztbrief des Bergarbeiter-Krankenhauses "Dr. G ... B ...", Klinik für funktionelle Erkrankungen, in E ... vom 5.6.1990; Arztbrief des Klinikums B ...-B ..., Neurologisch-Psychiatrische Klinik, vom 14.12.1990 und vom 28.5.1991; Arztbrief der Medizinischen Hochschule H ..., Abteilung Rheumatologie des Zentrums für Innere Medizin und Dermatologie, vom 24.1.1992; Befundberichte der Orthopädin H ... vom 20.4.1991, vom 20.3.1992 und vom 30.6.1993; Befundberichte des praktischen Arztes Dipl.-Med. T ... vom 4.2.1993 und vom 25.5.1993; Schreiben des Heilpraktikers B ... an die Klägerin vom 30.10.1992: Blatt 26 bis 44 und Blatt 46 bis 54 der Beklagtenakte). Ferner holte der Sächsische Gemeindeunfallversicherungsverband eine ärztliche Stellungnahme bei der Orthopädin H ... ein. In ihrer Stellungnahme vom 15.11.1993 führte die Ärztin insbesondere aus, aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin vor 1989 nicht an rezidivierenden Infekten gelitten habe und es erst nach 1989 zu einem physischen und psychischen Leistungsknick gekommen sei, sei ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit zu sehen, der aber aus ihrer fachärztlichen Sicht nicht objektiv zu beweisen sei (Blatt 45 der Beklagtenakte). Dagegen geht aus den anamnestischen Angaben (auch denen durch Frau H ... erhobenen) hervor, dass die Klägerin seit 1987 über multiple Beschwerden geklagt hat, insbesondere über Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule und des Ileosakralgelenkes, Augenschmerzen, Darmbeschwerden sowie Kräfteverfall. Im Juni 1990 kam es dann zu einem akuten entzündlichen Schub aller Gelenke mit Morgensteifigkeit. Die Klägerin hatte zudem Haut-, Gesichts- und Kopfschmerzen, Muskelkrämpfe, subjektiv die Wahrnehmung pulsierender Hals- und Kopfgefäße und Schüttelfrost. Sie meinte, auch einen Hörsturz erlitten zu haben, der alledings nicht belegt werden konnte. Das Klinikum B ...-B ... diagnostizierte einen Morbus Bechterew Stadium II sowie eine nachhaltige und verlängete Erlebnisreaktion mit phobischer Beschwerdeverarbeitung. In der Medizinischen Hochschule H ... wurde während des stationären Aufenthaltes der Klägerin vom 21.10. bis 28.11.1991 folgende Diagnose gestellt: HLA-B27-assoziierte Spondarthritis, vermutlich Yersinien-induziert". Yersinien- Antikörper konten festgestellt werden. Der direkte Nachweis des Erregers gelang nicht. Eine antibiotische Therapie wurde daher nicht eingeleitet. Im Arztbrief vom 24.1.1992 über diesen stationären Aufenthalt wurde u.a: ausgeführt:

"Zweifelsohne wird ein Großteil der Beschwerden der Patientin wie bereits oben erwähnt [gemeint sind: Arthralgien. Myalgien, Enthesiopathien, tiefsitzende Kreuzschmerzen, rezidivierende Augenentzündungen, Fersenschmerzen] durch die vorliegende Sponarthritis erklärt. Die weiterhin von der Patientin geklagten Beschwerden wie Herzschmerzen, Herzrasen, Hautbrennen, Hautjucken, Hörstörungen sowie Gefäßkrämpfe konnten von uns physischen Ursachen nicht zugeordnet werden. Wir denken, daß diesen multiplen Beschwerden möglicherweise psychische Ursachen zugrundeliegen ... Die Patientin jedoch negierte strikt psychosomatische Erklärungsansätze."

Wegen der in H ... versuchten psychosomatischen Befunderhebung wird auf Blatt 76 bis 78 der SG-Akte verwiesen, wegen der Beschwerdeentwicklung auch auf die ausführliche Darstellung im Gutachten vom 24.3.1999 verwiesen (Blatt 250 bis 253 der SG-Akte).

