L 2 U 42/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 14 U 258/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 42/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 11.01.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig im Verfahren ist die Gewährung einer Verletztenrente.

Der Kläger, der von Beruf Maschinenbauer ist und von 1990 bis 1991 als Asbestentsorger tätig war, erlitt am 14.10.1991 gegen 22.55 Uhr einen Autounfall, der von der Beklagten als Arbeitsunfall anerkannt wurde. Im Anschluss an den Unfall wurde der Kläger durch den Notarzt in das Kreis- und Stadtkrankenhaus M ..., Fachbereich Thoraxchirurgie eingeliefert. In einem Krankheitsbericht des dort behandelnden Chirurgen Dr. K ... vom 29.11.1991 werden als Befund vom 14.10.1991 ein Thoraxtrauma mit traumatischem Pneumothorax links und Unterkiefer-/Mundboden-Weichteilverletzung genannt. Die Röntgendurchleuchtung am 14.10.1991 habe einen praktisch totalen Kollaps der linken Lunge ergeben. Am 18.10.1991 sei der Kläger operiert und dabei der Lungendefekt übernäht worden. Die Behandlung werde voraussichtlich noch bis zum 15.01.1992 dauern; bis zu diesem Zeitpunkt bestehe Arbeitsunfähigkeit (vgl. auch S. 78 ff. VwA).

In einem Arztbrief von Dr. K ... vom 30.12.1991 nach einer Untersuchung am 19.12.1991 wird als Untersuchungsergebnis eine gut verheilte Narbe nach linksseitiger Thorakotomie angegeben. Der Kläger gebe noch über ziehende Schmerzen im Bereich der Narbe an, ansonsten sei er von Seiten der Lunge praktisch beschwerdefrei. Die Lungenfunktion sei als Folge der operativen Behandlung noch eingeschränkt. Insgesamt habe sich der klinische Zustand des Klägers weiterhin gebessert. Wegen der noch eingeschränkten Lungenfunktion als Folge der operativen Behandlung seien ihm atemgymnastische Übungen und evtl. lokale Einreibungen mit einem Antiphlogisticum empfohlen worden. Eine erneute Kontrolle sei in der 2. Hälfte Januar vorgesehen. Danach könne man über die Arbeitsfähigkeit des Klägers entscheiden. Der Kläger war in der Folge bis 02.02.1992 arbeitsunfähig erkrankt.

In einem auf Veranlassung der Beklagten nach einer Untersuchung am 13.01.1993 erstellten Gutachten diagnostizierte Dr. M ..., Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde u. a. einen Narbenschmerz links bei Zustand nach Thorakotomie und Thoraxtrauma. Der Kläger habe den Autounfall dank der hervorragenden Versorgung fast schadlos überstanden. Es seien nur die Thorakotomienarbe und die thorakalen Schmerzen (Narbenschmerzen) links geblieben. Eine eindeutige Messung der Lungenfunktion habe wegen mangelnder Mitarbeit nicht realisiert werden können. Indirekt könne jedoch die Blutgasanalyse, die in Ruhe und unter Belastung im Normbereich gewesen sei, zur Beurteilung der Funktion herangezogen werden. Auch nach dem Röntgenbefund könne von einer nicht eingeschränkten Lungenfunktion ausgegangen werden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) liege seines Erachtens seit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit unter 10 %. Nachuntersuchungen wegen des Arbeitsunfalles seien nicht mehr erforderlich. Die bisherige Tätigkeit (Asbestentsorger) könne wieder aufgenommen werden.

Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 26.11.1997 und Widerspruchsbescheid vom 26.02.1998 die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt hatte, ist Klage vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) erhoben worden. Im Klageverfahren ist ein weiteres Gutachten eingeholt worden. In diesem Gutachten vom 11.11.1999 hat der Gutachter Dr. F ... ausgeführt, dass die Untersuchung am 09.09.1999 röntgenologisch und lungenfunktionsanalytisch keine Normabweichungen ergeben habe. Die Blutgase seien normal gewesen. Als einziger normabweichender Befund sei vom Kläger ein Kompressionsschmerz der linken Brustkorbseite angegeben worden und dass er beim Liegen auf dieser Seite Schmerzen habe. Auf Bl. 7 des Gutachtens wird weiter ausgeführt, dass der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen der Unfallfolgen ab dem Zeitpunkt des Wegfalls der Arbeitsunfähigkeit aufgrund der vom Kläger angegebenen Beschwerden bei sonst normgerechten Lungenfunktions- und Blutgaswerten mit 10 % geschätzt werde. Ausweislich Bl. 8 des Gutachtens konnte der Gutachter keine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit ab Wegfall der Arbeitsunfähigkeit feststellen.

