S 13 KR 5/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 5/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 06.02.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2002 verurteilt, den Kläger mit einem knochenverankerten Hörgerät, Modell "BAHA-Compact", zu versorgen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit einem knochenverankerten Hörgerät (Bone Anchored Hearing Aid = BAHA).

Der 1951 geborene Kläger leidet an chronischer beidseitiger Mittelohrentzündung, des Weiteren an Diabetes mellitus. Wegen einer Perforation des rechten Trommelfells wurde 1986 eine Tympanoplastik durchgeführt. Als sich eine erneute Perforation einstellte, folgte 1989 eine zweite Tympanoplastik rechts. Wegen der bestehenden Schallleitungsschwerhörigkeit wird der Kläger seit 1991 mit "normalen" Hörgeräten versorgt. Im Jahre 2001 stellte der behandelnde HNO-Arzt Dr. S eine erneute Perforation fest.

Am 22.10.2001 verordnete Dr. S eine Hörhilfe. Als Ohrbefund gab er an, dass das Trommelfell links und rechts durchlöchert sei. Er hielt eine BAHA-Versorgung für erforderlich. Nach Durchführung von Hörproben schlug der Hörgeräte-Akustiker E-C auf der Rückseite der Hilfsmittelverordnung ein Hörgerät "BAHA-Compact", HV-Nr. 0000000000, zum Gesamtpreis von 7.460,- DM (= 3.814,24 EUR) vor. In einem ärztlichen Befundbericht vom 09.11.2001 erläuterte Dr. S seine Hilfsmittelverordnung: Die Versorgung mit einem normalen Hörgerät wie bisher sei wegen der offenen Pauken äußerst problematisch; bei der beim Kläger vorliegenden Grundkonstellation sei die Versorgung mittels BAHA-Gerät zwingend erforderlich.

In von der Beklagten eingeholten Stellungnahmen des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) stellte Dr. M am 20.12.2001 und 01.02.2002 fest, beim Kläger liege eine Schallleitungskomponente von bis zu 55 Dezibel (dB) vor; bei einem Luftleitungshörgerät bestehe das Problem eines Rückkoppelungspfeifen; eine Versorgung über einen Knochenleitungshörbügel sei medizinisch indiziert, und zwar zum Festbetrag; leider trage der Kläger keine Brille, an der der Knochenleitungshörbügel befestigt werden könne; eine Brille sei aber integraler Bestandteil einer entsprechenden Versorgung; bei der Implantation eines BAHA-Gerätes seien u. U. Wundheilungsstörungen zu erwarten; falls der Kläger mit einem Knochenleitungshörbügel nicht zurecht komme, sollte die BAHA-Versorgung erneut zur Diskussion gestellt werden.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 06.02.2002 die Versorgung mit einem BAHA-Compact-Hörgerät ab. Gleichzeitig erteilte sie eine Kostenzusage für einen Knochenleitungshörbügel mit Brille zum Festbetrag.

Dagegen legte der Kläger am 25.02.2002 Widerspruch ein. Er verwies darauf, dass sein HNO-Arzt Dr. S die medizinische Notwendigkeit eines BAHA-Compact-Gerätes - auch gegenüber dem MDK - nochmals zum Ausdruck gebracht habe. Er wolle auch deshalb nicht auf die Knochenleitungshörbügel-Versorgung zurückgreifen, weil er aufgrund seines fortgeschrittenen Gehörleidens an starkem Ausfluss besonders des linken Ohres leide. Im Übrigen sei er der Auffassung, dass ihm als Nicht-Brillen- Träger nicht zugemutet werden könne, auch noch eine Brille tragen zu müssen. In einer von der Beklagten eingeholten ergänzenden MDK-Stellungnahme vom 11.03.2002 stellte Dr. V fest, es liege eine beidohrige kombinierte Schwerhörigkeit mit Schallleitungskomponente im Hauptsprachbereich rechts bis 55 dB und links bis 50 dB vor. Er kam zum Ergebnis, dass es sich bei der Versorgung mit Knochenleitungshörbügeln um eine ausreichende, wirtschaftliche und zweckmäßige Versorgung handele. Bei Knochenleitungshörbügeln beidseits bestehe das Mittelteil aus einer Brille (bei nicht Fehlsichtigen mit nicht brechenden Gläsern). Diese Versorgung sei im Rahmen der Festbetragsregelung realisierbar. Gesundheitliche Beeinträchtigungen seien für den Versicherten nicht zu befürchten. Die Notwendigkeit der Versorgung mit dem wesentlich teureren knochenverankerten Hörgerät sei nicht begründet.

Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 28.11.2002, abgesandt am 20.12.2002, zurück. Sie meinte, Knochenleitungshörbügel zum Ausgleich der Hörminderung seien ausreichend; das Tragen einer entsprechenden Hörbrille sei dem Kläger auch aus ästhetischer Sicht zuzumuten. Unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebots sei der für diese Versorgung geltende Festbetrag von 603,32 EUR maßgebend und entbinde die Krankenkasse von einer weiteren Leistungsverpflichtung. Deshalb scheide eine Kostenübernahme für das BAHA-Gerät aus.

Dagegen hat der Kläger am 14.01.2003 Klage erhoben. Er wiederholt, dass der HNO-Arzt Dr. S eine BAHA-Versorgung für dringend erforderlich halte. Er verweist darauf, dass auch der mit der Angelegenheit befasste Hörgeräte-Akustiker für eine Versorgung mit einer Knochenhörbrille viele Unwägbarkeiten (Sitz, Anpressdruck etc.) sehe und mitgeteilt habe, dass sie nicht annähernd mit der Hörqualität einer BAHA-Versorgung zu vergleichen sei. Der Kläger meint, auch wenn das Tragen einer Brille nicht unüblich und gesellschaftlich anerkannt sei, gelte dies nicht für das Tragen von Brillen mit Fensterglas. Es könne ihm nicht zugemutet werden, ein Brillengestell (mit Fenstergläsern) zu tagen, damit er besser hören könne.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.02.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2002 zu verurteilen, ihn mit einem knochenverankerten Hörgerät, Modell "BAHA-Compact", zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie räumt ein, dass die Versorgung mit einem Knochenleitungs-Hörsystem beim Kläger medizinisch indiziert und notwendig sei, meint jedoch, dass insofern eine Knochenleitungs-Hörbügelversorgung (Hörbrille) zum Festpreis von 603,32 EUR ausreichend sei.

Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts von der Beklagten Produktinformationen und Anschauungsmaterial über das von ihr als ausreichend erachtete Hilfsmittel einer Hörbrille beigezogen und von dem Hörgeräte-Akustiker E-C Auskünfte über die Kosten einer Versorgung mit einem BAHA-Hörgerät eingeholt. Von dem HNO-Arzt Dr. S hat das Gericht eine Stellungnahme zur medizinischen Erforderlichkeit und den Vor- bzw. Nachteilen einer Versorgung mit einer Hörbrille und einem BAHA-Gerät eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf die beigezogenen Unterlagen und den Arztbericht vom 07.03.2003 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie rechtswidrig sind. Denn er hat Anspruch auf Versorgung mit einem knochenverankerten BAHA- Hörgerät.

Dieser Anspruch ergibt sich aus § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3, § 33 Abs. 1 Satz 1 sowie § 12 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, die u. a. die Versorgung mit Hilfsmitteln umfasst. Zu den Hilfsmitteln gehören auch Hörhilfen; auf diese besteht Anspruch, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Wie alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung muss die Versorgung mit einer Hörhilfe ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V - Wirtschaftlichkeitsgebot).

Da der Kläger an einer Schallleitungsschwerhörigkeit leidet, ist die Versorgung mit einem Hörgerät notwendig. Aufgrund der bei ihm bestehenden speziellen gesundheitlichen Verhältnisse - er leidet an einer chronischen Mittelohrentzündung, beidseits sind die Trommelfelle durchlöchert, Tympanoplastiken sind ohne dauernden Erfolg geblieben - ist für den Kläger ein knochenleitendes Hörsystem erforderlich. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Der Knochen dient bei diesem System für den Klang als ein Weg, das Innenohr zu erreichen, ohne dass der Gehörgangskanal einbezogen wird.