Nach Abgabe des Verwaltungsverfahrens an die Beklagte holte diese eine gewerbeärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Arbeitsmedizin B ... vom Sächsischen Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ein, die in ihrer Stellungnahme darauf hinwies, dass die Spondarthritis vermutlich, nicht aber überwiegend wahrscheinlich auf eine Yersinien-Infektion zurückzuführen sei. Zudem sei die Klägerin durch ihre berufliche Tätigkeit nicht überdurchschnittlich gefährdet gewesen. Eine Yersinien-Infektion des Menschen erfolge primär über Lebensmittel und selten durch Kontakt mit infizierten Personen oder Tieren und stelle eine Zoonose dar. Der Infektionsweg sei oral-alimentär. Orale und konjunktivale Schmierinfektionen oder aerogene Infektionen seien nur mögliche Übertragungswege, ebenso eine direkte Kontaktübertragung von Mensch zu Mensch. Zwischenträger zwischen Erdboden und Tier, zwischen Tier und Mensch könnten infizierte Geflügelabfälle, infiziertes Grünfutter, infizierte Futtermittel, Lebensmittel oder Oberflächengewässer sein (Blatt 66 der Beklagtenakte). Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.2.1995 eine Entschädigung ab. Eine Berufskrankheit nach Nr. 60 der Anlage zur Ersten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten - Liste der Berufskrankheiten -, vom 21.4.1981, GBl. I Nr. 12 S. 139 (im Folgenden: Nr. 60 BKVO-DDR) liege nicht vor. Eine beruflich verursachte Infektion mit Yersinien sei nicht nachgewiesen. Auch sei ein Zusammenhang zwischen Morbus Bechterew und einer derartigen Infektion nicht wahrscheinlich. Die Ursache, die zum Ausbruch des Morbus Bechterew führe, sei bis heute nicht wissenschaftlich nachgewiesen. Sicher sei allerdings, dass genetische Faktoren eine Rolle spielten. Dagegen wandte die Klägerin im Widerspruchsverfahren ein, ihre Erkrankung könne nicht in das typische Krankheitsbild eines klassischen Morbus Bechterew eingeordnet werden. Sie leide an einer infektinduzierten entzündlichen Erkrankung. Es sei bekannt, dass die Manifestation eines Morbus Bechterew, insbesondere einer Spondarthritis neben eines Erbfaktors auch eines exogenen Faktors bedürfe. Dies könnten insbesondere Chlamydien, Mykoplasmen, Yersinosen und bakterielle Infektionen sein. Im Juli 1990 habe sie eine schwere Infektion durchgemacht. Bei ihr sei nunmehr eine Yersinose gesichert. Außerdem sei sie im Zeitpunkt ihrer Berufstätigkeit Infektionsträger von Chlamydien, Eppstein-Barr-Virus, Mykoplasmen und Herpes gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 70 bis 72 der Beklagtenakte verwiesen. Mit Bescheid vom 21.6.1995 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Ergänzend zur Begründung im Ausgangsbescheid führte die Beklagte aus, bei der Klägerin könne ein beruflicher Kontakt mit infizierten Patienten bzw. infiziertem Patientenmaterial nicht nachgewiesen werden. Außerdem habe ihre Erkrankung bereits im Jahre 1987 begonnen, als sie wegen der Kindererziehung nicht berufstätig gewesen sei.

Mit ihrer dagegen vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf Anerkennung und Entschädigung ihrer Beschwerden als Berufskrankheit weiterverfolgt. Das SG hat zunächst zur Aufklärung des Sachverhalts aktuelle Befundberichte von dem Praktischen Arzt T ... und der Orthopädin H ... eingeholt (Blatt 18 bis 21 der SG-Akte) und sodann durch Beweisanordnung vom 25.9.1997 Dr. T ... (Fachgebiet Rheumatologie und Infektionsmedizin) zum ärztlichen Sachverständigen ernannt. Dieser hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin und unter Berücksichtigung des Arztbriefes des Fachkrankenhauses Schloß F ... vom 5.5.1995 in seinem Gutachten vom 2.1.1998 ausgeführt, die Entwicklung der mit Sicherheit nachgewiesenen Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) habe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon etliche Jahre vor 1990 begonnen. Ende 1990 habe röntgenologisch schon ein fortgeschrittenes Stadium der Erkrankung in Gestalt einer doppelseitigen chronischen Sacroiliitis Stadium III - IV nachgewiesen werden können. Auch die von der Klägerin für das Jahr 1987 geschilderte Kniegelenksentzündung stelle ein Leitsymptom der Krankheit dar. Zudem seien schon nach der Geburt des zweiten Kindes im Jahre 1979 die ersten Rückenschmerzen aufgetreten. Dagegen sei nicht mit Wahrscheinlichkeit nachweisbar, dass eine berufsbedingte Yersiniose vorgelegen habe, die als mitverantwortlich für die Spondylitis ankylosans angesehen werden könne. Die Ursachen dieser Erkrankung seien bis heute weitgehend ungeklärt. Außerdem spreche der im Labor mögliche Übertragungsweg eher gegen eine berufsbedingte Infektion, weil eine Infektion in der Regel über Lebensmittel erfolge. Dagegen sprächen der Nachweis des erblichen Humanen Leukozyten Antigens (HLA) B27 sowie der Beginn der Spondylitis ankylosans nach der Geburt eines Kindes eher für genetische Faktoren als Ursache der Erkrankung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 119 bis 152 der SG-Akte verwiesen.