Mit Urteil des SG vom 11.01.2000, dem Kläger zugestellt am 31.01.2000, ist die Klage abgewiesen worden. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, dass als Unfallfolgen lediglich eine Operationsnarbe im Brustkorbbereich und Narbenschmerzen vorlägen. Lungenfunktionseinschränkungen seien nicht vorhanden. Eine MdE von 20 v. H. sei nicht begründbar.

Am 29.02.2000 ist Berufung eingelegt worden u. a. mit der Begründung, dass dem Kläger die Tätigkeit des Asbestentsorgers, die mit dem ständigen Tragen von Atemschutzgeräten verbunden sei, wegen der bei ihm unfallbedingt auftretenden Luftnotzustände und der Kompressionsschmerzen des linken Brustkorbes nicht mehr zumutbar sei. Auch sei nur eine ganz kurzzeitige Ergometerbelastung (sechs und drei Minuten) erfolgt. Zudem erleide der Kläger besondere berufliche Nachteile dadurch, dass er die von ihm erworbenen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen als Fachentsorger für Asbestsanierung infolge des Unfalles vom 14.10.1991 nicht mehr nutzen könne. Die Tätigkeit als Asbest- entsorger sei mit ständigem Tragen von Atemschutzgeräten der Gruppe 2 verbunden. Das Tragen von Atemschutzgeräten sei dem Kläger jedoch aufgrund seiner unfallbedingten Luftnotzustände und der bereits festgestellten Kapazitätserniedrigungen nicht mehr zumutbar.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz mit dem Bescheid vom 26.11.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 14.10.1991 eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat sich im Wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Urteils bezogen. Das SG habe zu Recht auf die übereinstimmenden und schlüssigen Gutachten von Dr. F ... und Dr. M ... abgestellt und zusätzlich die Übereinstimmung der Gutachten mit der sozialmedizinischen Literatur festgestellt. Bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit sei ausschließlich auf Funktionseinschränkungen abzustellen. Vorliegend gehe der Kläger deshalb fehl in seiner Annahme, auch Brustkorbschmerzen könnten für die Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von Bedeutung sein.

Den Beteiligten ist mit Schreiben vom 17.04.2001 bzw. 23.04.2001 mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, das Verfahren durch Beschluss zu entscheiden, da der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Dem Senat liegen neben den Gerichtsakten beider Rechtszüge die Verwaltungsakten der Beklagten vor.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist nicht begründet.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält. Die Beteiligten wurden hierzu entsprechend der Regelung des § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG gehört.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind und den Kläger nicht in ungerechtfertigter Weise beschweren.

Zwar ist grundsätzlich das Recht der DDR für den streitgegenständlichen Unfall maßgeblich, da dieser vor dem 01.01.1992 geschah und der Beklagten vor dem 31.12.1993 bekannt wurde (§ 1150 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung - RVO -, § 215 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII -). Da jedoch nicht der Umstand eines am 14.10.1991 erlittenen Arbeitsunfalles als solcher, sondern lediglich die dadurch bedingte Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) streitig ist, kommt es allein darauf an, ob die Voraussetzungen des § 581 RVO i. V. m. § 1154 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVO erfüllt sind. Nach der letztgenannten Vorschrift ist für Arbeitsunfälle, die vor dem 01.01.1992 eingetreten sind, für die Bemessung des Körperschadens § 581 RVO anzuwenden, wenn Renten nach dem 31.12.1991 erstmals festgestellt werden. Gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO wird eine Verletztenteilrente gewährt, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge des Arbeitsunfalles um wenigstens ein Fünftel gemindert ist. § 580 Abs. 1 bestimmt des Weiteren, dass der Verletzte eine Rente erhält, wenn die zu entschädigende Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert. § 580 Abs. 2 bestimmt, dass die Rente mit dem Tag nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung beginnt.

In Anwendung dieser Vorschriften ergibt sich, dass dem Kläger aufgrund des Arbeitsunfalles vom 14.10.1991 keine Verletztenrente zu gewähren ist. Am 03.02.1992, dem Tag nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit, lag keine MdE in rentenberechtigendem Grad mehr vor.

Wie sich aus sämtlichen medizinischen Unterlagen übereinstimmend ergibt, hat der Kläger bei dem Unfall am 14.10.1991 eine Brustkorbverletzung mit Lungenriss links erlitten. Die Verletzung musste operativ versorgt werden; als Folge leidet der Kläger heute noch unter Narbenschmerzen im Operationsbereich. Die Lungenfunktion war im Anschluss an die Brustkorboperation operationsbedingt jedenfalls am 19.12.1991 noch eingeschränkt; der Kläger war dementsprechend noch arbeitsunfähig erkrankt bis 02.02.1992. Anhaltspunkte dafür, dass zu diesem Zeitpunkt noch eine Einschränkung der Lungenfunktion bestand, existieren nicht.

Die Untersuchung am 13.01.1993 durch Dr. M ... ergab keine Hinweise mehr auf eine Lungenfunktionseinschränkung. Zwar konnte zu diesem Zeitpunkt eine Lungenfunktionsprüfung wegen fehlender Mitarbeit des Klägers nicht durchgeführt werden, jedoch hat Dr. M ... überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass bei normalem Röntgenbefund des Brustkorbes und normalen Blutgasverhältnissen in Ruhe und Belastung von einer Einschränkung der Lungenfunktion nicht auszugehen sei. Dr. F ... hat hiermit übereinstimmend im insoweit sorgfältig erstellten und nachvollziehbaren Gutachten vom 11.11.1999 normgerechte Lungenfunktions- und Blutgaswerte festgestellt und darauf hingewiesen, dass einziger normabweichender Befund der vom Kläger angegebene Kompressionsschmerz der linken Brustkorbseite und die Schmerzen beim Liegen auf der Seite seien.

Die Narbenschmerzen im Operationsbereich bedingen jedenfalls eine MdE von unter 10 v. H. Der Senat folgt insoweit nicht der Einschätzung von Dr. F ..., soweit dieser aufgrund der vom Kläger angegebenen Beschwerden eine MdE von 10 v. H. angibt. Die Gewährung einer Verletztenrente kommt somit nicht in Betracht.

Eine Erhöhung der MdE kommt auch nicht aufgrund der Regelung des § 581 Abs. 2 RVO in Betracht. Nach dieser durch Artikel 1 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 30.04.1963 (BGBl. I, 241) in die RVO eingefügte Vorschrift sind bei der Bemessung der MdE Nachteile zu berücksichtigen, die der Verletzte dadurch erleidet, dass er bestimmte, von ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Arbeitsunfalles nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen kann, soweit sie nicht durch sonstige Fähigkeiten ausgeglichen werden, deren Nutzung ihm zugemutet werden kann. Diese Regelung lässt zum einen in der Regel Erhöhungen lediglich von 10 bis 20 v. H. zu (BSGE 70, 41, 51). Zum anderen liegen Nachteile, die eine Höherbewertung der MdE rechtfertigen könnten, nur dann vor, wenn die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde (st. Rs., vgl. z. B. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 27.06.2000 - B 2 U 14/99 R - m. w. N.). Eine solche unbillige Härte liegt nicht allein schon dann vor, wenn der Verletzte seinen erlernten Beruf infolge eines Arbeitsunfalles nicht mehr ausüben kann. Als wesentlich für die Beurteilung der Frage, ob eine höhere Bewertung der MdE zur Vermeidung unbilliger Härten gerechtfertigt ist, hat das BSG vielmehr auch das Alter des Verletzten (BSGE 4, 294, 299), die Dauer der Ausbildung (BSG SozR Nr. 10 zu § 581 RVO) sowie vor allem die Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit (z. B. BSG SozR Nrn. 9 und 10 zu § 581 RVO) als auch den Umstand bezeichnet, dass die bisher verrichtete Tätigkeit eine günstige Stellung im Erwerbsleben gewährleistete (BSG SozR Nrn. 10 und 12 zu § 581 RVO). Aus diesen Merkmalen und den außerdem zu beachtenden sonstigen besonderen Umständen des Einzelfalles kann sich eine höhere Bewertung der MdE nach § 581 Abs. 2 RVO ergeben, wenn der Verletzte infolge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit einen Lebensberuf aufgeben muss und die ihm verbliebenen Kenntnisse und Fähigkeiten nur noch unter Inkaufnahme eines unzumutbaren sozialen Abstiegs auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens verwerten kann (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2000 - B 2 U 14/99 R -, m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger, der von Beruf Maschinenbauer ist und ein Jahr als Asbestentsorger gearbeitet hat, auch dann nicht vor, wenn er die Tätigkeit des Asbestentsorgers aufgrund des am 14.10.1991 erlittenen Arbeitsunfalles nicht mehr ausüben kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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