L 2 U 29/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 U 135/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 29/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 18. Dezember 1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist (nur noch) die Anerkennung einer Wirbelsäulenerkrankung als Folge des Unfalles vom 17.08.1977 streitig.

Der im Jahre 1941 geborene Kläger war im Montagekombinat H ... beschäftigt. Nach eigenen Angaben hatte er am 17.08.1977 die Aufgabe, Stahlträger von ca. 22 Meter Länge als Dachbinder zu montieren. Beim Durchtrennen des letzten Drahtes seien die Träger umgekippt und hätten ihm beide Beine gequetscht, wobei das linke Bein stärker betroffen gewesen sei.

In der Kreisgesundheitseinrichtung F ..., in die der Kläger am Unfalltag zur Behandlung gebracht wurde, diagnostizierte man eine komplette Unterschenkelfraktur links, 6 cm oberhalb des oberen Sprunggelenkspaltes mit einem größeren, herausgesprengten Fragment an der medialen Kante der Tibia. Die Fraktur wurde reponiert und in einer Oberschenkelgipslonguette ruhiggestellt. Auf seinen Wunsch wurde der Kläger in das Kreiskrankenhaus R ... verlegt, wo er vom 24.08. bis zum 08.09.1977 behandelt wurde.

Im Jahre 1979 suchte der Kläger wegen Rückenschmerzen den Facharzt für Allgemeinmedizin OMR Dr. K ... auf. Nach dem Bericht dieses Arztes vom 08.01.1995 stehen die Rückenschmerzen im Zusammenhang mit dem Unfall vom 17.08.1977.

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 25.04.1994 den Unfall bei der Beklagten angezeigt hatte, zog diese medizinische Unterlagen bei und veranlasste eine Untersuchung des Klägers durch den Facharzt für Chirurgie DM K ... Dieser führte in seinem Gutachten vom 22.05.1995 aus, dass als Folgen des Unfalles vom 17.08.1977 beim Kläger eine Muskelminderung des gesamten linken Beines, eine Beinverkürzung links sowie eine Versteifung des oberen Sprunggelenkes vorliege, und schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für den Zeitraum vom 17.04.1978 bis zum 20.04.1995 mit 10 v. H. und für den Zeitraum danach mit 20 v. H. ein. Als vom Unfall unabhängige Erkrankung diagnostizierte der medizinische Sachverständige u. a. eine Osteochondrose der Lendenwirbelsäule sowie eine Kyphoskoliose der Brustwirbelsäule. Die Beklagte veranlasste eine weitere Untersuchung des Klägers durch den Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. B ... vom Kreiskrankenhaus R ..., der in seinem Gutachten vom 25.11.1996 als Folgen des Unfalls beschreibt:

Schmerzhafte Bewegungseinschränkung des linken oberen und unteren Sprunggelenkes und der Fußgelenke; Spitzfußstellung links mit Sekundärfolgen am Großzehengrundgelenk; knöchern verheilter offener sprunggelenksnaher Unterschenkelbruch mit Sekundärfolgen an den benachbarten Fußgelenken; Gefühlsminderung des sprunggelenksnahen linken Unterschenkels innenseits; erhebliche Muskelverschmächtigung am linken Bein.

Die MdE schätzte der Gutachter für die Zeit nach dem Unfall mit 20 v. H. und ab dem 01.01.1994 mit 25 v. H. ein. Die Beklagte anerkannte mit Bescheid vom 12.12.1996 den Unfall vom 17.08.1977 als Arbeitsunfall und gewährte dem Kläger eine Verletztenrente nach einer MdE um 25 v. H. rückwirkend ab 01.01.1992. Dem widersprach der Kläger mit Schreiben vom 07.01.1997. Die Beinverkürzung und die Dauerschäden der Bein- und Fußgelenke hätten zu Schäden an der Wirbelsäule geführt, die berücksichtigt werden müssten.

Mit Bescheid vom 23.04.1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei der Bemessung der Verletztenrente könnten nur Körperschäden berücksichtigt werden, die rechtlich wesentlich durch den Arbeitsunfall verursacht worden seien. Dies treffe nach Einschätzung des medizinischen Sachverständigen Dr. B ... für die geklagten Wirbelsäulenbeschwerden nicht zu.