Dagegen hat die Klägerin im Wesentlichen eingewandt, ihr Immunsystem sei durch die Wiederaufnahme der Labortätigkeit völlig überfordert gewesen. Bei einem Morbus Bechterew seien Rheumafaktoren nicht nachweisbar. Bei ihr seien diese Faktoren aber sehr hoch. Die Unterleibsinfektionen, an denen sie leide, seien typisch für einen Morbus Reiter. Der Erregernachweis sei typisch für eine infektiöse Arthritis. Ferner sei zu berücksichtigen, dass es zu DDR-Zeiten mangels entsprechender Routineuntersuchungen bei Durchfallerkrankungen keine nachweislich yersinien-infizierten Patienten gegeben habe. Die Gefährdung im Labor sei schon deswegen erhöht gewesen, weil sie ohne Sicherheitsvorkehrungen hätten arbeiten müssen (größtenteils Handarbeit, Aufziehen der Glaspipetten mit dem Mund, so dass immer wieder Patientenmaterial in den Mund gelangt sei). Dass ihre Großmutter an Morbus Bechterew erkrankt gewesen sei, sei lediglich eine Vermutung von ihr gewesen. Eine gesicherte ärztliche Diagnose existiere nicht. Die Klägerin hat sodann die Einholung eines weiteren, immunologischen Gutachtens von Amts wegen beantragt.