Knochenleitungshörsysteme gibt es entweder als Knochenleitungs-Hörbügel (sog. "Hörbrille") oder als teilimplantiertes knochenverankertes System (BAHA-Gerät). Bei der Hörbrille wird das Hörgerät mit einem Gläser tragenden Brillenteil im Bereich des Gestellbügels verbunden; für die Hörqualität ist ein ausreichender Anpressdruck erforderlich. Beim teilimplantierten Knochenleitungs-Hörsystem wird eine Titanschraube durch die Haut im Schädelknochen verankert; Empfänger und Verstärker werden von außen angekoppelt. Die Versorgung mit einem solchen BAHA-Gerät kann bei Schwerhörigen zweckmäßig sein, die auf Knochenleitung angewiesen, aber nicht mit Knochenleitungs-Hörbügeln versorgbar sind (vgl. Hilfsmittelverzeichnis, Produktgruppe 13 "Hörhilfen", Seite 13-7 und 13-8; "Begutachtungsanleitung bei Schwerhörigkeit und Hörgeräteversorgung", herausgegeben vom Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e. V., 3. Auflage, Abschnitt I Ziff. 4.3.4). Ein Festbetrag, mit dem die Krankenkasse ihre Leistungspflicht erfüllt (§§ 12 Abs. 2, 33 Abs. 2 Satz 1 SGB V), ist nur für Knochenleitungs-Hörbügel vorgesehen; er beträgt für solche Hörbrillen in Nordrhein-Westfalen 603,32 EUR. Bei der Versorgung mit einem BAHA-Gerät, für das es keinen Festbetrag gibt, ist nach Auskunft des Hörgeräte-Akustikers E-C mit Kosten von ungefähr 3.800,- EUR zu rechnen. Allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten spricht also alles für die Versorgung mit einer Hörbrille. Diese kann grundsätzlich auch als ausreichend angesehen werden. Zwar ist die Hörqualität eines knochenverankerten Hörgerätes wegen der besseren Möglichkeit der Schallübertragung zum Innenohr deutlich besser als die einer Hörbrille (vgl. Auskunft der Firma E-C vom 13.01.2003; Bericht des HNO-Arztes Dr. S vom 07.03.2003); jedoch ist davon auszugehen, dass bei entsprechend eingestelltem Anpressdruck auch mit einer Hörbrille ein gutes Hörergebnis erzielt wird. Eine Luxusversorgung fällt nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung.

Gegen die Versorgung mit einer Hörbrille spricht jedoch ihre Unzweckmäßigkeit. Dr. S hat im Bericht vom 07.03.2003 auf die Problematik der Druckstellenbildung und daraus resultierenden Entzündungen der Bereiche hinter den Ohren hingewiesen. Diese Gefahr besteht beim Kläger in erhöhtem Maße, da er an Diabetes mellitus leidet. Dr. S hat weiter dargelegt, dass diese Probleme bei knochenverankerten Hörgeräten nicht bestehen. Zwar hat Dr. M in der MDK-Stellungnahme vom 01.02.2002 darauf hingewiesen, dass bei der Implantation eines BAHA- Gerätes wegen des Diabetes mellitus des Klägers u. U. Wundheilungsstörungen zu erwarten seien; dies bedeutet jedoch nicht, dass solche Störungen sicher eintreten werden; im Übrigen hält die Kammer solche Wundheilungsstörungen für ein allgemeines, jedoch beherrschbares Operationsrisiko.

Der entscheidende Grund, der im vorliegenden Fall gegen die Zweckmäßigkeit der Vorsorgung mit einer Hörbrille spricht, ist der Umstand, dass der Kläger nicht sehbehindert ist und keine Brille trägt. Sinn und Zweck einer Brille ist - abgesehen von Sonnenschutzbrillen - der Ausgleich einer Sehbehinderung. Würde man den Kläger mit einer Hörbrille versorgen, so bekäme er - äußerlich sichtbar - eine Brille, die, da er nicht sehbehindert ist, mit Fenstergläsern versehen wäre, allein zu dem Zweck, damit er besser hören kann. Dies überschreitet nach Auffassung der Kammer die Grenzen der Zumutbarkeit. Auch wenn das Tragen einer Brille weit verbreitet und auch unter modischen Gesichtspunkten gesellschaftlich akzeptiert ist, kann einem Versicherten, der über die volle Sehkraft verfügt, nicht zugemutet werden, ein zum Ausgleich einer Sehbehinderung intendiertes Hilfsmittel zu tragen, um eine bei ihm bestehende Hörminderung auszugleichen, wenn es andere geeignete Hörgeräte gibt. Das BAHA-Gerät ist eine solche geeignete Alternative. Auch wenn dieses erheblich teurer als eine Hörbrille ist, tritt dieser Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkt nach Auffassung der Kammer hinter den der Unzumutbarkeit einer Hörbrillenversorgung zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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