Am 23.05.1997 hat der Kläger das Sozialgericht Dresden angerufen. Zusätzlich zu seiner beruflichen Tätigkeit hätten die durch den Arbeitsunfall von 1977 entstandenen Beschwerden zu einer erhöhten Belastung der Wirbelsäule geführt. Es sei daher davon auszugehen, dass die festgestellten Wirbelsäulenschäden mittelbar auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien. Das SG hat eine Stellungnahme von Prof. D ... eingeholt und mit Gerichtsbescheid vom 18. Dezember 1998 die Klage abgewiesen.

Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Bei Unfällen, die - wie hier - vor dem 01.01.1992 eingetreten sind, ist für die Bemessung des Körperschadens § 581 Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuwenden, wenn Renten nach dem 31.12.1991 erstmals festgestellt werden (§§ 215 Abs. 6 SGB VII, 1154 Abs. 1 Satz 2 RVO). Ein Maß des Körperschadens wegen des Unfalles von 1977 ist von der Sozialversicherung der DDR - soweit ersichtlich - nie festgestellt, eine Unfallteilrente nie gezahlt worden.

Nach § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO wird, solange infolge des Arbeitsunfalles die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens 1/5 gemindert ist, als Verletztenrente der Teil der Vollrente gewährt, der dem Grade der MdE entspricht (Teilrente). Voraussetzung für eine Einbeziehung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers bei der Bemessung der unfallbedingten MdE für den Entschädigungsanspruch ist jedoch, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dieser Gesundheitsstörung gegeben ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der das Gericht folgt, reicht für die Bejahung der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität hinreichende Wahrscheinlichkeit aus (vgl. BSGE 45, 285, 286). Hierunter ist eine Wahrscheinlichkeit zu verstehen, nach der bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann.

Nach dem Gesamtergebnis der Beweiserhebung vermag das Gericht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Ursachenzusammenhang zwischen der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers und dem angeschuldigten Ereignis vom 17.08.1977 nicht festzustellen. Nach der gutachterlichen Stellungnahme von Prof. Dr. D ... vom 16.09.1998 liegt beim Kläger ein dorsolumbales vertebragenes lokales Schmerzsyndrom bei dorsolumbaler Kyphose und geringer linkskonvexer statischer Skoliose sowie Keilform L 1, gering auch L 2 vor. Davon unabhängig bestehe ein cervikales vertebragenes lokales Schmerzsyndrom bei leichten polysegmentalen degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule. In Übereinstimmung mit seinem Gutachten vom 30.07.1998, welches der medizinische Sachverständige im Parallelverfahren S 5 U 69/98 erstattet hat, sei für diese Beschwerden eine anlagebedingte Kyphosierung am dorsolumbalen Übergang auf der Basis einer Keilform L 1, geringer auch L 2 der entscheidende Faktor. Diese Fehlform lasse sich weder mit der beruflichen Tätigkeit noch mit der geringen Beinverkürzung links als Folge des Unfallereignisses in Einklang bringen. Eine Verletzung der Lendenwirbelsäule bei dem Unfallereignis vom 17.08.1977 sei absolut ausgeschlossen. Damit seien die pathologisch-anatomischen Veränderungen an der oberen Lehdenwirbelsäule keinesfalls Unfallfolge. Diese Ausführungen werden untermauert durch die Feststellungen von DM K ... und OA Dr. B ... in ihren Gutachten vom 22.05.1995 bzw. 25.11.1996, welche im Wege des Urkundenbeweises Verwertung finden. Beide medizinischen Sachverständigen gehen übereinstimmend davon aus, dass die Veränderungen an der Lendenwirbel- und Brustwirbelsäule im Sinne einer Osteochondrose bzw. Kyphoskoliose unfall- unabhängig entstanden seien. Das Gericht sah weder Veranlassung noch Möglichkeit, die fachkundigen Ausführungen der medizinischen Sachverständigen unbeachtet zu lassen. Es ist nicht ersichtlich, dass den Sachverständigen bei der Erstattung ihrer Gutachten bzw. Stellungnahmen Fehler unterlaufen wären. Der Einwand des Klägers im Schriftsatz vom 02.09.1998, dass die Folgen des Unfalls von 1977 zu den vorliegenden Wirbelsäulenschäden beigetragen hätten, vermag die Richtigkeit der Ausführungen der medizinischen Sachverständigen nicht in Zweifel zu ziehen, da der Kläger insbesondere nicht aufgezeigt hat, auf welche medizinischen Erkenntnisse sich seine Einschätzung, die im Gegensatz zu den Beurteilungen durch die medizinischen Sachverständigen steht, gründet. Wegen der in der Tendenz übereinstimmenden ärztlichen Ausführungen bestand keine Notwendigkeit, von Amts wegen ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen.