Das SG hat durch Beweisanordnung vom 2.7.1998 Prof. Dr. K ... zum Sachverständigen ernannt. Das Gutachten vom 24.3.1999 hat im Wesentlichen der Assitenzarzt Dr. N ... erstellt (vgl. dazu auch sein Schreiben vom 13.8.1998). Im Zeitpunkt der Untersuchung hat die Klägerin als Beschwerden angegeben: rezidivierende genitale Infekte, zum Teil mit Blutungen, abdominelle Schmerzen, Schmerzen der Halswirbelsäule, geringere Schmerzen im Brust- und Lendenwirbelsäulenbereich, relativ geringe Muskelschmerzen und gelegentliche Knie- und Fingergelenksschmerzen. In eigener Zuständigkeit hat der Sachverständige eine HLA B 27-assoziierte Spondylarthropathie diagnostiziert und ausführlich deren Ursachen beschrieben. Die hier vorliegende seronegative Spondylarthropathie gehöre zu einer Gruppe rheumatischer Erkrankungen, die im Wesentlichen vier definierte Krankheitsbilder umfasse: Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans), reaktive Arthritis (Morbus Reiter), Arthritis bei Psoriasis, Arthritis bei entzündlichen Darmerkrankungen. Daneben bestünden Übergangsformen und nicht eindeutig zuordenbare Krankheitsbilder. Differentialdiagnostisch kämen hier nur ein Morbus Bechterew oder eine reaktive Arthritis in Betracht. Beim Morbus Bechterew würden Infektionen als Auslöser immer wieder diskutiert. Dieser Zusammenhang sei aber nicht geklärt. Dagegen lege die starke Assoziation dieses Krankheitsbildes mit dem HLA-B27-Antigen eine wesentliche genetische Disposition nahe. Eine klassische reaktive Arthritis sei dadurch gekennzeichnet, dass es im Anschluss an eine Infektion des Magen-Darm-Traktes, der Harnwege oder Genitalorgane binnen zwei bis vier Wochen zu einer Entzündung des Achsenskeletts und zu asymmetrischen Entzündungen vorwiegend der großen Gelenke der unteren Extremitäten komme. Der von der Klägerin geschilderte Krankheitsverlauf sei dafür untypisch, weil es an einem klar umrissenen Infektionsereignis fehle und ab 1988 häufig von Bauchschmerzen, Verdauungsstörungen, Infektionen der Harnwege und Genitalorgane berichtet worden sei. Da man erst im November 1991 Yersinien-Antikörper festgestellt habe, könne schon aufgrund des zeitlichen Abstandes zum Jahr 1990 kein ursächlicher Zusammenhang im Sinne der Auslösung einer reaktiven Arthritis angenommen werden. Der Befund könne lediglich dahingehend bewertet werden, dass die Klägerin möglicherweise in einem unbestimmten Zeitraum vor der Untersuchung Kontakt mit den entsprechenden Erregern gehabt habe. Die entsprechenden serologischen Untersuchungen sei hier nicht hinreichend signifikant gewesen, um mit Sicherheit eine Yersiniose festzustellen. Die sonstigen von der Klägerin genannten Krankheitserreger hätten entweder für die Auslösung einer reaktiven Arthritis keine Bedeutung oder seien so weit in der Bevölkerung verbreitet, dass ein nachgewiesener Kontakt mit ihnen nicht ohne weiteres auf die Tätigkeiten in einem Labor zurückgeführt werden könnten. So seien Chlamydien, wie erst in den letzten Jahren erkannt worden sei, einer der häufigsten Auslöser der reaktiven Arthritis. Wichtigster Übertragungsweg sei dabei der Geschlechtsverkehr. Im vorliegenden Fall sei eine Einordnung in eine der vier definierten Untergruppen nicht möglich. In Frage komme einerseits reaktive Arthritis, wobei Genitalinfekte, etwa durch Chlamydien, wahrscheinlicher seien als eine Yersinieninfektion. Andererseits sei auch eine grenzwertige Ausprägung eines Morbus Bechterew in Erwägung zu ziehen. Nach geltender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung sei es möglich, aber weder wahrscheinlich noch gar sicher, dass die Erkrankung der Klägerin auf eine von Mensch zu Mensch übertragbare Infektionskrankheit zurückzuführen sei. Insbesondere die diskutierte Yersinieninfektion sei nur eine mögliche, nicht aber eine wahrscheinliche Ursache der Erkrankung der Klägerin. Eine persönliche Rücksprache mit Frau Dr. M ...-H ..., deren Arbeiten von der Klägerin zum Beweis dafür benannt worden seien, dass Morbus Bechterew durch Infektionen ausgelöst würden, habe das Gegenteil ergeben. Dr. M ...-H ... verwahre sich entschieden gegen eine derartige Interpretation ihrer Ergebnisse. Sie weise auf die wahrscheinlich weit überwiegende genetische Verursachung des Morbus Bechterew hin. Gegen die ebenfalls erwogene reaktive Arthritis spreche neben dem Fehlen einer klar definierten Infektion auch der Umstand, dass jedenfalls schon 1987 Kniegelenksbeschwerden und 1988 Beschwerden im Verdauungssystem aufgetreten seien. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 248 bis 274 der SG-Akte verwiesen.

Mit Urteil vom 15.6.1999 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig. Auf den Sachverhalt finde noch die BKVO-DDR Anwendung, weil eine eventuelle berufsbedingte Infektion nur vor dem 1.1.1992, dem hier maßgeblichen Stichtag, erfolgt sein könne. Die Voraussetzungen der Nr. 60 BKVO-DDR seien aber schon deswegen nicht erfüllt, weil aufgrund der Äußerungen der Sachverständigen ein kausaler Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Infektion nicht wahrscheinlich sei.

Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend, die Gutachen von Dr. T ... und Prof. Dr. K ... ließen Widersprüche erkennen, ohne dies jedoch näher zu erläutern. Im Übrigen verweist sie auf das an das SG gerichtete Schreiben vom 26.5.1999 verwiesen (Blatt 287 bis 290 der SG-Akte).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Chemnitz vom 15.6.1999 und des Bescheides der Beklagten vom 22.2.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.6.1995 festzustellen, dass bei ihr eine Berufskrankheit nach Nr. 60 BKVO-DDR vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das SG-Urteil für zutreffend. Die Gutachten seien auch nicht widersprüchlich. Die von der Klägerin gestellte Frage, warum ihr Immunsystem nicht mit ganz normalen Keimen fertig werde, und ihre aktuelle Erkrankung (Soor) hätten keine Relevanz für das vorliegende Verfahren.

Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Rechtszüge und die Beklagtenakte vor.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die vom SG zutreffend genannten Rechtsgrundlagen verwiesen.

Der von der Klägerin erhobene Anspruch erfordert nach Nr. 60 BKVO-DDR, dass sie beruflich mit einer Infektionsquelle in Berührung gekommen ist, bei ihr eine Infektion sicher feststeht, die nicht nur mit Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden ist, sondern sich auch als Realisierung einer dieser beruflichen Tätigkeit innewohnenden, besonderen Gefährdung darstellt. Diese Berufseigentümlichkeit setzt ihrerseits voraus, dass eine Gefährdung im Einzelfall nachweisbar oder durch epidemiologische Untersuchungen allgemein belegbar ist. Der Anspruch setzt ferner voraus, dass die Klägerin unter einer Krankheit leidet, die mit Wahrscheinlichkeit auf die durchgemachte Infektion zurückzuführen ist.

Es steht hier schon nicht fest, ob die Klägerin an einer Krankheit leidet, die mit Wahrscheinlichkeit durch eine Infektionskrankheit verursacht werden kann. Prof. Dr. K ... und der ihn bei der Gutachtenerstellung unterstützende Dr. N ... haben überzeugend dargetan, dass die Erkrankung der Klägerin in keine der in Frage kommenden, definierten Fallgruppen der seronegativen Spondylarthropathien mit Sicherheit eingeordnet werden kann. In Betracht kommen bei der Klägerin ein Morbus Bechterew und eine reaktive Arthritis (auch Morbus Reiter genannt). Für die Fallgruppe des Morbus Bechterew besteht schon auf der abstrakt-generellen Ebene, also auf der Ebene der medizinisch-wissenschaftlichen Erfahrungssätze keine Erkenntnis darüber, ob dieses Krankheitsbild durch eine Infektion ausgelöst werden kann. Jeder der Sachverständigen hat deutlich gemacht, dass eine Infektion als auslösende Ursache in der medizinischen Wissenschaft nur als Möglichkeit im Sinne einer Hypothese diskutiert wird. Wird eine Infektion als Ursache im medizinwissenschaftlichen Diskurs lediglich nicht ausgeschlossen, weil diese bislang nicht falsifiziert werden kann, ist eine Prüfung im Einzelfall ausgeschlossen, ob die Erkrankung mit Wahrscheinlichkeit durch eine Infektion verursacht worden ist. Denn die konkret-individuelle Wahrscheinlichkeitsprüfung setzt voraus, dass schon abstrakt- generell die Wahrscheinlichkeit (und sei es auch nur unter besonderen Zusatzannahmen) bejaht wird.

Aber selbst wenn man zugunsten der Klägerin annimmt, sie zeige das Krankheitsbild einer reaktiven Arthritis, die definitionsgemäß durch eine Infektion verursacht wird, ändert sich im Ergebnis nichts. Dem Anspruch steht insoweit schon entgegen, dass ein Zusammenhang zwischen ihrer beruflichen Exposition und einer für die Verursachung ihrer Erkrankung geeigneten Infektion nicht wahrscheinlich ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine berufseigentümliche Gefährdung bei der Klägerin als Laborantin wegen unzureichender technischer Ausstattung und Sicherheitsvorkehrungen vorgelegen hat, obwohl die wesentlichen Übertragungswege für die hier in Frage kommenden Infektionskrankheiten die Nahrungsaufnahme und engste zwischenmenschliche Kontakte (insbesondere Geschlechtsverkehr) sind. Ein konkreter Gefährdungsnachweis ließe sich hier aufgrund der Arbeitsbedingungen allenfalls für pathogene Darmkeime (also insbesondere für eine Yersinieninfektion) führen. Selbst wenn man aber darüber hinaus zugunsten der Klägerin unterstellte, dass es hinsichtlich der sonstigen Infektionskrankheiten (Streptokokken, Staphylokokken, Chlamydien, Mycoplasmen, Herpes, Eppstein-Barr-Viren) die epidemiologischen Studien einen Zusammenhang zwischen Laborarbeiten unter den geschilderten Bedingungen (unfreiwilliges Verschlucken von Patientenmaterial beim Aufziehen von Pipetten) und einer gehäuften Erkrankung an den genannten Infektionskrankheiten unter Laboranten belegen, ergibt die konkret-individuelle Kausalitätsprüfung keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Infektion. Denn es fehlt hier bereits an dem medizinisch geforderten engen zeitlichen Zusammenhang von zwei bis vier Wochen zwischen der beruflichen Tätigkeit und dem Auftreten der ersten, eine reaktive Arthritis belegenden Krankheitszeichen, die einen Rückschluss auf eine berufsbedingte Infektion zulassen. Es ist nicht einmal wahrscheinlich, dass das Krankheitsbild der Klägerin erst im Sommer 1990 aufgetreten ist. Denn die Ende 1990 röntgenologisch festgestellten Veränderungen im Sinne einer Sacroiliitis stellen das Ergebnis einer langjährigen Entwicklung dar. Aus den Ausführungen von Prof. Dr. K ... und Dr. N ... geht hervor, dass ein klar umrissenes, der beruflichen Tätigkeit zeitlich zuordenbares Infektionsereignis fehlt. Dies gilt nicht nur für die Zeit ab 1989, sondern auch für die Tätigkeit der Klägerin ab 1975 bis 1977 und im Jahre 1982. Aufgrund dieser Feststellungen kann sich der Senat nicht im Sinne des Wahrscheinlichkeitsbeweises davon überzeugen, dass die Klägerin während einer der kurzen Phasen ihrer Berufstätigkeit als Laborhelferin bzw. Laborantin eine für die Entwicklung einer reaktiven Arthritis geeignete Infektion erlitten hat, die binnen zwei bis vier Wochen danach zu einer Gelenkentzündung geführt hat. Die Klägerin hat nur über eine langwierige Entzündung des Kniegelenks im Jahre 1987, also während der Zeit, in der sie ausschließlich ihre Kinder betreut hat, berichtet. Hinzu kommt, dass sie auch ohne berufliche Tätigkeit, ebenso wie die sonstige Bevölkerung, aufgrund der geschilderten Übertragungswege einem erheblichen allgemeinen Infektionsrisiko ausgesetzt war, was einen berufsfremden Infektionszeitpunkt nicht bloß nicht ausschließt, sondern ihn sogar nahe legt.