Gegen das ihm am 08.02.1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.03.1999 Berufung eingelegt. Es sei ihm nicht verständlich, weswegen sein hartes Berufsleben und die unfallbedingte Beinverkürzung keinerlei Einfluss auf sein Wirbelsäulenleiden gehabt haben soll. Zwar sei der berufsbedingte Einfluss auf seine Wirbelsäule Gegenstand eines anderen Verfahrens. Dagegen sei das Ausmaß der Beinverkürzung bisher ungeklärt, es lägen dazu unterschiedliche Messergebnisse vor. Dagegen sei ihm die von Prof. D ... diagnostizierte Missbildung im Bereich des lumbosakralen Überganges bisher unbekannt gewesen. Im Schr. v. 10.05.2000 (LSG-Akten Bl. 41 bis 49) beschreibt er ausführlich die Belastungen seines Arbeitslebens.

Auf den Antrag des Klägers, einen Arzt seines Vertrauens gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu hören, hat der Senat Prof. Dr. G ..., Diakonissenkrankenhaus L ..., zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt. Dieser führt in seinem Gutachten vom 28.02.2001 u. a. aus:

Beide Kniegelenke zeigen keine auffälligen Unterschiede ihrer Bewegungsumfänge, wobei das Durchbewegen links mit etwas Widerstand beantwortet wird. Beide Kniescheiben lassen sich mäßig gut verschieben. Das Durchbewegen mit Druck auf die Kniescheibe löst beiderseits ein geringfügiges Reiben aus. Schmerzen werden nicht angegeben. Instabilitäten lassen sich sowohl in beiden Kniegelenken als auch in beiden oberen Sprunggelenken nicht nachweisen. Ein Druckschmerz kann über dem linken äußeren Kniegelenksspalt ausgelöst werden. Des Weiteren wird die Berührung des Fußes mit einem entsprechenden Gegendruck mit einer Schmerzäußerung beantwortet. Dies trifft auch für das Abtasten der Fessel und den unteren Unterschenkel zu. Das Auslösen der Zehenbewegung wird links ebenfalls mit Schmerz geäußert. Flüssigkeiteinlagerungen im Unterhautfettgewebe liegen nicht vor. Über der Innenfläche des linken Unterschenkels, 5 cm oberhalb der inneren Knöchelspitze ist eine deutlich braun gefärbte, 6 cm lange, querverlaufende, sonst aber reizlose Narbe zu erkennen. Die Umgebung dieser Narbe ist in einer Ausdehnung von 9 x 8 cm fleckig, deutlich bräunlich verfärbt. Sowohl rechts als auch links kann eine ungebrochene Verbindungslinie vom vorderen Darmbeinstachel über die Mitte der Kniescheibe zur Großzehenspitze gezogen werden, so dass beiderseits keine Verdrehung erkennbar ist.

Röntgenbefund:

Lendenwirbelsäule in zwei Ebenen: Bei unauffälliger, weitgehend korrekter Haltung der Lendenwirbelsäule fallen knöcherne Reaktionen auf einen Verschleiß in den Bandscheiben auf, die sich insonderheit im Bereich vom 12. Brustwirbelkörper abwärts bis zum 3. Lendenwirbelkörper deutlich abbilden. Sie sind gekennzeichnet durch vor allen Dingen vordere und seitliche Knochenausziehungen der Kanten der Wirbelkörpergrund- und -deckplatten. Ausgeprägt sind sie vor allen Dingen in den Bandscheibenzwischenräumen zwischen dem 1. und 2. Lendenwirbelkörper. An der Deckplatte des 2. und des 3. Lendenwirbelkörpers sind auch seitliche Randzackenbildungen zu erkennen. Als Nebenbefund muss eine linksseitige rippenähnliche Spangenbildung, die vom erheblich vergrößerten, hammerförmig ausgebildeten Querfortsatz des 5. Lendenwirbelkörpers ausgeht, beschrieben werden.

Beide Unterschenkel in 2 Ebenen: Bei normaler Darstellung der Knochen des rechten Unterschenkels und der mit abgebildeten Fußwurzel und des rechten Kniegelenks können links folgende Veränderungen festgestellt werden: Auftreibung des Schienbeins, vor allen Dingen auch der Rindenschicht desselben, 4,5 cm oberhalb des Sprunggelenkspaltes. In diesem Bereich ist die Struktur wolkig verdichtet und unregelmäßig. In gleicher Höhe zeigt auch das Wadenbein Verdickungen, vor allen Dingen in der seitlichen Projektion. Die Verlängerung der Achse der Markhöhle setzt sich nicht in der Achse des unteren Anteils zum Knöchel hin fort. Sie ist nach hinten um ca. halbe Schaftbreite versetzt. Die Schienbeingelenkfläche ist in der Knochen-Knorpelgrenze verdichtet und hat eine deutliche Randzacke in der vorderen Begrenzung ausgebildet. Ebenfalls verdichtet ist die Knorpel-Knochen-Grenzzone der abgeflachten Sprungbeinrolle, die an ihrer vorderen Begrenzung der Gelenkfläche ebenfalls eine knöcherne Ausziehung gebildet hat. Eine weitere Verdichtung, vor allen Dingen der Rindenschicht im Bereich des Wadenbeins ist knapp oberhalb der Wadenbeinmitte zu erkennen. In diesem Bereich ist das Wadenbein im Vergleich zu rechts deutlich nach hinten ausgebogen. Im Bereich des linken Kniegelenkes stellen sich keine Unterschiede zum rechten dar. Insonderheit zeigen beide Kniegelenke keinen Unterschied in der Ausbildung von Knochenreaktionen auf einen Knorpelverschleiß. Die spitze Ausziehung der Gelenkzwischenhöcker ist rechts sogar deutlicher als links.

In den vorliegenden Unterschenkelaufnahmen ist also eine korrekte Ausheilung eines offensichtlich weitgehend querverlaufenden Bruches, 4,5 cm oberhalb des Sprunggelenkspaltes zu verzeichnen. Anzeichen für eine Verkürzung im Vergleich zum rechten Unterschenkel sind nicht ersichtlich. Es gelingt auch nicht auf den beiden angefertigten Ganzbeinaufnahmen, die auch für beide Beine normale Achsenverhältnisse aufzeigen, Längenunterschiede zu erkennen. Auch im Kniegelenk sind keine Abweichungen der Gelenkstellungen zu verzeichnen. Es wird deshalb eine Ausmessung der Beinlängen im Computertomogramm erforderlich. Diese ergibt eindeutig, ein Gesamtbeinlänge rechts von 811,7 mm und links von 812,4 mm. Es ist also kein signifikant messbarer Unterschied festzustellen, im Gegenteil liegt der geringfügig längere Messwert beim linken Bein.

In einem Bericht eines behandelnden Arztes vom 08.01.1995 werden die von Herrn W. geklagten Rückenschmerzen, die 1979, 1981, 1983, 1984, 1993 und 1994 Anlass zur Behandlung bei ihm gewesen sind, als Unfallfolgen eingestuft, da eine Beinverkürzung vorliege und daraus sich eine statische Fehlbelastung der Lendenwirbelsäule ableiten ließe. Im Auftrag der Süddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft, Bezirksverwaltung Erfurt, wird am 20.04.1995 ein erstes Rentengutachten zur ersten Rentenfeststellung von einem D-Arzt angefertigt. In diesem Gutachten wird unter den wesentlichen Unfallfolgen die Muskelminderung des gesamten linken Beines, die linksseitige Beinverkürzung (nach Messtabelle 2 cm) und die Versteifung des oberen Sprunggelenkes angeführt. Eine Bewertung dieses Zustandes endet mit dem Vorschlag, dass 20 % Erwerbsminderung gerechtfertigt anzuerkennen seien. Zur Arbeitseinsatzfähigkeit werden angegeben, leichte Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen. Bei der Befundbeschreibung wird zusätzlich eine Achsenfehlstellung von 12° im Sinne einer nach vorn sichtbaren Durchbiegung des Schienbeins und eine um 10° im Sinne der X-Beinstellung aufgeführt. Das Messblatt weist eine Versteifung des linken oberen Sprunggelenks in einem Spitzfußwinkel von 30° auf. Aus diesem Grunde wird von der Süddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft, Bezirksverwaltung Erfurt, empfohlen, die 20 % Erwerbsminderung auf Dauer anzuerkennen.

Zusammenfassende Diskussion und Beurteilung:

Herr W. stürzte am 17.08.1977, als er von einem umstürzenden Stahlträger, der als Dachbinder montiert werden sollte, am linken Bein getroffen wurde. Dadurch geriet er mit beiden Beinen unter den Träger, der allerdings von einem Holzbock am vollständigen Umstürzen gehindert wurde, so dass nur der linke Unterschenkel mit einem offenen Bruch verletzt wurde. Dieser Bruch verlief ca. 4,5 cm oberhalb des Sprunggelenks, offensichtlich quer durch das Schien- und Wadenbein, die beide in der gleichen Höhe als Zeichen des direkten Anpralls der Gewalt zerbrachen. Nach Befreiung von Herrn W. aus der Zwangslage erfolgte ein Transport ins Krankenhaus D ... Sieben Tage später wurde Herr W. ins Kreiskrankenhaus R ... verlegt. Am 15.06.1978 wurde die Behandlung abgeschlossen. Weitere ärztliche Konsultationen oder gar gutachterliche Untersuchungen und Beurteilungen sind den mitgelieferten Akten nicht zu entnehmen.

Im Zusammenhang mit den aufgetretenen Rückenschmerzen, die im Laufe der Jahre immer häufiger, später dauernd beklagt wurden, vertritt Herr W. die Meinung, dass die Rückenbeschwerden Folge der Behinderung des linken Beines seien.

In drei Gutachten wird übereinstimmend die Bewegungseinschränkung im linken oberen Sprunggelenk festgehalten. Einigkeit besteht jedoch nicht in dem Ausmaß einer von allen dreien genannten Verkürzung des linken Beines, die mit 0,5 cm, 1 cm oder 2 bis 2,5 cm angegeben wird. Des Weiteren spielt eine Umfangsminderung, die auf eine Verschmächtigung der Muskulatur sowohl im Oberschenkel als auch im Unterschenkel zurückgeführt wird, in allen drei Gutachten eine Rolle. Die Bewertung fällt ebenso unterschiedlich aus. Eine Erstbegutachtung vom 20.04.1995 schätzt die Erwerbsminderung vom Tag der Wiederaufnahme der Arbeit, also vom 17.04.1978 bis zum Untersuchungstag mit 10 von Hundert ein und ab dem Tag der Untersuchung mit 20 von Hundert (Seite 97 ff.). Bei einer weiteren Gutachtenuntersuchung vom 25.11.1996 wird die Erwerbsminderung sogar ab Datum der Untersuchung mit 25 % eingeschätzt und dies rückwirkend ab 01.01.1994. Gegen diese Einschätzung hat Herr W. Beschwerde eingelegt, offensichtlich da in der Mitteilung und Begründung der Berufsgenossenschaft die Rückenbeschwerden als nicht hinreichend dem Unfallgeschehen zuzuordnen nicht mit einbezogen wurden ... Das Gutachten einer dritten Begutachtung kommt zu dem Ergebnis, dass der vorliegende Schaden im Bereich der Lendenwirbelsäule nicht auf die arbeitsbedingte Belastung zurückzuführen ist. Der vom Gutachter gemessene Beinlängenunterschied mit 0,5 cm zu Ungusten des linken Beines wird ebenfalls nicht als maßgeblich beteiligt an den in der Lendenwirbelsäule festgestellten Veränderungen eingeschätzt.

Die im Gutachten genannten Fragen lassen sich aus dem Vorgenannten wie folgt beantworten:

1. Die Frage nach den Gesundheitsstörungen beim Kläger im Bereich beider Beine ist eindeutig. Am linken Bein ist neben einer deutlichen Einschränkung der Bewegung im linken oberen Sprunggelenk mit Unfähigkeit, dasselbe in die O-Stellung zu bringen, die Verminderung der Muskelmasse im Ober- und Unterschenkelbereich zu nennen, ebenso die Einschränkung auch der Umwendbewegung des Fußes. Des Weiteren findet man als Restzustand der offenen Bruchbildung am linken Unterschenkel eine reizlose Narbe, die in der Umgebung die Zeichen geminderter Hauternährung zeigt (bräunliche Verfärbung). An verschiedenen Stellen des Fußes, des Unterschenkels und am äußeren Kniegelenkspalt können Schmerzen auf Druck ausgelöst werden. Im Röntgenbild finden sich noch Spuren des Knochenbruches, die in einer Verdickung der Rindenschichten an Schien- und Wadenbein, ca. 4,5 cm oberhalb des Sprunggelenkes zu erkennen sind. Dagegen konnte eine Beinverkürzung durch exakte Messung im Computertomogrammverfahren ausgeschlossen werden.

2. Die zweite Frage, welche Verletzungen der Kläger durch seinen Sturz am 17.08.1977 erlitt, wird dahingehend beantwortet, dass durch einen umstürzenden Metallträger sein linker Unterschenkel knapp oberhalb des Sprunggelenks gebrochen wurde und dabei über dem Bruch eine Wunde entstand. Es lag also eine so genannte offene Bruchbildung vor, die Schien- und Wadenbein in der gleichen Höhe durchtrennte.

3. Die unter 1 genannten Störungen sind mit Sicherheit auf die unter 2 genannte Verletzung zurückzuführen, da die Einschränkung der Beweglichkeit im linken oberen und unteren Sprunggelenk im Röntgenbild auch erkennbar an Knochenreaktionen auf einen Knorpelverschleiß durch die langfristige Ruhigstellung im Oberschenkelgipsverband entstanden ist. Da das linke Bein aus diesem Grunde gebrauchseingeschränkt war, ist es zu der beschriebenen Muskelminderung gekommen.

4. Die vierte Frage, die dahin zielt, dass Vorschäden oder Schäden in der Nachfolgezeit zusätzlich eingewirkt haben, ist nach der Gutachtenuntersuchung so zu beantworten, dass solche Schädigungen weder aktenkundig gemacht wurden noch in der Vorgeschichte genannt wurden und für die Entstehung der unter 1 genannten Gesundheitsstörungen auch nicht erforderlich waren.

5. a) Die fünfte Frage nach der unfallbedingten Erwerbsminderung. Sie ist nach dem Stand der Befunderhebung höchstens mit 20 von Hundert einzuschätzen.

b) Die Unterfrage kann keine Berücksichtigung finden, da am rechten Bein keine Beeinträchtigungen vorliegen.

Eine Beeinträchtigung der Wirbelsäulenstatik und -dynamik ist auszuschließen, da eine Verkürzung des linken Beines ausgeschlossen wurde.

Der von Prof. Dr. G ... beauftragte Radiologe Dr. St ... hat computertomographisch die Länge (vom höchsten Punkt des Femurkopfes bis zur Tibiagelenkfläche) des linken Beines mit 812,4 mm und die des rechten mit 811,7 mm gemessen (Mitteilung v. 18.01.2001, LSG-Akten Bl. 89). Insbesondere auch im Bereich der Unterschenkel fand sich keine signifikante Längendifferenz.

Der Kläger hat sich auf Nachfragen von Seiten des Senats zu dem Ergebnis des Gutachtens nicht geäußert.

Er beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 18.12.1999 mit dem Bescheid der Beklagten vom 12.12.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.1997 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Wirbelsäulenerkrankung des Klägers zusätzlich als Folge des Arbeitsunfalles vom 17.08.1977 anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und die ihrer Ansicht nach überzeugende Begründung des Sozialgerichts.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Dem Senat liegen neben den Prozessakten beider Rechtszüge die Verwaltungsakten vor.

Entscheidungsgründe:

Die fristgemäß eingelegte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.

Die hier maßgebenden Normen hat das SG zutreffend genannt. Darauf wird ebenso Bezug genommen auf die Ausführungen des SG zur Sache, denen sich der Senat anschließt. Ergänzend ist hinzuzufügen:

Die vom Kläger erhobenen Einwände greifen nicht durch.

Auch im Berufungsverfahren macht der Kläger ausdrücklich nur noch sein Wirbelsäulenleiden als weitere Unfallfolge geltend. Dieses Leiden kann aber von vornherein nur eine mittelbare Folge sein, weil die Wirbelsäule durch den Unfall selbst (zunächst) nicht betroffen war (Prof. D ... bezeichnet eine Verletzung der Wirbelsäule durch den Unfall als "absolut ausgeschlossen", Stellungnahme v. 16.09.1998 im Verfahren S 5 U 135/97 Bl. 59). Insoweit stimmig macht der Kläger geltend, sein Wirbelsäulenleiden sei durch die - ihrerseits zu einer Störung des stato-dynamischen Gleichgewichts der Wirbelsäule führenden (als solche bestätigt im Gutachten Prof. D ... vom 30.07.1998 im Verfahren S 5 U 69/98 S. 16 (SG-Akte Bl. 73 ff., 88), auf den Unfall zurückzuführende - Beinverkürzung verursacht und sieht sich in dieser Auffassung - ebenfalls nicht ohne jeden Anhalt - in der von verschiedenen Sachverständigen - freilich in jeweils unterschiedlichem Ausmaß - diagnos- tizierten Beinlängendifferenz bestätigt (von Prof. D ... zuletzt mit 0,5 cm angegeben, Gutachten S. 14). Es ist auch keineswegs a limine ausgeschlossen, dass die Verheilung eines Bruches von Schien- und Wadenbein zu einer Veränderung der Länge des Beines und damit zu einer Beinlängendifferenz insgesamt führt, was durchaus zu den vom Kläger behaupteten "stato-dynamischen" Störungen im Bereich der Wirbelsäule führen kann.

Der Kläger hat - aus seiner Sicht zumindest verständlich - seine Rückenbeschwerden auf eine unfallbedingte Beinverkürzung zurückgeführt. Schon Prof. D ... aber hat erläutert, dass als Hauptursache der Beschwerden des Klägers die auf körpereigener Grundlage entstandene keilartige Verformung ("Kyphosierung") der Wirbelkörper L 1 und L 2 anzusehen ist. Hinzu kommt eine weitere angeborene Missbildung am lumbo-sakralen Übergang (dem Übergang der untersten Lendenwirbelkörper zum Steißbein) in Gestalt einer teilweisen Verknöcherung ("Hemisakralisation") im Bereich des 5. Lendenwirbelkörpers. Diese "statodynamische Störung" des Wirbelsäulengefüges ist der entscheidende Faktor für das beim Kläger bestehende Schmerzsyndrom und nicht etwa eine unfallbedingte Beinverkürzung, für die allerdings - bestünde sie - der Unfallhergang durchaus hätte verantwortlich gemacht werden können.

Jedoch gibt es eine derartige Beinlängendifferenz beim Kläger in Wahrheit nicht. Dies hat die von Prof. Dr. G ... veranlasste und von dem Radiologen Dr. St ... mit Hilfe eines Computertomogramms durchgeführte Messung eindeutig ergeben. An ihrer Zuverlässigkeit ist nicht zu zweifeln, sie kann deshalb nicht bloß als ein weiteres, zusätzliches Messdatum neben anderen angesehen werden. Fehlt es aber an einer Beinlängendifferenz, dann kann auch das Wirbelsäulenleiden nicht Unfallfolge sein, weil sich ein anderer Ursachenzusammenhang nicht herstellen läßt. Auch der Kläger macht dies nicht geltend. Soweit er - ausführlich - seine Arbeitsbiographie mit ihren Belastungen auch der Wirbelsäule darlegt, dient dies wohl nur der Illustration des Umfanges seiner Beschwerden, ein Zusammenhang mit dem Unfall im Sinne von Ursächlichkeit lässt sich daraus nicht ableiten.

Im Übrigen hat Prof. Dr. G ... die Unfallfolgen in vollem Umfang überprüft und die bisherige Einschätzung der MdE mit 20 v. H. bestätigt. Damit ist der Kläger durch die angefochtenen Entscheidungen nicht beschwert.

Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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