Zu den Einwänden der Klägerin gegen das Gutachten vom 24.03.1999 ist - ergänzend zu den Ausführungen des SG - auf folgendes hinzuweisen:

Es ist zwar unverkennbar, dass sich das Krankheitsbild der Kläger seit 1990 rapide verschlechterte. Aber es handelte sich eben "bloß" um eine Verschlechterung und nicht um eine andere Erkrankung, wie sich aus den Ausführungen der Klägerin ergibt, wonach zuvor "nur Hüfte und LWS betroffen" waren, dann aber "BWS und HWS" gefolgt seien. Es hat damit die bereits bestehende Erkrankung des Skelettsystems auf weitere Bereiche übergegriffen. Der Beleg für eine neue Erkrankung - verursacht durch die seit 1989 wieder aufgenommene Berufstätigkeit - ergibt sich daraus nicht.

Dass ein 10 Jahre nach Beendigung der fraglichen Berufstätigkeit erfolgter Yersinien-Nachweis keinen Beweiswert hat, ergibt sich bereits daraus, dass in eben dieser Zeitspanne vielfältige andere Möglichkeiten einer Infektion bestanden haben, die sich jedenfalls nicht ausschließen lassen, weil eine Infektion am Arbeitsplatz eben nicht die einzige in Betracht kommende Infektionsquelle darstellt.

Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Bündelung von Krankheitserscheinungen wie Schüttelfrost, Nackensteife, WS- und Gelenkbeteiligung, Hautentzündung, Arthritis sowie Muskel- und Herzentzündungen nur von Yersinien- und Borrelienbakterien verursacht würden, und eine Borreliose bei der Klägerin nicht nachgewiesen ist, bewiese dies nur eine yersinienbedingte Erkrankung, nicht aber deren Verursachung, auf die es ja allein ankommt. Insoweit aber haben die Sachverständigen überzeugend dargelegt, dass außerberufliche Infektionsquellen mindestens gleich wahrscheinlich sind, wobei eine Ansteckung auch bei "in jeder Hinsicht geordneten sozialen Verhältnissen" nicht auszuschließen ist, da diese Bakterien, wie sich aus dem Guachten ergibt, auch durch ganz normalen Kontakt mit Haustieren, aber auch durch tierische und sogar nichttierische Lebensmittel übertragen werden können (Gutachten S. 18, SG-Akten Bl. 265).

Auf die durchaus nicht gesicherte Diagnose einer Morbus-Bechterew-Erkrankung einer Großmutter der Klägerin haben die Sachverständigen ihre Beurteilung nicht gestützt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved